Psychopharmakotherapeutische Ansätze
Die empirische Datenlage zur Wirksamkeit einer antidepressiven Pharmakotherapie hat sich insgesamt zwar verbessert, lässt aber doch noch Forschungsbedarf erkennen. Eine erste evidenzbasierte und metaanalytische Bewertung von insgesamt 11 RCT (Amitriptylin, Nortriptylin, Citalopram, Fluoxetin, Sertralin, Nefazodon, Pergolid, Pramipexol) wies auf klinisch bedeutsame Veränderungen unter
Antidepressiva, aber gleichzeitig auch auf hohe Responseraten unter Plazebo hin, so dass keine statistisch signifikanten Unterschiede bestanden. Für ältere Patienten und bei schweren
depressiven Störungen wurde eine etwas günstigere Response notiert (Miyasaki et al.
2006). Einige
Metaanalysen fanden statistisch gesicherte Vorteile nur für Amitriptylin. Eine Beurteilung der Wirksamkeit SSRI stellte sich als problematischer dar (Frisina et al.
2008; Rocha et al.
2013). Ein Cochrane-Review zu dieser Indikationsstellung erkannte aus methodischen Gründen nur 3 Studien als aussagekräftig an (Ghazi-Noori et al.
2009: Andersen et al.
1980; Rabey et al.
1996; Wermuth et al.
1998). Eine rezente Metaanalyse beurteilte den Einsatz von SSRI wiederum aber deutlich positiver (Bomasang-Layno et al.
2015).
Amitriptylin war
Fluoxetin überlegen, führte aber nebenwirkungsbedingt zu einer höheren Drop-out-Rate (Serrano-Duenas
2002). In einer randomisierten, aber offenen Studie waren
Fluvoxamin und
Amitriptylin ebenbürtig (Rabey et al.
1996). Unter
Nortriptylin wurden gegenüber Plazebo stärkere antidepressive Effekte numerisch registriert, aber keine Anmerkungen zur statistischen Signifikanz gemacht (Andersen et al.
1980). Für
Citalopram und
Sertralin konnte kein signifikanter antidepressiver Benefit nachgewiesen werden (Leentjens et al.
2003b; Wermuth et al.
1998). Die sehr kleine Anzahl von eingeschlossenen Patienten in beiden Studien ließ aber letztlich keine Schlussfolgerung zu.
Fluoxetin und
Nefazodon zeigten vergleichbare antidepressive Effekte, im Studiendesign war jedoch keine Plazebogruppe eingeschlossen (Avila et al.
2003). Zwei weitere, ebenfalls doppelblinde plazebokontrollierte Studien mit jedoch unklarer Diagnostik der depressiven Symptomatik deuteten auf eine antidepressive Wirksamkeit von
Desipramin und
Imipramin hin (Laitinen
1969; Strang
1965). Eine einfachblinde und randomisierte Studie zeigte, dass
Sertralin (50 mg/die) und
Amitriptylin (25 mg/die) während einer 3-monatigen Behandlungsperiode zu einer Therapieresponse in je über 70 % führten, ohne die Ratings der motorischen Parkinson-Symptomatik nachteilig zu beeinflussen. Lediglich Sertralin übte aber einen signifikant positiven Effekt auf die
Lebensqualität aus (Antonini et al.
2006). In einem doppelblind durchgeführten RCT waren
Desipramin und
Citalopram gegenüber Plazebo statistisch überlegen, Desipramin zeichnete sich aber durch ein deutlich ungünstigeres Nebenwirkungsspektrum aus (Devos et al.
2008).
Es liegen weitere rezente RCTs zu SSRI, SNRI, NRI und TZA vor. So zeigte
Nortriptylin (75 mg/die) gegenüber
Paroxetin (37,5 mg/die) und Plazebo eine klare Überlegenheit (Menza et al. 2009). In einem kontrollierten Früheinsatz konnte
Amitriptylin signifikant den Beginn einer Dopamin-Ersatztherapie hinauszögern (Paumier et al.
2012). Sowohl
Venlafaxin (bis 225 mg/die) als auch
Paroxetin (bis 40 mg/die) zeigten gegenüber Plazebo eine deutlich überlegene Wirksamkeit (Richard et al.
2012). Das noradrenerge
Atomoxetin bewies wiederum keine antidepressiven Effekte, zeigte aber einen positiven Einfluss auf die globale kognitive Leistungsfähigkeit und die
Tagesschläfrigkeit (Weintraub et al.
2010).
Eine evtl. antidepressive Wirksamkeit von
Dopaminagonisten ist insbesondere im Hinblick auf neurobiologische Hypothesen interessant. Ein RCT fand eine statistisch signifikante Überlegenheit von
Pramipexol gegenüber
Pergolid. Als konfundierende Variable waren aber Unterschiede in den Depressionsscores bei Studienbeginn zu beachten (Rektorova et al.
2003). In einem multizentrischen, aber nicht blind durchgeführten RCT erwies sich
Pramipexol gegenüber
Sertralin bei Parkinsonpatienten mit Major Depression ohne motorische Fluktuationssymptome oder Dyskinesien in einer 12-wöchigen Behandlung als statistisch signifikant überlegen (Barone et al.
2006). In einer anschließenden multizentrischen, plazebokontrollierten Studie bewies
Pramipexol (0,125–1 mg/die) ebenfalls eine gesicherte Überlegenheit. Pramipexol wurde gut toleriert, ging aber mit häufigeren Dyskinesien einher (Barone et al.
2010).
In einem doppelblinden und plazebokontrollierten RCT zeigte sich die add-on Gabe des MAO-B-Inhibitors
Rasagilin zu einer etablierten antidepressiven Medikation bei depressiven Patienten im Anfangsstadium ihrer Parkinsonerkrankung als signifikant überlegen. Die Kombinationsbehandlung erwies sich als sicher, es gab keine Anzeichen eines Serotonin-Syndroms (Smith et al.
2015).
Positive Erfahrungen mit
Omega-3-Fettsäuren aus einer plazebokontrollierten Studie (da Silva et al.
2008) müssen ebenso an größeren Patientensamples repliziert werden wie ermutigende Resultate aus RCTs mit
Lichttherapie (Paus et al.
2007) oder repetitiver transkrankieller Magnetstimulation (
rTMS; Fregni und Pascual-Leone
2007; Fregni et al.
2004).
Die Datenlage zur Behandlung von
Angststörungen bei Parkinson-Patienten ist nach wie außerordentlich schmal und orientiert sich an den Ergebnissen zur Depressionsbehandlung (Coakeley et al.
2014). Angstzustände, die in ihrer Manifestation auffällig an ein „wearing off“ der motorischen Performanz gebunden sind, scheinen von dopaminergen Substanzen zu profitieren, wie eine randomisiert und doppelblind kontrollierte Studie mit Levodopa IR gegen Levodopa ER zeigte (Kulisevsky et al.
2006).
Grundsätzlich zu beachten ist, dass die Kombination von SSRI, SNRI und Mirtazapin mit dem Parkinson-Medikament Selegilin
, einem selektiven Hemmstoff der MAO-B, zu potenziell gefährlichen pharmakodynamischen
Arzneimittelinteraktionen in Form eines serotonergen Syndroms mit charakteristischen Symptomen von Erregung, Ruhelosigkeit, Schwitzen,
Fieber, fluktuierenden Vitalfunktionen, Myoklonus,
Verwirrtheit usw. führen kann.
Das Risiko eines
serotonergen Syndroms soll bei der gleichzeitigen Gabe von Selegilin und Fluoxetin besonders hoch sein, da Fluoxetin zusammen mit seinem aktiven Metaboliten eine sehr lange
Halbwertszeit (HWZ) besitzt (HWZ von Fluoxetin: 2–3 Tage; HWZ von Norfluoxetin: 7–15 Tage) und stark hemmend auf CYP2D6 wirkt, über das auch Selegilin größtenteils metabolisiert wird. Unter Levodopa kann in Interaktion mit hochdosierten sertonergen
Antidepressiva ebenfalls ein serotonerges Syndrom auftreten. Der Decarboxylasehemmer Carbidopa wird weitgehend unverändert ausgeschieden. Der reversible COMT-Inhibitor Entacapone wird vorrangig biliär eliminiert, Tolcapone besitzt ein Hemmpotenzial am CYP-Subsystem 2C9. Unter den neueren Dopaminagonisten ist bei Pergolid ein Hemmeffekt in CYP3A4, bei Ropirinol in 1A2 zu beachten, wobei Pergolid selbst vorrangig über CYP3A4 und Ropirinol über CYP1A2 und 3A4 metabolisiert werden. Selegilin hemmt 2C19. Rasagilin wird vorrangig über CYP1A2 abgebaut, kann daher durch starken Koffeinkonsum oder unter Rifampicin an therapeutischer Wirksamkeit verlieren, oder aber durch starke 1A2-Inhibitoren wie Fluvoxamin oder Ciprofloxacin toxische Spiegel erreichen, es hat selbst kein inhibitorisches Potenzial (Wynn und Armstrong
2009).
Dopaminagonisten
wie Pramipexol besitzen einen moderaten antidepressiven Effekt. Bei älteren Patienten muss aber hierunter das Risiko von paranoiden und halluzinatorischen Symptomen bedacht werden, v. a. wenn kognitive Defizite vorliegen. Eine Depression mit stark ausgeprägter
Apathie weist möglicherweise auf eine beginnende
Parkinson-Demenz hin und rechtfertigt dann den Versuch mit einem Cholinesterasehemmer (Lieberman
2006).
Besteht eine
exzessive Tagesmüdigkeit, dann kann auch eine Gabe von Modafinil versucht werden (Ondo et al.
2005).
Zur
medikamentösen Behandlung von Angststörungen ist zunächst auf die allgemeinen Therapieerfahrungen mit SSRI und SNRI zu verweisen (Kap.
Angststörungen), die in Ermangelung vorliegender Studien zusammen mit
Benzodiazepinen und Buspiron auch bei Parkinson-Patienten mit Angststörungen diskutiert werden (Richard
2005).
In einer offenen Perspektive ist ferner daran zu erinnern, dass schwer depressive Parkinson-Patienten, bei denen eine antidepressive Medikation versagt hat oder aus unterschiedlichen Gründen kontraindiziert ist, auch erfolgreich und sicher mit einer
Elektrokonvulsionstherapie behandelt werden können (Moellentine et al.
1998).