Einleitung
Die juvenile idiopathische Arthritis umfasst eine heterogene Gruppe von Erkrankungen. Die verschiedenen Formen der chronischen Arthritis mit Beginn im Kindes- und Jugendalter werden seit den 1970er-Jahren anhand von Klassifikationskriterien definiert und kategorisiert.
Die Klassifikationen der chronischen Arthritiden im Kindes- und Jugendalter dienen bei fehlenden diagnosebeweisenden Parametern und einer noch unzureichend verstandenen Ätiopathogenese der einheitlichen Falldefinition und Abgrenzung der verschiedenen Arthritisformen im Kindesalter.
In den 1970er-Jahren setzten sich zwei Klassifikationen der chronischen Arthritiden bei Kindern durch:
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die vom American College of Rheumatology (ACR, früher American Rheumatism Association, ARA) vorgeschlagene Klassifikation der
juvenilen rheumatoiden Arthritis (JRA)
in Nordamerika (Brewer et al.
1977) und
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die Klassifikation der
juvenilen chronischen Arthritis (JCA)
der European League Against Rheumatism (EULAR) in Europa (Wood
1978).
Obwohl beide Klassifikationen basierend auf klinischen Merkmalen ähnliche Manifestationsformen der juvenilen Arthritis (systemische Arthritis, Oligoarthritis, Polyarthritis) unterscheiden, berücksichtigen sie unterschiedliche Krankheitsbilder (Tab.
1).
Tab. 1
Klassifikationen der chronischen Gelenkentzündungen im Kindesalter
Terminus | | Juvenile chronische Arthritis (JCA) | | |
Erkrankungsbeginn | <16 Jahre | <16 Jahre | <16 Jahre | <18 Jahre |
Mindestdauer der Gelenkentzündung | 6 Wochen | 3 Monate | 6 Wochen | 6 Wochen |
Zahl definierter Kategorien/Erkrankungen | 3 | 3 | 7 (plus undifferenzierte Arthritis) | 4 (plus andere und unklassifizierte Arthritis) |
| nein | ja | ja | ja |
Ausschluss anderer Erkrankungen | ja | ja | ja | ja |
Quelle | | | | |
Um den wissenschaftlichen Austausch zu erleichtern, wurden im Jahr 1994 durch ein Komitee der International League of Associations for Rheumatology (ILAR) eine international einheitliche Definition und Klassifikation der
juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA)
vorgeschlagen (Fink et al.
1995). Diese bereits zweimal überarbeitete Klassifikation der JIA (Petty et al.
1998,
2004) wird derzeit überwiegend zur Definition und Klassifikation der chronischen Arthritiden bei Kindern und Jugendlichen herangezogen.
Definition der JIA
Die
juvenile idiopathische Arthritis wird nach der zweiten Revision der ILAR-Kriterien
(Petty et al.
2004) definiert als Arthritis eines oder mehrerer Gelenke mit
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Beginn vor dem 16. Geburtstag,
-
einer Mindestdauer von 6 Wochen,
-
unklarer Ätiologie,
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Ausschluss anderer, sich mit ähnlicher Symptomatik präsentierender Erkrankungen.
Die Festlegung auf ein Beginnalter vor dem vollendeten 16. Lebensjahr erfolgte willkürlich.
Arthritis ist definiert als Schwellung oder Bewegungseinschränkung mit
Schmerzen oder Überwärmung mindestens eines Gelenks.
Klassifikation der JIA
Anhand von klinischen und labormedizinischen Parametern, u. a. der Zahl der insgesamt in den ersten 6 Monaten der Erkrankung betroffenen Gelenke, des Vorhandenseins extraartikulärer Manifestationen oder des Rheumafaktors (RF) sowie der Familienanamnese für
Psoriasis oder HLA-B27-assoziierte Erkrankungen, werden sechs definierte JIA-Kategorien, darunter die Oligoarthritis mit zwei Verlaufskategorien, und eine undifferenzierte Arthritis (s. Übersicht Kategorien der
juvenilen idiopathischen Arthritis) unterschieden.
Für jede der definierten Kategorien müssen folgende Ausschlusskriterien berücksichtigt werden:
a.
Psoriasis beim Patienten oder einem Verwandten ersten Grades;
b.
Arthritis bei einem HLA-B27-positiven Jungen nach dem 6. Geburtstag;
c.
Ankylosierende Spondylitis, Enthesitis-assoziierte Arthritis, Sakroiliitis bei entzündlicher Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akute anteriore Uveitis bei einem Verwandten ersten Grades;
d.
IgM-Rheumafaktor-(RF-)Nachweis bei zwei Untersuchungen im Abstand von mindestens 3 Monaten;
e.
Zeichen der systemischen Arthritis.
Neue Vorschläge zur Klassifikation der Arthritiden bei Kindern
Aufgrund der Unzulänglichkeiten der ILAR-Klassifikation wurden neue Vorschläge zur Klassifikation der Gruppe der Arthritiden bei Kindern und Jugendlichen gemacht. Unter der Schirmherrschaft von PRINTO
formulierte eine internationale Expertengruppe neue Klassifikationskriterien für die JIA (Martini et al.
2019, Tab.
1). Nach diesen ist der klinische Nachweis einer Arthritis nicht mehr zwingend Voraussetzung für die Diagnose einer JIA; der Terminus JIA fasst hiernach eine Gruppe chronischer entzündlicher Erkrankungen zusammen, die vor dem 18. Geburtstag beginnen. Außerdem werden nur noch vier definierte Entitäten anhand von klinischen und Laborparametern unterschieden:
Krankheitsbilder, welche sich anhand der Kriterien nicht einordnen lassen, werden als andere Arthritis kategorisiert, jene, die mehreren Krankheitsentitäten zugeordnet werden können, fallen in die Gruppe der unklassifizierten Arthritis.
Ob dieser Vorschlag die aktuelle ILAR-Klassifikation ablösen wird, bleibt abzuwarten. Kritisch wird gesehen, dass vorliegende genetische und biologische Daten, die eher für Gemeinsamkeiten als für Unterschiede zwischen den juvenilen Arthritiden und jenen des Erwachsenenalters sprechen, nicht berücksichtigt werden (Beukelman und Nigrovic
2019).
Alternativ haben Nigrovic und Kollegen (Nigrovic et al.
2018) deswegen vorgeschlagen, chronische Arthritiden unabhängig vom Beginn des Auftretens (im Kindes- oder Erwachsenenalter) basierend auf genetischen Mustern sowie klinischen Merkmalen in vier altersübergreifende Hauptcluster zu unterteilen:
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systemische Arthritis,
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seropositive Arthritis,
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seronegative Arthritis,
-
Ätiologisch eigenständige Entitäten sollen mit weiterem Erkenntnisgewinn aus den vier heterogenen Clustern abgegrenzt werden. Dieser Vorschlag zielt auf die wissenschaftlich begründete Elimination willkürlicher Altersgrenzen sowie die sinnvolle Harmonisierung der Nomenklatur und Klassifikation in der Kinder- und Erwachsenenrheumatologie.
Es gibt weitere Anregungen, die Arthritisformen bei Kindern basierend auf klinischen und/oder immunologischen Mustern mithilfe von maschinellem Lernen zu identifizieren (Eng et al.
2014; Van Nieuwenhove et al.
2019). Diese haben bislang allerdings keine Alltagstauglichkeit erreicht.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Klassifikation der Arthritiden im Kindes- und Jugendalter mit der Aufdeckung der definierten Phänotypen zugrunde liegenden Pathogenese und Evaluation neuer Kriterien weiter verändern wird.