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Praktische Schmerzmedizin
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Publiziert am: 20.12.2017

Psychologische und psychobiologische Grundlagen von Schmerz

Verfasst von: Harald C. Traue und Paul Nilges
Psychologische Faktoren beeinflussen erheblich das menschliche Schmerzerleben. Der Volksmund beschreibt den engen Zusammenhang zwischen Körperschmerz und seelischem Leid in eindrucksvollen Bildern von Hexenschuss bis Kopfzerbrechen. Mit der Zunahme des medizinischen Wissens über akute Schmerzen traten somatische Annahmen zum Schmerz in den Vordergrund. Historisch-philosophische, religiöse und psychologische Modelle, die zur Erklärung somatisch nicht erklärbarer Schmerzen dienten, verloren an Bedeutung, erlebten aber seit der Mitte 20sten Jahrhunderts eine Renaissance in der nun bekannten und allgemein akzeptierten bio-psycho-sozialen Theorie des Schmerzes, in der sensorische, kognitive, emotionale und soziale Faktoren als selbstverständliche Komponenten des akuten und chronischen Schmerzerlebens integriert sind, denn inzwischen stehen differenzierte diagnostische und psychotherapeutische Verfahren zur Verfügung, mit denen psychologische Faktoren des Schmerzes verstanden und behandelt werden können.

Entwicklung psychologischer Schmerzkonzepte

Alle Menschen kennen mehr oder minder starke Schmerzen. Ausnahmen sind sehr seltene klinische Störungen wie die kongenitale Schmerzunempfindlichkeit oder die Syringomyelie, bei der sowohl starke Schmerzempfindlichkeit als auch Hitzeschmerzunempfindlichkeit auftreten können (Rozentsveig et al. 2004). Schmerzen werden in der Regel als aversiv erlebt. Ausnahmen sind die Assoziation zu sexuell deviantem Verhalten, wenn nämlich Schmerzen mit Gefühlen der Lust (Sadismus oder Masochismus) assoziiert sind. Durch das Unangenehme des subjektiven Erlebens von Schmerzen lernen Menschen, gefährliche Situationen zu meiden und Verhaltensweisen zu entwickeln, die die Wahrscheinlichkeit von Schmerzen verringern. Funktional dient die Informationsverarbeitung von Schmerzen der Steuerung von Verhalten zum Schutz vor Schädigung. Aber Schmerzen steuern nicht nur Vermeidung, sondern auch die Inanspruchnahme von Hilfe: Kinder suchen bei Schmerzen Schutz, Zuwendung und Trost bei den Eltern; Erwachsene gehen zum Doktor.
Eine ausschließlich neurophysiologische Betrachtungsweise wird dem komplexen Schmerzphänomen nicht gerecht. Das rein somatische Verständnis von Schmerz verstärkt kaum erfüllbare Erwartung von Schmerzlosigkeit bei Patienten und ihren Behandlern. Vor der Descart’schen Wende im medizinischen Denken wurden „mentale“, zumeist spirituelle, Erklärungen für Schmerzen gesucht. Die biologischen Erkenntnisse der medizinischen Moderne sowie die Wirksamkeit von Medikamenten und medizinischen Eingriffen gegen akute Schmerzen haben das Wissen um psychologische Einflüsse zunächst in den Hintergrund gedrängt. Erst in den vergangenen Dekaden entstand ein Gleichgewicht zwischen somatischen und psychischen Faktoren (Albrecht 2015; Williams und Craig 2016; Schäfer 2017).
Mit Formulierung der Gate-Control-Theorie wurde Schmerz zunehmend als komplexes Phänomen verstanden, das nur multifaktoriell erklärt werden kann. Psychologische Annahmen erhielten einen ähnlichen Stellenwert wie somatische Konzepte, insbesondere bei der Erklärung der Chronizität von Schmerzen. Das Forschungsinteresse richtete sich seitdem auf den modulierenden Einfluss psychologischer Faktoren bei der Pathophysiologie des chronischen Schmerzes auf der Basis einer Neuromatrix der Schmerzverarbeitung mit Sensorik (kutan, viszeral und propriozeptiv), Kognitionen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Bedeutung), Emotionen (limbisches System und Homöostase), Handlungen (willkürlich und unwillkürlich) und Stressregulation (endokrin und immunologisch).
Die neurokognitive Schmerzforschung bestätigt derzeit in rasantem Tempo die bedeutende Rolle psychologischer Faktoren am Schmerzgeschehen. Es ist zu erwarten, das neue Erkenntnisse die derzeitigen psychologischen Schmerzannahmen ergänzen und dass diese Erkenntnisse bei der Entwicklung von neuen psychologischen Interventionen hilfreich sein werden. Die Möglichkeiten der Darstellung psychischer Phänomene durch bildgebende Verfahren der Hirnaktivität zeigt eine enorme Wirkung, mit einer weit verbreiteten Akzeptanz psychologischer Schmerzkonzepte in der Medizin. Sie segeln jetzt zwar häufig unter Bezeichnungen, die mit der Vorsilbe „neuro“ oder mit dem Zusatz „kognitiv“ oder „neurokognitiv“ versehen sind, beziehen sich aber meist auf dieselben Phänomene.
Viele Schmerzphänomene wie die Modulation des Schmerzerlebens durch Hypnose, Suggestion, Placebo, Phantomschmerz sowie die Chronizität von Schmerzen lassen sich ohne die Annahme psychologischer Faktoren nicht erklären. Allerdings werden psychologische Faktoren im klinischen Alltag nicht selten als alternative Erklärungen missbraucht, wenn die Ursachen von Schmerzen nicht ausreichend somatisch erklärbar sind. Mit dieser Dichotomisierung in organische vs. nichtorganische Schmerzen werden implizite und meist nicht offen formulierte Annahmen gemacht:
  • Schmerz hat immer eine somatische Ursache, man muss nur lang genug danach suchen.
  • Schmerzen ohne Befund sind „psychisch bedingt“.
  • „Psychisch bedingt“ heißt psychopathologisch.
Solche Annahmen haben ihre Ursache in dem Umstand, dass chronische Schmerzen nicht einfach länger anhaltende akute Schmerzen sind, die mit den Kenntnissen über akute Schmerzen weder ausreichend erklärt noch therapiert werden können. Die Dichotomisierung betrifft die Behandler ebenso wie die Betroffenen, die bei unkomplizierten und akuten Schmerzen meist sofortige und anhaltende Hilfe erfahren. Diese Erfahrung bestätigt die traditionelle Annahme der Medizin, nach der Schmerz als eine physiologische Reaktion als Folge der Erregung von Nozizeptoren verstanden wird, bei der die erlebte Schmerzintensität proportional zur Gewebeschädigung ist. Daraus resultierende diagnostische und therapeutische Erwartungen sind verantwortlich für Irritationen, Enttäuschungen, Ärger und Verbitterung bei Patienten und Behandlern – wenn es um chronische Schmerzen geht. Im klinischen Alltag werden diese Erwartungen regelmäßig enttäuscht und enden häufig in den Sackgassen medizinischer und paramedizinischer Spezialisierungen. Die langwierige Suche nach der Schmerzursache, widersprüchliche Aussagen, schließlich die Suche nach wirksamen Medikamenten, die Umstellung, das Absetzen und Erproben neuer Substanzen wird von Patienten und Behandlern als beunruhigend erlebt. Verärgerte Reaktionen auf Seiten der Patienten („ich bin doch kein Versuchskaninchen“) und Ärzte („der ist ja nicht normal“) sind die Regel. Anhaltende Schmerzen bewirken bei Behandlern nicht selten eine therapeutische Hilflosigkeit, die in ein Misslingen der therapeutischen Beziehung münden kann. Wenn vorschnell „die Psyche“ der Patienten als Erklärung für den Schmerz herangezogen wird, bekommt aus Sicht der Patienten die Psychologie in der Schmerzbehandlung eine irritierende Rolle, besonders wenn die bisherige Behandlung diagnostisch und therapeutisch unbefriedigend verlief.
Diese Problematik der Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie sind die Nachwehen der noch vor wenigen Jahrzehnten vorherrschenden, jedoch eindimensionalen psychodynamischen Schmerzkonzepte. Der von Engel 1959 aus klinischer Beobachtung hergeleitete psychodynamische Typus des „pain-prone patient“ hatte seinerzeit die Aufmerksamkeit auf psychologische Aspekte der Schmerzchronifizierung gelenkt und die Bedeutung kindlicher traumatischer Erfahrungen hervorgehoben, aber gleichzeitig die psychologische Perspektive isoliert. Das Konzept des „pain-prone patient“ führte zur Suche nach psychischen Störungen, durch die chronische Schmerzen kausal erklärt werden könnten. Aus diesen Forschungen auf der Basis biografischer Informationen unter dem Eindruck aktueller Schmerzen entstand der Eindruck, bei Patienten mit chronischen Schmerzen handele es sich um eine relativ homogene Gruppe mit erheblichen psychischen Störungen. Je repräsentativer jedoch die untersuchten Patientengruppen und je zuverlässiger die verwendeten Verfahren waren, desto niedriger war der Anteil von Patienten mit schweren psychischen Störungen. Die Entwicklung chronischer Schmerzen lässt sich in der Regel nicht ursächlich auf psychische Störungen zurückführen, wie eine umfängliche interkulturellen Studie zeigte: Zwar hatten Personen mit chronischen Schmerzen eine höhere Wahrscheinlichkeit für Depressionen oder Angststörungen. Für die überwiegenden Mehrzahl der von Schmerz betroffenen wurde jedoch keine relevante Psychopathologie diagnostiziert (Demyttenaere et al. 2007).
Die Definition von Schmerzen der International Association for the Study of Pain als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das nur lose mit Gewebeschädigung verbunden ist, respektiert diese Komplexität der Schmerzverarbeitung: „Pain is an unpleasant sensory and emotional experience with actual or potenzial tissue damage or described in terms of such damage“. Diese Definition ist zwar inhaltlich recht knapp, erlaubt aber keine vereinfachenden Vorstellungen von Schmerzen als rein sensorische Ereignisse mehr. Da nach dieser Definition Schmerz vom Betroffenen als ein körperliches Phänomen erlebt wird, wurden „rein psychische“ Schmerzen wie Trennungsschmerzen bis vor kurzem aus dem Gegenstandsbereich der Schmerzforschung ausgenommen. Bildgebende fMRT-Studien (bspw. Richter et al. 2010) fanden dagegen, dass bereits die bloße Präsentation schmerzassoziierter Wörter wie „quälend“, „zermürbend“ oder „plagend“ die Schmerzmatrix im Gehirn in den Regionen aktiviert, in denen Menschen auch sensorische Schmerzen verarbeiten.
Schmerzinformationen werden in mehreren miteinander vernetzten peripheren und zentralen neuronalen Systemen verarbeitet, die als physiologische, biochemische, behaviorale und emotional-kognitive Vorgänge teils objektiv, teils nur über das subjektive Erleben erfassbar sind. Eine Trennung in objektiven (sprich: somatischen) Schmerz und subjektiven (sprich: psychischen) Schmerz ist nur selten sinnvoll und möglich (Mee et al. 2006; Williams und Craig 2016).
Was allerdings im Laufe der vergangenen etwa sechs Jahrzehnte als relevante psychologische Faktoren erkannt wurde, spiegelt nicht nur die tatsächlichen psychologischen Wirkmechanismen wider, sondern auch den jeweiligen empirischen Kenntnisstand, Moden in den Theorien und den jeweiligen „mainstream“ der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit (für ausführliche Details siehe: Kröner-Herwig et al. 2017, die Grundlagenkapitel). Vereinfacht kann man als historische Abfolge die psychodynamische, die biopsychossoziale und schließlich die neurokognitive Perspektive unterscheiden.

Integrative Schmerzmodelle

Der Wendepunkt: Die Gate-Control-Theorie

Als sich der Physiologe Patrik Wall und der Psychologe Ronald Melzack aus ihren jeweils verschiedenen Perspektiven dem „Puzzle of Pain“ näherten, setzte sich eine integrierte Schmerztheorie durch, die biologische, psychologische und soziale Faktoren in einem komplexen Informationsverarbeitungssystem begreift (Melzack und Wall 1965). Ein erstes psychobiologisches Schmerzmodell war die Gate-Control-Theorie, die eine neue theoretische und klinische Perspektive bot:
  • Physiologische und psychologische Komponenten werden als prinzipiell gleichzeitige und gleichwertige Faktoren integriert.
  • Dadurch ist es möglich, somatische und/oder psychologische Erklärungsmodelle als komplementäre statt als alternative Konzepte zu verstehen.
  • Relevante psychologische Prozesse werden allgemeinpsychologisch und nicht psychodynamisch beschrieben.
  • Es wird ein breiter Rahmen für die Erforschung sehr heterogener psychobiologischer Schmerzkonzepte geschaffen.
Vor allem von der Vorstellung, dass zentrale Kontrollprozesse die Entwicklung, Weiterleitung und Konsequenz nozizeptiver Informationen modifizieren, gingen wichtige Impulse für die Forschung aus. Kognitionen – Bewertungen, Erwartungen, Überzeugungen, Vorstellungen von Schmerz – sowie Gefühle interagieren danach mit den sensorischen Informationen. Menschen bewerten und vergleichen Schmerzinformationen auf ihrem bisherigen Erfahrungshintergrund. Gleichzeitig werden wiederum die mit Schmerz verbundenen Gefühle und das Verhalten beeinflusst. Auch wenn sich einige der spezifischen neuronalen Hypothesen nicht bestätigten, konnten zahlreiche psychobiologische Wechselwirkungen und direkte Einflüsse kognitiver Faktoren auf das Schmerzerleben durch aktuelle Forschungsergebnisse untermauert werden.
Die Gate-Control-Theorie integriert physiologische, biochemische, psychophysiologische und psychologische Prozesse. Schmerz ist danach eine aktive Leistung des Gehirns und ist nicht das Ergebnis passiver Reizleitung. Psychische Prozesse sind feste Bestandteile der Entwicklung und Auswertung sensorischer Signale: Kognitive und affektive Aspekte sind ebenso von Bedeutung wie sensorische. Nozizeptive Signale werden bereits durch absteigende Bahnen direkt verändert, sensorisches und kognitives System funktionieren als Einheit (Chapman und Okifuji 2004).

Die psychodynamische Perspektive

Die psychodynamische Perspektive postuliert unbewusste intrapsychische Konflikte als Ursache für Schmerzen. Emotionaler Schmerz aus Kindheitstraumata (oder im Erwachsenen aktualisiert) findet einen metaphorischen Ausdruck im Körperschmerz. Gleichzeitig formt diese intrapsychische Konfliktverarbeitung auch eine besondere Persönlichkeit. Als dafür typisch werden unterdrückte Feindschaft und Aggression, rigides Über-Ich, Schuld und maskierte Depressionen angenommen. Diese Postulate folgen klinischen Beobachtungen und Fallinterpretationen auf psychoanalytischem Hintergrund. Allgemein bekannt ist die Entwicklungstheorie von Engel (1959) für psychogenen Schmerz, der zufolge ein Individuum den realen Schmerzerfahrungen aus einem konflikthaften traumatischen Kontext psychische Bedeutungen zumisst, die später Schmerzen ohne die ursprüngliche noxische Stimulation auslösen können. Als Konfliktstoff werden bewusste und unbewusste Schuld, masochistische Charakterstruktur, unerfüllte aggressive Triebe sowie Verluste und Verlustängste angenommen. Der typische Schmerzpatient ist danach depressiv, pessimistisch, schwermütig und zeigt insgesamt eine eingeschränkte Lebensfreude. Eine weitere, weit verbreitete Beschreibung einer Migränepersönlichkeit geht auf Wolff (1937) zurück: Er beschrieb Migränepatienten als ehrgeizig, leistungsorientiert, perfektionistisch, zwanghaft ordentlich, rigide und unterdrückt feindselig. Neuere Studien, die zwar ihren Ursprung in den angesprochenen tiefenpsychologischen Konzepten haben, aber mit objektiven Persönlichkeitstests arbeiten, bestätigen zwar regelmäßig erhöhte Neurotizismus-, Depressivitäts- und Ängstlichkeitswerte, aber keine schmerzspezifischen Persönlichkeitsprofile (Kröner-Herwig 2004).
Die tiefenpsychologische Perspektive kritisierte allerdings zu Recht, das Schmerzgeschehen ausschließlich individuenzentriert zu betrachten, da es ein Zusammenwirken individueller, interaktioneller und sozialer Faktoren gibt, die das Schmerzgeschehen aufrechterhalten. Hierbei kommt der biografischen Dimension, dem Umgang mit dem Schmerz im sozialen Feld und der Beziehung des Patienten zu Institutionen (z. B. Rentenverfahren) eine wichtige Rolle zu. Das Auftreten von Kopfschmerzen im Kontext eines kritischen Lebensereignisses wie etwa dem Verlust eines Partners oder beim Übergang von der Schule in den Beruf ist beispielsweise anders zu bewerten als Kopfschmerzen, die im Zusammenhang mit Alltagsstressoren zu sehen sind (Traue et al. 2005). Das heißt, die psychische Besetzung des Körpers durch Verluste, Kränkungserfahrungen und psychische Traumata mit Schmerzen (oder die Konvertierung psychischer Schmerzen in körperliche Schmerzen) kann nur individuell im biografischen Bezug interpretiert werden.
Ähnliches gilt für die Bedeutung des Schmerzes im zwischenmenschlichen System, in das der leidende Patient eingebettet ist. Veränderungsprozesse – und das heißt hier immer die Aufgabe von ungünstigem Schmerzverhalten – können nur gelingen, wenn Rollenverteilungen, die Kommunikation und die Unabhängigkeit und Selbstachtung der Familienmitglieder einer Änderung unterworfen werden. Körperliche Schmerzen können bei einem Scheitern der Veränderungsbemühungen eine die Stabilität wiederherstellende Ersatzfunktion erhalten, indem sie Veränderungen initiieren oder die eingetretenen Veränderungen legitimieren und absichern. Die beziehungsstabilisierende Funktion des Schmerzes kann in der Vermeidung von Distanzierung und Ablösung bestehen, ebenso in der Gewährung von Nähe und Versorgung. Schmerzen können in Auseinandersetzungen um Macht und Einfluss und zum Erhalt eines familiären Status oder einer familiären Identität gebraucht werden (Nilges und Diezemann 2017).

Die bio-psycho-soziale (oder verhaltensmedizinische) Perspektive

Schmerz als gelerntes Verhalten

Wesentliche Impulse zur Integration psychologischer Konzepte kamen aus den lerntheoretischen Erkenntnissen, die von Fordyce in die Schmerztherapie eingeführt wurden (Fordyce 1974). Diese konzentrieren sich direkt auf die Analyse des Verhaltens und seine Veränderung.
Das Schmerzverhalten
  • kann trotz erfolgreicher Behandlung der somatischen Schädigung fortbestehen,
  • kann ohne kausale Therapie einer vorhandenen körperlichen Erkrankung verändert werden,
  • kann ohne feststellbare somatische Pathologie auftreten und fortbestehen,
  • und das Schmerzverhalten verschiedener Patienten unterscheidet sich bei vergleichbarer somatischer Pathologie erheblich.
Schmerzverhalten wird nicht vorwiegend als Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung betrachtet, sondern als eigenständiges Problemverhalten, dessen Auftreten und Ausprägung entscheidend durch Lernfaktoren bestimmt wird: Interaktionsmuster wie Mitleid, Schonung und Aufmerksamkeit – bei akuten Erkrankungen sinnvoll – können als wirksame Verstärker zur Chronifizierung von Schmerzverhalten beitragen: Positive Konsequenzen erhöhen die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens, während unangenehme Konsequenzen zu einer vorübergehenden oder dauerhaft reduzierten Auftretenswahrscheinlichkeit führen. Solche operanten Lernprozesse wirken insbesondere auf das sichtbare Schmerzverhalten. Schmerzbezogene Verhaltensweisen können durch selektive Zuwendung von Angehörigen positiv verstärkt und dadurch häufiger werden. Entsprechend der operanten Lerntheorie wird das Auftreten von Verhaltensweisen wahrscheinlicher, wenn sie kurzfristig eine positive Konsequenz (hier: die Zuwendung von Angehörigen) nach sich ziehen oder einen negativen Zustand verbessern. Eine solche negative Zustände verbessernde Konsequenz schmerzbezogenen Verhaltens kann beispielsweise die Entlastung von unangenehmen Pflichten darstellen, wodurch dann eine Zunahme schmerzbezogenen Verhaltens wahrscheinlich wird (negative Verstärkung). Werden ungünstige Verhaltensweisen belohnt, wird die Bewältigung von Schmerzen nicht gefördert, durch Zuwendung bei Schmerzverhalten wird dieses nicht gelöscht, sondern verstärkt.
In operanter Sichtweise wird demnach das beobachtbare Schmerzverhalten (z. B. Grimassieren, Stöhnen, Schonhaltungen) von der Nozizeption und der subjektiven Schmerzerfahrung unterschieden, weil das Schmerzverhalten unter die Kontrolle von verstärkenden Umweltereignissen kommen kann. So werden chronische Schmerzen ohne objektivierbaren organischen Befund als ein Phänomen verstanden, bei dem das Schmerzverhalten durch kontingente Verstärkung aufrechterhalten wird. Da die verstärkenden Konsequenzen im sozialen Kontext zu suchen sind, spielt dieser in der Verhaltensanalyse eine zentrale Rolle (Philippi et al. 2010).
Operantes Schmerzverhalten kann auch durch kognitive Prozesse konditioniert werden, mit denen der Patient sein Schmerzerleben in biografische Erfahrungen einbindet und damit für ihn gültige Sinngebungen und Erklärungen vornimmt (z. B. „Leben ist Leiden“, „Schmerz ist gerechte Strafe“), die den Schmerz sozusagen notwendig machen und so einer Bewältigung der Schmerzen entgegenstehen. Im Verlauf einer solchen Entwicklung kann der Schmerz zum Kommunikationsmodus werden, der andere Kommunikationsformen verdrängt und gleichzeitig die sensorische Einengung auf den Schmerz und die soziale Isolierung bewirkt. Sensorische Diversifikation, die Förderung von Gesundheitsverhalten und der Aufbau sozialer Aktivitäten sind therapeutische Strategien, mit denen dem Patienten Fähigkeiten vermittelt werden können, um diese Einbahnstraße zu verlassen.
Schmerzverhalten kann demnach auf unterschiedliche Art durch Lernen beeinflusst werden:
  • Zuwendung und Aufmerksamkeit durch Angehörige, Ärzte, Pflegepersonal,
  • medikamenteninduzierte Euphorie,
  • Vermeidung unangenehmer Tätigkeiten,
  • Nichtbeachtung von gesundem Verhalten, und
  • mangelnde Alternativen zum Schmerzverhalten.
Unmittelbar auf lerntheoretische Prinzipien zurückzuführen ist die Medikation nach Zeitschema statt nach Bedarf. Auch die inzwischen akzeptierten Prinzipien bei der Aktivitätssteigerung und beim Abbau von Vermeidungsverhalten sind lerntheoretisch abgeleitet. Diese Grundsätze können in der täglichen Praxis als direkt umsetzbare Empfehlung ungünstiges Verhalten von Patienten ändern helfen:
  • Die Patienten sollten die Grenze für Belastungen wie Gehen, Sitzen, Treppen steigen etc. herausfinden (schmerzfrei oder keine wesentliche Schmerzzunahme).
  • Es sollte eine allmähliche, systematische und regelmäßige Steigerung (gemeinsam) geplant werden; dabei sollten realistische Zwischenziele festgelegt werden anstelle von Versuchen, „mit Gewalt“ derzeit nicht erreichbare Grenzen zu überschreiten („lieber langsam in die richtige Richtung als schnell in die falsche“).
  • Für unterschiedliche Patientengruppen werden inzwischen erfolgreich Konfrontationsverfahren angewandt (Vlaeyen et al. 2012).
Damit Patienten solche Interventionen akzeptieren und tatsächlich umsetzen, ist eine sorgfältige und auf ihre Vorstellung abgestimmte Vermittlung von Informationen Voraussetzung. Leitlinien sowie Konzepte zur Prävention von Chronifizierung bauen inzwischen ebenfalls weitgehend auf lerntheoretischen Prinzipien auf (Fordyce 1996; Task force on Pain in the Workplace 1995; Leitlinien 2017).
Eine wichtige Konsequenz der operanten Konditionierung findet sich in der Formulierung der „Angst vor dem Schmerz“, d. h. Patienten mit chronischen Schmerzen meiden viele Aktivitäten, um antizipiertem Schmerz zu entgehen. Folge davon sind Immobilität und Rückzugsverhalten. Sekundäre Konsequenzen dieses Verhaltens sind Muskelatrophie, Invalidität und Depressivität, die ihrerseits schmerzverstärkend wirken (Pfingsten et al. 1997). Waddel und Mitarbeiter (Waddell et al. 1993) wiesen nach, dass die Furcht vor Schmerzen und das daran gebundene Vermeidungsverhalten entscheidender für die Chronifizierung von Schmerzen sind als die subjektiv berichtete Schmerzstärke und somatische Schmerzfaktoren.
Schmerzverhalten kann auch durch die Beobachtung anderer Personen, die Schmerzen akut verarbeiten oder chronische Schmerzen zu bewältigen versuchen, erworben oder verändert werden. Da Modelllernen eine höchst effektive Lernform beim Menschen ist, kann auch Schmerzverhalten wie Schmerzausdruck und Schmerztoleranz leicht durch Modelllernen beeinflusst werden (Craig 1987). Eine psychophysiologische Vulnerabilität durch Stress kann ebenfalls durch Modelllernen erworben werden. Diese Annahme wird auch durch die Beobachtung untermauert, nach der Partner von Schmerzpatienten, die eine positive Beziehung haben, empathische ZNS-Aktivierungen bei der Beobachtung von Schmerzäußerungen zeigen (Singer et al. 2004).

Der Einfluss von Stress auf Schmerz

Diese Perspektive auf Schmerz hat ihre Wurzeln in der empirisch-experimentellen Psychophysiologie der Stressreaktion. Es bestehen keine Zweifel, dass Stress zum Schmerzgeschehen beitragen kann und ein robuster Prädiktor für chronische Schmerzen ist, vor allem wenn die physiologische Reaktion auf Stress bspw. durch ein erhöhtes Arousal oder erhöhte Muskelspannungen am Schmerzgeschehen beteiligt ist. Aufgrund der Daten einer Quer- und Längsschnittstudie mit 372 schmerzfreien und 209 Probanden mit Schmerzen kam Linton (2005) zu dem Ergebnis, dass psychosozialer Stress das Schmerzrisiko um das 13-fache erhöht. Bei den schmerzfreien Probanden war das Risiko, ein Jahr später an Schmerzen zu leiden, durch Stress verdoppelt, bei ungünstigen Bewältigungsmechanismen gar verdreifacht.
Eine wesentliche Grundannahme sind Muster der Aktivität des autonomen Nervensystems (ANS), die als Folge emotionaler und stresshafter Stimulation konzeptionalisiert werden. Die empirischen Ergebnisse wurden als Reaktionsstereotypien interpretiert, mit denen die verschiedenen Quellen somatischer Reaktionen geklärt werden können. Für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen ist die Individual-Response-Spezifität relevant. Individual-Response-Spezifität beschreibt die typischen physiologischen Muster, mit denen ein Individuum auf unterschiedliche Reize überwiegend reagiert. So zeigt beispielsweise eine Person vorwiegend in ihrem Herz-Kreislauf-System Reaktionen, eine andere Person eher Reaktionen der Haut, und eine weitere Person wird überwiegend mit muskulärer Aktivität auf Außenreize reagieren. Das Konzept der Individual-Response-Spezifität wurde zur Symptomspezifität erweitert. Danach reagieren bestimmte Patienten – das können beispielsweise Kopfschmerz-, Rückenschmerz-, Asthma- oder Blutdruckpatienten sein – bevorzugt mit dem physiologischen System auf soziale Stressoren, in dem sich auch ihre Erkrankung manifestiert (Traue und Alison 1993; Bischoff und Traue 2004).
Die peripherphysiologischen ANS-Aktivierungen stehen einerseits unter neuronaler Kontrolle, interagieren aber auch mit dem endokrinen System, insbesondere dem Endorphinsystem der zentralen Schmerzkontrolle. Zusätzlich greifen andere Transmittersysteme in das Schmerzgeschehen ein. Beispielsweise kann die stressinduzierte Ausschüttung des Stresshormons Noradrenalin eine Hyperalgesie durch Sensibilitätssteigerung von Nozizeptoren bewirken. Ehlert et al. (2005) haben zeigen können, dass niedrige Spiegel von Cortisol mit großer Schmerzempfindlichkeit, hohe Cortisolspiegel mit Depressivität einhergehen. Psychoendokrinologische Faktoren sind eine weitere mögliche Ursache für Geschlechtsunterschiede, denn Frauen haben niedrigere Schmerzschwellen, leiden unter den meisten Schmerzsyndromen häufiger und haben mehr chronische Schmerzen (Kajantie und Phillips 2006). Allerdings werden einige dieser Befunde in neueren Studien in Zweifel gezogen (Zimmer-Albert und Pogatzki-Zahn 2017).
Die individualspezifische Reaktionsbereitschaft, d. h. mit übermäßiger physiologischer Aktivierung auf Stressoren zu reagieren, kann zu klassisch oder operant konditionierten Prozessen führen, in deren Folge sich Schmerzen einstellen oder in ihrer Häufigkeit und Frequenz zunehmen. Gelernte Hilflosigkeit – z. B. als Folge von chronischen Kontrollverlusten oder Misserfolgen – beeinflusst den Serotonin- und Endorphinhaushalt und kann einen Patienten erheblich schmerzempfindlicher machen, sodass er gewöhnliche sensorische Stimulation als Schmerz erlebt. Dabei kann ein zunächst unkonditionierter, also nicht erlernter, sondern automatisch zu Schmerz führender Stimulus (Anheben eines schweren Gegenstandes am Arbeitsplatz) zu einer unkonditionierten, automatischen Reaktion mit den Komponenten sympathische Aktivierung und Muskelspannung führen (Straube und Traue 2013). Wenn nun ein neutraler Reiz mit dem Schmerzreiz wiederholt zeit- und ortsnah auftritt (wie in unserem Beispiel die Arbeitserfordernis, schwer zu heben), kann dieser neutrale Reiz assoziieren und zu einem konditionierten, also erlernten Stimulus werden, der als konditionierte Reaktion Angst, sympathische Aktivierung und Muskelspannung auslöst. Bei genügender Frequenz, Dauer und Intensität des Auftretens der konditionierten Reaktion kann diese ihrerseits Schmerzen auslösen (Bischoff et al. 1982). Eine operante Kontrolle von stressbezogener Erregung kann auch dadurch entstehen, dass ein Patient seine emotionale Expressivität unterdrückt, um eventuellen sozialen Konflikten aus dem Weg zu gehen oder weil er sich mit seinen Emotionen als verletzlich erlebt. Der psychophysiologische Aufwand der Hemmung kann sich dann als zusätzliche Belastung erweisen, oder die Unterdrückung der Gefühle wird durch muskuläre Anspannung erzielt, die in periphere Verspannungsschmerzen mündet (Traue und Alison 1993; Traue und Deighton 2007). Wenn dieser Mechanismus diagnostisch erkannt wird, ist eine emotionsbezogene Intervention sinnvoll (Traue et al. 2013).

Kognitive und neurokognitive Verarbeitung von Schmerzen

Aus einer kognitionspsychologischen Sichtweise sind die Verarbeitung von Schmerzreizen aus der Nozizeption und von Schmerzinformation in kortikalen Arealen des Gehirns und die kognitiven Beeinflussungen der Bahnung und/oder Hemmung von Schmerzinformation von Bedeutung. Kognitive Prozesse in diesem Sinne sind Aufmerksamkeit, Vorstellungen über Ursachen und Prognose, Erwartungen und Bewertungen von Schmerz, die bei vergleichbarer nozizeptiver Stimulation oder vergleichbaren Schmerzinformationen in kortikalen Area bzw. des Gedächtnisses zu unterschiedlichen subjektivem Schmerzerleben hinsichtlich Intensität, Qualität und Beeinträchtigung von Stimmung, Aktivität und emotionaler Töning führen. Schmerverhalten und das affektive Erleben werden durch Kognitionen erheblich beeinflusst. Patienten mit Schmerzen entwickeln häufig einen spezifischen und ungünstigen Stil der Bewertung, nämlich das Katastrophisieren, das sich wie folgt charakterisieren lässt:
  • anhaltendes Grübeln über Schmerz,
  • Überschätzung der bedrohlichen Aspekte, und
  • Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten zur erfolgreichen Bewältigung der Beschwerden.
Katastrophisieren ist in einer Fülle von Studien ein bedeutsamer Prädiktor für die Schmerzerfahrung und deren ungünstige Auswirkungen nachgewiesen. Für das Ausmaß schmerzbedingter Behinderung hat Katastrophisieren langfristig eine wichtigere Bedeutung als die Schmerzintensität selbst oder die somatischen Befunde: Wie stark Patienten mit Rückenschmerzen langfristig behindert sein werden, kann mit der Ausprägung von Katastrophisieren zuverlässiger vorhergesagt werden als durch die somatischen Untersuchungsbefunde (Burton et al. 1996; Severeijns et al. 2002).
Schmerz erzwingt Aufmerksamkeit: Sich auf Schmerz zu konzentrieren, sich ihm zuzuwenden ist ein normaler und biologisch sinnvoller Vorgang. Die mit Schmerz verbundenen Gedanken wiederum – Erwartungen, Bewertungen und Vorstellungen zur Ursache – stehen in Wechselwirkung mit Verhalten und Gefühlen, mit Depressionen und Ängsten. Wall brachte dieses scheinbare (methodische) Dilemma auf den Punkt, indem er feststellt: „Unser Gehirn sitzt nicht passiv herum und liest die Informationen, die vom Gewebe und dem Rückenmark ausgehen. Es schickt Impulse aus, die bereits die eingehenden Informationen verändern“ (Wall 1996).
Die neurobiologische Bildgebung der Schmerzverarbeitung bestätigt, dass es nicht ein Schmerzzentrum im Gehirn gibt, sondern eine neuronale Matrix, die auch bei anderen sensorischen, affektiven und kognitiven Informationsverarbeitungen aktiviert wird, insbesondere der primäre sensorische Kortex, die Insel, der Gyrus cinguli, das periaquäduktale Grau und die frontalkortikale Area: „The neurophysiological and neurohemodynamic brain measures of experimental pain can now largely satisfy the psychophysiologist’s dream, unimaginable only a few years ago, of modelling the body-brain, brain-mind, mind-matter duality in an interlinking 3-P triad: physics (stimulus energy); physiology (brain activities); and the psyche (perception) … We may envision that the modular identification and delineation of the arousal-attention, emotion-motivation and perception-cognition neuronal network of pain processing in the brain will also lead to deeper understanding of human mind“ (Chen 2001, S. 147). Symonds et al. (2006) fanden in einer fMRT-Studie vier kortikale Regionen mit kontralateraler (somatosensorischer Kortex) und bilateraler (posteriore, anteriore Insel und das posteriore Cingulumareal), aber fünf Areale mit signifikant stärkerer Aktivierung der rechten Hemisphäre (darunter Frontalkortex, vorderes Cingulum und Parietallappen). Dies entspricht der Vorstellung einer rechts lateralisierten Lokalisierung der Aufmerksamkeitssteuerung durch Schmerzstimuli (Melzack und Katz 2004).
Neurokognitive Schmerzexperimente untermauern psychologische Schmerzannahmen wie bspw. die Beobachtung, nach der das empathische Mitfühlen von Schmerzen, unter denen nahestehende Personen leiden, über Modelllernen, Schmerzerwartung und operante Konditionierung die Chronifizierung beeinflussen. Eine fMRT-Studie zeigt, dass Personen, die in einer positiven engen Beziehung zueinander stehen, während der Schmerzstimulation bei sich und beim Partner ein ähnliches neuronales Erregungsmuster zeigen (Singer et al. 2004). Diese neuronale empathische Reaktion geht mit einer bilateralen Erregungssteigerung der anterioren Insel, des rostralen anterioren Gyrus cinguli (ACC), des Hirnstamms und des Zerebellum einher. Die empathische Reaktion aktiviert dabei nicht die gesamte neuronale Matrix, sondern insbesondere die Aktivität im limbischen System (Rainville et al. 1997). Tatsächlich lässt sich dieses Aktivierungsmuster mit Neurofeedback der ACC-Aktivierung zur Modulation von Schmerzen nutzen (de Charms et al. 2005). Patienten mit chronischen Schmerzen konnten Schmerz um 44 bis 64 % reduzieren, was mit der Aktivierungsänderung des ACC korrelierte: Die rostrale ACC-Aktivität nimmt von erster zu letzter Trainingseinheit und zwischen Pre-Training und Post-Training zu. Allerdings handelt es sich in der Studie um die Modulation des Schmerzerlebens bei experimenteller Schmerzreizung und nicht um klinischen Schmerz.
Bischoff et al. haben schon 1982 zeigen können, dass die Schmerzerwartung kurz vor einer tatsächlichen akuten nozizeptiven Stimulation ähnliche physiologische Reaktionen hervorruft wie die Schmerzreizung selbst. Dass Schmerzerwartung ein ebensolches neuronales Erregungsmuster bei einer schmerzfreien Stimulation bewirkt wie eine tatsächliche Schmerreizung, belegen auch spätere Befunde von Sawamoto et al. (2000). Den engen Zusammenhang zwischen Kognitionen und neuropsychologischen Aktivierungen werden in ähnlicher Weise bei der Placebowirkung durch Suggestion beobachtet. Durch Suggestion kann eine reduzierte Aktivität des Thalamus, der Insel und des ACC bewirkt werden – Bereiche also, die bei experimentell erzeugter Schmerzerwartung höher aktiviert waren als unter Kontrollbedingung. Die Erkenntnisse der Placeboforschung erklären suggestive und autosuggestive Effekte, die in einer integrierten Schmerztherapie nutzbringend angewendet werden können (Wager et al. 2004; Bingel 2010; Klinger et al. 2011)

Die Bedeutung von Depression und Angst für Schmerz

Lange Zeit wurde Schmerz als „Ausdruck eines depressiven Zustandes“ (Blumer und Heilbronn 1982, S. 390) betrachtet, weil depressive Störungen sich bei Schmerzpatienten im Vergleich mit der Bevölkerung häufiger finden (Banks und Kerns 1996). Zwischen 15 und 54 % liegt der Anteil von Schmerzpatienten mit klinisch relevanten Depressionen, wenn zuverlässige diagnostische Verfahren verwendet werden. Viele Studien legen aber nahe, dass Schmerzen ungleich häufiger zu Depression führen als umgekehrt (Dohrenwend et al. 1999; Williams 1998). Ein methodisches Problem ist dabei die Überschneidung der Symptome von Depression und Schmerz. Vor allem somatische Symptome des chronischen Schmerzes finden sich auch bei Depressiven und können zu einer Überschätzung der Depressivität führen (Kessler et al. 1996). Schmerz hat Auswirkungen auf das Selbstverständnis der betroffenen Personen und auf ihre Rollen in Beruf, Familie und Freizeit. Sozialer Rückzug, Verlust von Anerkennung und zunehmende Misserfolge sind Komponenten bei der Entwicklung depressiver Symptome (Harris et al. 2003). Die Schmerzstärke selbst zeigt dagegen meist keinen direkten Zusammenhang mit dem Ausmaß bedrückter Stimmung. Eine wichtige Variable, die diesen Zusammenhang moderiert, ist Flexibilität: Je geringer diese ausgeprägt ist, desto enger ist die Beziehung zwischen Schmerzintensität und bedrückter Stimmung. Bei Menschen, die ihre Ziele stärker der aktuellen Situation anpassen, also „auch einmal zurückstecken“, ist die Schmerzintensität für die Stimmung von geringer Bedeutung. Schmerzakzeptanz – die Bereitschaft, Schmerzen zumindest zeitweise als zum Leben gehörend zu akzeptieren – ist ebenfalls mit geringerer emotionaler Beeinträchtigung verbunden (Schmitz et al. 1996; Kranz et al. 2010).
Kognitiv-behaviorale Modelle beschreiben gemeinsame Prozesse, die sich bei Depression und bei Schmerz finden lassen: Kognitionen, die automatisch ablaufen und mit einer negativen Sicht der eigenen Person, der Umwelt und der Zukunft verbunden sind. Insbesondere Katastrophisieren ist auch hier eine zentrale und gut untersuchte Variable, die in schmerztherapeutischen Behandlungsprogrammen als Zielvariable eine zunehmende Rolle spielt. Für die Entwicklung anhaltender Rücken- und Nackenschmerzen und die damit verbundene Behinderung spielen solche depressiven Verstimmungen eine wichtige Rolle, denn Operationsergebnisse sind umso schlechter, je bedrückter die Patienten vorher sind. Präoperative Screenings sollten diesen Aspekt berücksichtigen (Epker und Block 2001).
Ängste verstärken die Schmerzwahrnehmung und deren Folgen: Schmerzen zu erleben, ist regelmäßig mit der Annahme verbunden, dass eine körperliche Schädigung die „eigentliche“ Schmerzursache sei. Dass Aktivität schadet, dass Bewegung und Belastung zur Verschlimmerung dieser Schädigung führen und dass der „Körper für die Heilung Ruhe braucht“, sind übliche Vermutungen. Die Konsequenz dieses weit verbreiteten Konzeptes ist Vermeidungsverhalten, das Patienten oft auch dann noch fortführen, wenn die Schmerzen bereits jahrelang bestehen und somatisch-pathologische Ursachen ausgeschlossen sind. Das entsprechende Verhalten – z. B. Hinken, Schonung, häufiges Reiben oder Berührung der schmerzenden Stelle – kann bei längst ausgeheilter Verletzung fortbestehen, verbunden mit der Furcht vor bestimmten Bewegungen, mit messbaren Änderungen der Aktivität in den betroffenen Muskelgruppen und mit Einschränkungen der Mobilität. Die daraus resultierende Behinderung ist somit keine „subjektive“ Einschätzung der Patienten, sondern eine körperlich begründbare Funktionsstörung, deren Entwicklung sich im Rahmen des „Angstvermeidungskonzeptes“ erklären lässt. Das Ausmaß der erlebten Behinderung hängt dabei enger mit der Stärke der Furcht als mit der Schmerzintensität zusammen (Crombez et al. 2009).
Die Behandlung zielt dementsprechend auf die Konfrontation mit den bisher vermiedenen Bewegungen bzw. Situationen und auf den Abbau von Problemverhalten (z. B. Schonung, Überforderung), das mit nachteiligen physiologischen sowie kognitiv-emotionalen Konsequenzen verbunden ist. Für den klinischen Alltag ist es wichtig, ungünstige Kognitionen und für die Patienten nachteiliges Verhalten zu identifizieren und nicht zusätzlich durch falsche Anweisungen (Schonung, Rückzug) oder bedrohliche Informationen zu fördern („seien Sie vorsichtig, sonst sitzen Sie im Rollstuhl“; Locher und Nilges 2001).

Die Rolle von psychischen Traumata für Schmerz

In einer viel zitierten fMRT-Studie wiesen Eisenberger et al. 2003 nach, dass soziale Ausgrenzung, selbst in einer existenziell wenig bedeutsamen Computerspielanordnung, ein neuronales Erregungsmuster bewirkt, das dem einer Schmerzstimulation sehr ähnlich ist: Die Aktivität des dorsalen ACC korrelierte (r = 0,88) in dieser Studie mit der subjektiven Bewertung des Ausgrenzungserlebens, und der rechte ventrale präfrontale Kortex (RVPFC) korrelierte negativ mit dieser subjektiven Einschätzung. Die Studie initiierte zahlreiche Untersuchungen (bspw. Eisenberger 2012), die ebenfalls zeigen, dass die negative emotionale Erfahrung der sozialen Ausgrenzung neurobiologisch ähnlich verarbeitet wird wie eine schmerzhafte akute Stimulation. Dieser Befund bedeutet, dass eine Störung der sozialen Bindungen aus einer evolutionären Betrachtung eine ähnliche Bedeutung haben könnte wie eine körperliche Verletzung. Tatsächlich sind die schmerzassoziierten Hirnareale bei unsicher gebundenen Personen stärker aktiviert als bei Personen mit sicherer Bindung (DeWall et al. 2012). Eine Aktivierung des anterioren cingulären Kortex (ACC) in Situationen der sozialen Isolation und ebenso bei schmerzhafter sensorischer Stimulation ist plausibel, weil diese Hirnregion als Alarmsystem und Konfliktmonitor Erregung zeigt, wenn automatisiertes Verhalten in Konflikt mit Stimulusanforderungen steht. Schmerz aktiviert den ACC, und insbesondere der dorsale Teil korreliert mehr mit affektiver als mit sensorischer Schmerzverarbeitung, denn Tierversuche zeigen, dass in Säugern eine Abtragung des ACC zu einem Verlust maternalen Verhaltens und der Äußerung von Signalen der Trennung („separation cry“) führt. Ebenso wird eine Aktivierungsminderung des RVPFC angenommen, weil diese Region offenbar an der Regulation des ACC beteiligt ist.
Mehr noch als soziale Ausgrenzung ist der persönliche Verlust eines Menschen mit negativen Gefühlen verbunden. Er wird meistens als eine außerordentliche Stresssituation erlebt, als kritisches Lebensereignis, in dessen Folge die Wahrscheinlichkeit von Krankheiten erheblich ansteigt. Die experimentelle Anordnung der sozialen Ausgrenzung in der Studie von Eisenberger ist sicher nur ein blasser Abglanz der emotionalen Beeinträchtigung, die bei tatsächlichem Verlust eines geliebten Menschen und bei existenzieller Ausgrenzung der eigenen Person aus dem sozialen Umfeld entsteht (Panksepp 2003).
Extreme Form der sozialen Ausgrenzung sind Traumatisierungen durch Menschenhand wie bspw. Vergewaltigungen, organisierte Gewalt, zwangsweise Migration und Folter. Ein besonderes Merkmal der Folter ist dabei die meist doppelte Bedrohung aus körperlichem Schmerz und psychischer Isolation (Abb. 1).
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Folge des Foltertraumas ist bei vielen Betroffenen so dramatisch, dass die zerstörerische Kraft der Kombination aus körperlicher Verletzung und psychischem Terror offenkundig wird (Schwarz-Langer et al. 2006). Die schweren psychobiologischen Veränderungen entstehen demnach als Folge des psychischen und körperlichen Schmerzerlebens unter der Traumaeinwirkung. Da das Trauma akut nicht bewältigbar ist, wirkt die emotionale Erregung ins Innere der Betroffenen und kann nicht in bewältigendes Handeln umgesetzt werden. Der Organismus wird zwar extrem aktiviert, kann aber gegen die traumatische Situation nichts unternehmen, nicht einmal aus dem Wege gehen. Die emotionale Erregung explodiert im Inneren, sie wird zu einer emotionalen Implosion (Traue et al. 2016). Zusätzlich zu den Symptomen der PTBS leiden die Patienten häufig unter erheblichen Schmerzzuständen (Walter et al. 2010). Bedenkt man die neurobiologische Ähnlichkeit der Verarbeitung körperlicher und psychischer Schmerzstimulation, ist es nicht verwunderlich, dass es infolge der extremen Kombination physisch wie psychisch schädigender Erfahrungen zu diesen ausgeprägten chronischen Schmerzsymptomen kommt. In der Schmerzpsychotherapie muss dieser Zusammenhang gezielt angegangen werden (Traue et al. 2010; Traue und Jerg-Bretzke 2016).

Fazit aus psychologischen Schmerzfaktoren für die Behandlung

Die psychologische Behandlung von Schmerzpatienten folgt den allgemeinen Regeln der Psychotherapie und nutzt Interventionen der kognitiv-behavioralen Änderung aller Aspekte des Schmerzverhaltens und -erlebens. Eingebettet in ein multimodales Therapieprogramm wurde diese interdisziplinäre Schmerztherapie 2015 stationär in über 400 Kliniken in Deutschland praktiziert (Bertelsmann weiße Liste). Zunehmend werden Schmerzpatienten auch ambulant in Gruppen- und Einzeltherapie versorgt. Da es sich um eine störungsspezifische Therapie handelt, weist die Schmerzbehandlung mit psychologischen Mitteln erhebliche Besonderheiten auf (Kröner-Herwig und Frettlöh 2017). Die therapeutischen Erfolge variieren abhängig von der Schmerzstörung und der Intensität der Therapien. Berichtet werden mittlere Effektstärken. Sie führen jedoch selten zu einem schmerzfreien Leben (Hoffmann et al. 2007). Ein zentrales Behandlungsziel ist die Erarbeitung von Möglichkeiten, sich als Patient von Schmerzen nicht vereinnahmen zu lassen und auch ohne vollständige Schmerzfreiheit ein zufriedenstellendes Leben zu führen. Das setzt zwei Dinge voraus: Die Patienten müssen ein individuelles Modell ihrer Schmerzen entwickeln und eine aktive Rolle übernehmen. Aus diesem Grund wird der Edukation des Schmerzpatienten viele Zeit gewidmet. Er soll die Komplexität des chronischen Schmerzgeschehens verstehen, eigene Möglichkeiten der Bewältigung entwickeln und zwischen dysfunktionalen und funktionalen Bewältigungsstrategien unterscheiden können.
Die langfristigen Ergebnisse dieser Anstrengungen sind aber nicht immer eindeutig vorhersagbar. So kann z. B. Ablenkung kurzfristig hilfreich und sinnvoll, langfristig jedoch nachteilig sein und als Durchhaltestrategie zur Chronifizierung beitragen (Cioffi und Holloway 1993). Wenn das Schmerzleiden wesentliche persönliche Ziele in Frage stellt – und das ist bei Schmerz der Fall –, werden Bewältigungsprozesse in Gang gesetzt, die eine befürchtete Bedrohung abwenden oder Verluste vermeiden sollen. Dabei kann aktives Handeln sinnvoll sein, das auf eine Veränderung der Situation zielt: Den Arzt aufsuchen, an einem Schmerzbewältigungstraining teilnehmen oder ein Stehpult anschaffen, wenn Sitzen zu schmerzhaft ist, sind Beispiele für diese Form der Bewältigung. Wenn ausreichender Handlungsspielraum vorhanden ist, ist aktives Handeln sinnvoll.
Es gibt aber Situationen, in denen aktives Handeln sogar absurd sein kann. Wenn Handeln, das auf die Lösung eines Problems zielt, nicht erfolgreich ist, wenn Kontroll- und Veränderungsmöglichkeiten fehlen – und dies scheint bei Schmerz sehr häufig der Fall –, stehen Anpassungsprozesse im Vordergrund. Damit ist eine Veränderung der eigenen Standards, eine Neubewertung der Situation oder von Zielen gemeint: Aufgabe des Ziels „Schmerzfreiheit“, Vergleiche mit anderen Patienten, die schlechter dran sind, und eine Aufwertung erreichbarer Ziele – z. B. ein glückliches Familienleben zu führen – gehören dazu.
Flexibilität bei der Anpassung persönlicher Ziele erwies sich als „Schutzfaktor“ gegen Depression (McCracken und Eccleston 2003). Sie verglichen die Auswirkungen einer akzeptierenden Haltung gegenüber Schmerz mit den Konsequenzen von aktivem Coping. Akzeptieren heißt nicht resignieren, sondern
  • kein übermäßiges Ankämpfen gegen den Schmerz und auslösende negative Lebensbedingungen,
  • realistische Auseinandersetzung mit Schmerz, d. h. auch die gedanklich-sprachliche Überbewertung des Schmerzes kritisch reflektieren und
  • aufpassen, dass positive Alltagsaktivitäten nicht an Bedeutung verlieren und schmerzunabhängige Lebensziele nicht aus den Augen verloren werden.
Diese Form des Akzeptierens ist mit geringerer Depressivität, stärkerer Aktivität und weiteren günstigen Folgen in vielen Bereichen verbunden. Direkte therapeutische Konsequenz dieser konzeptionellen Weiterentwicklung verhaltenstherapeutischer Methoden ist die zunehmende Anwendung achtsamkeitsbasierter Verfahren (Schmidt et al. 2011; Diezemann und Korb 2017).
Da psychologische Faktoren für die Verarbeitung von Schmerz relevant sind und ihnen insbesondere für chronische Schmerzen eine wesentliche Rolle zukommt, sollten sie bereits in die primär somatische Diagnostik und Therapie integriert werden. Dies bedeutet, dass Patienten in angemessener Weise über ihre Beschwerden informiert werden, dass sie nach ihren Vorstellungen, Befürchtungen und Erwartungen gefragt werden, dass realistische Erwartungen geweckt und unrealistische berichtigt werden. Es bedeutet auch, bei Patienten mit chronischen Schmerzen eine Balance zwischen Überforderung („damit müssen Sie leben!“) und Überversorgung („da ist jetzt gerade eine ganz neue Methode in Amerika herausgekommen, das wäre vielleicht noch eine Idee“) anzustreben.
Mit einem einseitigen Schmerzverständnis ist die Gefahr verbunden, dass Patienten mit psychischen Störungen (z. B. Depression, Angststörung) somatisch unterversorgt werden: Psychische Störungen immunisieren nicht gegen körperliche Erkrankungen. Umgekehrt werden Patienten mit klaren somatischen Befunden hinsichtlich psychologischer Faktoren unterversorgt: Schmerzbezogene Ängste und depressive Verstimmungen, ungünstiges Krankheitsverhalten, aber auch psychopathologische Komorbiditäten werden vernachlässigt. Für die Vermittlung eines Schmerzmodells ist die edukative Phase am Beginn der Behandlung von großer Bedeutung. Abgesehen von einem allgemeinen Verständnis für die biologischen, psychologischen und sozialen Komponenten des Schmerzes wird vermittelt, wie die individuellen Erfahrungen des Patienten eingepasst werden können. Dazu gehört auch die sensible Vermittlung von Konflikten, die in Therapiezielen stecken können (Frettlöh 2013).
Einige dieser Defizite und Fehlannahmen traditioneller Schmerzkonzepte wurden in der 2009 veröffentlichten deutschen Version der ICD-10 korrigiert: Die Klassifikation wurde um die neu eingeführte Diagnose „Chronische Schmerzstörung mit Somatischen und Psychischen Faktoren“ (F45.41) erweitert, weil die bisherigen diagnostischen Kriterien den bio-psycho-sozialen Charakter chronischer Schmerzen nicht abgebildet haben (ICD-10-GM Version 2010; Nilges und Rief 2010). Für die Mehrzahl der Patienten ist eine Dichotomisierung in psychisch vs. organisch bedingte Schmerzen unzutreffend und widerspricht dem gültigen Wissensstand. Mit der erweiterten Diagnose wird in angemessener Weise zum Ausdruck gebracht, dass psychischen Faktoren regelmäßig eine wichtige Bedeutung für die Chronifizierung und bei der Behandlung zukommt, auch wenn die Kriterien einer klassischen psychischen Störung nicht erfüllt sind. Erst durch die Komplexität der Faktoren und die Wechselwirkung zwischen somatischen und psychosozialen Einflüssen beim Chronifizierungprozess ist chronischer Schmerz in den meisten Fällen verstehbar. Konsistentes Ergebnis von Metanalysen und vergleichende Therapiestudien bestätigen, dass kombinierte Behandlungen gegenüber entweder somatischen oder psychosozialen Programmen allein deutlich wirksamer sind (Turk 2002; Kröner-Herwig und Frettlöh 2017).
Interdisziplinäre Teams mit bio-psycho-sozialem Behandlungskonzept sind nicht gezwungen, somatische und psychische Faktoren zu trennen; sie behandeln gleichzeitig innerhalb der einzelnen Fachrichtungen beide Aspekte:
  • Medizinische und psychologische Diagnostik hilft Patienten, ein angemessenes Schmerzkonzepte zu entwickeln, die Indikation von Therapiemaßnahmen zu verstehen und die Motivation zur aktiven Mitarbeit zu stärken.
  • Physiotherapie fördert durch den Abbau von Vermeidungsverhalten und Aufbau körperlicher Belastbarkeit positive Erfahrungen mit dem Körper, günstige Überzeugungen und Optimismus.
  • Psychotherapie zielt zunächst auf die Revision unrealistischer Ziele und reduziert die anhaltende Überforderung des Patienten (Sullivan 2001) und baut danach alternative gesunde Verhaltensweisen auf und verändert ungünstige schmerzbezogenen Kognitionen.
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