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Physiologie und Pathophysiologie der Insulinsekretion

Verfasst von: Thomas Kapellen und Wieland Kiess
Kohlenhydrate und besonders Glukose stellen Energie für die Zellen des Körpers zur Verfügung. Außerdem ist Glukose ein Substrat für die Synthese von Glykoproteinen, Glykolipiden, Nukleotiden, nichtessenziellen Aminosäuren und spezifischen Fettsäuren. Zusätzlich bildet Glukose einen Baustein für Strukturmoleküle der Zellmembran. Schließlich nehmen Glukose und ihre phosphorylierte Form, Glukose-6-Phosphat, eine Schlüsselstellung innerhalb vieler Stoffwechselwege ein. Blutzellen und das Zentralnervensystem sind außerdem gänzlich auf die Zufuhr von Glukose angewiesen.

Grundlagen

Kohlenhydrate und besonders Glukose stellen Energie für die Zellen des Körpers zur Verfügung. Außerdem ist Glukose ein Substrat für die Synthese von Glykoproteinen, Glykolipiden, Nukleotiden, nichtessenziellen Aminosäuren und spezifischen Fettsäuren. Zusätzlich bildet Glukose einen Baustein für Strukturmoleküle der Zellmembran. Schließlich nehmen Glukose und ihre phosphorylierte Form, Glukose-6-Phosphat, eine Schlüsselstellung innerhalb vieler Stoffwechselwege ein. Blutzellen und das Zentralnervensystem sind außerdem gänzlich auf die Zufuhr von Glukose angewiesen.
Die Regulation der Glukosekonzentration im Organismus ist von essenzieller Bedeutung.
Das in den pankreatischen Betazellen gebildete Hormon Insulin steuert zahlreiche Enzyme, Genexpressionsmuster und Stoffwechselwege. Seine zentrale Rolle bei der Regulation des Blutglukoseblutspiegels und der Gewebskonzentration von Glukose sowie bei der Pathophysiologie des Diabetes mellitus sind erkannt. Erkenntnisse in Bezug auf die Insulinwirkung und seine zellulären Signalübertragungsmechanismen bilden die Grundlage für die erfolgreiche Behandlung des Diabetes mellitus.

Insulinsynthese

Beim Menschen liegt das insulinkodierende Gen auf Chromosom 11 und wird nur in den Betazellen der Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse exprimiert. Das 5,8 kDa schwere heterodimere Hormon, das aus 51 Aminosäuren besteht, entsteht aus Proinsulin durch proteolytische Abspaltung des C-Peptids („connecting peptide“). Die Prozessierung erfolgt mithilfe der Prohormonkonvertasen und der Carboxypeptidase E (Abspaltung des C-Terminus der B-Kette). Die A- (21 Aminosäuren) und B-Aminosäurekette (30 Aminosäuren) des doppelkettigen Insulinmoleküls sind durch zwei Disulfidbrücken kovalent miteinander verbunden (Abb. 1; Selden et al. 1987).
Im rauen endoplasmatischen Retikulum wird durch Abspaltung von 23 Aminosäuren aus Präproinsulin das Proinsulin gebildet.
Die Aufeinanderfolge von Präproinsulinprozessierung zu Proinsulin und die Wanderung von verschiedenen Insulinvorstufen in Vesikeln von einem zellulären Kompartment zum anderen geschieht von innerhalb weniger als einer halben Stunde.
Proinsulin wird über Mikrovesikel in den Golgi-Apparat transportiert und dort innerhalb der Vesikel proteolytisch gespalten. In den reifen insulinsekretorischen Granula wird das doppelkettige Insulinmolekül in Form von Hexameren gespeichert. Die Hexamere werden durch jeweils ein Zinkion stabilisiert. Die reifen Granula nutzen Mikrotubuli, um zur Zelloberfläche zu wandern, von wo sie nach einem sekretorischen Reiz in den Extrazellulärraum entleert werden. In äquimolarer Konzentration mit Insulin wird dabei das im Golgi-Apparat abgespaltene C-Peptid sezerniert (Abb. 2). Eine biologische Aktivität des C-Peptids ist bislang nicht belegt. Durch Bestimmung der C-Peptid-Konzentration im Serum ist bei Patienten mit Diabetes mellitus ein Rückschluss auf die noch vorhandene körpereigene Restsekretion von Insulin möglich. Im Blut zirkuliert Insulin sehr wahrscheinlich in monomerer Form (Staiger et al. 2007).
Wichtigster und stärkster Stimulus der Insulinsekretion ist Glukose (s. Übersicht). Andere Peptidhormone des Pankreas, wie z. B. das Amylin, werden in engem Zusammenhang mit der Insulinsekretion gebildet. In den Langerhans-Inseln, die homogen über das Pankreas verteilt und in das exokrine Drüsengewebe eingebettet sind, sind 4 verschiedene Zelltypen nachweisbar:
1.
die Alphazellen, die Glukagon synthetisieren,
 
2.
die insulinproduzierenden Betazellen,
 
3.
die Deltazellen (weniger als 5 % der Zellmasse), die Somatostatin produzieren, und
 
4.
die PP-Zellen, die weniger als 2 % der Zellzahl ausmachen und das pankreatische Polypeptid (PP) bilden.
 
Stimuli und Inhibitoren der Insulinsekretion. (Nach Thews und Vaupel 2005; Siegenthaler und Blum 2006; Moore et al. 2015; Cantley 2014)
  • Physiologische Stimuli:
  • Pharmakologische Stimuli:
    • GLP-1-Mimetika (z. B. Exenatide wie Exendin, Byetta)
    • Sulfonylharnstoffe
  • Physiologische Inhibitoren:
    • Noradrenalin
    • Adrenalin
    • Adipozytokine: Leptin, Apelin, Resistin (inhibiert glukosestimulierte Seketion), RBP4
Sowohl im Prozess der Insulinsynthese und -sekretion als auch in der Insulinwirkungskaskade (Abb. 3) sind genetische und erworbene Defekte bekannt, die zum Diabetes mellitus führen. Der Diabetes mellitus wird heute nach dem pathophysiologischen Konzept der Biosynthese, Sekretion und metabolisch-biologischen Wirkung des Insulins ätiopathogenetisch klassifiziert (Kap. „Diabetesformen bei Kindern und Jugendlichen“).

Physiologie der Insulinsekretion

Beim Stoffwechselgesunden wird der Blutglukosespiegel in einem durch Insulin regulierten Regelkreis innerhalb enger Grenzen von etwa 60–160 mg/dl (3,3–8,9 mmol/l) konstant gehalten. In der Leber, im Fettgewebe und im Muskel fördert Insulin die Energiebereitstellung (Abb. 3). In peripheren Nerven, im Zentralnervensystem, in Erythrozyten und in der Niere ist die Glukoseaufnahme dagegen insulinunabhängig.
Die Regulation des Stoffwechselgleichgewichts erfolgt auf vielen miteinander verknüpften Ebenen. In Abb. 3 ist das Prinzip des durch Insulin regulierten Regelkreises des Glukosestoffwechsels dargestellt. Beim Stoffwechselgesunden wird der Blutglukosespiegel innerhalb enger Grenzen von etwa 60–160 mg/dl (3,3–8,9 mmol/l) konstant gehalten: Im kybernetischen Modell stellt man sich zentralnervöse, neurale, endokrine und peptiderge Einflüsse vor, die über die Stellgrößen Insulin/Glukagon via den Regler Pankreas die Regelgröße Blutglukose steuern. Eine relevante Störgröße ist bei einem Gesunden in diesem Modell die unterschiedliche Glukoseresorption und in geringerem Umfang ein erhöhter Glukosebedarf und -verbrauch bei gesteigerter körperlicher Aktivität, langem Fasten oder schweren Krankheiten zu sehen (Petrides 2007). Ein Zusammenspiel von parakrinen, autokrinen und elektrotonischen Einflüssen übernimmt die Regulation des Zusammenspiels der Betazellen in einer Langerhans-Insel (Rutter und Hodson 2013).
Es ist wichtig, die Glukosehomöostase nicht isoliert vom Gesamtstoffwechsel zu sehen, da Insulin viele weitere Stoffwechselfunktionen beeinflusst.
In der Leber hemmt Insulin z. B. die Glykogenolyse, Glykoneogenese und Ketogenese. Im Fettgewebe stimuliert das Hormon die Lipogenese und hemmt die Lipolyse. Außerdem stimuliert Insulin dort die Synthese und Sekretion von Leptin durch differenzierte Adipozyten. Im Muskel fördert Insulin die Protein- und Glykogensynthese und sichert dadurch die Energiebereitstellung. Die Glukoseaufnahme ist in einer Reihe von Geweben im Gegensatz zu Muskel, Fettgewebe und Leber insulinunabhängig. Dies gilt für periphere Nerven, Zentralnervensystem, Erythrozyten und Nieren. Ein Ausfall der enteralen Glukoseaufnahme (Fasten, Hungern und schwere Erkrankungen) bewirkt glukagoninduziert eine vermehrte Glukoseproduktion in der Leber. Zunächst kommt es dabei zu vermehrter Glykogenolyse, später auch zu einer erhöhten Glukoneogenese. Der Blutzucker bleibt dadurch trotz fehlenden enteralen Nachschubs konstant. Durch die Erniedrigung des Insulinspiegels beim Fasten kommt es aber auch zu einer gesteigerten Lipolyse im Fettgewebe. Die vermehrt freigesetzten Fettsäuren und Ketonkörper dienen der Skelettmuskulatur und in geringerem Umfang dem Zentralnervensystem als Energiequelle. Beim Stoffwechselgesunden kommt es trotz hoher Ketonkörperproduktion nicht zur manifesten Ketoazidose (Green und Flatt 2007).
Selbst unter Fastenbedingungen und beim Fehlen starker sekretagoger Stimuli fällt der basale Insulinspiegel im Blut nicht unter 5 μU/ml ab. Wichtigster und stärkster Stimulus der Insulinsekretion sind Glukose bzw. möglicherweise eine Reihe seiner physiologischen Metaboliten. Dabei können außer einigen Monosacchariden auch Aminosäuren, vor allem Arginin, Fettsäuren und Ketonkörper die Insulinfreisetzung stimulieren (Voet et al. 2002).
Gehemmt wird die Insulinsekretion durch Katecholamine und Somatostatin (s. Übersicht oben). Fettgewebshormone (Adipozytokine) können entweder stimulierenden oder hemmenden Einfluss auf die Insulinsekretion haben und spielen in der Interaktion zwischen Adipozyten und Betazellen eine entscheidende Rolle (Cantley 2014, s. Übersicht oben). Andere Peptidhormone des Pankreas wie z. B. das Amylin werden in engem Zusammenhang mit der Insulinsekretion gebildet und ausgeschüttet (Cryer et al. 1986). Die Regulation der Insulinexpression, d. h. die physiologisch adäquate Synthese und Sekretion von maturem Insulin, könnte auf vielen Ebenen erfolgen: beginnend mit der Transkription des Insulingens und endend bei der Insulinsekretion selbst. Postsekretorische Schritte wie die Insulin-Clearance und die Insulinaufnahme in Zellen und eine etwaige intrazelluläre Degradation sollen hier nur erwähnt werden. Zahlreiche Forschungsgruppen haben in den letzten Jahren besonders die Regulation auf der Ebene der Transkription des Insulingens mittels molekularbiologischer Methoden untersucht. Die Analyse der Insulin-Gen-Promoter-Sequenzen und die Charakterisierung von Protein-Promoter-Interaktionen (als Protein wären hier verschiedene Transkriptionsfaktoren denkbar) halfen, die Regulation des Insulingens auf dieser Ebene zu klären. Durch Einschleusung klonierter Promoter-Regionen in DNA-Sequenzen von Zellkultursystemen wurde die biologische Relevanz einer solchen Regulation erkannt.
Die Struktur des Insulingens ist in Abb. 1 dargestellt. Die klassischen Bestandteile einer Gensequenz sind darin zu erkennen. Die sog. CAP-Site zeigt die Stelle der Gensequenz an, an der die Synthese der mRNA beginnt. Die Nukleotidsequenz, die innerhalb des Promoters den korrekten Beginn der Transkription markiert, wird als klassische TATA-Box angesehen. Eine sog. CAAT-Box ist innerhalb der meisten Promotersequenzen, die in Säugetiergenen vorkommen, enthalten und entspricht beim Insulingen der Nukleotidsequenz −83 bis −79. Die exakte Rolle der einzelnen Regulatorsequenzen ist noch nicht völlig geklärt. Die Insulingentranskription wird dadurch initiiert, dass sich ein großer DNA-Protein-Komplex bildet, der die katalytische Reaktion der RNA-Polymerase-II erlaubt. In Geweben, in denen das Insulingen nicht exprimiert bzw. transkribiert wird, verhindert eine als „Silencer“ bezeichnete DNA-Sequenz die Formation des DNA-Protein-Komplexes. Dadurch wird die RNA-Polymerase-II daran gehindert, die Transkription zu beginnen. Die genaue Kenntnis dieser Vorgänge auf molekularer Ebene könnte zur Entwicklung möglicher gentherapeutischer Ansätze und damit zur Heilung des Diabetes mellitus Typ 1 führen (Selden et al. 1987).
Insulin wird pulsatil aus der Betazelle freigesetzt. Dabei werden schnelle Sekretionspulse, die alle 8–15 min auftreten, von langsameren, ultradianen Oszillationen überlagert, die in Perioden von 80–150 min ablaufen. In dieser pulsatilen Sekretion scheinen Inkretine eine entscheidende Rolle zu spielen (Rutter und Hodson 2013). Neurale Faktoren modulieren die Aktivität des Schrittmachers für die Oszillationen. Die Oszillationen der Insulinfreisetzung hängen zeitlich mit den Oszillationen des zytosolischen Kalziums zusammen.
Nach einem alimentären Reiz wird Insulin in 3 Phasen abgegeben:
1.
In der „schnellen Phase“ steigt der Glukosespiegel rasch an und Insulin wird rasch aus schnell verfügbaren Kompartimenten (Betagranula) ausgeschüttet. Die Höhe der Insulinanstiege korreliert dabei eng mit dem Ausmaß des Glukoseanstiegs.
 
2.
In der „länger andauernden und stärkeren Phase“ wird die Insulinsekretion durch konstante Glukose- oder Kohlenhydratzufuhr dosisabhängig gesteigert.
 
3.
In der „Desensibilisierungsphase“ bleibt die Insulinsekretion über Stunden auf einem Plateau, das die beschriebenen Oszillationen aufweist.
 
Glukose wird von den Betazellen in Abhängigkeit von ihrer Konzentration im Serum/Extrazellulärraum aufgenommen. Jede Steigerung des Glukoseumsatzes in der Betazelle resultiert in einem Anstieg des zellulären Adenosintriphosphat/Adenosindiphosphat(ATP/ADP)-Verhältnisses. Dies führt zur Hemmung eines ATP-empfindlichen K+-Kanals in der Plasmamembran. Es folgt eine Depolarisierung der Betazelle und daraus resultierend die Öffnung von spannungsregulierten Kalziumkanälen. Der Anstieg der zytosolischen Kalziumkonzentration ist der Auslöser für die gesteigerte Exozytose von Betagranula. Die von den Sulfonamiden hergeleiteten Sulfonylharnstoffe, die als orale Antidiabetika zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt werden, führen direkt zu einer Depolarisierung der Betazelle. Der Sulfonylharnstoffrezeptor („sulfonylurea receptor“ = SUR) ist identisch mit einer Untereinheit des ATP-abhängigen K+-Kanals und ein Mitglieder der ABC-Transporterfamilie. ATP und Sulfonylharnstoffe können unabhängig voneinander an das Kanalprotein binden und den K+-Kanal schließen. Damit werden die Zellpolarisation und die Insulinsekretion ausgelöst (Siegenthaler und Blum 2006). Leptin scheint durch die Erhöhung der K-ATP-Aktivität der direkte Gegenspieler der glukosestimulierten Insulinsekretion zu sein. Es wird ein tonischer inhibitorischer Effekt von Leptin postuliert. Leptin stimuliert die AMP-aktivierte Proteinkinase und sorgt damit für einen Shift von intrazellulär gelegenen Vesikeln mit K-ATP-Kanälen auf die Zelloberfläche (Holz et al. 2013).
Neben diesem klassischen Weg der K-ATP-abhängigen glukosestimulierten Insulinsekretion gibt es viele Hinweise auf eine glukosestimulierte Insulinsekretion, die ohne die SUR-Untereinheit des K-Kanals ablaufen kann (Komatsu et al. 2013).
Dreidimensionale Darstellungen der Innervation der Inseln beim Menschen zeigen anders als bei der Maus eine relativ geringe autonome Innervation der Betazellen im Vergleich zu einer starken autonomen Kontrolle der glatten Muskulatur der insulären Blutgefäße. Dies spricht für eine autonome Kontrolle eher des Blutflusses als der endokrinen Funktion direkt. Außerdem können efferente Verbindungen sowohl zu den sympathischen Ganglien als auch direkt zum Gehirn nachgewiesen werden, die für eine übergeordnete Kontrollfunktion sprechen (Rodriguez-Diaz und Caicedo 2014).
Schon lange gibt es Hinweise auf die Rolle des Gehirns im Glukosemetabolismus. Im Hypothalamus gibt es glukosesensitive Neuronen. Diese stehen im Cross Talk mit Neuronen, die Leptin und Insulinsignale verarbeiten, alles unter Einfluss von freien Fettsäuren. Signale des Hypothalamus sorgen von der Medulla oblongata aus über vorwiegend autonome Efferenzen u. a. für die Regulation der Sekretion von Glukagon und Insulin, zusätzlich wird die hepatische und muskuläre Glukosefreisetzung beeinflusst (Roh et al. 2016).
Mittlerweile ist klar, dass eine Interaktion der Betazellen untereinander für die phasenweise Insulinsekretion mitverantwortlich ist. Isolierte Betazellen zeigen ein differentes Insulinsekretionsmuster im Vergleich zu Inselzellverbänden. Für die Kommunikation der Inselzellen untereinander spielt eine elektronische Kopplung über Gap-Junctions eine entscheidende Rolle insbesondere in der Suppression des Sekretionsstimulus bei niedrigen Glukosespiegeln im Blut (Benninger und Piston 2014). Neben der Betazellinteraktion spielt auch eine Kommunikation der Betazellen mit den Endothelzellen der Insel für eine normale Betazellfunktion eine wichtige Rolle (Peris et al. 2014). Dabei scheint auch die Architektur der Betazellen mit einer Verbindung zum Endothel und zu anderen Betazellen wichtig zu sein (Do und Thorn 2015).
Die molekulare Ursache für die Abhängigkeit der Insulinsekretion von der extrazellulären Glukosekonzentration und vom Glukoseumsatz liegt im Zusammenspiel zwischen Glukoseaufnahme und Glukosephosphorylierung. Der Glukosetransporter GLUT-2 mit einer hohen KM von ca. 40 mmol/l für Glukose wird vornehmlich in den Betazellen des Pankreas exprimiert. Wie die Leber verfügen auch die Inselzellen außerdem über eine hohe Glukokinaseaktivität (KM ca. 8 mmol/l). Damit hängen die Glukosephosphorylierung und die Glykolyserate direkt von der intrazellulären Glukosekonzentration ab (Staiger et al. 2007).

Insulinrezeptor und Signalübertragung

Wie alle Proteohormone wirkt auch Insulin über die Bindung an spezifische, hochaffine Rezeptoren, die von vielen Zelltypen in der Zellmembran exprimiert werden. Der beim Menschen auf dem Chromosom 19 kodierte Insulinrezeptor ist ein glykosyliertes Heterotetramer mit einem Molekulargewicht von über 400 kDa. Er besteht aus zwei α-Bindungseinheiten und aus zwei β-Untereinheiten. Letztere reichen ins Zytoplasma der Zelle und besitzen Tyrosinkinaseaktivität (Abb. 3).
Der Insulinrezeptor gehört damit zur Familie der Tyrosinkinaserezeptoren, zu denen auch eine große Anzahl von Rezeptoren für Wachtumsfaktoren (z. B. Insulin-like-growth-factor[IGF]-1-Rezeptor, Epidermal-growth-factor[EGF]-Rezeptor, Platelet-derived-growth-factor[PDGF]-Rezeptor) und Onkogenen gehören (Klammt et al. 2008). Ein intrazelluläres Netzwerk von Phosphokinasen und Phosphatasen ermöglicht eine fein abgestimmte Regulation des Insulinsignals auf Postrezeptorebene (Abb. 3).
Es ist heute bekannt, dass mindestens 4 Insulinrezeptorsubstrate, IRS-1 bis IRS-4, und eine Reihe von intrazellulären Enzymen wie die Phosphoinositol-3-Kinase eine Schlüsselrolle bei der Signalübertragung des Insulinrezeptors spielen. Dabei ist der sog. AKT-ERK-Phosphorylisierungsweg (Aminosäuren katalysierende Kinasen/Transferasen, AKT; extrazellulär regulierte Kinase, ERK) für zellbiologische Wirkungen des Insulinrezeptors besonders wichtig.
Eine Translokation von Glukosetransportern nach Aktivierung der Phosphorylierungskaskade aus dem intrazellulären Reservoir in die Zellmembran an der Zelloberfläche ermöglicht den Einstrom von Glukose in das Zellinnere.
Die α-Untereinheiten repräsentieren den Hauptteil der extrazytoplasmatischen Abschnitte des Rezeptors und enthalten die Insulinbindungsstellen; sie sind damit also für die Hormonspezifität des Rezeptors verantwortlich. Der Insulinrezeptor gehört wie erwähnt zusammen mit zahlreichen anderen Peptidhormonrezeptoren sowie Onkogenen zur großen Familie von Tyrosinkinasen: Die Auto- bzw. Transphosphorylierung von Tyrosinresten des Rezeptors sowie die Phosphorylierung und Dephosphorylierung intrazellulärer Substrate übermitteln das Signal der Insulinwirkung über den Insulinrezeptor. Die Rolle von cAMP, G-Proteinen und Phosphoinositolphosphaten als sekundäre Botensubstanzen des Insulinrezeptorsignals ist immer noch nicht völlig geklärt (Abb. 3).
Es ist heute bekannt, dass die zwei Insulinrezeptorsubstrate IRS-1 und IRS-2 eine Schlüsselrolle bei der Signalübertragung des Insulinrezeptors spielen.
Sowohl IRS-1 und IRS-2 als auch weitere Mitglieder der Insulinrezeptorsubstratfamilie (IRS-3 und IRS-4) sind kloniert und sequenziert. Transgene Knock-out-Tiere, bei denen eines der Gene, die die Insulinrezeptorsubstrate kodieren, deletiert ist, sind hergestellt worden. Solche Deletionsmutanten leiden meist an einem Diabetes mellitus, überleben aber und sind phänotypisch überraschend wenig betroffen. Offensichtlich wird das Insulinsignal mit großer Redundanz konserviert, um das metabolische Äquilibrium der Zelle möglichst robust zu halten. Das Insulinsignal kann dazu z. B. auch mit den Effektorkaskaden anderer Hormone und Wachstumsfaktoren verknüpft werden, die ihr Signal über Phosphorylierungs- und Dephosphorylierungsreaktionen übermitteln. Es sind entsprechend alternative Signalübertragungswege denkbar, die die Deletion eines einzelnen Signalübertragungsweges der Insulinrezeptorkaskade ausgleichen können. Die Tatsache, dass ein Rezeptor den Signalübertragungsweg eines anderen Rezeptors teilt oder mitbenutzt, wird als Rezeptorkreuzreaktion („receptor crosstalk“) bezeichnet.

Insulinwirkung – biologische Antwort auf die Insulinrezeptoraktivierung

Eine Translokation von Glukosetransportern aus dem intrazellulären Reservoir in die Zellmembran und damit an die Zelloberfläche ermöglicht den Einstrom von Glukose in das Zellinnere. Mindestens 5 Typen solcher Glukose-Carrier sind bis heute isoliert und sequenziert.
Bei konstant hoher extrazellulärer Insulinkonzentration kommt es zu einer Down-Regulation der zellulären Insulinrezeptoren durch Internalisierung der Rezeptoren. Dies bedeutet eine Aufnahme von Rezeptoren in das Zellinnere.
Die Zellmembran enthält dadurch weniger Insulinrezeptoren, es stehen also weniger Signalüberträger (Rezeptoren) für das Insulinsignal zur Verfügung. Biologische Effekte des Insulins wie z. B. die Stimulation des Glukoseeinstroms in die Zelle können auf diese Weise moduliert werden. Die Bindung von Insulin an ein Insulinrezeptormolekül kann auch bewirken, dass die Affinität benachbarter Insulinrezeptoren für Insulin abnimmt. Dieses biochemische Prinzip, das als „negative Kooperativität“ des Insulinrezeptors bezeichnet wird, stellt eine weitere Feinregulation des Glukosestoffwechsels dar. In Tab. 1 sind die Nettoeffekte der Insulinwirkung auf den Stoffwechsel dokumentiert (Thews und Vaupel 2005).
Tab. 1
Metabolische Wirkungen des Insulins. (Nach Thews und Vaupel 2005)
Wirkung auf den Kohlenhydratstoffwechsel: Senkung des Blutglukosespiegels und Steigerung des Glukoseumsatzes
Stimulation von
Glukosetransport
Glykogensynthese
Inhibition von
Glykogenolyse
Glukoneogenese
Wirkung auf den Proteinstoffwechsel: Senkung der Aminosäurenkonzentration im Blut; positive Stickstoffbilanz
Stimulation von
Aminosäuretransport
Proteinsynthese
Inhibition von
Proteinabbau
Glukoneogenese
Wirkung auf den Lipidstoffwechsel: Senkung der Plasmakonzentration von freien Fettsäuren und Hemmung der Ketogenese
Steigerung der
Lipogenese
Verminderung der
Lipolyse

Pathophysiologie des Insulinrezeptors

Punktmutationen und Deletionen im Insulinrezeptorgen können zu einem geänderten Bindungsverhalten des Rezeptormoleküls gegenüber Insulin oder zu einer Störung in der Prozessierung des Insulinrezeptormoleküls während der Neusynthese führen. Mindestens 19 natürlich vorkommende Punktmutationen des Rezeptorgens und zwei große Deletionen sind bisher bei Patienten mit Insulinresistenz entdeckt worden. Darüber hinaus sind zahlreiche Aminosäuresubstitutionen bekannt, die Stop-Kodons oder Nonsense-Kodons bedingen (Moller und Flier 1991). Diese genetisch fixierten Veränderungen des Insulinrezeptormoleküls führen zu funktionell inaktiven Rezeptoren.
Defekte im Bereich der Tyrosinkinasesequenz bewirken eine Störung der Phosphorylierungskaskade, die für das Insulinsignal von entscheidender Bedeutung ist.
Zellen von Patienten, die Defekte bei der Signalübertragung aufweisen, binden über ihre Oberflächenrezeptoren Insulin mit hoher Affinität und ausreichender Kapazität (Rezeptorzahl pro Zelle) und sind dennoch nicht in der Lage, auf Insulin mit einer adäquaten biologischen Antwort zu reagieren. Die Bildung von Autoantikörpern gegen verschiedene Epitope des Insulinrezeptors ist eine seltene Ursache eines familiären Diabetes mellitus. Von diesen Patienten isolierte Antikörper waren bei der Erforschung der Physiologie der Insulinwirkung sehr hilfreich. Im Rahmen des Diabetes mellitus Typ 2 kommt es zu einer zellulären Insulinresistenz besonders in der Skelettmuskulatur, im Fettgewebe und in der Leber. Dabei resultiert die Insulinresistenz aus einer Kombination von Störungen auf unterschiedlichen Ebenen der Signaltransduktionskaskade: Rezeptorkinasen und/oder Posttyrosinkinasesignaltransduktionswege können gestört sein. Serinphosphorylierung und/oder die Aktivität der Phosphatidylinositol-3-Kinase können vermindert sein. Schließlich sind Defekte auf der Stufe der mitogenaktivierten Protein(MAP)-Kinase-Kaskade denkbar. Letztere sind für zellbiologische (mitogene) Insulineffekte verantwortlich. Basierend auf dem pathophysiologischen Konzept der Biosynthese, Sekretion und metabolisch-biologischen Wirkung des Insulins ist heute eine ätiopathogenetische Klassifizierung des Diabetes mellitus möglich. Eine neue Klassifizierung des Diabetes mellitus ist sowohl von der Amerikanischen Diabetes Assoziation (ADA) als auch der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) vorgestellt worden und wird regelmäßig überarbeitet und ergänzt (ADA 2016).

Pathophysiologie der Insulinsekretion, Insulinsynthese und Insulindegradierung

Sowohl im Prozess der Insulinsynthese und -sekretion als auch in der Insulinwirkungskaskade (Abb. 3) sind genetische und erworbene Defekte, die klinisch zum Diabetes mellitus führen, denkbar oder bereits nachgewiesen: Bei der Hyperproinsulinämie, bei der mehr als 15 % der Gesamtinsulinmenge als Proinsulin in die Zirkulation abgegeben wird, oder bei der Unreife der Insulinsekretion des Neu(Früh-)geborenen liegt eine transiente Störung der Insulinsynthese und -sekretion vor. Letztere ist beim Diabetes mellitus infolge einer Mukoviszidose permanent. Die schnellen Pulsationen der Insulinsekretion sind bei Adipositas und in den Anfangsstadien des Diabetes mellitus Typ 2 mellitus noch erhalten. Bei abdomineller Adipositas und bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 liegt aber eine verminderte Amplitude der ultradianen Insulinsekretion vor, die einen Defekt des Sekretionsprozesses vermuten lässt. Mit zunehmendem Alter nimmt außerdem die Amplitude der ultradianen Oszillationen der Insulinsekretion ab. Beim Diabetes mellitus wird die hepatische Glukoseproduktion basal wie postprandial in zu geringem Ausmaß durch Insulin supprimiert. Dadurch kommt es zur Hyperglykämie (Siegenthaler und Blum 2006; Voet et al. 2002).
Bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 werden die postprandialen Glukosespiegel vor allem durch das Nahrungsangebot bestimmt und sind weitgehend unabhängig von der Suppression der hepatischen Glukoseproduktion.
Die Plasmahalbwertszeit von Insulin beträgt nur ca. 4–6 min. Damit kann die endogene Verfügbarkeit des Insulins rasch und bedarfsgerecht reguliert werden. Alle insulinempfindlichen Gewebe können Insulin aufnehmen und abbauen:
  • 50–70 % der Insulin-Clearance erfolgt dabei in der Leber,
  • 20–30 % in Muskulatur und Fettgewebe und
  • ca. 10–20 % über die Nieren.
Bei Niereninsuffizienz kommt es entsprechend zu einer verminderten Insulin-Clearance und somit zu einer verlängerten Wirksamkeit. Dieser Tatsache ist bei der medikamentösen Therapie des Diabetes mellitus bei niereninsuffizienten Patienten zu berücksichtigen.
Sowohl Lifestyle-Änderungen als auch pharmakologische Interventionen (mit Thiazolidindionen) führen zu einer Erhöhung der Insulin-Clearance und über diesen Mechanismus unabhängig von der Beeinflussung der Insulinresistenz zu verminderten Insulinspiegeln (Kim und Reaven 2016).
Das Wissen über Einflüsse auf die Insulinsekretion durch Ernährungsfaktoren ist in letzter Zeit im Rahmen von Untersuchungen an Kohorten von Menschen, die eine Insulinresistenz oder einen Typ-2-Diabetes entwickeln, deutlich angestiegen (Moore et al. 2015). Der Einfluss von Makronährstoffen (Glukose, Peptide und Lipide) auf die Insulinsekretion ist mittlerweile gut verstanden (s. oben). Aber auch Mikronährstoffe, wie Zink, Vitamin D, Kalzium, Vitamin A und Eisen haben Wirkungen auf die Insulinsekretion. Zink ist notwendig, um die Hexamerstruktur für die Lagerung des Insulins zu ermöglichen. Vitamin-D-Mangel ist ein BMI-unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes. Dabei scheint Vitamin D eine insulinsekretorische Wirkung zu haben.
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