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Praktische Schmerzmedizin
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Verfasst von:
Winfried Häuser
Publiziert am: 13.12.2017

Schmerzmedizin bei Fibromyalgiesyndrom

Patienten mit chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen sind eine klinische Realität. Die Klassifikation des Beschwerdekomplexes (Rheumatische Erkrankung? Psychische Störung? Chronische Schmerzkrankheit?) ist umstritten.
Patienten mit chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen sind eine klinische Realität. Die Klassifikation des Beschwerdekomplexes (Rheumatische Erkrankung? Psychische Störung? Chronische Schmerzkrankheit?) ist umstritten.
Patienten mit chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen, bei denen kein erklärender somatischer Krankheitsfaktor vorliegt, finden sich in allen Versorgungsstufen, vor allem in der Neurologie, der Orthopädie, der Rheumatologie, der Schmerzmedizin, der Psychosomatischen Medizin und der Psychiatrie.

Gibt es eine Fibromyalgie?

Die klinische Entität der „Fibromyalgie“ wurde 1990 durch eine Expertengruppe des Amerikanischen Kollegiums für Rheumatologie (ACR) durch chronische Schmerzen (>3 Monate) in mehreren Körperregionen sowie Druckschmerzhaftigkeit von mindestens 11/18 Tender Points definiert. Diese Klassifikationskriterien wurden entwickelt, um eine Gruppe von Patienten mit „weichteilrheumatischen“ Beschwerden von Patienten mit Arthrose und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen abzugrenzen (Wolfe et al. 1990). Diese Klassifikationskriterien waren von den Autoren nicht als diagnostische Kriterien konzipiert. Die Fibromyalgie wurde 1994 in die Krankheitenliste der Weltgesundheitsorganisation unter den Erkrankungen des Muskel- und Bindegewebes aufgenommen (M79.7) (DIMDI 2017).
Das diagnostische Etikett „Fibromyalgie“ bzw. „Fibromyalgiesyndrom“ (FMS) ist umstritten. Die Diagnose wird (immer noch) von vielen Allgemeinärzten sowie Psychiatern und Psychosomatikern abgelehnt. Allgemeinärzte benutzen den Begriff „chronischer Schmerz“ bzw. „chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen“, Vertreter psychosozialer Disziplinen die Kodierungen „somatoforme Schmerzstörung“, „chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“, „Somatisierungsstörung“ (Egle 2005), somatische Belastungsstörung (Klaus et al. 2017) oder „affektive Störung“ (Hudson und Pope 1989). Die genannten Fachvertreter äußern Bedenken, dass die Diagnose „Fibromyalgie“ unangemessene Vorstellungen des Patienten von der Art („organische“ Krankheit) und Behandlung (Medikamente, passive physikalische Maßnahmen) ihrer Beschwerden unterstützen (Egle 2005). Manche Rheumatologen und Neurologen sowie viele Patienten betrachten das FMS als ein distinktes Krankheitsbild mit relevanten Krankheitsfaktoren in Muskulatur und Bindegewebe bzw. typischen zentralnervösen funktionellen Veränderungen (Müller und Stratz 2004). Einige Neurologen konzipieren das FMS als ein neuropathisches Schmerzsyndrom auf Grund des Nachweises von pathologischen Befunden der kleinen Nervenfasern (Small Fiber Pathologies) in Subgruppen von FMS-Patienten (Oaklander et al. 2013; Üçeyler et al. 2017).
Ein Teil der Etikettierungsdebatte (FMS versus somatoforme Schmerzstörung bzw. somatische Belastungsstörung) wurde durch die Aktualisierung der S3-Leitlinie zum FMS (Eich et al. 2017) und die parallel entwickelte S3-Leitline zu nichtspezifischen/funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden (Schaefert et al. 2012) gelöst.

Klinisches Bild und Definition

Die Kernsymptome des FMS sind chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen, Schlafstörungen/nicht erholsamer Schlaf und körperliche/geistige Müdigkeit bzw. vermehrte Erschöpfungsneigung. Fast alle Patienten nennen spontan oder in Symptomfragebögen weitere, auf innere Organe bezogene Beschwerden (Magen, Darm, Harnwege, Atmung, Herz), weitere Schmerzsyndrome (z. B. Kopf- und Gesichtsschmerzen, Unterbauchschmerzen), Parästhesien und Dysästhesien, Symptome einer generalisierten Reizüberempfindlichkeit (Geruch, Geräusche, Berührung) und psychische Symptome (Niedergeschlagenheit, Nervosität, Angst) (Eich et al. 2017).
Folgende Kriterien für chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen können angewendet werden:
  • die Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) 1990: mindestens je ein Schmerzort im Bereich der Wirbelsäule und ober- und unterhalb der Taille und an der linken und rechten Körperhälfte (Wolfe et al. 1990);
  • die modifizierten diagnostischen ACR-Kriterien 2010: Angabe von mindestens 7 Schmerzorten an 19 möglichen Lokalisationen eines Fragebogens, des „Widespread Pain Index“ (Wolfe et al. 2010, 2011), auf Deutsch als „regionale Schmerzskala“ verfügbar (Häuser et al. 2012b).

Klassifikation und Kodierung

Das FMS ist keine kategoriale bzw. distinkte Krankheitsentität, sondern eine Kontinuumsstörung (wie Diabetes mellitus oder Depression). Durch die Festlegung eines Grenzwertes wird das Krankheitsbild definiert (Wolfe et al. 1990, 2011). Das FMS kann als der Endpunkt eines Kontinuums von bio-psycho-sozialem Distress angesehen werden (Häuser et al. 2009).
Die Fibromyalgie ist in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten im Kapitel „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes“ in dem Unterkapitel „Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes, anderenorts nicht klassifiziert“ (ICD-10-GM M79.70) eingeordnet (DIMDI 2017).
Die deutsche FMS-Leitlinie (Eich et al. 2017) klassifiziert das FMS als eine funktionelle Störung, d. h. einen typischen Komplex von Symptomen ohne spezifischen somatischen Krankheitsfaktor. Daher wird in beiden Leitlinien der Begriff „FMS“ und nicht „Fibromyalgie“ verwendet. Das FMS wird als ein Syndrom erster Ordnung bzw. ein Symptomkomplex mit unbekannter oder nicht geklärter Ätiologie, heterogener Pathogenese sowie definiertem Phänotyp eingeordnet (Eich et al. 2017). Die Kriterien eines FMS und die einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (F45.40) bzw. einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren (F45.41) bzw. einer somatischen Belastungsstörung (DSM-5 300.82) erfassen zum Teil überlappende, zum Teil unterschiedliche klinische Charakteristika von Personen mit CWP (Chronic Widespread Pain) ohne spezifischen somatischen Krankheitsfaktor. Einige, aber nicht alle FMS-Patienten erfüllen auch die Kriterien einer somatoformen bzw. einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren (Eich et al. 2017).
Zur vollständigen Abbildung des Gesamtbeschwerdebildes sind häufig mehrere Diagnosen möglich. Die häufigsten Komorbiditäten sind depressive Störungen (40–80 %), Angststörungen (30–70 %) und Reizdarmsyndrom (30–80 %) (Eich et al. 2017).

Ätiopathogenese und Pathophysiologie

Die aktuelle Studienlage erlaubt keine eindeutigen Aussagen zur Ätiologie und Pathophysiologie des FMS. Die Entwicklung eines FMS ist assoziiert mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, Genpolymorphismen des 5-HT2-Rezeptors, Lebensstilfaktoren (Rauchen, Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität) sowie körperlicher Misshandlung und sexuellem Missbrauch in Kindheit und Erwachsenenalter (Üçeyler et al. 2017). Möglicherweise haben die folgenden pathophysiologischen Mechanismen eine pathogenetische Bedeutung für das FMS:
  • veränderte zentrale Schmerzverarbeitung,
  • Veränderungen zentralnervöser Neurotransmitter,
  • Dysfunktion des sympathischen Nervensystems,
  • Kleinfaserpathologie (Small Fiber Pathologies).
Die Aussagekraft der Studien zur Pathophysiologie des FMS ist aufgrund des Fehlens longitudinaler Studien, fehlender Kontrolle auf psychische Komorbiditäten und unzureichender Spezifität der Befunde (Fehlen von Kontrollgruppen mit anderen chronischen Schmerzsyndromen) eingeschränkt (Üçeyler et al. 2017).
Die S3-Leitlinie zum FMS postuliert ein bio-psycho-soziales Modell bezüglich Prädisposition, Auslösung und Chronifizierung des FMS: Physikalische, biologische oder psychosoziale Stressoren lösen bei einer entsprechenden genetischen und lerngeschichtlichen Prädisposition vegetative, endokrine und zentralnervöse Reaktionen aus, aus denen die Symptome des FMS wie Schmerz, Müdigkeit, Schlafstörungen, vegetative und psychische Symptome resultieren (Üçeyler et al. 2017).

Klinische Diagnose

Die klinische Diagnostik erfolgt durch die Anamnese des typischen Symptomkomplexes und den Ausschluss internistischer, neurologischer und orthopädischer Erkrankungen, welche das Beschwerdebild ausreichend erklären können (Eich et al. 2017). Zur Diagnose können die ACR-Klassifikationskriterien von 1990, die modifizierten diagnostischen ACR-Kriterien von 2010 (sogenannte 2011 oder Forschungskriterien) (Wolfe 2014) und die 2016 Kriterien (Wolfe et al. 2016) verwendet werden. Die ACR-Kriterien von 2010, die 2011 Kriterien und die 2016 Kriterien erfordern keine Tender-Point-Untersuchung und ermöglichen daher auch eine Diagnose durch Nicht-Rheumatologen. Die Beschwerden können durch den Fibromyalgiesymptomfragebogen erfasst und dokumentiert werden (Abb. 1).
In klinischen Populationen weisen die ACR-Kriterien von 1990 und 2010 eine hohe Konkordanz auf (Häuser et al. 2012b). Die modifizierten ACR-Kriterien von 2010 (sogenannte Forschungskriterien) lauten:
a.
Angabe von mindestens 7 Schmerzorten an 19 möglichen Lokalisationen in der regionalen Schmerzskala und mindestens 5 von 12 Punkten auf dem somatischen Beschwerdescore,
 
b.
Beschwerdedauer von mindestens 3 Monaten,
 
c.
Ausschluss von somatischen Krankheitsfaktoren, welche die Beschwerden ausreichend erklären.
 
Zum Ausschluss erklärender somatischer Krankheitsfaktoren werden folgende Maßnahmen empfohlen (Eich et al. 2017):
In den meisten Fällen ist die klinische Diagnose einfach zu stellen, da der körperliche Untersuchungsbefund keine Hinweise auf eine somatische Erkrankung gibt und das Basislabor unauffällig ist. In diesen Fällen wird keine weitere technische Diagnostik (z. B. Bildgebung, neurophysiologische Untersuchungen) empfohlen.
Bei Verdacht auf somatische (Mit-)Ursachen der Beschwerden wird eine fachärztliche internistische (endokrinologische, rheumatologische) und/oder neurologische und/oder orthopädische Diagnostik empfohlen. Von besonderer Bedeutung ist die Medikamentenanamnese, da einige Medikamente (z. B. Statine, Aromatasehemmer) zu multilokulären Arthralgien und Myalgien und damit zu chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen führen können. Durch einen Medikamentenauslassversuch über 4–12 Wochen kann überprüft werden, ob sich die fibromyalgieformen Beschwerden zurückbilden (Eich et al. 2017).
Das FMS wird durch die Anamnese eines typischen Symptomenkomplexes (chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen, Müdigkeit, Schlafstörungen) und durch den klinischen Ausschluss von körperlichen Erkrankungen, welche den Symptomkomplex ausreichend erklären, gestellt.
Die Diagnose einer seelischen Störung schließt die Diagnose eines FMS nicht aus.

Häufigkeit, Verlauf und Schweregrade

Die Punktprävalenz des FMS nach den modifizierten diagnostischen ACR-Kriterien von 2010 lag in der allgemeinen deutschen Bevölkerung im Jahr 2012 bei 2,1 % (Wolfe et al. 2013). Die administrative 1-Jahresprävalenz einer FMS-Diagnose bei der Barmer Ersatzkasse lag im Jahr 2008 bei 0,3 % (Marschall et al. 2011).
Bei Erwachsenen persistieren FMS-Beschwerden in der Regel lebenslang, vollständige Remissionen sind eine Rarität. Ein Teil der Patienten berichtet im Verlauf über eine bessere Adaptation an die Beschwerden bzw. eine höhere Zufriedenheit mit dem Gesundheitszustand – trotz Beschwerden. Die Lebenserwartung entspricht derjenigen der Durchschnittsbevölkerung. Die Suizidrate bei Frauen ist im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung leicht erhöht (Eich et al. 2017).
Wie bei somatischen Erkrankungen (z. B. Herzinsuffizienz) oder psychischen Störungen (z. B. Depressionen) können beim FMS verschiedene Schweregrade unterschieden werden. Es gibt keine international einheitlich verwendete Schweregradeinteilung des FMS. Analog zur S3-Leitlinie zu nichtspezifischen/funktionellen/somatoformen Körperbeschwerden (Schaefert et al. 2012) wird folgende Einteilung nach klinischen Gesichtspunkten vorgeschlagen (Eich et al. 2017):
  • Leichte Formen: neben den Kernsymptomen keine oder geringe weitere körperliche und seelische Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigungen in Alltagsfunktionen.
  • Schwerere Formen: neben den Kernsymptomen weitere körperliche und seelische Beschwerden von Krankheitswert (z. B. Reizdarmsyndrom, leichtgradige Depression), geringe bis mäßige Beeinträchtigungen in Alltagsfunktionen.
  • Sehr schwere Formen: neben den Kernsymptomen weitere ausgeprägte körperliche und seelische Beschwerden von Krankheitswert (z. B. mehrere andere funktionelle somatische Syndrome, schwere Depression oder Angststörung), ausgeprägte Beeinträchtigungen in Alltagsfunktionen.

Therapie

Diagnosemitteilung und Patientenedukation

Die Diagnose eines FMS soll dem Patienten explizit mitgeteilt werden. Die klinische Erfahrung zeigt, dass die meisten Betroffenen erleichtert sind zu erfahren, dass ihre Beschwerden einem bekannten und gut erforschten Krankheitsbild entsprechen. Das Etikett „Fibromyalgiesyndrom“ kann es vielen Betroffenen ermöglichen, die Aufmerksamkeit von der Suche nach der Ursache für ihre Beschwerden abzuziehen und sich auf eine aktive Krankheitsbewältigung einzulassen (Eich et al. 2017). Wesentliche Informationen, welche in einem ärztlichen Gespräch nach Erstdiagnose vermittelt werden sollen, sind in der nachfolgenden Übersicht aufgeführt.
Wesentliche Aussagen einer Beratung anlässlich der Erstdiagnose eines FMS
(Eich et al. 2017)
1.
Das Beschwerdebild führt nicht zur Invalidität und verkürzt nicht die Lebenserwartung.
 
2.
Es handelt sich um eine häufige, meist chronisch verlaufende Erkrankung.
 
3.
Eine Therapie mit dem Ziel einer Verbesserung bzw. eines Erhalts der Lebensqualität (Funktionsfähigkeit im Alltag, Symptomreduktion) ist erfolgversprechend.
 
4.
Wesentlich für den Therapieerfolg sind eigenständige Aktivitäten des Patienten (Bewegung, Wärmeanwendung).
 
Der Patient soll auf die Patientenversion der FMS-Leitlinie, Broschüren der Deutschen Rheuma-Liga und Deutschen Fibromyalgie Vereinigung sowie regionale Selbsthilfegruppen hingewiesen werden.

Allgemeine Therapieprinzipien

Die Leitlinie empfiehlt ein abgestuftes Behandlungskonzept in Abhängigkeit vom Schweregrad. Bei der Auswahl von Therapiemaßnahmen sind innerhalb der Leitlinienempfehlungen die Präferenzen und Komorbiditäten der einzelnen Patienten zu berücksichtigen (Petzke et al. 2017).
Da es kein Therapieverfahren gibt, welches bei allen oder den meisten Patienten zu einer relevanten Symptom- und/oder Beeinträchtigungsreduktion führt, ist der Nutzen (Symptomreduktion und Verbesserung der Leistungsfähigkeit vs. Nebenwirkungen und Aufwand) regelmäßig von Betroffenen und Behandlern zu evaluieren. Eine Therapie soll nur im Falle eines positiven Nutzens fortgeführt werden. Eine spezifische Therapie des FMS ist nicht zwingend erforderlich.
Wichtig ist es, realistische Therapieziele zu erarbeiten: den Erhalt und die Verbesserung der Funktionsfähigkeit – nicht eine vollständige Beschwerdefreiheit.
Wirksamkeitsgesicherte Therapiemaßnahmen sollen empfohlen werden.
Therapieverfahren mit starker Empfehlung
(Köllner et al. 2017; Langhorst et al. 2017; Winkelmann et al. 2017)
  • Informationen über Diagnose und Therapiemöglichkeiten
  • Aerobes Training zu Lande und/oder zu Wasser (geringe bis mittlere Intensität)
  • Trockengymnastik, Wassergymnastik, Funktionstraining (Kombination Trockengymnastik und Wassergymnastik)
  • Meditative Bewegungstherapien (Qi-Gong, Tai-Chi, Yoga)
  • Funktionstraining: Kombination von aerobem Training und Dehnungsübungen zu Lande und zu Wasser
  • Multimodale Therapie: Mindestens ein körperlich aktivierendes Verfahren und mindestens ein psychotherapeutisches Verfahren (Entspannungstraining, kognitive Verhaltenstherapie)
  • Krafttraining (geringe Intensität)
Empfohlene Therapieverfahren
(Sommer et al. 2017; Winkelmann et al. 2017)
Therapieverfahren mit offener Empfehlung
(Köllner et al. 2017; Langhorst et al. 2017; Sommer et al. 2017)
  • Akupunktur
  • Duloxetin 60 mg/Tag – Off-label-Use, falls Amitriptylin kontraindiziert oder nicht wirksam ist
  • Gewichtsabnahme bei Adipositas
  • Hypnose und geleitete Imagination
  • Pregabalin 300–450 mg/Tag – Off-label-Use, falls Amitriptylin kontraindiziert oder nicht wirksam ist
  • Quetiapin (50–300 mg/d) bei komorbider Major Depression und fehlendem Ansprechen auf Duloxetin
  • Serotoninwiederaufnahmehemmer (Fluoxetin 20–40 mg/Tag, Paroxetin 20–40 mg/Tag) – Off-label-Use, falls Amitriptylin kontraindiziert oder nicht wirksam ist
Von Therapiemaßnahmen ohne Evidenzbasierung oder mit negativen Studienergebnissen ist hingegen abzuraten.
Therapieverfahren mit negativer Empfehlung (Auswahl)
(Köllner et al. 2017; Langhorst et al. 2017; Sommer et al. 2017; Winkelmann et al. 2017)
  • Chirotherapie
  • Kältetherapie
  • Flupirtin
  • Homöopathie
  • Lasertherapie
  • Magnetfeldtheraie
  • Milnacipran
  • Monoaminooxidasehemmer
  • Nahrungsmittelergänzungsprodukte
  • Nichtsteroidale Antirheumatika
  • Reiki
  • Therapeutisches Schreiben
  • Transkutane elektrische Stimulation
Therapieverfahren mit einer stark negativen Empfehlung
(Köllner et al. 2017; Langhorst et al. 2017; Sommer et al. 2017; Winkelmann et al. 2017)
Im Falle einer unzureichenden Wirksamkeit jeder Behandlung ist eine erneute Diagnostik sinnvoll (Überprüfung der Diagnose FMS, negativer Einfluss körperlicher und psychischer Komorbiditäten, psychosozialer Stressoren wie Arbeitslosigkeit oder Rentenbegehren).

Abgestufte Therapie des FMS

Bei leichten Formen des FMS soll der Patient zu angemessener körperlicher und psychosozialer Aktivierung ermutigt werden. Eine weitere Therapie ist nicht notwendig.
Bei schweren Verläufen sollen mit dem Patienten körperbezogene Therapien, eine zeitlich befristete medikamentöse Therapie sowie multimodale Therapien (mindestens ein körperlich aktivierendes Verfahren und mindestens ein psychotherapeutisches Verfahren) besprochen werden.
Patienten mit schweren Verläufen, die auf die oben genannten Maßnahmen nicht ausreichend ansprechen, sollen mit multimodalen Programmen nach dem deutschen Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS und bei psychischer Komorbidität mit störungsspezifischer Psycho- und/oder medikamentöser Therapie behandelt werden (Eich et al. 2017).

Einzelne Therapieverfahren

In der S3-Leiltinie zum FMS wurden folgende Kriterien den Empfehlungen zugrunde gelegt (Häuser und Nothacker 2017):
  • Wirksamkeit: Reduktion von Schmerz, Müdigkeit, Schlafstörungen und Einschränkungen der Lebensqualität im Vergleich zu Kontrollgruppen am Therapieende und – falls verfügbar – bei Nachuntersuchungen in randomisierten Studien durch Metaanalyse (Wirksamkeitsmaß: standardisierte Mittelwertdifferenzen);
  • Patientenakzeptanz: Abbruchrate im Vergleich zu Kontrollgruppen in randomisierten Studien;
  • Potenzielle Risiken
  • Anwendbarkeit in Deutschland: Für Medikamente galt die Zulassung zur Therapie des FMS bzw. häufiger psychischer Komorbiditäten (Depressionen, Angststörungen), für nichtmedikamentöse Verfahren galt die Verfügbarkeit in Deutschland im Rahmen der medizinischen Regelversorgung;
  • Ethische Verpflichtungen
Aufgrund fehlender Zulassung zur Therapie des FMS in Deutschland, fehlender Nachweise für nachhaltige Effekte nach Beendigung der Therapie sowie potenzieller Risiken erhielt kein Medikament eine starke Empfehlung (Sommer et al. 2017). Eine solche erging hingegen für aerobes Training (Winkelmann et al. 2017) und multimodale Therapien (Schiltenwolf et al. 2017) angesichts der Nachweise für nachhaltige Effekte nach Beendigung der Therapie und weitgehend fehlender Risiken. Amitriptylin und Duloxetin erhielten eine Empfehlung. Amitriptylin ist in Deutschland zur Behandlung chronischer Schmerzen innerhalb eines multimodalen Therapiekonzeptes zugelassen, Duloxetin bei (komorbiden) depressiven Störungen oder einer generalisierten Angststörung. Ein Off-label-Use von Duloxetin (ohne psychische Komorbidität) und der Einsatz von Pregabalin bei komorbider generalisierter Angststörung (Zulassung von Pregabalin in Deutschland für generalisierte Angststörung) kann bei Kontraindikationen zum Einsatz von Amitriptylin oder Wirkungslosigkeit von Amitriptylin erwogen werden (s. Übersicht „Therapieverfahren mit offener Empfehlung“).
Die Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie ist längstens für eine Behandlungsdauer von 12 Monaten gesichert. Die Zahl der Patienten, die von einer medikamentösen Therapie mit Amitriptylin, Duloxetin und Pregabalin profitieren, entspricht in kontrollierten Studien der Zahl der Patienten, die wegen Wirkungslosigkeit bzw. Nebenwirkungen die Therapie abbrechen. Weiterhin sind die Warnhinweise der Medikamente zu beachten. Bei Antidepressiva ist darauf hinzuweisen, dass die empfohlenen Substanzen eine analgetische Wirkung haben, welche weitgehend unabhängig von der antidepressiven Wirkung ist (sog. schmerzmodulierende Substanzen). Ist der Patient ein Medikamentenresponder, können mit ihm die Optionen einer medikamentösen Dauertherapie oder eines Auslassversuches nach 6 Monaten diskutiert werden (Petzke et al. 2017).
Die Verordnung aller Medikamente zur Therapie des FMS erfolgt „off-label“. In Deutschland ist Amitriptylin für chronische Schmerzen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes, Duloxetin für depressive Störungen sowie Pregabalin für die generalisierte Angststörung zugelassen.
Leitlinien sollen auch Aussagen zu nichtempfohlenen Therapieverfahren geben. Die Liste der Verfahren, für die kein Wirksamkeitsnachweis beim FMS vorliegt und/oder relevante Risiken bestehen, ist länger als die Liste der Empfehlungen. Hervorzuheben sind die stark negativen Empfehlungen für starke Opioide (s. Übersicht „Therapieverfahren mit einer stark negativen Empfehlung“) und die negative Empfehlung für nichtsteroidale Antirheumatika, Muskelrelaxanzien und Flupirtin (s. Übersicht „Therapieverfahren mit negativer Empfehlung“) (Sommer et al. 2017).
Schwache Opioide wie Tramadol und Tilidin werden in Deutschland ebenfalls häufig beim FMS eingesetzt. Zu Tilidin wurde keine Studie, zu Tramadol eine Studie und eine große randomisierte Studie in Kombination mit Paracetamol gefunden. Aufgrund der unzureichenden Datenlage erfolgte die Feststellung, dass weder eine positive noch eine negative Empfehlung möglich ist. Dieselbe Feststellung betraf Aspirin, Metamizol und Paracetamol.
Aufgrund der eingeschränkten externen Validität von randomisierten klinischen Studien können Betroffene und ihre Behandler auch andere Quellen berücksichtigen. Im deutschen Fibromyalgieverbraucherbericht 2011 berichteten 1661 Betroffene ihre Erfahrungen mit medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapieverfahren. FMS-Leitlinie und Verbraucherbericht stimmen in der positiven Bewertung von nichtmedikamentösen Selbstmanagementstrategien und der skeptischen Bewertung von Medikamenten überein (Häuser et al. 2012a).
FMS-Patienten kann für 2 Jahre Rehasport als Funktionstraining (Trocken- und Wassergymnastik) rezeptiert werden.
Dieses Funktionstraining wird von regionalen Gruppen der Deutschen Rheuma-Liga und der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung angeboten.

Leitlinien und Patienteninformationen

Literatur
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