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Pädiatrische Rheumatologie
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Publiziert am: 24.09.2021

Pathogenese der Autoimmunerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Günther Dannecker, Tilmann Kallinich und Norbert Wagner
Genetische Faktoren, Einflüsse aus der Umwelt und eine verminderte oder defekte Regulation sind verantwortlich für die Initiierung einer autoimmunen Reaktion. Dabei können genetische Polymorphismen in bestimmten, bei der Immunantwort beteiligten Genen (HLA, Zytokine/Rezeptoren, zentrale Toleranz wie AIRE) die Aktivierung von autoreaktiven T-Zellen ermöglichen und Umweltfaktoren wie Infektionen, das Mikrobiom oder Gewebeschäden diese Aktivierung durch proinflammatorische Faktoren unterstützen. Regulatorische T-Zellen (Treg) sollten autoreaktive T-Zellen supprimieren, aber Störungen in der Entwicklung oder Funktion von Treg können diese Kontrollfunktion beeinträchtigen. Alleine oder in Kombination können diese Faktoren zur Aktivierung und Proliferation von verschiedenen immunkompetenten Zellen mit nachfolgender Gewebeschädigung und klinischer Erkrankung führen.

Einleitung

Das Immunsystem muss seinen jeweiligen Wirtsorganismus vor Infektionen schützen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss das Immunsystem eine fast unbegrenzte Zahl von fremden Antigenen erkennen und gegen sie reagieren. Um Schäden am eigenen Organismus zu vermeiden, sollte das Immunsystem jedoch nicht körpereigene Antigene erkennen und darauf reagieren, ebenso wenig sollte sich dies gegen die vielfältigen Bestandteile des Mikrobioms des Menschen richten. Die notwendige Fähigkeit, zwischen Selbst- und Nicht-Selbstantigenen unterscheiden können, ist eine grundlegende Eigenschaft des Immunsystems.
Die fehlende Reaktion des Immunsystems auf Selbstantigene ist als Selbsttoleranz definiert, der Verlust dieser Toleranz führt zur Autoimmunität, die dadurch verursachten Erkrankungen werden Autoimmunerkrankungen genannt.
Es gibt systemische (z. B. Lupus erythematodes) oder organspezifische (z. B. juvenile idiopathische Arthritis, Diabetes mellitus, multiple Sklerose) Autoimmunerkrankungen. Die Schädigung der jeweiligen Gewebe wird durch von B-Zellen sezernierte Antikörper (Typ-II-Reaktion, z. B. autoimmune hämolytische Anämie, Myasthenia gravis), durch Immunkomplexe (Typ-III-Reaktion, z. B. Lupus erythematodes) vermittelt oder durch T-Zellen (Typ-IV-Reaktion, z. B. Diabetes mellitus, juvenile idiopathische Arthritis) induziert, wobei beim Diabetes natürlich auch Auto-Antikörper gegen β-Zellen der Bauchspeicheldrüse und gegen Insulin beteiligt sind.
Diese Autoimmunerkrankungen werden heute an einem Ende des Spektrums der autoimmunen-inflammatorischen Erkrankungen eingeordnet, welches am anderen Ende, bei kontinuierlichen Übergängen, die klassischen autoinflammatorischen Erkrankungen umfasst (Kap. „Einleitung/Klassifikation autoinflammatorischer Syndrome“).

Genetische Grundlagen

Autoimmunerkrankungen entstehen wahrscheinlich durch das Einwirken von Umweltfaktoren (z. B. Infektionen, Toxine, Ernährung) auf der Basis von genetischen Grundlagen (Kap. „Genetik in der pädiatrischen Rheumatologie“). In Bezug auf die Genetik spielt der „major histocompatibility complex“-Locus (MHC-Locus) eine dominante Rolle; dieser Locus wird beim Menschen „human leukocyte antigen“ (HLA) genannt. Seit Langem bekannt ist die Assoziation der Expression bestimmter HLA-Moleküle mit dem Risiko, an bestimmten Autoimmunerkrankungen zu leiden, wie z. B. HLA-B27 im Zusammenhang mit Spondylarthritiden.
MHC-Moleküle binden Peptide in einer vom MHC-Molekül gebildeten Spalte. Genetisch unterschiedliche MHC-Moleküle binden unterschiedliche Peptide (MHC-Restriktion) und der Komplex aus MHC-Molekül und Peptid bestimmt die Fähigkeit von CD4+-T-Zellen (Erkennen von HLA-Klasse-II präsentierten Peptide) oder CD8+-T-Zellen (Erkennen von HLA-Klasse-I präsentierten Peptide), ein vorgegebenes Peptid zu erkennen und darauf zu reagieren (Kap. „T-Lymphozyten in der pädiatrischen Rheumatologie“). Für das weitere Geschehen ist nicht nur die Bindung an sich, sondern auch die Affinität der Liganden wichtig. Abhängig von dieser Affinität kann ein einzelner T-Zell-Rezeptor (TZR) funktionell unterschiedliche intrazelluläre Signalwege aktivieren und damit eine unterschiedliche Antwort der T-Zelle bewirken.
Vor diesem Hintergrund ist denkbar, dass bestimmte (Selbst-)Peptide von einem mit einer Autoimmunerkrankung assoziierten MHC-Molekül präsentiert werden und zu einer T-Zell-Aktivierung und (Auto-)Immunantwort führen, während ein nicht mit der Erkrankung assoziiertes MHC-Molekül das gleiche Peptid nicht oder nicht ausreichend präsentieren kann und eine T-Zell-Antwort ausbleibt. Ein Peptid kann auch gleichzeitig sowohl einer Effektorzelle als auch (mit höherer Affinität) einer Treg präsentiert werden. Damit kann gleichzeitig die Immunantwort und deren Regulation ausgelöst werden.
Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) haben in den letzten Jahren mehrere hundert weitere chromosomale Regionen aufgezeigt, die mit Autoimmunerkrankungen assoziiert sind. So wurden z. B. bei der rheumatoiden Arthritis 101 assoziierte Regionen identifiziert, bei der entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn 240 und beim Typ-1-Diabetes 243. Bei allen diesen Erkrankungen wurden die Assoziationsstudien mit 70.000 bis 100.000 Probanden durchgeführt und bei allen stieg die Zahl der assoziierten Regionen mit zunehmender Zahl der Studienteilnehmer an.
Viele dieser Assoziationen liegen im Bereich von Zytokin- oder Zytokinrezeptorgenen oder dem Komplementsystem, und viele sind auch mit mehreren Autoimmunerkrankungen assoziiert (Pleiotropie). Diese für die Pathogenese so wichtigen neuen genetischen Erkenntnisse weisen auf dem Weg zu einer klinischen Anwendung eine enorme Komplexität auf; diese zeigt sich an folgenden Merkmalen: Dem Kopplungsungleichgewicht (linkage disequilibrium: nicht zufällige Assoziation von Allelen an verschiedenen Orten), der Tatsache, dass die Mehrzahl der Assoziationen auf nichtkodierenden Genabschnitten liegt und der gleichzeitigen Assoziation von Regionen mit sowohl Autoimmun- als auch mit Infektionserkrankungen (z. B. für das Enzym FUT2 (α (1,2)-fucosyltransferase 2 kodierende Allele)).

T-Zellen und B-Zellen

T- und B-Zellen, deren Immunantwort durch ihre jeweiligen antigenspezifischen Rezeptoren vermittelt wird, sollten gegen eine praktisch unendliche Anzahl von fremden Antigenen spezifisch reagieren können, gegen eigene Antigene aber tolerant sein (Kap. „T-Lymphozyten in der pädiatrischen Rheumatologie“ und „B-Zellen in der pädiatrischen Rheumatologie“).
Die zentrale Rolle von T-Zellen bei einer Immunantwort legt auch eine zentrale Rolle dieser Zellen bei der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen nahe; die Assoziation dieser Erkrankungen mit bestimmten HLA-Allelen ist ein indirekter Beweis dafür. CD4+-T-Zellen sind eine der Hauptzellpopulationen in der entzündeten Synovialmembran bei Arthritiden; sie weisen zahlreiche Aktivierungsmarker auf und verwenden ein auffälliges T-Zell-Rezeptor-Repertoire. Auch die Tatsache, dass sich manche Autoimmunsyndrome auf Mutationen einzelner Gene zurückführen lassen, die an Toleranzmechanismen von T-Zellen mitwirken, unterstützt diese Hypothese.
Auch B-Lymphozyten sind bei einem Teil der Autoimmunerkrankungen entscheidend an der Pathogenese beteiligt. Beispiele für Erkrankungen, bei denen von B-Zellen produzierte Autoantikörper den Organismus schädigen, sind systemischer Lupus erythematodes (SLE), immunhämolytische Anämien, idiopathische thrombozytopenische Purpura und Vaskulitiden. Beim SLE ist die Immunkomplexbildung aus Antikörpern und Antigen für die Glomerulonephritis verantwortlich, bei immunhämolytischen Anämien bewirkt die Beladung von Erythrozyten mit Autoantikörpern Phagozytyose und Lyse dieser Zellen mittels Komplementaktivierung.
Jedes Individuum erbt ungefähr das gleiche Repertoire an Antigen-Rezeptor-Genen, die rekombiniert und als Eiweißmoleküle in zunächst unreifen Lymphozyten exprimiert werden. Für die T-Lymphozyten sind dies die auf der Zelloberfläche exprimierten T-Zell-Rezeptoren (TZR), für die B-Lymphozyten die ebenfalls auf der Oberfläche exprimierten B-Zell-Rezeptoren oder sezernierten Immunglobuline (Ig). Durch randomisiertes Rearrangieren verschiedener Gensegmente (V, D, J) und durch zufälliges Paaren verschiedener Proteinketten (α, β) entsteht eine Vielzahl von verschiedenen T- und B-Rezeptoren mit Spezifität für Selbst ebenso wie mit Spezifität für Nicht-Selbst. Daraus folgt, dass die Diskriminierung des Immunsystems zwischen Selbst und Nicht-Selbst nicht genetisch angeboren ist, sondern somatisch „gelernt“ werden muss.
Während ihrer Ausreifung durchlaufen T-Lymphozyten im Thymus und B-Lymphozyten in der fetalen Leber und im Knochenmark ein Stadium, in dem der Kontakt mit Antigen zur Toleranz führt (Abb. 1). Unreife Lymphozytenklone, die gegen diese Selbstantigene reagieren, werden durch verschiedene Mechanismen beeinflusst:
  • klonale Deletion (Elimination von autoreaktiven Zell-Klonen),
  • klonale Anergie (Nichtansprechen von autoreaktiven Zell-Klonen) und
  • Suppression (funktionelle Hemmung z. B. durch regulatorische Zellen).
Im Thymus werden in medullären Epithelialzellen unter der Kontrolle von Transkriptionsfaktoren (z. B. autoimmune regulator, AIRE) Selbstantigene präsentiert, die sonst nur streng organspezifisch exprimiert werden (immunological self shadow). Diese ektope Expression von gewebespezifischen Proteinen spielt eine wichtige Rolle in der Prävention von Autoimmunität. Eine Punktmutation in dem sogenannten AIRE-Transkriptionsfaktor führt zu dem autoimmunen Syndrom der Polyendokrinopathie-Candidiasis-Ektodermale Dystrophie (APECED); durch die Mutation sind wichtige Funktionen der „bremsenden“ Regulation des Immunsystems gestört – mit der Folge von überschießenden Autoimmunprozessen.
Der Mechanismus der zentralen Toleranz ist aber sowohl für die T-Zellen im Thymus als auch für die B-Zellen im Knochenmark nicht komplett, er zeigt eine deutliche Leckage. Deswegen gibt es einen erheblichen Anteil (vermutlich 20 %) von autoreaktiven T- und B-Zellen in der Peripherie, die durch ähnliche Mechanismen wie bei der zentralen Toleranz in peripheren Organen kontrolliert werden müssen, nämlich
Apoptose
Ein wichtiger Mechanismus ist der programmierte Zelltod (Apoptose) Antigen-aktivierter Lymphozyten. Aktivierte T-Zellen exprimieren auf der Zelloberfläche einen Rezeptor (fas, CD95), über den durch einen Liganden (CD95L, fasL) Apoptose ausgelöst werden kann. Defekte in dieser Signaltransduktion führen zu einer verminderten Elimination von potenziell selbstreaktiven T-Zellen und im Tiermodell zur Autoimmunkrankheit.
Anergie
Die optimale Aktivierung von T-Zellen erfordert neben der antigenspezifischen Interaktion des TZR mit dem Peptid-MHC-Komplex weitere antigenunspezifische kostimulatorische Signale. Diese werden durch molekulare Interaktionen zwischen Rezeptoren auf T-Zellen (z. B. CD28 und CD152 (CTLA-4)) und ihren Liganden auf antigenpräsentierenden Zellen (z. B. CD80 und CD86) ausgelöst. Antigene, die ohne ausreichende Kostimulation präsentiert werden, induzieren keine produktive Immunantwort, sondern Anergie. Obwohl diese erworbene funktionelle Nicht-Antwort von T-Zellen auch zur Konversion der potenziell reaktiven T-Zellen in Treg führen kann, ist sie nicht von langer Dauer und unter entzündlichen Bedingungen reversibel. Auch anergische B-Zellen mit potenzieller Reaktion gegen Selbst werden nicht deletiert und können unter bestimmten Umständen reaktiviert werden und zu autoimmunen Erkrankungen beitragen.
Über die kostimulatorischen Moleküle können einerseits experimentelle Autoimmunerkrankungen induziert und verstärkt werden, andererseits verhindert die Blockade der Kostimulation das Entstehen von Autoimmunität – ein Ansatz, der erfolgreich Eingang in die Klinik gefunden hat: Ein entsprechendes Fusionsprotein aus CTLA-4 und einem Fc-Fragment (Abatacept) bindet mit höherer Affinität an CD80 als an CD86 und inhibiert dadurch selektiv die Kostimulation von T-Zellen.
Ignoranz
Potenziell autoreaktive T- und B-Zellen in der Peripherie können durch gewebespezifische Selbstantigene nur dann aktiviert werden, wenn sie die Gelegenheit haben, auf diese Antigene zu treffen. Sind diese aber hinter anatomischen Barrieren sequestriert, erfolgt keine Aktivierung der T- und B-Zellen (Ignoranz). Die Barriere und damit die Ignoranz kann aber durch infektiöse Erkrankungen oder aber durch Verletzungen durchbrochen werden.
Regulatorische T-Zellen
Regulatorische T-Zellen (Treg) supprimieren sowohl angeborene als auch erworbene Immunantworten, am bedeutsamsten sind wahrscheinlich die CD4+CD25+FOXP3+ Treg-Zellen. Für ihre Entstehung und Funktion ist der Transkriptionsfaktor FOXP3 zentral wichtig. Dementsprechend entwickeln FOXP3-Mäuse eine tödliche autoimmune lymphoproliferative Erkrankung („scurfy mice“) und beim Menschen führen Mutationen im FOXP3-Gen zum IPEX-Syndrom (Immundysregulation; Polyendokrinopathie; Enteropathie; X-chromosomal). Die Funktion von Treg hängt von zwei wesentlichen Faktoren ab: der FOXP3-Expression und der epigenetischen Signatur (z. B. DNA-Methylierung). So kann bei entsprechender genetischer Veranlagung eine Entzündung zum Verlust der FOXP3-Expression führen mit nachfolgender Treg-Instabilität oder aber es kann bei erhaltener FOXP3-Expression die epigenetische Signatur verändert werden. Diese Treg-Plastizität kann zu Treg führen, die proinflammatorische Zytokine ausschütten und dazu, dass Treg entweder Th1-, Th2- oder Th17-ähnliche Eigenschaften annehmen. Wichtig ist aber, dass das Kompartment von Treg, das in der Neonatalzeit unter der Kontrolle von AIRE generiert wurde, in Mäusen lebenslänglich persistiert und damit Selbsttoleranz aufrechterhält.
Treg kontrollieren alle immunkompetenten Zellen über unterschiedliche Mechanismen (z. B. inhibitorische Moleküle, Zytolyse); dafür ist ein direkter Zell-Zell-Kontakt notwendig. Somit werden aktiv und dominant auch potenziell selbstreaktive T-Zellen kontrolliert. Antigene, die selbstreaktive T-Zellen aktivieren, können auch Treg stimulieren; dabei ist die Affinität des MHC-Peptid-Komplexes zu den TZR auf Treg höher als zu den TZR auf „normalen“ T-Zellen. Durch diese wechselseitigen Interaktionen wird die Balance zwischen Treg-Zellen und selbstreaktiven Effektorzellen dynamisch aufrechterhalten. Experimentelle Ansätze, diese Balance zugunsten der Treg zu verschieben, verhindern Autoimmunität und die Abwesenheit von Treg-Zellen verstärkt verschiedene experimentelle Autoimmunerkrankungen. Obwohl nachgewiesen wurde, dass bei der Mehrzahl der Autoimmunerkrankungen Störungen der Zahl oder der Funktion von Treg bestehen, gibt es noch keinen klinischen Einsatz auf breiter Basis.
Wie oben ausgeführt, wird B-Zell-Toleranz in peripheren lymphatischen Organen durch ähnliche Mechanismen wie für T-Zellen kontrolliert. Unklar ist, welche Vorgänge die Toleranz von B-Zellen durchbrechen und die Produktion von Autoantikörpern initiieren können. Möglicherweise führen infektiöse Agenzien zu einer polyklonalen B-Zell-Aktivierung. Auch Störungen im Apoptosemechanismus und im Zytokinnetzwerk können von Bedeutung sein. Der Initialschritt in der Pathogenese von Autoimmunität ist möglicherweise der direkte B- und T-Zell-Kontakt in der Peripherie. Hierbei präsentiert die B-Zelle ein Autoantigen und aktiviert damit erfolgreich eine naive, autoreaktive T-Zelle. Diese hilft dann naiven, autoreaktiven B-Zellen in lymphatischen Organen bei der Affinitätsreifung von Autoantikörpern und Umwandlung in Plasmazellen, die als Effektorzellen hochaffine Autoantikörper sezernieren. Dieser Mechanismus spielt z. B. bei der Pathogenese des SLE eine wesentliche Rolle.

Infektionen und Autoimmunerkrankungen

In der Pathogenese von einigen Autoimmunerkrankungen spielen CD4+-T-Helferzellen eine wesentliche Rolle. Diese erkennen mit ihrem variablen T-Zell-Rezeptor Peptide, die von antigenpräsentierenden Zellen in der Spalte von MHC-Klasse-II-Molekülen präsentiert werden. Dadurch werden die T-Zellen bei ausreichender Kostimulation aktiviert und in die Lage versetzt, eine Immunantwort gegen das erkannte Peptid auszulösen.
Ein bevorzugtes Modell, wie Autoimmunität ausgelöst werden kann, ist das der sogenannten molekularen Mimikry: Infektiöse Pathogene aus unserer Umwelt aktivieren antigenspezifische Lymphozyten, die zufällig auch gegen ein körpereigenes Antigen kreuzreagieren. Neben T-Zellen mit sehr hoher Spezifität, die nur ein Peptid erkennen und entsprechend selten aktiviert werden, gibt es solche mit niedriger Spezifität, die durch unterschiedliche Peptide und damit häufig aktiviert werden. Diese T-Zellen sind potenziell kreuzreaktiv und könnten an der Auslösung von Autoimmunerkrankungen beteiligt sein.
Durch bestimmte Zytokincocktails können T-Zellen auch ohne Signal über den T-Zell-Rezeptor aktiviert werden. Damit ist diese Aktivierung antigenunabhängig und wird deswegen als Bystander-Aktivierung bezeichnet. Auch diese Bystander-Aktivierung kann für die Entstehung von Autoimmunität von Bedeutung sein: So wurde bei der experimentellen autoimmunen Enzephalitis gezeigt, dass eine antigenunabhängige Bystander-Aktivierung Enzephalitisschübe auslösen kann.
Infektionen können aber nicht nur Autoimmunerkrankungen auslösen, sondern auch vor ihnen schützen. Die bemerkenswerte Zunahme von ausgewählten Autoimmunerkrankungen bei paralleler Abnahme von Infektionskrankheiten und bekannte Migrationsdaten legen die Möglichkeit nahe, dass v. a. in der frühen Kindheit durchgemachte Infektionen einen präventiven Effekt haben („Hygienehypothese“ von Autoimmunität).
Menschen sind von Bakterien besiedelt. Das gesamte Ökosystem dieser Bakterien wird Mikrobiota (Gesamtheit aller Bakterien) oder Mikrobiom (Gesamtheit aller Bakterien und ihrer Gene) genannt. Dieses Ökosystem inklusive seiner Störungen (Dysbiose) spielt eine wesentliche Rolle bei der Homöostase des Immunsystems und der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen, wie entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Psoriasis, rheumatoide Arthritis, Typ-1-Diabetes und Multiple Sklerose (MS). Bei entzündlichen Darmerkrankungen wird sogar diskutiert, ob die Hauptmanifestationen nicht durch gegen die mikrobielle Besiedlung gerichtete Immunantworten entstehen und damit in strengem Sinn gar keine Autoimmunerkrankung vorliegt.
Auch bei einem Tiermodell der MS, der experimentellen autoimmunen Enzephalitis (EAE) konnten im Dünndarm Mikroorganismen nachgewiesen werden, die entweder als Adjuvans dienten oder Peptide exprimierten, die über Mimikry an der Pathogenese der EAE beteiligt waren. Dementsprechend erkrankten Mäuse, die mit beiden Bakterienstämmen kolonisiert wurden, stärker an EAE als Kontrollmäuse, die nicht oder nur mit jeweils einem Stamm besiedelt wurden.

Zytokine, Th1-, Th2- und Th17-T-Zellen

Zytokine werden von unterschiedlichsten immunkompetenten Zellen produziert und sie sind für auch die anhaltende Aktivierung dieser Zellen notwendig (Kap. „Zytokine in der pädiatrischen Rheumatologie“). Dabei werden von CD4+-T-Helferzellen unterschiedliche Muster von Zytokinen sezerniert: Th1-Zellen produzieren proinflammatorische Zytokine wie Interferon-γ, Lymphotoxin-α und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), während Th2-Zellen für die Sekretion von antiinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-4 und Interleukin-10 verantwortlich sind. Da Entzündung ein Schlüsselaspekt von autoimmunen Erkrankungen ist, kann aus diesem Muster abgeleitet werden, dass Th1-Zellen vermehrt eine Rolle bei Auslösung und Progression von Autoimmunität spielen, während Th2-Zellen protektiv sind. Dieses Konzept lässt sich nur teilweise experimentell bestätigen, aber die überzeugenden klinischen Erfolge der TNF-Blockade bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen unterstreichen seine Bedeutung.
Auch die Th17-CD4+-T-Helferzellen sezernieren ein definiertes Zytokinprofil (IL-17A, IL-17F, IL-21 und IL-22). Diese Zellen wirken wie die Th1-Zellen proinflammatorisch und sie können experimentelle Autoimmunkrankheiten induzieren. Die Blockade von IL-17 zeigt dementsprechend bei den Autoimmunerkrankungen Psoriasis, Psoriasis-Arthritis und ankylosierender Arthritis deutliche Wirksamkeit, nicht aber bei der rheumatoiden Arthritis; und beim Morbus Crohn wurden sogar Exazerbationen beobachtet.

Monozyten und Makrophagen

Bei der Entzündungsreaktion im Rahmen einer autoimmunen Reaktion spielen in der Endstrecke vor allem Makrophagen eine Rolle (Kap. „Monozyten und Makrophagen in der pädiatrischen Rheumatologie“). Diese können auf eine Vielzahl unterschiedlichster Informationen reagieren; die ursprüngliche M1/M2-Phänotyp-Dichotomie (M1: klassische Aktivierung durch LPS und IFNγ; M2: alternative Aktivierung durch IL-4/IL-13) wurde durch ein multidimensionales Aktivierungsmodel ersetzt. Auf die verschiedenen Stimuli können Makrophagen mit einem breiten Spektrum an Effektormechanismen reagieren und pro- und antiinflammatorische Zytokine sowie Metalloproteasen produzieren. Sie sind antigenpräsentierende Zellen und vermitteln antikörperabhängige Zytotoxizität. Zusätzlich können sie die Aktivierung von T-Zellen positiv oder negativ beeinflussen und stellen ein wesentliches Bindeglied zwischen dem angeborenen und erworbenen Immunsystem dar, sind aber auch selbst in gewissem Maße lernfähig. Makrophagen sind für große Teile der Entzündungsprozesse und der Gewebedestruktion im Rahmen von Arthritiden verantwortlich und viele, v. a. bei entzündlichen Arthritiden klinisch erfolgreich eingesetzte Therapien zielen direkt auf die Effektorfunktionen von Makrophagen.
Makrophagen sind Bestandteil des angeborenen Immunsystems, das konservierte Bestandteile von mikrobiellen Pathogenen wie Zellwandbestandteile oder Nukleinsäuren („pathogen-associated molecular patterns“; PAMPs) über „pattern-recognition“ Rezeptoren (PRR) erkennt. Dadurch wird eine Entzündung und die Abwehrfunktion des angeborenen Immunsystems ausgelöst, gleichzeitig aber auch die Aktivierung des adaptiven Immunsystems bewirkt. Da das angeborene Immunsystem sowohl endosomale als auch im Zytosol gelegene Rezeptoren hat (Toll-like-Rezeptoren TLR3, TLR7, TLR8 und TLR9), die nicht nur fremde, sondern auch eigene Nukleinsäuren erkennen können (nucleic-acid sensing), ist eine direkte Verbindung mit der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen gegeben.

Fazit

Auch wenn das Verständnis der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen dramatische Fortschritte gemacht hat, so ist letztendlich die Ursache praktisch aller Autoimmunerkrankungen immer noch unklar. Man kann davon ausgehen, dass unterschiedliche Autoimmunerkrankungen unterschiedliche Auslöser haben, und es ist sehr gut denkbar, dass selbst eine klar definierte Erkrankung durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden kann. Angesichts der vielfältigen Interaktionen und Regulationen, die an jeder normalen Immunantwort und damit auch an einer möglichen Autoimmunreaktion beteiligt sind, kann man sich gut vorstellen, dass der „Einstieg“ in pathogene Mechanismen an verschiedenen Stellen des Regelwerks erfolgen kann, dass aber die Endstrecke und damit die Manifestation der Erkrankung die gleiche ist.
Wahrscheinlich reicht aber ein auslösendes Moment alleine nicht aus; vermutlich müssen mehrere Bedingungen zeitgleich oder konsekutiv zur Auslösung und Manifestation einer Autoimmunerkrankung erfüllt sein. Höchstwahrscheinlich spielen Infektionen eine zentrale Rolle und vom Wirtsorganismus sind hereditäre Faktoren und Fehlregulationen auf unterschiedlichen Ebenen der Immunantwort sowie hormonelle Faktoren herausragend beteiligt.
Vor dem Hintergrund des gestiegenen pathogenetischen Verständnisses und der Verflechtung mit immunologischer Grundlagenforschung hat sich auch die pädiatrische Rheumatologie zu einem klinischen Fachgebiet mit hochaktuellen wissenschaftlichen Aspekten gewandelt. Besonders erfreulich ist dabei, dass die dramatischen Fortschritte im Grundlagenwissen auch herausragende Verbesserungen in der Therapie nach sich gezogen haben und weitere sinnvolle therapeutische Möglichkeiten folgen lassen werden.
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