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Praktische Schmerzmedizin
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Publiziert am: 14.12.2017

Somatoforme Schmerzstörungen

Verfasst von: Jonas Tesarz und Wolfgang Eich
Die somatoforme Schmerzstörung ist ein Störungsbild mit dem Leitsymptom Schmerz aus dem Formenkreis der somatoformen Störungen. Das klinische Wörterbuch (Pschyrembel 2007) definiert „Somatisierung“ (engl. „somatisation“: Verleiblichung) als Wiederbelebung früher körperlicher Reaktionsmuster, hervorgerufen durch eine psychosoziale Belastungssituation bzw. Auslösesituation. Dabei wird der mit der körperlichen Erregung verbundene Affekt (z. B. Angst) nicht als Gefühl, sondern als Organfunktionsstörung (z. B. Herzrasen oder Brustschmerz) wahrgenommen.
Die somatoforme Schmerzstörung ist ein Störungsbild mit dem Leitsymptom Schmerz aus dem Formenkreis der somatoformen Störungen.
Das klinische Wörterbuch (Pschyrembel 2007) definiert „Somatisierung“ (engl. „somatisation“: Verleiblichung) als Wiederbelebung früher körperlicher Reaktionsmuster, hervorgerufen durch eine psychosoziale Belastungssituation bzw. Auslösesituation. Dabei wird der mit der körperlichen Erregung verbundene Affekt (z. B. Angst) nicht als Gefühl, sondern als Organfunktionsstörung (z. B. Herzrasen oder Brustschmerz) wahrgenommen.

Wissenschaftliche Klassifikation

Der Begriff der „somatoformen Störung“ wurde 1980 erstmals in das offizielle medizinische Klassifikationssystem eingeführt und ersetzte den Begriff der „funktionellen Störung“. In der aktuellen Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) werden somatoforme Störungen in der Kategorie F45 erfasst.
Das Charakteristikum somatoformer Störungen und insbesondere der somatoformen Schmerzstörung ist eine im Vordergrund stehende körperliche Symptomatik, welche in der Regel mit einer relevanten funktionellen Beeinträchtigungen einhergeht. Vor diesem Hintergrund wird auch oft der Begriff der „funktionellen Störung“ verwendet (z. B. funktionelle Rückenschmerzen, funktionelle Unterbauchschmerzen etc.). Der Begriff „funktionell“ deutet an, dass bei somatoformen Störungen überwiegend die Funktion des betroffenen Organ(system)s (z. B. des Herzens bei Herzbeschwerden, des Darms bei Verdauungsstörungen) bzw. der zentralnervösen Verarbeitung von Beschwerdewahrnehmungen (z. B. der nozizeptiven Signale bei somatoformen Schmerzstörungen) gestört ist. Basierend auf der Leitsymptomatik kann ein „somatoformer Formenkreis“ (Tab. 1) beschrieben werden. Dieser beinhaltet neben der klassischen Somatisierungsstörung die hypochondrische Störung, die somatoforme autonome Funktionsstörung und die anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen.
Tab. 1
Somatoformer Formenkreis nach ICD-10
Somatoformer Formenkreis
ICD-10
Somatisierungsstörung
F45.0
Undifferenzierte Somatisierungsstörung
F45.1
Hypochondrische Störung
F45.2
Somatoforme autonome Funktionsstörung
F45.3
Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
F45.4
Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
F45.41
Tab. 2 gibt einen Ausblick auf die Weiterentwicklung der Darstellung des somatoformen Formenkreises nach ICD-11 und der Neuauflage des DSM-V.
Tab. 2
Ausblick ICD-11 und DSM-5
Neuauflage ICD-11
Neuauflage DSM-V
Für die Neuauflage der International Classification of Disease (ICD-11) ist es vorgesehen, eine eigene Untergruppe für somatforme und funktionelle Schmerzstörungen einzuführen (Treede et al. 2015). Solche, als sog. „primäre chronische Schmerzen“ bezeichneten Schmerzsyndrome umfassen all diejenigen Schmerzstörungen, welche über mind. 3 Monate fortdauern und dabei mit einer signifikanten emotionalen Belastung und/oder signifikanten funktionalen Beeinträchtigung einhergehen und sich dabei nicht hinreichend durch bekannte körperliche Störungen erklären lassen. Primäre chronische Schmerzstörungen können dann entsprechend der jeweils betroffenen anatomischen Region weiter spezifiziert werden in z. B. chronisch primäre Kopf- und orofaziale, muskuloskelettale oder viszerale Schmerzen.
In der Neuauflage des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-V) wurde die neue Diagnosekategorie „Somatische Belastungsstörung“ eingeführt, bei der nicht mehr zwischen medizinisch unerklärten und erklärten körperlichen Symptomen unterschieden wird. Damit werden die bisherigen somatoformen Störungen als eigenständige Störungsgattung infrage gestellt. Stattdessen wurden erstmals als Ergänzung drei psychologische Diagnosekriterien eingeführt: (1.) übertriebene und anhaltende Gedanken über die Ernsthaftigkeit der Symptome, (2) anhaltend hohes Angstniveau bezogen auf Gesundheit oder Symptome, (3) exzessiver Zeit- und Energieaufwand bezüglich der Symptome oder Gesundheitssorgen.
Ersatzlos gestrichen wurden die bisherigen Diagnosen Somatisierungsstörung, undifferenzierte somatoforme Störung und Schmerzstörung.
Diagnostische Kriterien chronisch primärer Schmerzen nach ICD-11
Chronische primäre Schmerzen sind Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die
A) länger als 3 Monate anhalten oder wiederkehren,
B) und mit einer signifikanten emotionalen Belastung oder einer signifikanten Funktionsstörung einhergehen (mit Auswirkung auf die Alltagsfunktionen oder die Teilhabe am sozialen Leben)
C) und die nicht besser durch einen anderen chronischen Schmerzzustand erklärt werden können.
Diagnostische Kriterien der Somatischen Belastungsstörung nach DSM-5
Eine somatische Belastungsstörung ist definiert durch Vorliegen von:
A) einem oder mehreren körperlichen Symptomen, die belastend sind oder zu Störungen des Alltagslebens führen,
B) psychologischen Merkmalen (mind. 1):
(1) übertriebenen und anhaltenden Gedanken über die Ernsthaftigkeit der Symptome,
(2) anhaltend hohem Angstniveau bezogen auf Gesundheit oder Symptome,
(3) exzessivem Zeit- und Energieaufwand bezüglich der Symptome oder Gesundheitssorgen;
C) persistierender Symptombelastung (meist > 6 Monate)
Spezifizierungen:
• mit Schmerz im Vordergrund
• persistierend > 6 Monate mit schweren Symptomen und erheblichen Beeinträchtigungen
Im Umgang mit Schmerzpatienten sind neben der klassischen „somatoformen Schmerzstörung“ und der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ insbesondere die im Folgenden kurz beschriebenen Störungen des somatoformen Formenkreises relevant.

Somatisierungsstörung

Von der somatoformen Schmerzstörung zu unterscheiden ist die Somatisierungsstörung. Charakteristisch sind hierbei multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die – gemäß ICD-10 – über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren bestehen müssen. Die Schmerzen sind dabei Teil einer im zeitlichen Verlauf und in der Lokalisation wechselnden Beschwerdesymptomatik, die neben dem Schmerz auch Sensibilitätsstörungen, vegetative Störungen und sexuelle Funktionsstörungen einschließen kann. Die meisten Patienten mit Somatisierungsstörungen haben – definitionsgemäß – bereits eine lange und komplizierte Patientenkarriere hinter sich. Die Symptome können auf jedes Körperteil und Organ bezogen sein und sind häufig mit einer Störung des psychosozialen Umfeldes verbunden.
Eine Somatisierungsstörung ist keine Simulation (bewusste Vortäuschung von Symptomen) und sollte dem Patienten, sofern nicht ein konkreter Anhalt hierfür besteht, niemals als solche unterstellt werden.
Eine undifferenzierte Somatisierungsstörung liegt vor, wenn das klinische Bild einer Somatisierungsstörung nicht vollständig erfüllt ist oder die Symptome noch nicht länger als zwei Jahre bestehen.

Hypochondrische Störung

Bei der hypochondrischen Störung sind es nicht die Beschwerden selbst, die den Patienten leiden lassen, sondern die Angst vor einer schweren körperlichen Erkrankung. Charakteristisch ist die beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheit zu leiden. Allgemeine Körperwahrnehmungen werden von dem betreffenden Patienten oft als abnorm und belastend interpretiert. Hypochondrische Störungen stehen in keinem direkten Zusammenhang mit Schmerzsymptomen. Angstbedingt kann es sekundär jedoch zu Muskelverspannungen und dadurch zu myofaszialen Schmerzen kommen. Bei Patienten mit hypochondrischen Störungen ist im Gegensatz zur Somatisierungsstörung die Aufmerksamkeit meist nur auf ein oder zwei Organe (oder Organsysteme) fokussiert.

Somatoforme autonome Funktionsstörung

Beziehen sich die vom Patienten geschilderten Beschwerden auf Organe des Vegetativums (kardiovaskuläre, gastrointestinale, respiratorische oder urogenitale Beschwerden), so spricht man von einer somatoformen autonomen Funktionsstörung. Funktionelle Syndrome im Bereich der autonom innervierten Organe können mit Schmerzen einhergehen. In Abgrenzung zur somatoformen Schmerzstörung steht jedoch die Dysfunktion der vegetativ innervierten Organe im Vordergrund, die Schmerzen sind die Folge dieser autonomen Störung.
Diagnostisch lassen sich hierbei oftmals „objektivierbare“ Beschwerden, die auf Symptomen der vegetativen Stimulation beruhen (wie etwa Herzklopfen, Schwitzen, Erröten, Zittern), von eher unspezifischen subjektiven Beschwerden (wie flüchtige Schmerzen, Brennen, Schweregefühl, Brustenge) unterscheiden. Somatoforme autonome Funktionsstörungen sind Krankheitsbilder wie das Hyperventilationssyndrom, die Herzangstneurose oder das Colon irritabile. Funktionelle gastrointestinale Störungen können international noch einmal spezifisch nach der sog. Rom-Klassifikation eingeteilt werden (Palsson et al. 2016). Die aktuelle Fassung (ROM-IV) unterscheidet hierbei systematisch in Erkrankungen des Ösophagus, des Gastroduodenums, des Darms, in funktionelle abdominelle Schmerzen, funktionelle Störungen der Gallenwege und des Anorektums.

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

Als anhaltende somatoforme Schmerzstörung bezeichnet man somatoforme Störungen mit dem Leitsymptom starke Schmerzen. Im Mittelpunkt des klinischen Bildes steht ein andauernder schwerer und quälender Schmerz, der in zeitlicher (!) Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auftritt und der sich durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht hinreichend erklären lässt. Eine Mindestdauer von sechs Monaten wird in den neueren Definitionen nicht mehr zwingend gefordert.
Die zeitliche Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen ist per definitionem eine Grundvoraussetzung für die Diagnose.
Chronische Schmerzerkrankungen, bei denen psychosoziale Faktoren nicht wesentlich für Beginn, Schweregrad oder Aufrechterhaltung der Schmerzen verantwortlich sind, stellen somit keine somatoformen Schmerzstörungen dar!
Nach dieser Definition sind Schmerzsyndrome, die primär auf Grundlage von Muskelverspannung entstehen, nicht den somatoformen Schmerzstörungen zuzurechnen. Schmerzzustände mit vermutlich psychogenem Ursprung, die im Verlauf depressiver Störungen oder einer Schizophrenie auftreten, sollten ebenfalls von der somatoformen Schmerzstörung abgegrenzt werden.

Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

Liegt den Schmerzen eine eindeutige körperliche Störung als Ausgangspunkt vor, kann jedoch diese Störung nicht alleine Art und Ausmaß der Symptome, das Leiden oder die emotionale Beteiligung des Patienten hinreichend erklären, so spricht man (nach einem Zeitraum von mehr als sechs Monaten) von einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Die psychischen Faktoren haben hierbei eine wichtige Bedeutung für Schweregrad und Aufrechterhaltung der Schmerzen, sie sind jedoch nicht ursächlich für deren Beginn. Eine ausführliche Kodierhilfe für diese Diagnose findet sich bei Nilges und Rief (2010).

Epidemiologie

Somatoforme Schmerzstörungen sind ein häufiges Phänomen. Mit einer Lebenszeitprävalenz von 12,9 % (Meyer et al. 2000) gehören somatoforme Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz neben depressiven und Angsterkrankungen zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt. In Allgemeinarztpraxen und universitären Schmerzambulanzen liegt der Anteil mit bis zu 30 % entsprechend höher (Barsky et al. 2005). Bis zur psychosomatischen Abklärung und endgültigen Diagnosestellung müssen durchschnittlich fast 10 Jahre vergehen und 10 verschiedene Ärzte konsultiert werden (Egle et al. 2000). Mehrfachdiagnostik, häufige Hospitalisierung und Krankheitstage verursachen enorme Kosten für die Sozialversicherungssysteme. Patienten mit einer Somatisierungsstörung gehören zu den sog. „high utilizern“ des Gesundheitsversorgungssystems (Henningsen et al. 2002).
Im Durchschnitt sind die Patienten vor Diagnosestellung 20 Wochen krankgeschrieben, und über die Hälfte dieser Patienten war deshalb bereits im Krankenhaus. Die Komorbidität von somatoformen Störungen mit depressiven Störungen liegt bei 75–90 %, der Anteil der Angststörungen beträgt dabei zwischen 10 und 70 %. Über 80 % der Patienten nehmen Schmerzmittel ein, für die es bei dieser Erkrankung keine Indikation gibt (Egle et al. 2005).

Erklärungsprinzipien und Krankheitsmodelle

Somatoforme Schmerzstörungen lassen sich für gewöhnlich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen. Vielmehr geht man von einem wechselseitigen Interaktionsmuster verschiedenster biologischer, seelischer und sozialer Faktoren aus, wobei sicherlich auch genetische Faktoren eine Rolle spielen (Abb. 1). Die ätiopathogenetischen Faktoren lassen sich einem mehrphasigen Entstehungsmuster zuordnen:
  • genetische und epigenetische Faktoren können über multiple Interaktionsmuster Prädispositions- und Protektionseigenschaften hinsichtlich der Entwicklung somatoformer Störungsbilder beeinflussen.
  • Die Balance von kindlichen Belastungsfaktoren und Ressourcen beeinflusst die spätere Vulnerabilität.
  • In späteren Lebensphasen entsteht – ausgelöst durch psychosoziale Belastungssituationen, Traumata oder Krankheit – die somatoforme Schmerzstörung.
Zentrale Bedeutung bei der Entstehung und Aufrechterhaltung somatoformer Störungen nehmen – per definitionem – psychosoziale Belastungsfaktoren ein. Obwohl die Pathologie somatoformer Schmerzen überwiegend auf der Ebene der zentralen Schmerzmodulation stattfindet, werden aufgrund der engen psychosomatopsychischen Vernetzung die Schmerzen vom Patienten selbst ursächlich somatisch und peripher lokalisiert. Es gibt inzwischen gute Evidenz, dass psychosoziale Stressoren bei den Betroffenen zu einer zentralen myofaszialen Schmerzaugmentation führen (Tesarz et al. 2015), d. h. Reize aus Muskeln, Sehnen und Bindegewebe werden sowohl schneller als schmerzhaft wahrgenommen, als auch neigen sie dazu, schneller zu sensibilisieren und zu chronifizieren (Tesarz et al. 2016). Erschwerend kann es aufgrund psychosomatischer Verkettungen zusätzlich sekundär zur Ausbildung myofaszialer Schmerzsyndrome kommen. Hierbei führt chronischer Stress über Angst und verstärkter Wahrnehmung körperlicher Symptome zu einem Teufelskreis, bestehend aus muskulären Anspannungen und Fehlsteuerungen innerer Organe, was wiederum zu körperlichen Reaktionen, Angst und verstärkte Wahrnehmung führt. Auch können sich körperliche Beschwerden als Folge seelischer Konflikte über das vegetative Nervensystem und die Regulation des Muskeltonus direkt in Körpersymptomen ausdrücken.
Diese sekundären myofaszialen Schmerzen (lokalisiert, wechselhaft und oftmals bewegungsabhängig) sind nicht mit der somatoformen Schmerzsymptomatik („diffuser, kaum beeinflussbar Dauerschmerz“) gleichzusetzen!
Schlüsselmechanismen im Rahmen somatoformer Schmerzstörungen:
1.
Psychodynamische und behaviorale Prozesse:
  • Konfliktentlastung durch Konversionsprozesse
  • Affektumwandlung in körperliche Spannungszustände
  • Wirksamwerden dissoziierter Traumafolgen
  • Unsichere Bindungsstile
  • Lernvorgänge (v. a. operante Konditionierung, soziale Verstärkung)
 
2.
Zentralnervöse Prozesse der Schmerzsensibilisierung und -chronifizierung: Psychosoziale Stressoren führen zur Induktion neuroplastischer Prozesse, welche die Verstärkung, Chronifizierung und Generalisierung von Schmerzen begünstigen.
 
3.
Muskeltonussteigerung und vegetative Erregung: Chronischer Stress führt zu Anspannungen oder Fehlsteuerungen innerer Organe.
 
4.
Gesteigerte Wahrnehmung körperlicher Symptome: Ein Teufelskreis von körperlichen Reaktionen, Angst und verstärkter Wahrnehmung körperlicher Symptome.
 
Ergänzend zu den primär auf vegetativer Dysregulation und Steigerung des Muskeltonus beruhenden Theorien gibt es verschiedene psychodynamische und behaviorale Erklärungsansätze, welche auf die Induktion und Entwicklung der Beschwerden fokussiert sind.

Prinzip der Konfliktentlastung durch Konversion

Auf der Hypothese basierend, dass durch körpersprachlich ausgedrückte Symptome eine intrapsychische Konfliktentlastung stattfinden kann, geht man beim Konzept der Konfliktentlastung davon aus, dass sich seelischer Schmerz in körperlichem Schmerz ausdrückt (Egle und Hoffmann 1993). Entsprechend dem Konversionsmechanismus nimmt man dabei unbewusste innere Konflikte an, die durch ein körpersprachlich dargestelltes (Schmerz-)Symptom entlastet werden.
Das (Schmerz-)Symptom drückt in diesen Fällen symbolisch einen Konflikt aus, weshalb früher auch der Begriff der „Ausdruckskrankheit“ verwendet worden ist.

Prinzip der Affektumwandlung in körperliche Spannungszustände

Beim Konzept der (nichtkonvertierten) Umwandlung von Affekten in körperliche Spannungszustände geht man davon aus, dass sich ein primär körperlich erlebter Affektdruck in Form von psychovegetativen Spannungszuständen manifestiert. Schmerzentstehung und mögliche organische Läsionen (z. B. Bandscheibenprolaps) wären hier unmittelbare Folge der anhaltenden Muskelkontraktionen. Das Prinzip der Affektumwandlung ist weniger für die somatoforme Schmerzsymptomatik selbst als vielmehr für sekundäre myofasziale Schmerzsymptomatiken als Komorbiditäten bei somatoformen Schmerzsyndromen relevant.

Prinzip des Wirksamwerdens dissoziierter Traumafolgen

Da traumatische Ereignisse in der Vorgeschichte einen Risikofaktor für chronische Schmerzzustände darstellen, geht man davon aus, dass das Wirksamwerden dissoziierter Traumafolgen bei der Schmerzentstehung ebenfalls eine Rolle spielt. Man nimmt an, dass die Dissoziation einen Bewältigungsversuch des „Nichtaushaltbaren“ darstellt, indem der nichtaushaltbare Gehalt dissoziiert und damit der direkten Verfügbarkeit des Bewusstseins entzogen wird. Plötzlich auftretende Schmerzzustände werden dabei als unvermittelte Wiederbelebung einer implizit abgespeicherten Erinnerung an reale Schmerzen im Zusammenhang mit zurückliegenden traumatischen Erlebnissen verstanden.

Bindungskonzepte zur Schmerzchronifizierung

Ein weiteres Prinzip, welches insbesondere im Zusammenhang mit der Schmerzchronifizierung diskutiert wird, ist das Bindungskonzept. Die auf J. Bowlby beruhende Bindungstheorie unterscheidet vier Typen:
1.
sicher,
 
2.
unsicher-abweisend,
 
3.
unsicher-ängstlich und
 
4.
besitzergreifend-ambivalent gebunden.
 
Nach Egle und Hoffmann (1993) sind vor allem die unsicher gebundenen Patienten für eine Chronifizierung ihrer Schmerzsymptomatik anfällig.

Prinzip der Lernvorgänge

Ebenfalls bedeutsam sind Lernvorgänge wie das operante Konditionieren und das Prinzip der sozialen Verstärkung in ihrer fördernden Funktion bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Symptomen. Sowohl aus psychodynamischer als auch aus behavioraler Sicht besitzen diese Faktoren eine wichtige Bedeutung im Rahmen der Schmerzchronifizierung und -amplifizierung.

Diagnostik

Die Diagnose einer somatoformen Störung mit dem Leitsymptom Schmerz erfordert zunächst eine sorgfältige somatische Ausschlussdiagnostik. Hierbei muss neben nozizeptiven Ursachen insbesondere auch an die Möglichkeit eines neuropathischen Schmerzgeschehens gedacht werden. Neuropathische Schmerzen entstehen durch direkte (mechanische, metabolische, toxische) Schädigung afferenter Nerven des peripheren oder zentralen Nervensystems und manifestieren sich klinisch charakteristischerweise durch spontane, brennende und einschießende Schmerzen.
Auch ist die Ausbildung sekundärer myofaszialer Schmerzen zu berücksichtigen. Durch psychosomatische Verkettungen (z. B. Schonhaltung, Verspannungen, Bruxismus) kommt es zusätzlich zur Ausbildung von dysfunktionalen Bewegungsmustern und Fehlhaltungen. Folge sind Symptomkomplexe wie temporomandibuläre Dysfunktionen (TMD), atypische Gesichtsschmerzsyndrome (z. B. nasopharyngeales, orbitotemporales oder laryngomediastinales Gesichtsschmerzsyndrom), Myogelosen. Im Gegensatz zum „typisch somatoformen Schmerz“, welcher diffus und durch Bewegung oder Analgetika kaum beeinflussbar ist, sind „typisch myofasziale Schmerzen“ meist bewegungsabhängig (auf bestimmte Bewegungen beschränkt, Bewegungseinschränkung in eine Richtung) und zeitlich schwankend (z. B. nachts geringer) (Tab. 3).
Tab. 3
Schmerzcharakter bei somatoformen, myofaszialen und neuropathischen Schmerzen
 
Somatoform
Myofaszial
Neuropathisch
Lokalisation
• Diffus
• Multilokulär
• Gesicht, Extremitäten, Abdomen, Urogenitalbereich
• Myofasziale Triggerpunkte
• Tendenz zur Übertragung („Referred-Pain-Phänomen“)
• Meist begrenzt auf das Innervationsgebiet eines Nerven
Schmerzcharakteristik
• Dauerschmerz wechselnder, zumeist hoher Intensität
• Geringe Beeinflussbarkeit (Medikamente, Bewegung)
• Wechselhafte Schmerzsymptomatik
• Bewegungsabhängigkeit
• Reißend-krampfender oder drückender Charakter
• Schlechte Lokalisierbarkeit
• Spontanschmerz, brennender Charakter
• Einschießende, stechende Schmerzattacken
• Evtl. kombiniert mit Kribbelparästhesien, Dysästhesien
Schmerzschilderung
• Scheinbar wenig beeinträchtigt trotz starker Schmerzen
• Affektive, mitunter appellative Schmerzschilderung
• Hoher Leidensdruck
• Funktionelle Beeinträchtigung
• Häufig begleitet von Negativsymptomen (d. h. Ausfall/Abschwächung von anderen sensorischen Qualitäten)
Referred-Pain-Phänomen: Der Schmerz wird nicht am Ort der Läsion, sondern unter Umständen in großer Entfernung davon empfunden
Im Rahmen der Diagnostik somatoformer Schmerzstörungen ist die Gefahr einer iatrogenen Schädigung des Patienten ein wichtiger Aspekt. Neben den potenziell negativen Folgen von eingreifenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sind die Somatisierung und Pathologisierung aufgrund pseudopathologischer Befunde, welche die eigentlichen Beschwerden des Patienten nicht ausreichend erklären können, zu berücksichtigen. Ausdrücke wie z. B. eine „verschlissene Wirbelsäule“ und „multiple Bandscheibenvorfälle“ können in dieser Patientengruppe zur Schmerzamplifizierung und zu psychosozialen Chronifizierungsprozessen führen. Die Anforderung im Umgang mit somatoformen Schmerzpatienten ist daher, die richtige Dosis an Diagnostik zu finden.
Einerseits dürfen relevante somatische Differenzialdiagnosen nicht übersehen werden, andererseits muss eine iatrogene Somatisierung und Pathologisierung vermieden werden.
Neben der somatischen Diagnostik ist die psychosoziale Evaluation das zweite Standbein bei der Abklärung somatoformer Schmerzstörungen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Gesamtdiagnostik stets als Simultandiagnostik somatischer und psychosozialer Bedingungsfaktoren gleichzeitig erfolgen sollte, da ein gestuftes Vorgehen mit zunächst Abwarten der somatischen Ausschlussdiagnostik und anschließender weiterführender psychologischer Abklärung eine vorschnelle „Psychologisierung“ und „Psychiatrisierung“ der Patienten begünstigen kann.
Da – per definitionem – eine psychosoziale Belastungssituation, ein kritisches Lebensereignis oder eine innere Konfliktsituation im zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn der Schmerzsymptomatik nachweisbar sein muss, sollte bei Verdacht auf eine somatoforme Störung immer eine sorgfältige psychosoziale Diagnostik erfolgen. Neben den aktuellen Affekten und psychischen Konflikten sollten hierbei auch biografische Belastungen sowie soziale und kulturelle Faktoren berücksichtigt werden.
Stets sollte auch eine psychologische „Umfelddiagnostik“ integriert werden, da sich häufig psychische Komorbiditäten bei Erkrankungen des somatoformen Formenkreises finden lassen.
Vor allem sollte die Triade aus somatoformer Störung, Angst und Depression berücksichtigt und abgeklärt werden.

Differenzialdiagnostik

Angst, Depression, posttraumatische Belastungsstörung
Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind andere psychische Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz. Zu nennen wäre hier die posttraumatische Belastungsstörung, bei der sich charakteristischerweise ein Wiedererleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen finden lässt. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf.
Auch bei depressiven Störungen kann Schmerz ein Leitsymptom sein. Jedoch müssen zur Diagnosestellung noch weitere Kriterien der Depression (nach ICD-10) erfüllt sein. Um relevante Komorbiditäten nicht zu übersehen, reichen oftmals bereits einfache Fragen.
Screening-Fragen, um eine Depression nicht zu übersehen, sind:
  • Haben Sie sich während des letzten Monats oft niedergeschlagen, deprimiert oder hoffnungslos gefühlt?
  • Haben Sie im vergangenen Monat darunter gelitten, dass Sie zu wenig Interesse oder Spaß an Dingen haben?
Werden beide Antworten mit „ja“ beantwortet, sollten die Patienten auf das mögliche Vorliegen einer Depression näher untersucht werden.
Auch eine kurzes Screening hinsichtlich bestehender Ängste hat sich als wertvoll erweisen:
  • Ängstigen Sie sich in den letzten Tagen mehr als üblich?
  • Haben Sie übermäßige Furcht vor bestimmten Dingen?
  • Befürchten Sie, ernsthaft krank zu sein?
Ebenso dürfen funktionelle Schmerzsyndrome (z. B. Lumbalgie, Spannungskopfschmerz, temporomandibuläre Störungen) in Kombination mit psychischen Begleiterkrankungen (Depression, Angststörung, Persönlichkeitsstörung) nicht als somatoforme Schmerzstörung fehldiagnostiziert werden (Abb. 2).
Eine besondere Herausforderung erscheint oftmals die diagnostische Einordnung des Fibromyalgiesyndroms. Unter der Diagnose einer Fibromyalgie können sich potenziell alle genannten Störungsbilder verbergen. Aus diesem Grund sollte gerade bei diesen Patienten eine kritische Diagnosestellung erfolgen, um so gegebenenfalls eine differenziertere Indikationsstellung und therapeutische Interventionen zu ermöglichen.

Therapie

Die therapeutische Basis der Behandlung somatoformer Störungen ist die korrekte Diagnose. Steht die Diagnose und ist eine sorgfältige Umfelddiagnostik erfolgt, so sollte neben einer adäquaten Patientenführung die vorsichtige Bahnung einer psychotherapeutischen Anbindung angestrebt werden. Denn im Unterschied zu Patienten mit chronischen „nichtsomatoformen“ Schmerzen wird bei Patienten mit somatoformen Schmerzen die Psychotherapie als Therapie der ersten Wahl empfohlen.
Durch den hohen Leidensdruck der Patienten mit somatoformen Schmerzstörungen entsteht in der primärärztlichen Versorgung oft ein hoher Druck zu weiteren invasiven diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen (z. B. Operationen). Die Verhinderung bzw. kritische Hinterfragung derartiger nicht indizierter Maßnahmen, ggf. auch durch Rücksprache mit den beteiligten Kollegen, ist daher ein wichtiger Aspekt.
Eine Schlüsselposition besitzt die hausärztliche Behandlung. Hier sollte unnötige Diagnostik verhindert und darauf geachtet werden, dass regelmäßige Gesprächstermine wahrgenommen, Entspannungstechniken vermittelt sowie nichtüberfordernde körperliche Aktivitäten umgesetzt werden.
Das übergeordnete Ziel ist es, eine bestmögliche Lebensqualität zu erreichen (sog. psychosomatische Grundversorgung).
Generell gilt bei der Behandlung somatoformer Störungen, dass passive Maßnahmen, wie Injektionen, Massagen oder Operationen, weniger effektiv sind als „aktive“ Behandlungsformen, wie Psycho- und Physiotherapie, die eine aktive Mitarbeit der Patienten voraussetzen. Die Anleitung und Motivation zu einem angemessenen Maß an Aktivierung, z. B. in Verbindung mit körpertherapeutischen Maßnahmen, hat sich daher als hilfreich erweisen.
Eine individuelle Patientenedukation mit einer gestuften Bahnung einer psychotherapeutischen Anbindung ist neben der adäquaten Patientenführung die 2. Säule der Therapie.
Bei unkomplizierten somatoformen Schmerzstörungen eignen sich Informationen über das Krankheitsbild und Beratung zur Aktivierung statt Schonung sowie gegebenenfalls symptomatische Maßnahmen. Bei komplizierten Störungen sollte die Behandlung neben den oben genannten Maßnahmen psychoedukative Elemente wie die Aufklärung über das dysfunktionale Krankheitsverhalten enthalten. Die Vermittlung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells und die gestufte Bahnung von einem somatopsychisch zu einem psychosomatisch orientierten Krankheitsverständnis sollte angestrebt werden, um so mittel- oder langfristig eine spezifische psychotherapeutische Anbindung zu erreichen. Denn die Psychotherapie ist bei Patienten mit somatoformen Schmerzen die Therapie der ersten Wahl (Tab. 4).
Tab. 4
Allgemeine Behandlungsprinzipien somatoformer Schmerzstörungen: „NUR3SE“
„Naming“
Diagnose
Stellung einer korrekten, unzweideutigen Diagnose einschließlich assoziierter somatischer/psychiatrischer Komorbiditäten
„Understanding“
Verständnis
Tolerante Annahme des Somatisierungsverhaltens des Patienten
„Realism“
Realismus
Formulierung realistischer Therapieziele und Vermeidung der Illusion einer vollständigen Heilung
„Regular visits“
Anbindung
Regelmäßige adäquate medizinisch-ärztliche Basisuntersuchung
Abraten von Doktor-Shopping und Polypharmazie, stattdessen Anbindung an einen hauptverantwortlichen Arzt
„Ressources“
Ressourcenaktivierung
Bestärkung von adaptiven Verhaltensweisen und Fertigkeiten, Aktivierung von Ressourcen
„Surrounding field“
Umfelddiagnostik
Somatoforme Triade berücksichtigen: Behandlung der somatoformen Komorbiditäten von Angst und Depression
„Education“
Edukation
Somatopsychische Krankheitsmodelle: initial eher das Gesicht wahrende somatische Erklärungen für die körperlichen Beschwerden z. B. durch Rückgriff auf physiologische Korrelate wie Muskelverspannung, Hyperventilation usw. bei zugeordneten Beschwerden; allmähliche Einführung von psychosomatischen Konzepten körperlicher Reaktionen infolge psychosozialer Stresseinflüsse

Prinzipien bei der Patientenführung somatoformer Schmerzpatienten

Neben der Schmerzsymptomatik ist die hartnäckige Forderung nach somatischen Ursachen charakteristisch für Patienten mit somatoformen Schmerzen. Diese Forderungen werden aufrecht erhalten trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherungen der Ärzte, dass die Symptome nicht ausreichend körperlich begründbar sind. Einer psychischen Ursache ihrer Beschwerden stehen die Patienten sehr ablehnend gegenüber. Die Ärzte werden mit schwer leidenden Patienten konfrontiert, und es entsteht auf ärztlicher Seite ein hoher Druck zu weiteren Maßnahmen. Die dabei auftretenden Probleme in der Interaktion zwischen Ärzten und Patienten (Abb. 3) sind auf die drei folgenden wesentlichen Aspekte zurückzuführen (Jablensky 1999):
1.
das Drängen auf Untersuchung und das appellative Verhalten der Patienten,
 
2.
die Unsicherheit der Ärzte, eine verborgene Krankheit zu übersehen,
 
3.
die Diskrepanz in den jeweiligen Ursachenüberzeugungen.
 
Die durch die schwierige Arzt-Patient-Interaktion entstehende Irritation kann bereits als ein früher Hinweis auf eine somatoforme Störung gewertet werden (Benedikt et al. 2005). Im Umgang mit diesen Patienten entstehen beim Behandler häufig Gefühle des Nichtwissens, der Unsicherheit, Hilf- und Hoffnungslosigkeit und Ängste vor einem Scheitern der Behandlung. Hinzukommende Ungeduld, Erschöpfung und Ablehnung des Patienten erschweren die Interaktion.
Dabei ist hervorzuheben, dass das Handeln des Patienten nicht bewusst gesteuert wird. Der Patient trägt dem Behandler idealisierende Erwartungen an und ist zugleich enttäuschungs- und entwertungsbereit. Dem Behandler wird nahegelegt, die Idealisierung anzunehmen und dann an diesen Ansprüchen zu scheitern.
Das Erkennen solcher Interaktionsmuster und die gezielte Kontrolle der daraus entstehenden Übertragungsreaktionen bildet eine wichtige Grundlage bei der Behandlung somatoformer Schmerzpatienten.
Praxisorientierte Empfehlungen zur Patientenführung somatoformer Schmerzpatienten lassen sich auch der aktualisierten Leitlinie „Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden“ entnehmen.

Psychotherapie

Im Unterschied zu Patienten mit chronischen Schmerzen allgemein stellt die Psychotherapie bei Patienten mit somatoformen Schmerzen die Therapie der ersten Wahl dar. Im Fokus stehen hierbei neben der Erarbeitung von erweiterten Erklärungsmodellen auch Anregungen zu einem adäquaten Krankheitsverhalten. Die Wirkung psychodynamischer Therapien auf somatoforme Störungen konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden. Die kognitiven Verhaltenstherapien zeigten sich sowohl in Einzelsitzungen als auch in manualisierten Problemlösegruppen und themenzentrierten Gruppentherapien als effektiv. Bei akuten Schmerzexazerbationen sowie initial zur intensiven Patientenedukation kann auch eine stationäre Psychotherapie indiziert sein.
Insgesamt gibt es wenige systematische Studien, jedoch empfiehlt sich eine gestufte Behandlung („stepped care“) je nach Schweregrad (Henningsen et al. 2007). So bildet die psychosomatische Grundversorgung und regelmäßige Anbindung im Rahmen der Primärversorgung eine wichtige Grundlage. Eine Intensivierung der Behandlung kann durch die Überweisung des Patienten an multidisziplinäre und multimodal arbeitende psychosomatische Tageskliniken und stationäre, integriert arbeitende psychosomatische Einrichtungen erreicht werden.
Am Anfang stehen psychoedukative Elemente wie die Aufklärung über das dysfunktionale Krankheitsverhalten, die Vermittlung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells und die Beratung zu sozialen Einflussfaktoren im Vordergrund. Strategien der Schmerzbewältigung (Identifikation schmerzerhaltender Muster, Entspannung, Aktivierung) können dabei eine wichtige Funktion bei der Motivierung des Patienten haben. Im Verlauf der Therapie sollten dann zunehmend Elemente der Beziehungsarbeit aufgenommen werden.
Veränderungen der ätiologisch relevanten maladaptiven interpersonellen Beziehungsmuster stellen hierbei einen wichtigen Therapiefokus dar.
Bedeutsam ist eine Beachtung der kommunikativen Funktion der Schmerzen, insbesondere der durch die Schmerzen ausgedrückten negativen Affekte.
Weitere foci sind die Verbesserung komorbider psychischer Störungen sowie die Bearbeitung psychischer Konflikte und struktureller Defizite. Das heißt: eine Einschränkung der psychischen Funktion in der Regulierung des Selbst und seiner Beziehung.
Auch wenn es im Rahmen einer Psychotherapie nicht regelmäßig zu einer wesentlichen Minderung der Schmerzintensität kommt, so wird doch oftmals eine Umattribuierung der Schmerzen als weniger schlimm oder bedrohlich in Verbindung mit einem verbesserten Aktivierungsniveau von den Patienten als signifikanter Erfolg erlebt.

Medikamentöse Therapie

Grundsätzlich sollte die medikamentöse Therapie nur bei spezifischer Indikation erfolgen und die Erwartungshaltung von Anfang an relativiert werden.
Ein Charakteristikum medikamentöser Therapien bei somatoformen Störungen ist das gehäuft und intensiv erlebte Auftreten von möglichen Nebenwirkungen. Obsolet ist die Gabe neuer Medikamente bei jedem neuen Symptom. Da ein Medikament schnell verschrieben ist, aber nur zögerlich wieder abgesetzt wird, kommt es tendenziell zu einer Medikamentenanhäufung. Dieses sog. „drug gathering“, d. h. die Akkumulierung verschiedenster Medikamente (NSAIDs, Opiate, Myotonolytika, Psychopharmaka, Tranquilizer), stellt einen besonderen Aspekt der Behandlung dar. Es empfiehlt sich daher, bei Erstverschreibung einen klaren zeitlichen Rahmen zu vereinbaren (i. d. R. drei Monate), sodass nach Ablauf und Evaluation über die weitere Einnahme entschieden werden kann.
Generell abzulehnen sind Tranquilizer, insbesondere Benzodiazepine – wegen der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung –, sowie die alleinige und länger dauernde Verordnung von Psychopharmaka ohne psychotherapeutische Behandlung. Der Einsatz von Tranquilizern wie auch von Neuroleptika wird ausdrücklich nicht empfohlen (Henningsen et al. 2002).
Auch Opioide sind bei somatoformen Schmerzen nicht indiziert, können jedoch im Einzelfall bei Vorliegen von entsprechenden Komorbiditäten (z. B. schwere Arthrose) dennoch erwogen werden.
Wichtig ist es, den Patienten eine selbstkontrollierte („nichtopioide“!) Bedarfsmedikation zu geben, um so den Aspekt, „dem Schmerz ausgeliefert zu sein“, zu mildern.
Bei Verdacht einer Abhängigkeit kann die Umstellung von einer Bedarfsmedikation auf ein festes Einnahmeschema sowie der Entzug von Opioiden sowie Nichtopioidanalgetika sinnvoll sein.
Antidepressiva können eine analgetische Wirkung entfalten (Fishbain et al. 1998). Insbesondere trizyklische Antidepressiva – auch in geringer Dosierung – sind aussichtsreich. Die schlafanstoßende Wirkung der Trizyklika kann bei begleitenden Schlafstörungen zur deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führen. Vorteilhaft bei niedriger Dosis ist, dass die klassischen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder Tagesmüdigkeit vermindert sind. Dies sollte den Patienten mitgeteilt werden, was zur Steigerung der Compliance führt. Die Applikation in Tropfenform (z. B. 8–10 Trpf. Amitriptylin zur Nacht) hat sich aufgrund der individuelleren Dosierbarkeit als günstig erwiesen.

Leitlinien

Für die Versorgung von Patienten mit nichtspezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden direkt oder differenzialdiagnostisch relevante Leitlinien:
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