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Notfallpsychiatrie

Verfasst von: Max Schmauß, Thomas Messer und Gerd Laux
Diagnose und Therapie psychiatrischer Notfälle und Krisen gehören wegen deren Häufigkeit und Bedeutung zum unverzichtbaren Grundlagenwissen. Die Begriffe „Notfall“ und „Krise“ sind nicht scharf voneinander zu trennen. Ein psychiatrischer Notfall ist ein krankheitsbedingter Zustand, der zu unmittelbarem Handeln zwingt. Er erfordert eine sofortige, an der akuten Symptomatik orientierte gezielte Therapie, um Gefahr für die Gesundheit des Patienten und ggf. anderer Personen abzuwenden. Die wichtigsten psychiatrischen Notfälle sind: akute Suizidalität, akute Unruhe- und Erregungszustände, Angststörungen, Bewusstseinsstörungen, delirante Syndrome/Verwirrtheitszustände, Stupor und Katatonie, Intoxikationen und andere substanzbedingte Störungen. Die psychiatrische Krise ist weniger durch direkte vitale Bedrohung gekennzeichnet als durch das Fehlen oder das Zusammenbrechen individueller und/oder sozialer Bewältigungsstrategien im Rahmen belastender Krankheits- bzw. Umgebungsbedingungen. Die psychiatrische Krisenintervention ist bestrebt, in mehreren Schritten innerhalb von Tagen oder Wochen eine ursächliche Veränderung der zugrunde liegenden Bedingungen zu erreichen. Dazu ist in größerem Ausmaß als beim psychiatrischen Notfall und in Abgrenzung zur „normalen Krise“ auch nichtärztliche professionelle Hilfe erforderlich.

Einleitung

Notfälle im Bereich der Psychiatrie stellen, wie medizinische Notfälle auch, eine akute Gefahr für den Patienten dar, die sofortige Diagnostik und Therapie erfordert. Das Erkennen und die richtige diagnostische Einschätzung sind häufig schwierig, da die Einschätzung in hohem Maße auf dem subjektiven Eindruck basiert. Unspezifische Symptomatologie und ein breites Spektrum möglicher Ursachen bei zumeist geringer Bedeutung oder fehlender Verfügbarkeit objektiver Daten (wie Laborwerte oder Bildgebungsbefunde) machen psychiatrische Notfälle zu einer anspruchsvollen Aufgabe für jeden (Fach-)Arzt (Tab. 1).
Tab. 1
Psychiatrische Notfälle in der präklinischen Notfallmedizin
Absolute Notfallindikation/Notarztindikation
Relative Notfallindikation/keine dringliche Notarztindikation
• Erfolgter Suizidversuch
• konkrete Suizidpläne oder -vorbereitungen
• hochgradiger Erregungszustand
• Aggressivität/Gewalttätigkeit im Rahmen psychischer Erkrankungen
• konkrete Fremdtötungsabsichten im Rahmen psychischer Erkrankungen
• schwere Intoxikation
Delir
• Entzugssyndrome ohne Delir
• Suizidgedanken ohne konkrete Pläne
• Angst und Panik

Epidemiologie

Die Häufigkeit psychiatrischer Krisen und Notfallsituationen wird häufig unterschätzt. In den meisten Kliniken und Krankenhausabteilungen für Akutpsychiatrie erfolgt die Mehrzahl der Aufnahmen in eine stationäre Behandlung notfallmäßig, d. h. ohne vorherige Planung. Der überwiegende Anteil psychiatrischer Notfälle und Krisen entwickelt sich außerhalb klinischer Institutionen und wird in der Regel von Notärzten und Rettungsdiensten versorgt. Unterschiedliche Studien zeigen, dass psychiatrische Notfälle mit bis zu 25 % die zweit- oder dritthäufigste Einsatzursache für den Notarzt sind (Pajonk et al. 2001, 2008; Pajonk und Moecke 2005). Prospektive deutsche Studien bestätigen mit 11,5–12 % die früheren retrospektiven Erhebungen (Pajonk et al. 2001; Pajonk und Moecke 2005).
Für das Management ist es bedeutsam, wann und wo welche ärztliche Fachgruppe (Anästhesie, Innere Medizin, Chirurgie, Psychiatrie) den psychiatrischen Notfall erreicht und betreut (Messer et al. 2015, Abb. 1).
Es ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit psychiatrischer Notfallsituationen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Die möglichen Gründe dafür sind vielfältig:
  • Die Verkürzung vollstationärer psychiatrischer Behandlung (zuletzt auf durchschnittlich 22,4 Tage im Jahr 2012) führt zu einer frühzeitigen Entlassung noch behandlungsbedürftiger und nur teilstabilisierter Patienten.
  • Die ambulante Versorgungssituation ist regional unzureichend und die Verfügbarkeit von Haus- und Fachärzten gering. Als Folge bleiben psychiatrische Erkrankungen unentdeckt und unbehandelt und werden erst auffällig, wenn sich aus ihnen ein Notfall entwickelt.
  • Die Reduktion psychiatrischer Krankenhausbetten geht bis heute mit unzureichenden ambulanten Versorgungsangeboten einher. Die Folgen sind die Häufung von psychiatrischen Notfällen, Krisensituationen, Rückfällen und die Förderung einer Chronifizierung psychischer Erkrankungen.
  • Durch den Anstieg der Lebenserwartung nimmt die Häufigkeit gerontopsychiatrischer Notfallsituationen zu.
  • Die Zunahme der Suchtproblematik (Alkohol, Drogen, Medikamente) erhöht die Zahl der damit verbundenen Krisensituationen.
  • Gestiegene psychosoziale Belastungen in der Bevölkerung (Arbeitslosigkeit, Verschuldung, soziale Isolation, gesellschaftlicher Wandel [Singlehaushalte/Alleinerziehende/Scheidung]) tragen ebenfalls zu einer Zunahme von Krisensituationen bei.
  • Die erweiterten Interventionsmöglichkeiten der somatischen Medizin (z. B. Organtransplantationen, Implantationen von Schrittmachern, Behandlung multimorbider Patienten, Gabe nebenwirkungsreicher Medikamente) führen zu einer erhöhten Gefahr der Überlastung körperlicher, psychischer und sozialer Bewältigungsstrategien.
Im Gegensatz zu somatisch bedingten Notfällen, bei denen für die wichtigsten Krankheiten evidenzbasierte Behandlungsleitlinien vorliegen, beschränkt sich die psychiatrische Notfalltherapie in vielen Bereichen der präklinischen Versorgung auf Expertenmeinungen über allgemeine Behandlungsverfahren und -prinzipien (Pajonk et al. 2001).
Im Jahr 2009 wurden in Deutschland ca. 2,9 Mio. Notarzteinsätze gefahren, die Zahl nimmt seit Jahren kontinuierlich zu (Schmiedel und Behrendt 2011). Mit bis zu 14,7 % sind psychiatrische Notfälle etwa gleich häufig wie neurologische (11–15 %) und traumatologische (9–14 %) Notfälle und damit die zweit- bis vierthäufigste Einsatzursache für den Notarzt (Pajonk und Messer 2009).
Im Notarzt- und Rettungsdienst sind die häufigsten psychiatrischen Notfallsituationen (Pajonk et al. 2008; Sefrin und Ripberger 2008):
Der Anteil von psychiatrischen (Ko-)Erkrankungen in der Notaufnahme somatischer Krankenhäuser liegt zwischen ca. 8 und 32 % (Kropp et al. 2007; Tonn et al. 2006).

Diagnose und Differenzialdiagnose

Die wesentliche diagnostische Maßnahme besteht darin, einen psychiatrischen Notfall überhaupt in Erwägung zu ziehen und ihn zuverlässig zu erkennen. Psychiatrische Notfallsituationen sind selten ein rein medizinisches Problem. In der Regel spielen zusätzliche Persönlichkeitsfaktoren der betroffenen Person, soziale bzw. Umgebungsfaktoren und rechtliche Aspekte eine wesentliche Rolle. Zudem sind neurologische und internistische Erkrankungen sowie unerwünschte Arzneimittelwirkungen in jedem Fall bei der Diagnostik zu berücksichtigen.
In der akuten Situation sind neben der Erhebung eines differenzierten psychopathologischen Befundes grundsätzlich auch eine körperliche Untersuchung und häufig der Einsatz apparativer Untersuchungsverfahren (Laboruntersuchungen, EEG, EKG, bildgebende Verfahren wie kraniale Computertomografie [CCT] oder Magnetresonanztomografie [MRT]) erforderlich.

Grundsätze der psychiatrischen Notfalltherapie

Äußere Bedingungen

Psychiatrische Notfallbehandlung und Krisenintervention wird in unterschiedlichem Rahmen durchgeführt. Vorrangig werden Rettungsdienste und Notfallärzte mit psychiatrischen Notfällen konfrontiert. Psychiatrische Notfälle werden präklinisch in der Regel von Internisten, Anästhesisten oder anderen als Notärzte tätigen Medizinern versorgt. Notärzte verfügen in der Regel nur über geringe Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich psychiatrischer Notfälle und fühlen sich oft bei deren Versorgung überfordert (Pajonk et al. 2004a, b).
Je nach diagnostischem und therapeutischem Anspruch können folgende Voraussetzungen erforderlich sein:
  • interdisziplinär besetztes Team
  • Erreichbarkeit zu jeder Zeit
  • Kenntnisse und Möglichkeiten zum Einsatz von Psychopharmaka
  • Möglichkeiten zur Sicherung des Patienten (eventuell bis zur Fixierung)
  • Ausreichende Sicherheitseinrichtungen für das beteiligte Personal
  • Schnelle Erreichbarkeit einer notfallmedizinischen Einrichtung (z. B. Intensivstation)

Ärztlicher Kontakt zum Patienten

Der ärztliche Kontakt stellt in einer psychiatrischen Notfallsituation den wesentlichen diagnostischen und oft auch therapeutischen Faktor dar. Es sollte grundsätzlich versucht werden, mit dem Patienten ein ärztliches Gespräch zu führen.
Häufig entscheiden die ersten Minuten des ärztlichen Gesprächs bzw. der ärztlichen Kontaktaufnahme mit dem Patienten über das weitere Geschehen, z. B. die Mitwirkung an weiteren diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen. Psychiatrische Notfallsituationen sind häufig durch unbesonnenes Verhalten aller Beteiligten gekennzeichnet. Umso wichtiger ist ein ruhiges, überlegtes, kompetentes und professionelles Auftreten des Arztes. Für den ärztlichen Kontakt ist in jedem Fall ausreichend Zeit erforderlich, auch und gerade wenn schnelles und gezieltes Handeln erforderlich ist. Dem Patienten muss vermittelt werden, dass seine Angaben ernst genommen werden, auch wenn der fehlende Realitätsbezug (z. B. im Rahmen von Wahnsymptomen) ersichtlich ist. Eine Bagatellisierung der Beschwerden sollte vermieden werden.
Bei Interaktion/Kommunikation lassen sich folgende therapeutische Rollen unterscheiden (Rupp 2003):
  • empathisch
  • gegenüberstellend
  • entlastend
  • schützend
Zusätzlich müssen in der Notfallsituation Sicherheitsaspekte beachtet werden:
  • Wahrung einer ausreichenden Distanz während des Erstkontakts
  • Entfernung von Gegenständen, die als Waffen benutzt werden können
  • Sicherung bei Gefährdung Dritter
  • Bereitstellung ausreichender Fluchtmöglichkeiten
Eine unkritische Einschätzung eigener therapeutischer Möglichkeiten des Notarztes kann zu fatalen Konsequenzen führen. Neben dem Kontakt mit dem Patienten ist die Erhebung der Fremdanamnese – soweit möglich – bereits in der aktuellen Situation sinnvoll und für das weitere therapeutische Vorgehen hilfreich. Die sorgfältige Beobachtung des Umfelds gibt wertvolle Hinweise für die Art der Notfallsituation, z. B. Medikamentenvorräte, Flaschenlager oder Fixerset (Hewer et al. 2007).

Psychopharmakotherapie in der Notfallpsychiatrie

Bedingt durch die Besonderheit des Notfalls sind viele Behandlungsempfehlungen nicht das Ergebnis kontrollierter Studien, sondern beruhen auf praktisch-klinischer Alltagserfahrung, der Meinung von Experten oder den Ergebnissen von Konsensuskonferenzen. Die Pharmakotherapie psychiatrischer Notfälle richtet sich vorrangig nach der dominierenden Symptomatik. In vielen Fällen liegt der Schwerpunkt initial auf einer psychopharmakologischen Therapie, deren gezielter Einsatz die Voraussetzung für eine weitere Klärung der Situation schaffen soll. In der Notfallpsychiatrie sollen bevorzugt Medikamente eingesetzt werden, die die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
Das Medikament sollte:
  • dem Therapeuten mit seiner Wirkung und seinen Nebenwirkungen vertraut sein,
  • schnell und sicher applizierbar sein,
  • schnell wirksam und bereits bei erster Dosis effektiv sein,
  • eine große therapeutische Breite besitzen,
  • eine kurze Halbwertszeit haben,
  • geringe oder keine Wechselwirkungsrisiken aufweisen,
  • in verschiedenen Darreichungsformern zur Verfügung stehen,
  • sicher und verträglich sein, v. a. im Hinblick auf die kardiale und respiratorische Sicherheit.
Für den Einsatz in der Notfallpsychiatrie ist es meist ausreichend, folgende Psychopharmaka bereitzuhalten (Berzewski 2009):

Weiterbehandlung

Da psychiatrische Notfall- und Krisensituationen selten durch Notfallmaßnahmen alleine zu lösen sind, muss in der Regel eine spezifische Weiterbehandlung angeschlossen werden. Die Weiterbehandlung kann durch ärztliche oder nicht-ärztliche, ambulante, teilstationäre oder vollstationäre Einrichtungen geschehen. Mögliche Indikationen für die Einweisung in stationäre Behandlung sind in Tab. 2 aufgeführt.
Tab. 2
Indikation zur stationären Behandlung. (Mod. nach Kasper 2006)
Indikation
Beispiele
1. Unklare Diagnose
• Bewusstseinstrübung
• Verwirrtheitszustände
• Erregungszustände
• Rauschzustände
2. Notwendigkeit ständiger ärztlicher Überwachung
• Intoxikationszustände
• delirantes Syndrom
3. Selbstgefährdung (wenn mangelnde sonstige Beaufsichtigungsmöglichkeiten)
• Verwirrtheitszustand
4. Fremdgefährdung
• Drohung oder akute Fremdaggression
• unverantwortliche Teilnahme am Straßenverkehr
• Gefahr des erweiterten Suizids
5. Psychosoziale Gesichtspunkte
• fehlendes oder nicht tragfähiges soziales Netzwerk
• unzumutbare Belastung für Familie oder andere Bezugspersonen
• ärztliche Betreuung nicht gewährleistet

Rechtliche Aspekte

Therapeutische Maßnahmen sind immer nur dann gerechtfertigt, wenn die Einwilligung des Betroffenen nach ordnungsgemäßer Aufklärung vorliegt.
Einwilligungsfähigkeit
Zur rechtsgültigen Einwilligung ist die Einwilligungsfähigkeit erforderlich. Diese ist nur dann vorhanden, wenn der Patient seine gegenwärtige Situation und die sich aus ihr ergebenden Folgen einschätzen kann und wenn er die für die Diagnostik (Folgen und Risiken einer Behandlung bzw. Nichtbehandlung) relevanten Informationen versteht, sie rational verarbeiten und seine Wahl verständlich mitteilen kann (Nedopil 2014). Diese Voraussetzungen sind im psychiatrischen Notfall oft nicht oder nicht ausreichend gegeben. Therapeutische Maßnahmen sind dann nur unter besonderen rechtlichen Voraussetzungen möglich. Neben den schutzwürdigen Interessen des jeweils betroffenen Patienten sind in einem psychiatrischen Notfall häufig auch noch die berechtigten Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit zu berücksichtigen.
Mutmaßliche Einwilligung oder rechtfertigender Notstand
Unaufschiebbare ärztliche Handlungen, die nicht zuvor durch einen Richter oder eine dazu berechtigte Behörde genehmigt werden können, sind unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung oder des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) möglich und straffrei. Der Arzt kann dann von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen, wenn er annehmen kann, dass ein verständiger Kranker in dieser Lage bei angemessener Aufklärung eingewilligt hätte. Hier ist es ebenso wie bei der Annahme eines rechtfertigenden Notstands dringend notwendig, eine sorgfältige Abwägung der möglicherweise widerstreitenden Interessen bzw. Rechtsgüter vorzunehmen. Eine möglichst sorgfältige Dokumentation des Vorgehens ist in jedem Fall erforderlich.

Unterbringung

Die Einweisung in die geschlossene Station einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie kann zur Sicherheit des Patienten oder seiner Umgebung erforderlich sein. Nach den Bestimmungen der Unterbringungsgesetze der Länder (Psychisch-Kranken-Gesetz [PsychKG] oder Unterbringungsgesetz [UBG]) kann eine Unterbringung auch ohne die Zustimmung des Patienten erfolgen. Wesentliche Voraussetzungen für eine Unterbringung ist die unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung durch eine psychische Erkrankung. Nach den PsychKG und den UBG sind freiheitsentziehende Maßnahmen sowohl zum Schutz und Wohl des Patienten als auch zum Schutz der Allgemeinheit möglich. Der Antrag auf Unterbringung kann durch jeden approbierten Arzt gestellt werden. Die Anordnung der Unterbringung kann im Notfall durch die Ordnungsbehörde erfolgen, eine richterliche Entscheidung muss bis zum Ablauf des nächsten Tages stattfinden.

Betreuung

Das am 01.01.1992 eingeführte Betreuungsrecht regelt den Umgang mit volljährigen Patienten, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. Eine Betreuung kann u. a. bei einer Selbstgefährdung im Rahmen einer psychischen Erkrankung eingerichtet werden. Eine eventuell vorliegende Fremdgefährdung wird mit diesen Bestimmungen nicht erfasst. Für die Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen, d. h. Unterbringung in einer geschlossenen Station und Fixierung, ist in jedem Fall die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts erforderlich (§ 1906 BGB). Behandlungen gegen den Willen eines Betreuten konnten nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 (2 BvR 828/09) und zwei Beschlüssen des Bundesgerichtshofs eine Zeitlang nicht durchgeführt werden, weil es für Zwangsbehandlungen einer rechtlichen Grundlage bedarf, die erst mit der neuen Fassung des § 1906 BGB am 26.02.2013 in Kraft trat. Die Neufassung des § 1906 BGB ermöglicht eine Behandlung gegen den Willen des Patienten unter bestimmten Voraussetzungen (Nedopil 2014). Die Anordnung zu einer Unterbringung kann im Eilfall auch ohne die vorherige Bestellung eines Betreuers erfolgen (§ 1846 BGB). In diesen Fällen übernimmt das Gericht die Aufgaben des Betreuers bis zu dessen Bestellung.
Ärztliche Schweigepflicht und Dokumentation
Selbstverständlich gelten die Regeln der ärztlichen Schweigepflicht auch in psychiatrischen Notfall- und Krisensituationen. Gerade in Notfallsituationen ist die Pflicht zur Dokumentation der äußeren Umstände der erhobenen Befunde und der durchgeführten bzw. eingeleiteten Therapiemaßnahmen genau zu beachten (Laux 2003). Zur Dokumentation in der Notfallpsychiatrie gehören:
  • die Dokumentation der äußeren Situation des Notfalls (Art der Benachrichtigung, vorgefundene Situation etc.),
  • ein ausführlicher psychopathologischer Befund, einschließlich unauffälliger Befunde,
  • ein ausführlicher somatischer Befund, einschließlich unauffälliger Befunde,
  • Laborbefunde,
  • Angaben zu bisherigen psychischen Erkrankungen,
  • Angaben aus der Fremdanamnese,
  • die Verdachtsdiagnose,
  • ein Therapieplan,
  • Angaben zu therapeutischen Schritten,
  • Angaben zu rechtlichen Schritten (Freiheitsbeschränkungen, Fixierung, Informationen an Patienten, Ordnungsamt, Polizei etc. mit Uhrzeit),
  • Namen und Telefonnummern von Bezugspersonen.

Häufige psychiatrische Notfälle

Unruhe- und Erregungszustände

Agitiertheit und psychomotorische Unruhe gehören mit einer Prävalenz von bis zu 10 % zu den häufigsten psychiatrischen Notfallsituationen (Battaglia 2005; Zeller und Rhoades 2010). Fast jeder zweite Patient, der in eine psychiatrische Notaufnahme kommt, weist Symptome von Agitiertheit auf (Allen und Currier 2004; Marco und Vaughan 2005).
Unruhe und Agitiertheit können sowohl bei nahezu allen psychiatrischen Erkrankungen, einer Vielzahl somatischer Erkrankungen, Intoxikationen und als Folge einer medikamentösen Behandlung auftreten. Deshalb sollte trotz logistischer Einschränkung schon präklinisch, spätestens aber in der Notaufnahme, eine differenzialdiagnostische Beurteilung vorgenommen werden. Mitunter ist es schwierig, charakteristische Prodromalsymptome, z. B. unterschwellige Gespanntheit oder latente Reizbarkeit, zu erkennen, was insofern bedeutsam ist, als Agitiertheit als wesentlicher Prädiktor für ein späteres aggressives Verhalten und/oder Gewalttätigkeit gilt (Crowner et al. 2005). Wesentliches Ziel des akut agitierten Patienten ist nicht die Kausalbehandlung der zugrunde liegenden psychiatrischen Erkrankung, sondern vielmehr eine rasche und sichere Sedierung („Rapid Tranquilisation“), um die mit der Störung verbundenen Verhaltensauffälligkeiten besser kontrollieren zu können (De Fruyt und Demyttenaere 2004).

Erstkontakt

Während des Erstkontakts sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:
  • Ausmaß und unmittelbare Bedrohung von Personen und Gegenständen durch den Patienten (z. B. Angriff auf Bezugspersonen, Tragen von Waffen im weitesten Sinne, Äußerung über beabsichtige Aggressionen).
  • Maßnahmen, um die Sicherheit von Personal und Bezugspersonen zu gewährleisten.
  • Entschiedenes, koordiniertes Vorgehen des (stationären) Teams (Einsatz mit sechs bis acht Personen, Überwältigung nach Absprache, wer für welchen Körperteil verantwortlich ist), wenn deeskalierende Maßnahmen nicht greifen.
  • Klärung der Bewusstseinslage, da bei Erregten mit eingetrübtem oder verändertem Bewusstsein überraschende aggressive Durchbrüche (Raptus) auftreten können.
  • Reizabschirmung: Den Patienten in eine ruhige und ungestörte Atmosphäre bringen, ihn von Angehörigen oder Bezugspersonen trennen, die ihn begleiten und häufig einen eher irritierenden und die Erregung steigernden Einfluss haben.
  • Abklärung der Bereitschaft zu einem Gespräch und zu einer körperlichen Untersuchung.
  • Ruhe und Zeit für die Exploration sowie eindeutige Vermittlung des geplanten therapeutischen Vorgehens.

Ursachen

Unruhe- und Erregungszustände, die auch mit Aggressivität einhergehen, können vielfältige Ursachen haben (s. Tab. 3).
Tab. 3
Ursachen und Differenzialdiagnosen von Unruhezuständen (Agitation) und Aggressivität
Psychiatrische Ursachen
Neurologische Ursachen
Internistisch-endokrinologische Ursachen
Pharmakologische Ursachen
Häufig
Intoxikationen mit Alkohol oder Drogen, besonders beim komplizierten und pathologischen Rausch, Mischintoxikationen bei Polytoxikomanie
• Entzugssymptome, Delire, Craving bei bestehender Abhängigkeit
schizophrene Psychosen (besonders katatone und paranoid-halluzinatorische Verlaufsform)
• Manie, affektiver Mischzustand, agitiert-depressives Syndrom
akute Belastungsreaktionen im Rahmen schwerer psychosozialer Krisen
Gelegentlich
Demenz
• postkonvulsiver epileptischer Dämmerzustand
• Oligophrenie
Selten
• Autoimmunerkrankungen
• paraneoplastisches Syndrom
• Leber- und Niereninsuffizienz
Selten
• anticholinerg wirkende Substanzen (z. B. trizyklische Antidepressiva, Biperiden, niederpotente Antipsychotika)
• paradoxe Reaktionen bei Hypnotika und Sedativa
Gelegentlich
• akute organische Psychosyndrome und Delire bei unterschiedlichsten Grunderkrankungen
• Angst- und Panikstörungen
• emotional instabile und schizotype Persönlichkeitsstörungen
Selten
• Ischämien
• entzündliche Hirnerkrankungen
• Hirntumor
• zerebrale Gefäßprozesse
• hirnatrophische Prozesse
Selten
• Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen

Diagnostik

Die diagnostische Abklärung ist häufig erschwert infolge der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Patienten, der ungünstigen Umgebungsbedingungen (Rettungswagen, Wohnung, Kneipe etc.) oder des Handlungsdrucks vonseiten der Angehörigen und des Pflegepersonals (Busch 1994; Tardiff 1992). Ist eine körperlich-neurologische Untersuchung nicht möglich und fehlen fremdanamnestische Informationen, kommen differenzialdiagnostisch der Verhaltensbeobachtung, den äußerlich erfassbaren Auffälligkeiten und dem psychopathologischen Befund überragende Bedeutung zu. Wichtig ist der Ausschluss somatischer Ursachen wie Infektionen, Stoffwechselstörungen, Intoxikationen etc. (Marco und Vaughan 2005).
Entsprechend der akuten Gefährdung sind in folgenden Schritten abzuklären:
  • die Vitalfunktionen (Überprüfung von Atmung, Kreislauf)
  • die Bewusstseinslage
  • äußere Erscheinung (Einstichstellen, Kleidung, Verletzungen)
  • die vegetativen Elementarfunktionen (Puls, Atmung, Temperatur, Tremor, Schwitzen, Hautfarbe und -turgor, Pupillen)
  • Kommunikation und Verhalten (Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körpersprache, Feindseligkeit, Drohungen, Beschimpfungen, Distanzlosigkeit, Negativismus, Misstrauen u. a.)
  • das dominierende psychopathologische Befundbild
  • Auffassungsstörungen, zerfahrener Gedankengang
  • Halluzinationen (imperative!), Wahnerleben, Stimmungslage
  • die Abhängigkeit der Symptomatik von Umgebungsfaktoren wie z. B. Angehörigen
  • die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Beaufsichtigung des Patienten
  • Verständnis und Akzeptanz geplanter diagnostischer und therapeutischer Interventionen

Therapie

Bei unmittelbarer Bedrohung sowie konkreter Gewalttätigkeit müssen alle zumutbaren Maßnahmen getroffen werden, um Schaden von der eigenen Person oder von Dritten abzuwenden:
  • Herbeiholen von Hilfen und/oder Polizei,
  • Beseitigung von Gegenständen, die auch als potenzielle Waffen benutzt werden können,
  • Festhalten, Verhindern von Weglaufen,
  • stationäre Einweisung, ggf. Fixierung und Zwangsbehandlung unter Berücksichtigung der entsprechenden rechtlichen Grundlagen.
Die wirkungsvollste Behandlung akuter Unruhe- und Erregungszustände ist eine rasche pharmakologische Sedierung. Viele psychomotorische Unruhe- und Erregungszustände können durch pharmakotherapeutische und deeskalative Maßnahmen behandelt werden, sodass auf physikalische Zwangsmaßnahmen wie Fixierung und Isolierung verzichtet werden kann.
Das therapeutische Management erfordert ein besonnenes, nicht sich selbst überschätzendes multiprofessionelles, aber auch empathisches Auftreten und Handeln. Der Vielfalt psychiatrischer Diagnosen steht eine relativ geringe Anzahl notfallpsychiatrisch relevanter Syndrome entgegen, die sich teilweise überlappen. Deshalb gibt es auch keine spezifischen psychiatrischen Notfallmedikamente. Wenn eine orale Medikation nicht möglich ist oder nicht akzeptiert wird, sollte vorrangig eine i.m.-Injektion erfolgen wegen der sicheren Compliance, der schnellen Injektionsmöglichkeit, einer schnelleren Resorption und einer größeren Bioverfügbarkeit. Lipidlösliche Substanzen wie Diazepam sollten zum Erreichen einer möglichst schnellen Wirkung eher oral oder langsam i.v. verabreicht werden. Tab. 4 gibt eine Übersicht über die medikamentöse Behandlung akuter Unruhe- und Erregungszustände. Grundsätzlich sollte versucht werden, den Patienten zur freiwilligen Einnahme einer oralen Medikation zu bewegen, andernfalls kann notfallmäßig eine parenterale Applikation erfolgen.
Tab. 4
Übersicht über medikamentöse Behandlungsprinzipien bei Erregungszuständen unterschiedlicher Genese
Grundkrankheit
Medikation
Dosierung
1. Schizophrenie und Manie
• Haloperidol
• Levomepromazin
• Olanzapin
• Zuclopenthixol
5–15 mg
50–150 mg
10–20 mg
100 mg
2. Agitierte Depression
Antidepressiva (z. B. Doxepin, Amitriptylin, Trimipramin)
• Mirtazapin
• Chlorprothixen
• Lorazepam
50–75 mg
30 mg
50–150 mg
1–2,5 mg
3. Ängstlichkeit, Erregungszustände Panikattacken
• Diazepam
• Alprazolam
• Lorazepam
• 10 mg
• 1–2 mg
• 1–2,5 mg
4. Symptomatische Psychosen bei körperlichen Allgemeinerkrankungen bzw. bei organisch bedingten Störungen
Internistische Therapie
 
• Haloperidol
2–5 mg
• Pipamperon
40–160 mg
• Risperidon
0,5–1,5 mg
• Lorazepam
0,5–2 mg
Haloperidol
(Cave: dämpfende Pharmaka)
2–5 mg
6. Horrortrip
Diazepam
10 mg
7. Psychogene Erregungszustände
• Diazepam
• Lorazepam
• Olanzapin
5–10 mg
1–2,5 mg
2,5–5 mg
Psychotische Erregungszustände
Das Antipsychotikum Haloperidol gilt trotz unterschiedlicher Leitlinienempfehlungen internationaler Fachgesellschaften nach wie vor als das Standardantipsychotikum in der präklinischen notfallpsychiatrischen Behandlung von Unruhe- und Erregungszuständen, v. a. wenn diese Folge psychotischen Erlebens sind. Allerdings muss bei einer i.v.-Applikation von Haloperidol wegen identifizierter kardiovaskulärer Effekte (erhöhtes Risiko für QTC-Verlängerung und das Auftreten maligner Herzrhythmusstörungen [Torsades des Pointes]) ein kontinuierliches EKG-Monitoring erfolgen.
Obwohl die Verordnungszahlen noch gering sind (Wilson et al. 2014), haben Antipsychotika der 2. Generation in der Pharmakotherapie psychiatrischer Akutsituationen an Bedeutung gewonnen und stellen bereits in vielen Fällen und verschiedenen Subgruppen von Patienten eine sinnvolle Alternative zu Haloperidol bzw. anderen konventionellen Antipsychotika dar. Aripiprazol, Olanzapin und Ziprasidon können wegen ihrer guten Verträglichkeit und ihrer akuten Wirksamkeit bei parenteraler Applikation (i. m.) auch im Notfall zum Einsatz kommen. Dies gilt ebenso für Risperidon, Amisulprid und Asenapin.
Des Weiteren sind gute erregungsdämpfende Effekte von Lorazepam (1–2 mg, ggf. wiederholen, bis zu 8 mg/Tag) beschrieben (Klotz und Laux 1996). Bei rezidivierenden Erregungszuständen im Rahmen akuter schizophrener Psychosen kann auch das Kurzzeitdepotneuroleptikum Zuclopenthixol (100–150 mg i.m.) eingesetzt werden. In der Behandlung manischer Erregungszustände wurden günstige Wirkungen der Benzodiazepine Lorazepam und Clonazepam beschrieben (Hollister et al. 1993).
Agitierte Depressionen
Erregungszustände im Rahmen agitierter Depressionen können mit einem sedierenden Antidepressivum (Doxepin, Amitriptylin, Trimipramin, Mirtazapin) in Kombination mit einem schwach potenten Antipsychotikum (z. B. Chlorprothixen, Pipamerpon, Melperon) bzw. einem Benzodiazepin (Oxazepam, Lorazepam) behandelt werden.
Hirnorganisch bedingte Erregungszustände
Für Erregungszustände bei Demenzen ist die Wirksamkeit von Risperidon (0,5–1 mg) als Initialdosis durch kontrollierte Studien gut belegt (De Deyn et al. 1999; Katz et al. 1999). Olanzapin erwies sich in Dosen von 2,5–5 mg ebenfalls als effektiv. Zu berücksichtigen ist das Risiko zerebrovaskulärer Komplikationen (Ballard und Waite 2006). Zur Behandlung hirnorganisch bedingter Erregungszustände sind Substanzen mit zentral atemdepressorischer Wirkung und mit anticholinerger Wirkung wegen der Kollapsgefahr und der Provokation deliranter Syndrome ungeeignet. Bewährt hat sich Haloperidol in niedriger Dosis (1–2,5 mg oral/i.m.), Pipamperon (40–120 mg oral) oder Melperon (25–50 mg oral) jeweils als Initialdosis.
Alkoholintoxikation
Besonders häufig sind Erregungszustände im Rahmen einer Alkoholintoxikation. Wichtig ist die Abgrenzung von einem Rausch, bei dem eine Störung der Bewusstseinslage, mnestische Lücken sowie ein Terminschlaf vorliegen. Eine seltene, aber klinisch wichtige Sonderform ist der pathologische Rausch. Hierbei treten bereits nach Konsum kleiner Alkoholmengen eine massive Agitiertheit sowie Bewusstseinsstörungen und paranoide Symptome auf. Mit dem Einsatz psychotroper Medikamente sollte man äußerst zurückhaltend sein, da immer mit einer Polyintoxikation gerechnet werden muss. Ferner kann durch eine Alkoholintoxikation eine lebensbedrohliche Komplikation (z. B. subdurales Hämatom nach vorausgegangener Schlägerei, Herzinfarkt u. a.) maskiert werden. Im Vordergrund steht das beruhigende Gespräch, eventuell muss unter Beachtung juristischer Kautelen eine passagere Fixierung erfolgen. Ambulant und bei schwerer Erregung können 2,5–5 mg Haloperidol i.m. gegeben werden, ggf. wiederholt.
Kontraindiziert sind alle atemdepressorisch wirkenden Substanzen wie z. B. Diazepam oder Clomethiazol.
Rauschmittelintoxikation
Psychomotorische Agitiertheit im Rahmen einer Amphetamin-, Ecstasy-, Kokain- und LSD-Intoxikation ist charakterisiert durch starke Unruhe, hochgradige Nervosität und Irritierbarkeit auf Reize mit nachfolgenden Panikreaktionen und explosibler Aggressivität. Das Denken ist beschleunigt bis zerfahren, es fallen Bewegungsstereotypien auf. Infolge maximaler Sympathikusaktivierung finden sich Hyperthermie, Hyperhidrosis, Tachykardie, Hypertonie, Herzrythmusstörungen, Tachypnoe, Nystagmus und Tremor (Kinn et al. 2008, 2009).
Therapie der Wahl ist neben absoluter Ruhe und Reizabschirmung:
  • Diazepam 10 mg oral oder i.v. oder Lorazepam Expidet 2,5 mg oral,
  • zusätzlich bei Hypertonie Gabe von 20–60 mg Propranolol,
  • zusätzlich bei Hyperthermie Eispackungen sowie
  • zur Beschleunigung der Ausscheidung Infusionen mit Ammoniumchlorid sowie
  • eventuell zusätzlich Furosemid.

Akute Suizidalität und selbstschädigendes Verhalten

In Deutschland sterben jährlich ca. 10000 Menschen durch Suizid. Die Suizidquote liegt bei etwa 10,5 pro 1000 Einwohner, wobei die Suizidquote bei Männern deutlich höher ist als bei Frauen. Die Häufigkeit von Suizidversuchen (Parasuizide), bei denen Frauen deutlich überwiegen, wird um ein Vielfaches – 10- bis 25-fach – höher eingeschätzt (Wolfersdorf 2004). Suizidale Gedanken stellen somit ein gravierendes sozialmedizinisches Problem dar. Das Erkennen und die Abschätzung der suizidalen Gefährdung ist eine schwierige Aufgabe. In Tab. 5 sind wichtige Hinweise zur Beurteilung der Suizidalität aufgeführt.
Tab. 5
Beurteilung der Suizidalität. (Nach Wolfersdorf 2004)
Krisenhintergrund
Anzeichen für suizidale Gefährdung
Umstände eines Suizidversuchs
• Vorausgegangenes kränkendes Lebensereignis
• Vorbereitung getroffen; Abschiedsbrief
• Angelegenheiten in Ordnung gebracht; Reden über Suizid
• Weggeben wertgeschätzter Dinge
• gewaltsame Methode, Intoxikation mit Medikamenten, Gift mit hoher Letalität
• Vorkehrungen gegen Entdeckung getroffen
Aktuelle Symptomatik
• Hoffnungslosigkeit
• Selbstanklage, Gefühle von Versagen und Minderwertigkeit
• depressive Stimmung
• ängstliche Agitiertheit und Ruhelosigkeit
• andauernde Schlaflosigkeit
• Gewichtsverlust
• verlangsamtes Denken und Sprechen, Erschöpfung, sozialer Rückzug
• Früherer Suizidversuch
• affektive Erkrankung
Alkoholismus oder/und Substanzmissbrauch
• Verhaltensstörung und Depression bei Heranwachsenden
Demenz und Verwirrtheitszustände bei älteren Menschen
Psychosoziale Vorgeschichte
• Gegenwärtig getrennt, geschieden, verwitwet
• lebt alleine
• arbeitslos; Wechsel oder Verlust der Erwerbstätigkeit
• zahlreiche Lebensbelastungen
• chronische körperliche Krankheit
Persönlichkeitsfaktoren
• Impulsivität, Aggressivität, Feindseligkeit
• kognitive Rigidität und Negativismus
• niedriges und labiles Selbstwertgefühl
• Borderlinestörung oder antisoziale Persönlichkeitsstörung

Behandlung suizidgefährderter Patienten

Zunächst sollte durch ein ausführliches, offen diskretes, aber einfühlsames Gespräch die aktuelle Ursache der Suizidalität geklärt werden. Es gilt, im Gespräch eine Vertrauensbasis aufzubauen.
Um Suizidgefahr abzuwenden, ist es nötig,
  • die zugrunde liegende Krisensituation zu erkennen,
  • das Ausmaß der Krise richtig abzuschätzen und
  • entsprechende Krisenintervention zu betreiben.
Das Krisenmodell geht von einer psychisch unauffälligen Persönlichkeit aus, die bislang ihr Leben meistern konnte. Ein subjektiv nicht zu bewältigen erscheinendes Lebensereignis führt zu einem inneren Spannungszustand mit Panik, Wut, Depressivität, Hilf- und Hoffnungslosigkeit etc. Suizidales Handeln wird dann als eine Möglichkeit angesehen, Spannungen abzuführen und das Feld zu räumen.
Krisenintervention bei Suizidalität
Therapeutisch steht die Krisenintervention mit folgenden Grundprinzipien im Vordergrund:
  • frühe Kontaktaufnahme
  • Zeit zum Sichaussprechen
  • Akzeptieren des suizidalen Verhaltens als Notsignal
  • Suizidgedanken offen, direkt und ernst nehmend erfragen
  • Trauer, Wut etc. zulassen
  • Anlass/Auslöser klären, Kriseninhalte erkennen und ausführlich besprechen
  • Stützung in der emotionalen Situation
  • Erkennen der Grundproblematik
  • Ansprechen von Bindungen (z. B. Familie, Religion)
  • Entpathologisierung von suizidalem Verhalten, Abbau von Scham
  • Verhaltensalternativen erörtern, Zukunftsorientierung
  • Klärung weiterer Therapie, weitere Hilfen, ggf. Einbeziehung der Familie
  • Ausschluss psychischer Erkrankung
  • oft Indikation für stationäre Einweisung (z. B. Rezidivgefahr)
Die Bewältigung einer Krise geschieht üblicherweise durch Nutzung innerer und äußerer Ressourcen in Form der Adaptation an die neue Situation. Akute Suizidalität ist grundsätzlich eine Indikation für eine konsequente Psychopharmakotherapie, basierend auf der orientierenden diagnostischen Zuordnung des Krankheitsbildes und unterstützt durch eine psychotherapeutische Grundhaltung.
Symptomatische Sedierung
Nach Ausschluss von Kontraindikationen (z. B. Intoxikation) erfolgt eine symptomatische Sedierung mit Benzodiazepinen (z. B. Lorazepam 1–2,5 mg, Diazepam 5–10 mg) oder schwachpotenten Antipsychotika (z. B. 50–100 mg Chlorprothixen).

Behandlung bei Depression

Bei Vorliegen einer depressiven Störung sollte ein psychomotorisch dämpfendes Antidepressivum (z. B. Amitriptylin 25 bis 50 mg, Doxepin 25 bis 50 mg oder Mirtazapin 15 bis 30 mg) verordnet werden. Gegebenenfalls Kombination mit einem Benzodiazepin (z. B. 2,5 mg Lorazepam oder 10 mg Diazepam).
Das Suizidrisiko depressiver Patienten ist am höchsten und etwa 15- bis 30-mal höher als das in der Allgemeinbevölkerung. Etwa 15 % aller depressiven Patienten suizidieren sich im Laufe ihres Lebens. Etwa die Hälfte aller Suizide wird von unerkannten oder inadäquat behandelten depressiven Patienten verübt.

Rezidivprophylaxe

Angesichts der hohen Rezidivgefahr suizidalen Handlungen kommt der Prävention spezielle Bedeutung zu. Für affektive Erkrankungen hat die adäquate (Langzeit-)Therapie mit Antidepressiva bzw. Phasenprophylaktika einen wichtigen Stellenwert. Lithium besitzt nach einer Reihe von randomisierten Studien der letzten Jahre sowohl eine antisuizidale wie auch mortalitätssenkende Wirkung (Cipriani et al. 2005). Im Rahmen von Impulskontrollstörungen tritt selbstschädigendes Verhalten v. a. bei Borderlinepatienten auf. Je nach Stand des therapeutischen Prozesses kann es hier notwendig sein, die Symptomatik im Sinne einer verhaltenstherapeutischen Lösung zu ignorieren (Bohus und Lieb 2011). Andererseits kann eine gezielte Bearbeitung über Stellenwert und Funktion des parasuizidalen Verhaltens indiziert sein. Allgemeine Richtlinien zum therapeutischen Prozedere sind hier nicht möglich, da diese auf den individuellen Fall zugeschnitten sein müssen.
In Anbetracht der hohen Rezidivgefahr kommt der stationären und poststationären Versorgung nach Suizidversuch durch einen psychiatrischen Konsiliar- und Liaisondienst eine große Bedeutung zu (Grubich et al. 2007).

Akute Angst- und Panikstörungen

Zur Gruppe der primären Angsterkrankungen gehören die Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, die generalisierte Angststörung, die soziale Phobie, die einfache Phobie, die Zwangserkrankung, die somatoformen Störungen und Hypochondrie, die ängstliche Persönlichkeitsstörung sowie die ängstlichen Anpassungsstörungen. Angststörungen werden dann zum Notfall, wenn die Angstsymptomatik eine Intensität erreicht, in der der Patient das Gefühl hat, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, lebensbedrohlich erkrankt oder hilflos einer fremden Umgebung ausgeliefert zu sein. Es kommt dabei zu panikartigen Verhaltensweisen mit hochgradiger Erregung und Unruhe, die häufig zur Benachrichtigung eines Notarztes führen. Hinter einer „psychogen anmutenden Angstsymptomatik“ können sich lebensbedrohliche Krankheiten wie z. B. Herzrhythmusstörungen, beginnender Schock bei inneren Blutungen oder Intoxikationen verbergen. Deshalb muss eine sorgfältige internistische/neurologische Untersuchung durchgeführt werden. In Tab. 6 sind die häufigsten und wichtigsten Differenzialdiagnosen organischer Angststörungen aufgeführt.
Tab. 6
Differenzialdiagnose organischer Angststörungen. (Mod. nach Berzewski 1996)
Erkrankung
Symptome
Kardiovaskuläre und pulmunologische Erkrankungen
• Arrhythmien/paroxysmale Tachykardie
• Herzinfarkt
• koronare Herzkrankheit
• Asthmaanfall
• hypertone Krise
Endokrine metabolische Störungen
• Hyperparathyreoidismus
• Hypokaliämie
• Karzinoidsyndrom
Neurologische Erkrankungen
• Temporallappenepilepsie
• transitorische ischämische Attacke (TIA)
• Hirnkontusion
• Multiinfarktdemenz
• Tumoren
Andere Erkrankungen: Lupus Erythematodes
• Erythematodes und andere Autoimmunerkrankungen
• innere Blutungen
• akutes Fieber
Die Exploration und Untersuchung sollte in einem ruhigen, reizarmen Raum erfolgen, v. a. in Anbetracht der Unruhe, Ablenkbarkeit, Suggestibilität und Anklammerungstendenz des Patienten. Je nach Untersuchungsbefund und Anamnese muss eine zur Klärung der Genese entsprechende Laboruntersuchung durchgeführt werden.

Therapie der Angststörungen

Die Therapie ist primär ursachenorientiert. Die panische Angstsymptomatik im Rahmen einer Hypoglykämie vermindert sich z. B. eindrucksvoll nach Gabe einer Glukoselösung. Zur Akutkupierung einer Panikattacke können Benzodiazepine wie z. B. Lorazepam (1–2 mg per os), Diazepam oder Alprazolam eingesetzt werden. Bei psychotischen Angstzuständen wird ein Antipsychotikum, eventuell kombiniert mit einem Benzodiazepin, verabreicht.

Bewusstseinsstörungen – delirante Syndrome/Verwirrtheitszustände

Bewusstseinsstörungen sind ein Leitsymptom akuter symptomatischer Psychosen. Sie schließen in der Regel das Vorliegen einer funktionellen Psychose oder einer psychoreaktiven Störung aus.
Die Bewusstseinsstörung ist eine unspezifische Reaktionsweise des Gehirns auf zahlreiche mögliche verursachende körperliche Erkrankungen oder Noxen. Bewusstseinsstörungen werden prinzipiell unterteilt in:
  • Zustände verminderten Bewusstseins (quantitative Bewusstseinsstörungen) und
  • Zustände veränderten Bewusstseins (qualitative Bewusstseinsstörungen).
Zu ersteren gehören Benommenheit, Somnolenz, Sopor und Koma, zu letzteren das Delir (ICD-10 und DSM-5 haben einen erheblich erweiterten Delirbegriff, auch Dämmer- und Verwirrtheitszustand werden unter diesem subsumiert). Das Ausmaß der Bewusstseinsstörung wird üblicherweise mit dem Glasgow-Coma-Index quantifiziert (Augen öffnen, motorische Antwort, verbale Antwort).
In der folgenden Übersicht sind die wichtigsten möglichen Ursachen von Bewusstseinsstörungen dargestellt.
Ursachen von Bewusstseinsstörungen. (Mod. nach Berzewski 1996)
Zerebrale Gefäßveränderungen
Herz-Kreislauf-Störungen
Störungen der Blutzusammensetzung
Zerebral-organische Prozesse
  • Anfallsleiden
  • Enzephalitiden
  • Meningitiden
  • Schädel-Hirn-Traumen
  • Degenerative Hirnerkrankungen
Alkohol
Medikamente (Abhängigkeit)
  • Barbiturate und barbituratfreie Hypnotika
  • Morphinderivate
  • Andere suchterzeugende Substanzen (LSD, Kokain etc.)
  • Lösungsvermittler (Schnüffeln)
Internistische Stoffwechselerkrankungen
Psychogene Bewusstseinsstörungen

Quantitative Bewusstseinsstörungen

Quantitative Bewusstseinsstörungen sind charakterisiert durch verminderte Vigilanz (Wachheit), die mit einer Verlangsamung und Verminderung aller psychischen Partialfunktionen einhergeht. Bei Benommenheit und Somnolenz muss die diagnostische Abklärung im Vordergrund stehen. Psychopharmaka sind hier kontraindiziert. Die klinische Erfahrung zeigt, dass sich diese Zustände unter klinischer Beobachtung relativ rasch zurückbilden, wenn sämtliche Medikamente abgesetzt werden. Leitsymptom der Somnolenz ist die Verlangsamung aller psychomotorischen Funktionen, die verminderte Auffassungsfähigkeit sowie zeitliche und örtliche Orientierungsstörungen. Als Differenzialdiagnosen sind Benzodiazepinabhängigkeit, dissoziative Störungen, eine beginnende Schizophrenie sowie wie eine Narkolepsie zu beachten. Die Therapie beschränkt sich auf die Sicherstellung der regelmäßigen Überwachung der Vitalfunktionen, bis der somnolente Zustand abgeklungen ist.

Dämmerzustände

Zeitlich begrenzte, Sekunden bis Wochen anhaltende Bewusstseinsstörungen, bei denen der Patient handlungsfähig bleibt, werden als Dämmerzustände bezeichnet. Diese treten in erster Linie in Zusammenhang mit Epilepsien auf. Die Patienten bewegen sich „traumwandlerisch“, sie sind „nicht ganz da“, es dominieren verlangsamte automatenhafte Bewegungen und ein versonnen träumerisches Verhalten, das aber abrupt in heftige Erregungszustände, Wut- und Angstanfälle umschlagen kann. Steuerungs- und Urteilsfähigkeit sind vermindert, es können Gewalttaten und sexuelle Enthemmung auftreten. Für die Zeit des Dämmerzustands besteht eine Amnesie. Die Diagnose muss durch EEG und Fremdanamnese gesichert werden, hieran schließt sich die Einleitung einer antikonvulsiven Medikation bzw. die Überprüfung der bisherigen Antiepileptikatherapie an. Bei Erregung kann zusätzlich Haloperidol oder Diazepam verordnet werden.
Wegen der potenziellen Gefährdung der Umgebung und der Unberechenbarkeit der Patienten ist immer die Einweisung in eine psychiatrische Klinik sinnvoll.
Die Abgrenzung von psychogenen Dämmerzuständen kann schwierig sein. Bei Kindern und Jugendlichen ist differenzialdiagnostisch auch an Somnambulismus (Schlafwandeln) zu denken.

Hyperventilationssyndrom

Bei einem Hyperventilationssyndrom wird das Atmen in einen Plastikbeutel sowie die Applikation von 10 mg Diazepam oral oder im./iv. empfohlen. Das Hyperventilationssyndrom kann als typisches Beispiel für einen psychosomatischen Notfall gelten. Therapeutisch sollte die Notfallsituation „dazu genutzt werden“, den Patienten Einsicht in die psychologischen Hintergründe für seine Anfallsentwicklung gewinnen zu lassen.

Psychogene Anfälle

Psychogene Anfälle treten überwiegend in Gegenwart anderer Personen auf und führen praktisch nie zu Verletzungen. Betroffen sind überwiegend jüngere Frauen mit einfacher Struktur oder unterdurchschnittlicher Intelligenz, unter den Bezugspersonen oder Angehörigen finden sich gehäuft Epileptiker. Die persönliche Kenntnis von epileptischen Anfällen und das Erlebnis von Zuwendung und Aufmerksamkeit durch andere können „bahnend“ für die Entwicklung der psychogenen Anfälle sein (sekundärer Krankheitsgewinn).

Delir und Verwirrtheit

Das Delir ist als eine akute, prinzipiell reversible organische Psychose mit unterschiedlicher, meist multifaktorieller Genese definiert. Jedes Delir ist ein potenziell lebensbedrohlicher Zustand, der eine Krankenhausbehandlung erfordert. Das klinische Bild des Delirs (Synonym Verwirrtheitszustand) ist durch Desorientiertheit, ängstliche Erregung, optische Halluzinationen, illusionäre Verkennungen, Suggestibilität sowie starke Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, Auffassung, Konzentrationsfähigkeit und der allgemeinen Kritikfähigkeit charakterisiert. Psychomotorische Störungen, entweder in Form von ausgeprägter Agitiertheit oder psychomotorischer Hemmung und Apathie, sind typisch und treten häufig in raschem Wechsel auf. Fokalneurologische Symptome wie Dysarthrie, Ataxie oder Tremor und vegetative Symptome in Form von Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Hyperhidrose, Hyperthermien, Hypertonie und Tachykardie komplettieren das klinische Bild. Die allgemeine Prävalenz liegt bei 10–20 %, postoperativ und auf Intensivstationen liegt sie deutlich höher (Inouye 2006; Lindesay et al. 2009).
Das Delir lässt sich in eine hyperaktive und eine hypoaktive Form unterteilen, häufig werden Mischformen und Übergänge beobachtet.
Hyperaktives Delir
Das klinische Bild eines hyperaktiven Delirs wird durch Desorientiertheit, Verwirrtheit, ängstliche Erregung, optische Halluzinationen, illusionäre Verkennungen, Suggestibilität und starke Einschränkung von Aufmerksamkeit, Auffassung, Konzentration und Kritikfähigkeit charakterisiert.
Hypoaktives Delir
Das häufigere hypoaktive Delir fällt nicht auf, da die Patienten teilnahmslos und nur eingeschränkt kontaktfähig im Bett liegen. Sie wirken verhangen, in sich gekehrt, abgelenkt oder träumend und nehmen keinen Blickkontakt auf. Der Zustand wird nicht selten bei oberflächlicher Untersuchung als Eigenheit der Persönlichkeit, als natürliche Begleitsymptomatik des internistischen Grundleidens, als Narkosefolge oder als gehemmte Depression fehldiagnostiziert bzw. übersehen. Erst die differenzierte Exploration macht deutlich, dass der Patient an Halluzinationen, illusionären Verkennungen und Orientierungsstörungen leidet. Hypoaktive Delirien sind häufiger durch metabolische Störungen, Exsikkose, hirnorganische Störungen oder anticholinerge Substanzen bedingt. Das Störungsbild entwickelt sich meist innerhalb weniger Stunden oder Tage und weist unbehandelt eine hohe Letalität auf. Die Symptomatik ist oft schnell wechselnd. Delirante Syndrome infolge einer Entzugssymptomatik treten zwischen 48 und 72 h nach Absetzen der Noxe auf. Nach neueren Studien können Delirien v. a. postoperativ im Sinne eines „Durchgangssyndroms“ viel länger dauern (Hewer et al. 2007).
Ätiologie
Differenzialdiagnostisch kommt als Ursache eines Delirs eine Vielzahl von Erkrankungen und Noxen in Betracht, die in Tab. 7 dargestellt sind. Zu den allgemeinen Risikofaktoren zählen das Alter (>65 Jahre), neurodegenerative Erkrankungen, größere Operationen und prolongierte Narkose, sensorische Einschränkungen, Immobilität, Dehydratation und Malnutrition, Multimorbidität und Polypharmazie (Inouye 2006).
Tab. 7
Ursachen von Delirien
Krankheitsgruppen/Ursachengruppen
Krankheiten/Ursachen
Hirnorganische Erkrankungen
Alzheimer Demenz
Zerebrovaskuläre Demenz
Andere Demenzen
Raumfordernde Prozesse
• Hirnödem
Kardiovaskuläre Störungen
Arterielle Störungen
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
Vitaminmangel
• Vitamin B1
• Vitamin B6
• Vitamin B12
Andere Ursachen
Operation
CO-Intoxikation
Blausäure(HCN)-Intoxikation
Hypothermie – Hyperthermie
Ursachen für die oft im Verlauf fluktuierenden, nachts zunehmenden Verwirrtheitszustände sind u. a. Exsikkose, Elektrolytstörungen, Infektionen, Anämie und Umgebungsstressoren (Intensivstation). Der größte Risikofaktor ist das Alter des Patienten. Je älter der Patient, umso schneller und umfassender müssen im Rahmen einer Notfallintervention die möglichen Ursachen identifiziert werden, da zusätzliche Risiken – schlechter Allgemeinzustand, Multimorbidität, Polymedikation, höhere Empfindlichkeit gegen erforderliche Medikationen – zu berücksichtigen sind. Da ein Delir immer eine potenziell vital bedrohende Störung ist, ist stets eine klinische Einweisung zu erwägen. Hier sind die Voraussetzungen einer umfassenden Diagnostik, eines kontrollierten Behandlungsbeginns und einer kontinuierlichen Überwachung gegeben. Vor Beginn einer medikamentösen Behandlung sollte die Ursache des Delirs soweit wie möglich abgeklärt werden. Hierzu sind neben einer internistisch-neurologischen Untersuchung Laborparameter (z. B. Enzymimmunoassay-Schnelltest [EMIT]), ggf. EEG sowie eine genaue Fremdanamnese nötig. Aus therapeutischen Gründen sind zu unterscheiden:
  • das Entzugsdelir,
  • ein durch allgemeinmedizinische Erkrankungen bedingtes Delir,
  • das postoperative Delir,
  • ein zentral-anticholinerges Delir.
Therapie
Eine psychopharmakologische Behandlung – orientiert an Zielsymptomen – ist immer indiziert, jedoch existiert keine spezifische Psychopharmakotherapie. Die Wahl des Medikaments hängt von der zugrunde liegenden Erkrankung, der Art und Schwere des Delirs und der erforderlichen Begleitmedikation ab. Die initiale Behandlung des Delirs kann mit einem Antipsychotikum, z. B. Haloperidol [1–2 mg p.o. oder i.m.] (2- bis 4-stündlich, bis maximal 12–16 mg pro Tag) erfolgen. Gegebenenfalls sollte schweregradabhängig eine Dosiserhöhung erwogen werden (Cavallazzi et al. 2012). Bei älteren Patienten sollte wegen der besonderen Vulnerabilität eine deutlich niedrigere Dosis in Betracht gezogen werden.
Eine Metaanalyse verglich Atypika mit Haloperidol in der Behandlung deliranter Syndrome (Lonergan et al. 2007). Es wurden allerdings nur zwei Studien (Olanzapin, Risperidon, Placebo) gefunden, die auswertbare Ergebnisse erbrachten. Atypika waren einer niedrig dosierten Haloperidoltherapie (< 3 mg/Tag) weder bezüglich Wirksamkeit noch Verträglichkeit überlegen, bei höheren Haloperidoldosen (> 4,5 mg/Tag) war das Risiko für die Entwicklung eines extrapyramidalen Syndroms (EPS) erhöht. In einer systematischen Analyse wurden Olanzapin, Risperidon, Quetiapin, Ziprasidon und Aripiprazol im Vergleich zu Haloperidol bei hyperaktiven deliranten Zuständen unterschiedlicher Ätiologie bewertet. Olanzapin und Risperidon zeigten eine vergleichbare Wirksamkeit wie Haloperidol (Pelland und Trudel 2009).
Eine Metaanalyse, die 15 Studien (n = 949) umfasst und in der moderne Antipsychotika (Amisulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon) berücksichtigt wurden, ergab vergleichbare Vorteile im Vergleich zur Behandlung mit Haloperidol, sodass in der Behandlung des Delirs moderne Antipsychotika als Alternative zu Haloperidol empfohlen werden können (Kishi et al. 2015; Wang et al. 2013).
Alternativ können auch Benzodiazepine erwogen werden. Hierbei sollte Lorazepam wegen fehlender aktiver Metaboliten und der damit besseren Steuerbarkeit der Vorzug gegeben werden. Die Eingangsdosis beträgt 0,5–1 mg p.o. oder i.m./i.v. 2- bis 4-stündlich, allerdings nicht mehr als 7,5 mg pro 24 h. Der p.o.-Einsatz von Clomethiazol ist in der Behandlung des Alkoholdelirs wegen der guten Steuerbarkeit infolge der kurzen Eliminations-HWZ, der antikonvulsiven Wirkung und der guten Sedierung als vorteilhaft anzusehen. Nachteilig sind die atemdepressorische Wirkung und die bronchiale Hypersekretion. Üblicherweise wird die orale Therapie mit 1–2 Kapseln oder 15 mg Mixtur begonnen, die Dosierung erfolgt nach dem Sedierungsgrad. Stark anticholinerg wirksame Medikamente, z. B. Levomepromazin, Chlorprothixen oder Promethazin sollten in der Behandlung des Delirs nicht eingesetzt werden.

Stupor/Katatonie

Katatonie, Stupor und dissoziative Zustände sind nosologisch unspezifisch, weil sie sowohl bei organischen und funktionellen Psychosen als auch bei internistischen und neurologischen Erkrankungen auftreten können. Da diese Zustände lebensbedrohlich werden können, sollte eine klare differenzialdiagnostische Beurteilung erfolgen. Gemeinsames Kriterium von Stupor und Dissoziation sind qualitative Bewusstseinsstörungen.
Der Stupor ist durch eine abnorme psychomotorische Hemmung, Mutismus und eine reduzierte Reaktivität auf Umweltreize charakterisiert. Wachbewusstsein und Wahrnehmungsfähigkeit sind meist erhalten.
Beim katatonen Syndrom (s. Tab. 8 und 9) werden Hyperphänomene, z. B. psychomotorische Unruhe, Bewegungs- und Sprachstereotypien, Manierismen oder Echolalie/Echopraxie von Hypophänomenen, z. B. Negativismus oder Haltungsstereotypien, unterschieden. Charakteristischerweise kann es bei der katatonen Schizophrenie zu psychomotorischer Hemmung, meist zusammen mit Mutismus und Stupor, kommen.
Tab. 8
Symptome der Katatonie
Hyperphänomene
Hypophänomene
• Psychomotorische Erregung
• Bewegungs- und Sprachstereotypien
• Manierismen
• Befehlsautomatie/Motorische
• Schablonen
• Grimassieren
• Echolalie/Echopraxie
• Mitmachen/Mitgehen
• Stupor
• Sperrung
• Mutismus
• Negativismus „Gegenhalten“
• Katalepsie
• Flexibilitas cerea „wächserne Biegsamkeit“
• Haltungsstereotypien/„Haltungsverharren“
Tab. 9
Ätiologie des katatonen Syndroms. (Mod. nach Laux und Deister 2003)
Krankheitsgruppen/Ursachengruppen
Krankheiten/Ursachen
Psychiatrische Erkrankungen
Schizophrenie (Katatonie)
affektive Psychosen (bipolare Störung, unipolare Depression, Manie)
• dissoziativer Stupor
Hirnorganische Erkrankungen
• Meningoenzephalitis
• Tumor
Demenz
Internistische Erkrankungen
• Neoplasien
Intoxikationen (z. B. Kohlenmonoxid, Strychnin)
• Infektionen (z. B. Typhus, Tuberkulose, Lues)
• Hyperparathyreoidismus
• Thyreotoxikose
• Tetanie
• Vitamin B12-Defizit
Pharmakogene Ursachen
• Medikamentenintoxikation (z. B. Lithium)
• Drogenintoxikation
Dissoziative Zustände werden bei affektiven Störungen, bei Persönlichkeits- und Angststörungen sowie Anpassungsstörungen beobachtet. Es besteht meist eine vorübergehende Bewusstseinsveränderung oder eine traumartige Einengung des Bewusstseins mit oft erhaltener, aber intentional geringer Handlungsfähigkeit. Bei einer Beeinträchtigung des Bewusstseins sollten Medikamente grundsätzlich parenteral verordnet werden. Infolge der starken Einschränkung der Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit der Patienten wird die diagnostische Exploration erschwert, fremdanamnestische Angaben sind deshalb von besonderer Bedeutung. Die erforderliche internistisch-neurologische Untersuchung sollte durch Routinelaborparameter, Medikamentenscreening, EEG und ggf. Lumbalpunktion und kraniale Computertomografie (CCT) ergänzt werden.
Stupor und Katatonie bedürfen allgemeinmedizinischer und pflegerischer Maßnahmen wie parenteraler Elektrolyt- und Flüssigkeitsausgleich, Ernährung über Magensonde, Heparinisierung, Thrombose-, Pneumonie- und Dekubitusprophylaxe.
Die psychopharmakologische Behandlung (Tab. 10) sollte initial mit Lorazepam (2–6 mg als Expidet, bei Katatonien bis 20 mg pro Tag) erfolgen. Die spezifische stuporlösende Wirkung, die Lorazepam von anderen Benzodiazepinen unterscheidet, kann bis heute pharmakologisch nicht schlüssig erklärt werden.
Tab. 10
Therapie des Stupors
Art des Stupors
Therapie der ersten Wahl
Therapie der zweiten Wahl
Katatoner Stupor
Lorazepam 2,5–5 mg/d
Initial 5–10 mg Haloperidol i.v. oder i.m. bis maximal 60 mg/d
oder
bis 80 mg oral/d
Depresssiver Stupor
Lorazepam 2,5–5 mg/d
oder
Diazepam 5–30 mg/d
Antidepressiva p.o. oder i.v.
Hirnorganisch oder internistisch begründeter Stupor
Lorazepam 2,0–4,0 mg/d
Haloperidol 5–10 mg/d i.v. oder p.o.
Psychogener Stupor
Lorazepam 2,0–4,0 mg/d
Die Wirksamkeit von atypischen Antipsychotika (Olanzapin, Risperidon, Aripiprazol) ist bei katatonen Zuständen im Rahmen schizophrener Störungen belegt (Babington und Spiegel 2007; Kirino 2010; Peralta et al. 2010a). Empfehlenswert ist die Verordnung von Lorazepm 2,5 mg Expidet p.o. oder 2–4 mg i.v./i.m., alternativ kommt z. B. Olanzapin (10–20 mg pro Tag als Velotabs) in Betracht. Bei Erfolglosigkeit ist ein hochpotentes Antipsychotikum, z. B. Haloperidol 5–10 mg p.o. oder i.m., indiziert, zuvor muss ein malignes neuroleptisches Syndrom ausgeschlossen sein. Beim depressiven Stupor imponiert eine ausgeprägte Antriebsminderung mit psychomotorischer und kognitiver Hemmung, deutlich affektiver Starre, mitunter begleitet von Negativismus und Mutismus. Auch hier haben sich Benzodiazepine, insbesondere Lorazepam (z. B. 2,5 mg p.o. Expidet oder i.v./i.m.) bewährt.
Bei internistischen oder hirnorganischen Erkrankungen steht die entsprechende Behandlung der Grunderkrankung im Mittelpunkt (Antibiotikatherapie, Substitutionstherapie, Operation etc.).
Sowohl beim depressiven Stupor als auch bei der katatonen Schizophrenie kommt der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) aufgrund ihrer raschen und sicheren Wirksamkeit eine primäre Indikation zu. Bei der akuten lebensbedrohlichen perniziösen Katatonie ist sie das Mittel der Wahl.

Drogennotfälle

Bei Verdacht auf einen Drogennotfall sind eine genaue Beobachtung des Umfelds und die Erhebung einer Fremdanamnese erforderlich. Zudem sollte Klarheit über die Art, Dosis und den Zeitpunkt des letzten Drogenkonsums gewonnen werden (s. Tab. 12). Dies ist jedoch bei der häufig vorliegenden Polytoxikomanie deutlich erschwert. Schnellstmöglich muss eine Urin- bzw. Plasmaspiegelstimmung erfolgen (Drogenscreening/Drogenschnelltest). Drogennotfälle zeigen sich vorwiegend als akute Intoxikationen oder Entzugserscheinungen sowie als psychotische Reaktionen in Form von Rauschzuständen, Delirien oder drogeninduzierten Psychosen. Das Erscheinungsbild kann sich auf vielfältige Weise als Bewusstseinsstörung, als delirantes Syndrom oder auch als Erregungszustand zeigen.
Zu berücksichtigen ist, dass durch die bei vielen Drogenabhängigen vorliegende Polytoxikomanie (polyvalenter Substanzmissbrauch) typische Überdosierungssymptome bestimmter Substanzgruppen aufgehoben oder verschleiert werden.
Tab. 11 gibt charakteristische Überdosierungserscheinungen verschiedener Substanzgruppen wieder.
Tab. 11
Charakteristische klinische Intoxikationssymptome nach Einnahme von Rauschdrogen. (Mod. nach Berzewski 2009)
 
Morphinderivate
Halluzinogene
Cannabis
Haut
• trockene Haut
• Hyperthermie
• Hyperhidrosis
• Hautblässe
• Hyperthermie
• Hyperhidrosis
• Hyperthermie
• Piloerektion
• Hautblässe
Pupillenreaktion
Miosis
Mydriasis
Mydriasis
Mydriasis
Herz/Kreislauf
• Bradykardie
• Tachykardie
• Hypertonie
• Tachykardie
• Hypertonie
• Tachykardie
• Hypertonie
• Tachykardie
• orthostatische Dysregulation
• Bradypnoe
• Bronchokonstriktion
• Tachypnoe
• Hyperventilationstetanie
• Reizhusten
• Bronchitis
• Asthma
Weitere vegetative Störungen
• Blasensphinkterspasmen
• Darmspasmen
• Mundtrockenheit
• Inappetenz
• Pollakisurie
• Übelkeit
• Brechreiz
• Mundtrockenheit
• Hunger-, Durstgefühl
• Zephalgien
• funktionelle Oberbauchbeschwerden
• Konjunktivitis
• Laryngitis
Neurologische Ausfälle
• Hypo-, Areflexie
• Pyramidenbahnzeichen
• zerebrale Krampfanfälle
• Zerebrale Krampfanfälle
• Tremor
• Nystagmus
• Reflexsteigerungen
• Euphorie
• Somnolenz
• Überwachheit
• Euphorie
• Aggressivität
• Distanzlosigkeit
• Enthemmung
• Logorrhö
• Ideenflucht
• psychomotorische Erregung
• Überwachheit
• Euphorie
• Erregung
• Enthemmung
• flüchtiges Denken
• panische Angstzustände
• Suizidimpulse
• Intensivierung und Verzerrung der Wahrnehmungsfunktionen
• traumartige Zustände
• Erregung
• Angst
• Enthemmung (später Ermüdung)
Psychotische
Störungen
 
• Optische, akustische, taktile Halluzinationen
• delirante Syndrome
• Paranoid-halluzinatorische Psychosen
• Horrortrip
• akute und chronische paranoid-halluzinatorische Psychosen
• Flashback-Syndrome
• Tobsuchtsanfälle
• Optische Halluzinationen
• halluzinatorische Psychosen
Medizinische
Komplikationen
• Lungenödem
• Zyanose
• Azidose
• zerebrales Koma
• Hirnödem
• Atemstillstand
• Koma
• hypertone Krisen
• Kachexie
• zerebrale Krampfanfälle
• Koma
• Hyperglykämie
• Atemdepression
• zerebrale Krampfanfälle
Allergie

Amphetamine, Designerdrogen

Amphetamine und ihre Derivate bewirken eine hohe psychische und physische Abhängigkeit mit schneller Toleranzentwicklung. Da Amphetamine nahezu regelmäßig zu Schlafstörungen führen, entwickeln viele Patienten eine kombinierte Amphetamin- und Schlafmittelabhängigkeit.
Intoxikationspsychose
Intoxikation spsychosen sind differenzialdiagnostisch schwer von einer schizophrenen Psychose im Querschnitt zu unterscheiden. Therapeutisch stehen hier Reizabschirmung, Ruhe, beruhigende Gespräche oder die Gabe von Benzodiazepinen (z. B. Diazepam 5–20 mg p.o. oder i.m. oder Lorazepam 1–2,5 mg p.o.) an erster Stelle. Vor allem die halluzinatorischen Symptome klingen in der Regel innerhalb von 2–3 Tagen ab. Bei persistierenden psychotischen Symptomen kann eine niedrig dosierte neuroleptische Therapie erfolgen.
Bei Ecstasyintoxikationen kann es zur ausgeprägter Hyperthermie und Hypertonie kommen, sodass die Reduktion der Körpertemperaturerhöhung durch Eispackungen sowie eine Blutdrucksenkung unter engmaschiger Kontrolle angezeigt sind (Thomasius et al. 2004).
Entzugserscheinungen
Nach Absetzen von Amphetaminen kommt es innerhalb weniger Tage zu psychischen Entzugserscheinungen im Sinne eines Rebound-Phänomens. Ausgeprägte Dysphorie, psychomotorische Unruhe und Depression lassen eine Therapie mit Antidepressiva (z. B. 50–150 mg Doxepin, 20–40 mg Citalopram) angezeigt erscheinen. Wegen ihres Abhängigkeitspotenzials sind Benzodiazepine bei dieser Patientengruppe, von kurzfristigen notfallpsychiatrischen Interventionen abgesehen, kontrainduziert.
Zur Diagnostik und medikamentösen Therapie bei Störungen durch Drogenabusus s. Tab. 12 und 13.
Tab. 12
Spezifische Diagnostik bei Störungen durch Kokain, Amphetamine und Ecstasy. (Nach Thomasius et al. 2004)
Suchtanamnese
Somatische Diagnostik
• Zeitpunkt des Erstkonsums
• Gesamtdauer des Konsums
• Konsummengen
• Applikationsformen
• etwaige Abstinenzphasen
• Entzugs- und Intoxikationssymptome
• Konsum in den letzten Wochen
• Konsum weiterer psychotroper Substanzen
• subjektive Konsumfolgen
• vegetative Störungen
• psychische und somatische Begleiterkrankungen
Körperliche Untersuchung
• Körperlicher Status mit Inspektion, Palpation, Perkussion, Auskultation, Pulsstatus u. Blutdruckmessung
besonders beachten:
• Einstichstellen
• Infektionszeichen
• Hinweise auf Lebererkrankung
• physische Traumatisierung (Z. n. Sturz)
• Allgemein- und Ernährungszustand
• neuropsychologische Funktionen
• Familienanamnese mit Schwerpunkt auf Suchterkrankungen
• frühere ärztliche und nichtärztliche Beratungen und Behandlungen, insbesondere Entzugs- und Entwöhnungsbehandlungen
Labor
• Zeichen der Myokardischämie
• Blutgerinnungsstörungen
• Blutgase
• Leberwerte
• Urinuntersuchung auf Kokain (1–3 Tage nachweisbar, bei chron. Konsum 5–10 Tage), Amphetamine und Ecstasy (1–3 Tage nachweisbar)
• ggf. weiterführende Laboruntersuchungen (z. B. Hep.- o. HIV-Serologie)
(Bei klinischer Symptomatik:) ggf. umfassende kardiologische und pulmonologische Diagnostik
Tab. 13
Medikamentöse Behandlung akuter, durch Kokain, Amphetamine und Ecstasy induzierter psychischer Störungen. (Nach Thomasius et al. 2004)
Substanz
Art der Störung
Behandlung (Härte d. Empfehlung)
Kokain
• Psychotische Rauschverläufe
• Erregungszustände
• Entzugssymptome
Vorübergehend Benzodiazepine (C)
Amphetamin
• Psychotische Rauschverläufe
• induzierte psychotische Störungen
• Entzug mit Rebound-Phänomenen
• Vorübergehend Benzodiazepine und Neuroleptika (A)
• trizyklische Antidepressiva (A)
Ecstasy
• Psychotische Rauschverläufe
• starke Nacheffekte
• Vorübergehend Benzodiazepine (C)
cave: keine Neuroleptika oder Antidepressiva (C)

Halluzinogene

Unter Halluzinogenen, z. B. LSD, können Notfallsituationen entstehen infolge von
  • Intoxikationen (Überdosierung),
  • dem Auftreten eines „Horrortrips“,
  • „Flashback-Syndromen“,
  • persistierenden Psychosen und
  • panikartigen aggressiven Durchbrüchen.
Therapeutisch stehen in allen Fällen die Ausschaltung jeglicher Reizzufuhr, beruhigende Gespräche sowie die Gabe von 10–20 mg Diazepam bei stärkerer Unruhe im Vordergrund (Thomasius et al. 2004). Bei persistierenden Psychosen sollte eine antipsychotische Behandlung eingeleitet werden.

Kokain

Eine Kokainintoxikation macht neben einer Klinikeinweisung mit Reizabschirmung auch die Gabe von Diazepam, schockprophylaktische Maßnahmen sowie unter Umständen eine Intensivtherapie erforderlich (Tab. 11 und 13).
Kokainschock
Eine akute lebensbedrohliche Komplikation ist der sog. Kokainschock. Kurz nach Einnahme der Droge treten massive Angst, Getriebenheit, schwere psychomotorische Erregung, extreme Hautblässe, Bradykardie, Blutdruckabfall, zerebrale Krampfanfälle und Bewusstseinstrübung bis zum Koma auf.
Beim Kokainschock ist die schnellstmögliche Einweisung in eine internistische Intensivstation erforderlich.
Sehr häufig kommt es im Rahmen des chronischen Kokainabusus zu Psychosen mit Stimmungsschwankungen sowie zu paranoid-halluzinatorischer Symptomatik mit deliranten Bildern. Nach Absetzen von Kokain erfolgt die Behandlung der Psychosen mittels Antipsychotika (z. B. 5–10 mg Haloperidol oral oder 5–10 mg Olanzapin als Velotab).

Neue psychotrope Substanzen – „Legal Highs“

Die neuen Drogen stammen v. a. aus der Gruppe der synthetischen Cannabinoide sowie aus der Gruppe der Cathinone und anderer Phenylethylamine (Scherbaum et al. 2014). Die neuen psychotropen Substanzen werden oft unter verschleiernden Namen wie Räuchermischung, Badesalz oder „Research Chemical“ angeboten. Die Wirkung der Substanzen entspricht grundsätzlich den Wirkungen bekannter Drogen (cannabisartig, stimulatorisch, halluzinogen).
Die neurologischen (z. B. Krampfanfälle), psychiatrischen (z. B. psychotisches Erleben, Agitation) und internistischen (z. B. Blutdruckkrise) Nebenwirkungen sind aber ausgeprägter als bei den bisher bekannten Drogen wie Cannabis, Amphetaminen oder LSD. Richtig ist, dass die neuen psychotropen Substanzen meist nicht in den üblichen Verfahren des Urindrogenscreenings (Enzymimmunoassay) erfasst werden. Daher sind die entsprechenden Körperflüssigkeiten z. B. in der GC-MS (Gaschromatografie gekoppelt mit Massenspektrometrie) zu untersuchen. Angesichts des verbreiteten Mischkonsums kann die Zuordnung von Symptomen zu bestimmten Substanzen auch bei ausgezeichneten Kenntnissen über die neuen Drogen schwierig sein.
Bei Drogennotfällen mit schwerwiegenden körperlichen oder psychischen Komplikationen einer Intoxikation ist immer an die neuen psychotropen Substanzen zu denken und eine entsprechende Diagnostik (Anamnese, Analyse von Körperflüssigkeiten, z. B. mit GC-MS) durchzuführen.

Psychopharmakainduzierte Notfälle

Psychopharmakainduzierte Notfälle resultieren zum einen aus akzidentellen Überdosierungen oder suizidalen Intoxikationen, zum anderen aus gravierenden und akut bedrohlichen Nebenwirkungen. Diese Nebenwirkungen können als Absetzphänomene oder Entzugssyndrome auftreten sowie im Rahmen von Wechselwirkungen (Interaktionen) von Psychopharmaka untereinander oder mit Internistika verursacht sein.

Extrapyramidalmotorische Symptome (EPMS)

Vor allem in der Behandlung mit sog. hochpotenten Neuroleptika kann es initial zu einer Frühdyskinesie bzw. zu einer neuroleptikainduzierten akuten Dystonie kommen. Leitsymptome und Diagnosekriterien sind Muskelkrämpfe oder Haltungsanomalien. Erstere äußern sich in Zungen-Schlund-Krämpfen, Schluckstörungen, okulogyren Krisen oder Verkrampfungen der Kiefermuskeln, Letztere z. B. als Retrokollis oder Tortikollis. Die Symptome entwickeln sich meist innerhalb von 7 Tagen nach Beginn oder nach rascher Dosissteigerung einer neuroleptischen Medikation oder nach Reduktion von Medikamenten (Burkhard 2014; Sachdev 2005). Erwähnenswert ist, dass EPMS auch unter bestimmten, primär von Allgemeinärzten und Internisten verordneten Antiemetika, z. B. Metoclopramid, bei entsprechend prädisponierten Patienten auftreten können (van der Padt et al. 2006).
Die Therapie besteht in der bevorzugt parenteralen Gabe von Anticholinergika, z. B. 1–2 Ampullen Biperiden i.m. oder langsam i.v., was in der Regel zu einem raschen Sistieren bzw. Nachlassen der Symptomatik führt.

Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)

Das maligne neuroleptische Syndrom (MNS) stellt eine seltene (Inzidenz 0,02–2,4 %), jedoch äußerst gravierende Komplikation einer Behandlung mit Antipsychotika dar (Belvederi Murri et al. 2015; Moscovich et al. 2011), selten auch einer Behandlung mit Antidepressiva (Uguz und Sonmez 2013), die mit einer Mortalität von bis zu 20 % der Fälle einhergeht (Trollor et al. 2012). Es tritt meist während der ersten 2–4 Wochen einer Behandlung mit hochpotenten Antipsychotika, aber auch solchen der 2. Generation, meist mit rascher Progredienz, d. h. innerhalb von 24–72 h auf (Gortney et al. 2009; Munhoz et al. 2012; Musshoff et al. 2013; Patra et al. 2013; Wang et al. 2013).
Risikofaktoren
Zu den Risikofaktoren für das Auftreten eines malignen neuroleptischen Syndroms zählen:
  • zerebrale Vorschädigung,
  • Dehydration,
  • Elektrolytentgleisungen,
  • Agitiertheit,
  • Eisen,
  • Thyreotoxikose,
  • frühere Episode eines MNS,
  • psychopharmakologische Kombinationstherapie,
  • i.m.-Applikation eines Depotantipsychotikums,
  • Geschwindigkeit der Dosissteigerung,
Symptome
Symptome des malignen neuroleptischen Syndroms sind:
  • Hyperthermie bis 42 °C,
  • erhöhter Muskeltonus,
  • Hyperhidrosis, Sialorrhö,
  • Dysarthrie, Dysphagie,
  • Katalepsie, Mutismus,
  • Tremor, Dyskinesien, Faszikulationen,
  • autonome Dysregulation (labiler Blutdruck, Tachykardie),
  • pathologisches Labor:
    • Leukozyten bis 25,0/nl,
    • Thrombozytose,
    • Elektrolytentgleisungen (↓ Na, ↓ Ca, ↓ Mg, ↓ K),
    • Anstieg der Kreatinkinase > 500 U/l,
    • Erhöhung der Lebertransaminasen Glutamat-Oxalazetat-Transaminase (GOT), Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT), Laktatdehydrogenase (LDH),
    • Myoglobinurie, Proteinurie.
Als Frühzeichen eines MNS gelten die rasche bis fulminante Entwicklung von EPMS (Rigor, Akinese), fluktuierende Bewusstseinsstörungen (u. a. Tachykardie, Hypersalivation, Hyerhidrose) und überwiegend mäßiges bis hohes Fieber. Letzeres erschwert die Differenzialdiagnose zur febrilen Katatonie und zur malignen Hyperthermie. Die Laborbestimmungen ergeben regelhaft eine erhöhte Kreatinkinasekonzentration (> 1000 i. u./l), Elektrolytstörungen, selten auch eine Transaminasenerhöhung und eine Leukozytose (Strawn et al. 2007).
Darüber hinaus können internistische Komplikationen des MNS infolge der Immobilisation auftreten (Thrombose, Lungenembolie oder eine Rhabdomyolyse mit konsekutivem Nierenversagen; Gillman 2010).
Im Gegensatz zur Katatonie weisen Patienten mit einem MNS weder ein Haltungsverharren noch eine motorische Anosognosie auf, was bei der differenzialdiagnostischen Beurteilung hilfreich sein kann.
In den nachfolgenden beiden Übersichten sind die Diagnosekriterien für das Vorliegen eines malignen neuroleptischen Syndroms bzw. die Differenzialdiagnose wiedergegeben.
Diagnostische Kriterien des malignen neuroleptischen Syndroms nach DSM-IV (333.92) (nach Assion und Volz 2004)
A.
Die Entwicklung von (schwerem) Rigor und erhöhter Temperatur in Verbindung mit neuroleptischer Medikation.
 
B.
Zwei (oder mehr) der folgenden Kriterien
1.
Starkes Schwitzen
 
2.
Dysphagie
 
3.
Tremor
 
4.
Inkontinenz
 
5.
Bewusstseinsveränderungen von Verwirrtheit bis Koma
 
6.
Mutismus
 
7.
Tachykardie
 
8.
Erhöhter oder schwankender Blutdruck
 
9.
Leukozytose
 
10.
Laborhinweis für Muskelschädigung (z. B. erhöhte Kreatinkinase(CPK)-Werte)
 
 
C.
Die Symptome unter A und B sind nicht auf andere Substanzen (z. B. Phencyclidin) oder eine neurologische Ursache oder andere medizinische Krankheitsfaktoren (z. B. eine Virusinfektion) zurückzuführen.
 
D.
Die Symptome unter A und B können nicht durch eine psychische Störung (z. B. eine affektive Störung mit katatonen Merkmalen) besser erklärt werden.
 
Differenzialdiagnose des malignen neuroleptischen Syndroms. (Vogel 2002)
Therapie
Nach gesicherter Diagnose stellt das MNS einen Notfall dar und erfordert eine sofortige intensivmedizinische Betreuung mit Stabilisierung und Überwachung der Vitalparameter. Die wichtigste therapeutische Maßnahme ist das sofortige Absetzen der Antipsychotika und die Einleitung supportiver allgemeinmedizinischer und pflegerischer Maßnahmen. Hierzu zählen die Balancierung der Körpertemperatur (z. B. durch Wadenwickel oder Eispackungen), eine (parenterale) Flüssigkeitszufuhr und -bilanzierung, ein Ausgleich des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts sowie die Heparinisierung und additive Maßnahmen zur Thrombose- und Pneumonieprophylaxe.
Pharmakologisch werden zumeist dopaminergische Substanzen wie Bromocriptin (10–30 mg pro 24 h, bis zu 60 mg pro 24 h) oder Amantadin (200–400 mg pro 24 h i.v.) eingesetzt. Darüber hinaus kommt Dantrolen (2,5 mg/kg KG i.v., ggf. anschließend bis zu 10 mg/kg KG pro 24 h i.v.) in Betracht (s. Tab. 14). Sofern diese Behandlungsstrategien nicht erfolgreich sind, ist eine Elektrokrampftherapie (EKT) indiziert (Trollor und Sachdev 1999).
Tab. 14
Pharmakologische Therapie des malignen neuroleptischen Syndroms. (Mod. nach Vogel 2002; Benkert und Hippius 2015)
Genericum
Handelsname
Dosierung
Dantrolen
Dantamacrin
Initial 50 mg p.o.,
Dosissteigerung bis 4–10 mg/kg KG/d p.o.
oder
Schnellinfusion 1–2,5 mg/kg KG i.v. 4-mal tgl.
oder
Dauerinfusion bis 10 mg/kg KG/d i.v.
Bromocriptin
Pravidel
Initial 2,5–5 mg p.o. 2- bis 3-mal tgl.
Maximaldosis 30–45 mg/d p.o.
L-Dopa (plus Carbidopa oder Benserazid)
Madopar, Nacom
100–200 mg/d
Amantadin
PK Merz
200–600 mg/d i.v.

Zentrales Serotoninsyndrom

Das Serotoninsyndrom kann als unerwünschte, selten vital bedrohliche Komplikation einer Behandlung mit serotonergen Pharmaka (z. B. mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern [SSRI], Serotoninagonisten, Lithium oder Amphetaminen) oder im Rahmen einer pharmakodynamischen Interaktion (z. B. bei der Kombination eines SSRI mit einem irreversiblen Monoaminooxidase-A-Hemmer) auftreten. Die Symptomatik ist einerseits charakterisiert durch die Trias
  • hohes Fieber (Schüttelfrost),
  • neuromuskuläre Symptome (Hyperrigidität, Hyperreflexie, Tremor oder Myoklonien) und
  • psychopathologische Auffälligkeiten (Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen, Desorientiertheit, Verwirrtheit)
sowie andererseits durch vegetative Störungen (Schwitzen, Tachykardie) und gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen oder Diarrhö).
Eine wichtige Differenzialdiagnose ist das maligne neuroleptische Syndrom (Dosi et al. 2014; Perry und Wilborn 2012). Therapeutisch sind das Absetzen der auslösenden Medikation indiziert, eine Flüssigkeitssubstitution, Kühlung und Überwachung der Vitalparameter. Pharmakologisch kommt im Rahmen intensivmedizinischer Maßnahmen die Gabe von Benzodiazepinen oder Serotoninantagonisten (Methysergid 2–6 mg initial p.o. bis 6 mg/d) oder bei seltener Persistenz Cypoheptadin (4–8 mg initial p.o. bis 0,5 mg/kg KG/d) in Betracht (Ables und Nagubilli 2010).

Zentrales anticholinerges Syndrom

Das zentrale anticholinerge Syndrom tritt bei Überdosierung bzw. Intoxikation mit anticholinerg wirksamen Pharmaka (z. B. Levomepromazin, trizyklische Antidepressiva oder Clozapin), aber auch anticholinerg wirksamen Drogen auf. Periphere anticholinerge Symptome sind trockene Haut und Schleimhäute als Folge einer verminderten Schweiß-, Schleim- und Speicheldrüsensekretion und allgemeine Hyperthermie. Darüber hinaus können eine Tachykardie, arterielle Hypertonie, Mydriasis, Harnverhalt, Obstipation (bis hin zum paralytischen Ileus) beobachtet werden. Zentral anticholinerge Symptome können als Desorientiertheit, Wahrnehmungsstörungen, illusionäre Verkennungen, motorische Unruhe, Angst und zerebrale Anfälle gekennzeichnet sein.
Als erste Maßnahme gilt das Absetzen anticholinerg wirksamer Substanzen. Bei Agitiertheit sollten pharmakotherapeutisch, je nach Ausprägung, vorrangig Benzodiazepine und/oder Antipsychotika eingesetzt werden. Bei Persistenz oder schwerer Ausprägung kann im Rahmen eines intensivmedizinischen Settings die Applikation von Physostigmin (2–4 mg i.m. oder langsam i.v.) erfolgen, ggf. als Dauerinfusion über Perfusor unter EKG-Monitoring.

Benzodiazepinentzugssymptome

Intoxikationen mit Benzodiazepinen sind durch folgende Symptome gekennzeichnet:
  • verwaschen-lallende Sprechweise
  • Übelkeit
  • Kopfschmerz
  • gestörte Koordination
  • muskuläre Schwäche
  • Doppelbilder
  • Apathie und Schläfrigkeit bis zur Bewusstlosigkeit
  • anterograde Amnesie
  • Trias bei schweren Intoxikationen:
    • Bewusstseinsstörung
    • erhaltene Vitalfunktionen
    • fehlende neurologische Ausfälle
Nach abruptem Absetzen von Benzodiazepinen finden sich drei Typen von Absetzsymptomen
  • Rebound-Symptom: Akutes und verstärktes Auftreten der ursprünglichen Krankheitssymptome, wie Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit. Diese Symptome halten jedoch nur wenige Tage an.
  • Rückfallsymptome: Sie sind als wiederkehrende Angstsymptomatik nur schwer von der Grunderkrankung abgrenzbar. Halten sie längere Zeit an, müssen sie als primäre Krankheitssymptome betrachtet werden.
  • Eigentliche Entzugssymptome: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie vor Verordnung der Medikation nicht vorhanden waren. Je nach Halbwertszeit der eingenommenen Benzodiazepinpräparate treten sie 2–10 Tage nach Absetzen der Medikation auf, erreichen schnell ein Maximum und dauern dann 5–25 Tage an. Auch Krampfanfälle sind noch 2–3 Wochen nach Absetzen zu beobachten. Schwere Entzugssymptome sind durch Verwirrtheitszustände, psychoseartige Zustände, Delirien, Krampfanfälle, Depersonalisation, Derealisation, Oszillopsien, Hyperakusis, Hypersomnie, Dysästhesien und Muskelzittern sowie Muskelfaszikulationen gekennzeichnet.
Mit einer stufenweisen Dosisreduktion der Benzodiazepine lässt sich einer Entzugssymptomatik vorbeugen.
Benzodiazepine sollten nicht abrupt abgesetzt werden. Ein Absetzen ist in der Regel über Wochen, manchmal über Monate notwendig.
Die langsame stufenweise Dosisreduktion ist insbesondere beim Entzug von hochpotenten, kurz wirksamen Benzodiazepinen unbedingt erforderlich, da Entzugssymptome bei diesen Substanzen abrupter auftreten und stärker ausgeprägt sein können als bei Benzodiazepinen mit langer Halbwertszeit.
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