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Tabakabhängigkeit

Verfasst von: Anil Batra
Die Tabakabhängigkeit ist die häufigste stoffgebundene Abhängigkeitserkrankung. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der Raucher (ca. 24 % der bundesdeutschen Bevölkerung im Alter ab 15) ein Abhängigkeitssyndrom aufweist. Die gesundheitlichen Risiken umfassen kardiovaskuläre (Atherosklerose, zerebrale Infarkte und Myokardinfarkte) und pulmonale Krankheiten (u. a. chronisch obstruktive Lungenerkrankung [COPD]), (Emphysem) sowie diverse Karzinomerkrankungen (mit pulmonaler Lokalisation, betroffen sind aber auch zahlreiche andere Organe). Die Zahl der jährlichen tabakassoziierten Todesfälle wird auf über 110.000 geschätzt. Psychische Störungen (v. a. Depression, Suchterkrankungen, Schizophrenie) gehen gehäuft mit einer Tabakabhängigkeit einher. Der Ätiopathogenese der Tabakabhängigkeit liegen sowohl psychologische als auch neurobiologische Bedingungen zugrunde. Nikotin wirkt wie Alkohol, Opioide, Kokain oder Amphetamin verstärkend auf das zerebrale Belohnungssystem (Nucleus accumbens) und beeinflusst weitere Neurotransmittersysteme. Die evidenzbasierten Therapieleitlinien empfehlen eine regelmäßige Diagnostik des Rauchstatus. Daraus abgeleitete ärztliche Empfehlungen zur Abstinenz, Motivations- und Beratungsgespräche sind effektive Maßnahmen zur Motivationsförderung. Abhängige Raucher haben dennoch geringe langfristige Abstinenzaussichten. Ihnen soll eine verhaltenstherapeutisch orientierte Behandlung mit medikamentöser Unterstützung empfohlen werden.

Einleitung

Der Konsum von Tabakwaren, insbesondere Zigaretten, hat seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts weltweit einen Aufschwung erlebt. Obgleich zahlreiche wissenschaftliche Belege für die Gefahr der Abhängigkeit von Nikotin vorliegen, erfährt das Abhängigkeitssyndrom des Rauchers im Vergleich mit der Abhängigkeit von Alkohol oder illegalen Drogen eine geringere Akzeptanz als eigenständiges Störungsbild. Erst mit der zunehmenden Wahrnehmung der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die dem Tabakkonsum folgen, wurden in den letzten Jahrzehnten Bemühungen unternommen, über Präventionsmaßnahmen den Einstieg in den Tabakkonsum zu verhindern sowie Raucher zum Ausstieg aus dem Tabakkonsum zu motivieren und im Falle einer Abhängigkeit Ausstiegshilfen zur Verfügung zu stellen.
Über die Schilderung der Epidemiologie und der tabakassoziierten Folgeerkrankungen hinaus werden hier Modelle der Abhängigkeitsentwicklung bei Rauchern sowie Präventionsstrategien und evidenzbasierte Behandlungsmaßnahmen dargestellt.

Epidemiologie des Rauchens

Das Statistische Bundesamt führt regelmäßig im Rahmen von Mikrozensuserhebungen Befragungen zu den Rauchgewohnheiten der deutschen Bevölkerung durch. Seit 1989 ist der Anteil der Raucher in der Bundesrepublik gesunken und beträgt in der Population der über 15-Jährigen mittlerweile ca. 24,5 %. Die Raucherprävalenz ist unter den Männern etwas höher als bei den Frauen (29,0 vs. 20,3 %). Der Anteil der Gelegenheitsraucher bleibt relativ stabil bei ca. 3,6 %. Das Durchschnittsalter für den Einstieg in den Tabakkonsum stieg in den letzten Jahren geringfügig an (bedingt durch die sinkende Raucherquote unter den 12- bis 17-Jähringen) und liegt mittlerweile für alle Altersgruppen bei ca. 17,5 Jahren bei Männern und 18,2 Jahren bei Frauen. In der Gruppe der 20- bis 24-Jährigen beträgt der Raucheranteil 34,8 % bei den Männern und 26,3 % bei den Frauen (Statistisches Bundesamt 2014). Parallel zu den sinkenden Prävalenzzahlen für einen gelegentlichen oder regelmäßigen Tabakkonsum sank in Deutschland auch die jährliche Menge versteuerter Zigaretten auf zuletzt 79,5 Mrd. Stück im Jahr 2014 (Statistisches Bundesamt 2015; zum Vergleich: 146,5 Mrd. Stück im Jahre 1991).
Die Häufigkeit des Rauchens ist durch zahlreiche soziokulturelle Faktoren bestimmt. Neben Alter und Geschlecht beeinflussen auch Schulbildung, sozialer Status und Berufszugehörigkeit die Wahrscheinlichkeit für einen regelmäßigen oder abhängigen Tabakkonsum. Auch psychische Faktoren beeinflussen die Wahrscheinlichkeit des Rauchens. So weisen Personen mit affektiven Störungen, schizophrenen Psychosen oder einer Drogen- bzw. Alkoholabhängigkeit im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhte Raucherprävalenzen auf (Rüther et al. 2014).
Die Bestimmung des Anteils abhängiger Raucher anhand der ICD-10 (International Classification of Diseases) ist nur eingeschränkt möglich, da nicht alle Diagnosekriterien für Suchterkrankungen (z. B. fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen zugunsten des Tabakkonsums) auf die Situation des Rauchers übertragen werden können. Eine deutsche Studie geht in Übereinstimmung mit anderen internationalen Studien (Hughes et al. 2006) davon aus, dass ca. 50–60 % der rauchenden Patienten einer hausärztlichen Praxis eine Tabakabhängigkeit aufweisen (Hoch et al. 2004).

Ätiopathogenese

Psychologische Bedingungen der Tabakabhängigkeit

Psychologische Untersuchungen kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der prämorbiden Persönlichkeit der Raucher. Angesichts der großen sozialen Akzeptanz sowie Verbreitung des Rauchens und der sehr individuellen Dynamik der Abhängigkeitsentwicklung ist ein eindeutiger prädisponierender Persönlichkeitstypus des Rauchers jedoch nicht zu erwarten. Für den Beginn des Tabakkonsums sind soziale Verstärker und Modelle, das Verhalten der Peergroup, Einflüsse aus der Werbung sowie Werthaltungen des Elternhauses und eigene Einstellungen entscheidend.
Aus lerntheoretischer Perspektive spielen die Prozesse des Modelllernens und des kognitiven Lernens hierbei eine entscheidende Rolle. Für die Stabilisierung des Konsumverhaltens sowie die Entwicklung einer Tabakabhängigkeit sind Prozesse der klassischen sowie operanten Konditionierung bestimmend. Bei der klassischen Konditionierung werden vormals neutrale, gemeinsam mit dem Tabakkonsum auftretende Umweltreize an die Wirkungen des Tabakkonsums gekoppelt und damit als Stimuli konditioniert. Konditionierte Stimuli können ein Rauchverlangen (Craving) auslösen. Die durch den Tabakkonsum erlebte positive Verstärkung (Konzentrationsförderung, positive Empfindung) sowie das Nachlassen von unangenehm erlebten, aversiven Stimmungszuständen (Anspannung, Angst, Nervosität, Entzugsphänomene) führen zu einer Verhaltensverstärkung im Sinne der operanten Konditionierung.
Aus analytischer Sicht werden eine reduzierte Frustrationstoleranz, eine Fixierung in der oralen Entwicklungsphase sowie die Ersatzbefriedigung für ein fehlendes idealisiertes Selbstobjekt durch das Suchtmittel als Erklärungsmodelle herangezogen.
Für die Konzeption psychotherapeutischer Behandlungen hat sich die Lerntheorie als praktikable und evidenzbasierte Grundlage herausgestellt.

Neurobiologische Bedingungen der Tabakabhängigkeit

Die psychotropen Wirkungen des Tabakkonsums werden auf die Inhalation von Nikotin zurückgeführt. Nikotin ([S]-[L]-3-[1-Methyl-pyrrolidin-2-yl]-pyridin) ist ein toxisches Alkaloid aus den Blättern der Tabakpflanze, das beim Verbrennen der getrockneten Tabakblätter freigesetzt und über die Mundschleimhaut und die Lungenalveolen absorbiert wird. Zu den spezifischen peripheren Wirkungen gehören
  • Vasokonstriktion,
  • Zunahme der Herzfrequenz,
  • Blutdruckanstieg,
  • Abnahme des Hautwiderstands und der Hauttemperatur.
Für nikotinunerfahrene Personen gilt als letaltoxische Dosierung 1 mg/kg Körpergewicht. Nikotin wird hepatisch über die Zytochrome P450 2A6 und 2D6 abgebaut (Tutka et al. 2005). Die zentralen Wirkungen des Nikotins führen in Abhängigkeit von der Dosis und den Konsumumständen (Nikotindeprivation, psychische Befindlichkeit, Vigilanz, Effekterwartung) zu einer Antriebssteigerung oder Sedierung. Raucher beschreiben eine angenehme Stimulation, eine antriebssteigernde und konzentrationsfördernde Wirkung sowie eine Dämpfung des Appetits. Erst in höherer Dosierung wird v. a. eine beruhigende, entspannende und sedierende Wirkung verspürt. Der positive Einfluss auf kognitive Leistungen (Merkfähigkeit und Lernen) ist umstritten, da viele Untersuchungen an Rauchern im Entzug durchgeführt wurden, die nach Zufuhr von Nikotin eine Leistungssteigerung aufwiesen. Es existieren jedoch einige Hinweise auf eine Verbesserung von Reaktionszeiten sowie Leistungssteigerungen durch Steigerung der Merkfähigkeit und der Auffassungsleistung auch bei Nichtrauchern.
Die Hauptwirkung von Nikotin entfaltet sich an den nikotinergen α4β2-Acetylcholinrezeptoren (Fowler et al. 2008). Nikotin weist an diesem Rezeptorsubtyp ein ähnliches Bindungsverhalten wie Acetylcholin auf und führt ebenfalls zu einer Öffnung dieses transmembranalen Ionenkanalrezeptors mit nachfolgendem Ioneneinstrom in das Neuron. Durch die nikotinvermittelte prolongierte Desensibilisierung des Rezeptors wird bei konstanter Zufuhr von Nikotin eine Zunahme von Nikotinrezeptoren dieses Subtyps („up-regulation“) beobachtet (Takada-Takatori et al. 2009). Ein Ausbleiben von Nikotin oder eine verzögerte Zufuhr von Nikotin bei vorliegender Neuroadaptation erhöht die frei verfügbaren Bindungskapazitäten für Acetylcholin bzw. Nikotin und mag ein Grund für die vom Raucher wahrgenommene Entzugssymptomatik sein (Heinz et al. 2012; Papke et al. 2007; Watkins et al. 2000).
Die verstärkende Wirkung des Nikotins ist an die Beeinflussung zahlreicher Transmittersysteme gebunden. Nikotin stimuliert – wie auch andere psychotrope Substanzen (Alkohol, Heroin, Kokain, Amphetamin, Opiate) – u. a. eine vermehrte Dopaminfreisetzung im Bereich des Nucleus accumbens. Diese dopaminerge Stimulation führt zur verhaltensverstärkenden psychomotorischen Aktivierung, hat aber auch Einfluss auf die Affektregulation. Im Entzug reduziert sich die Dopaminausschüttung im Nucleus accumbens. Darüber hinaus beeinflusst Nikotin u. a. auch die Transmission von Serotonin, Noradrenalin, β-Endorphin, Glutamat sowie Gammaaminobuttersäure (GABA). Damit verbunden sind sowohl die aktivierenden, konzentrationsfördernden als auch die affektregulierenden, appetitdämpfenden und sedierenden Effekte des Nikotins (Heinz et al. 2012; Markou 2008).

Symptomatologie

Die hohe Akzeptanz des Rauchens in der Gesellschaft, die breite Verfügbarkeit von Tabakwaren, aber auch die neurobiologischen Wirkungen des Nikotinkonsums erklären, warum ein hoher Anteil der Probierer zu regelmäßigen Rauchern wird. Etwa 14,5 % der Raucher sind als Gelegenheitskonsumenten zu bezeichnen, der überwiegende Teil raucht ca. 5–20 Zigaretten täglich, knapp 10 % der Raucher werden zu starken Rauchern mit einem Tageszigarettenkonsum von mehr als 20 Stück.
Die meisten Raucher beschreiben den „starken Wunsch oder eine Art Zwang“, Tabak zu konsumieren, weisen eine eingeschränkte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums auf und haben eine Toleranz bezüglich der psychotropen Wirkungen des Nikotins entwickelt. Im Rahmen der Toleranzentwicklung erfolgt zusätzlich nicht nur eine Anpassung an die aversiv erlebten unangenehmen Wirkungen der Inhalation von Tabakrauch (Hustenreiz, Schwindelgefühl durch Kohlenmonoxideinatmung), sondern auch an die spezifische Wirkung des Nikotins auf das Herz-Kreislauf-System.

Entzugssyndrom bei Tabakabhängigkeit

Ein körperliches Entzugssyndrom wird von wenigen Rauchern als bedrohlich wahrgenommen, da es kaum mit schwerwiegenden vegetativen Störungen oder vitalen Gefährdungen einhergeht. Entzugssymptome werden beschrieben als (Hughes und Hatsukami 1986):
  • Rauchverlangen (Nikotin-Craving),
  • vermehrte Irritierbarkeit,
  • verminderte Frustrationstoleranz,
  • dysphorische oder depressive Stimmung,
  • Ärger,
  • Aggressivität,
  • Angst,
  • Konzentrationsstörungen,
  • Unruhe,
  • Schlafstörungen und Appetitsteigerung.
Die Entzugssymptome halten bei den meisten Rauchern 1–4 Wochen an. Einige der Raucher leiden im Laufe der Abstinenz unter einer Anhedonie oder subklinischen depressiven Symptomatik. In Einzelfällen werden auch behandlungsbedürftige depressive Störungen beobachtet.

Diagnostik des Rauchens und der Tabakabhängigkeit

Die Diagnose des schädlichen Gebrauchs oder der Tabakabhängigkeit kann in Anlehnung an die Kriterien der ICD-10 (Dilling et al. 2010) erfolgen. Die ICD-10 geht von einer kategorialen Begrifflichkeit der „Tabakabhängigkeit“ aus, während im DSM-5 (Diagnostic and statistical Manual of mental Disorders; APA 2013) die „Nikotinabhängigkeit“ im Kapitel der substanzbezogenen Störungen mit graduellen Abstufungen zwischen leicht, mittelgradig und schwer differenziert wird. Der Begriff der Tabakabhängigkeit erscheint plausibler, da
  • ein Nikotinkonsum in der Regel an den Konsum der Zigarette gebunden ist und
  • davon auszugehen ist, dass mit dem Rauchvorgang Verhaltenskomponenten verbunden sind, die die Abhängigkeitsentwicklung unterstreichen und
  • da möglicherweise weitere psychotrope Substanzen aus dem Tabakrauch die Wirkung des Nikotins verstärken.
Die diagnostischen Kriterien für substanzbezogene Störungen aus der ICD-10 lassen sich mit ihrer Unterscheidung zwischen einem schädlichen Konsum und einer Abhängigkeit auch auf die Situation des Rauchers übertragen. Treffen drei oder mehr der sechs Kriterien (dranghafter Konsum, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Auftreten spezifischer Entzugssymptome [s. o.], Anpassung des Lebensrhythmus an Konsumbedingungen sowie ein fortgesetzter Konsum trotz bekannter physischer oder psychischer Folgen) in den vergangenen 12 Monaten zu, so liegt ein Abhängigkeit vor, andernfalls ein schädlicher Konsum (ein „unschädlicher“ Tabakkonsum ist nicht möglich).

Diagnostische Instrumente

Diagnostische Instrumente wie der Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit (FTND), der 2012 in „Fagerström Test für Zigarettenabhängigkeit“ umbenannt wurde (FTND; Heatherton et al. 1991; Fagerström 2012; dtsch. Version Schumann et al. 2003), werden zusätzlich eingesetzt, um im Sinne einer dimensionalen Betrachtungsweise die Ausprägung der Abhängigkeit mit dem Ziel einer differenziellen Therapieplanung zu erfassen. Die deutschen und die US-amerikanischen Leitlinien für die Behandlung von Rauchern empfehlen, den Fagerström-Test, sowie im Rahmen der Routinediagnostik den Umfang des Zigarettenkonsums, den Rauchbeginn, die Rauchdauer, das Rauchmuster, die Anzahl früherer Abstinenzversuche sowie bislang verwendete Hilfsmittel und Rückfallgründe zu erheben (Fiore et al. 2008; Batra et al. 2015).
Die Untersuchung des Rauchers kann durch eine Bestimmung der Kohlenmonoxidkonzentration der Ausatemluft ergänzt werden. Der Nachweis von Thiozyanat (SCN) im Urin, Cotinin oder Nikotin im Serum, Urin oder Speichel ist für die Routinediagnostik nicht erforderlich, jedoch im Rahmen von Studien Bestandteil der Diagnostik.
Stadienmodell der Veränderung
Ergänzend sollte bei der Erfassung des Tabakkonsums auch die Veränderungsbereitschaft des Rauchers erfasst werden. Das Stadienmodell der Veränderung von Prochaska und DiClemente (1983) geht davon aus, dass vor dem endgültigen Ausstieg aus dem Tabakkonsum ein dynamischer Prozess durchlaufen wird. Die Einteilung unterscheidet zwischen stabilen Rauchern (konsonante Raucher, die keine wesentlichen Nachteile des Rauchens feststellen), Rauchern mit Aufhörabsicht (ambivalente Raucher, die eine Abstinenz langfristig anstreben, aber noch keine konkreten Schritte unternehmen), Rauchern in Vorbereitung (Raucher, die einen konkreten Ausstieg in nächster Zeit planen), Exrauchern in der Handlungsphase (jüngst abstinente Raucher, die noch einer starken Rückfallgefährdung unterliegen) und stabilen Exrauchern.
Transtheoretisches Modell
Im sog. transtheoretischen Modell wird angenommen, der Raucher durchlaufe nacheinander die Stadien der Absichtslosigkeit, der Vorüberlegung sowie der Absichtsbildung, umschließlich in die Handlungsphase einzutreten. Die Erfassung der Tabakanamnese in einem Dokumentationssystem erhöht laut der aktuellen S3-Leitlinie (Batra et al. 2015) die Wahrscheinlichkeit für Interventionen (Evidenzgrad Ia). Die Identifizierung des Raucherstatus sollte zu einer individualisierten Empfehlung zum Rauchstopp führen.

Morbidität und Komorbidität

Folgeerkrankungen des Rauchens

Die WHO beobachtet einen kontinuierlichen Anstieg der tabakbedingten Todesfälle in Industrienationen sowie Ländern der Dritten Welt. Bis zum Jahr 2030 sollen weltweit jährlich 8 Mio. Menschen an den Folgen des Rauchens frühzeitig versterben (WHO 2009). In Deutschland sterben ca. 110.000–140.000 Menschen pro Jahr an den Folgen des Tabakkonsums (Neubauer et al. 2006). Circa 17 % der Gesamtmortalität in Deutschland gehen auf einen vorzeitigen Tod im Zusammenhang mit dem Tabakkonsum (zu ca. 80 % bedingt durch kardiovaskuläre Erkrankungen, Lungenerkrankungen und Karzinome) zurück (Peto et al. 2006; Critchley und Capewell 2003). Die Hälfte aller tabakbedingten Todesfälle erfolgt vor dem 70. Lebensjahr (Peto et al. 2006). Zahlreiche Studien weisen eine Verkürzung der Lebenserwartung von Rauchern gegenüber Nichtrauchern um durchschnittlich etwa 8–10 Jahre nach (Doll et al. 2004). Auch Passivraucher, d. h. Nichtraucher, die regelmäßig dem Tabakrauch am Arbeitsplatz oder in der privaten Umgebung ausgesetzt sind, sind durch die Tabakexposition gesundheitlich nachhaltig gefährdet und tragen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Karzinomen oder kardiovaskulären Erkrankungen.
Rauchen ist der bedeutsamste vermeidbare gesundheitliche Risikofaktor für lebensbedrohliche, aber auch vital weniger gefährdende gesundheitliche Störungen (z. B. Wundheilungsstörungen, Parodontose, Osteoporose, Infertilität, nachlassende körperliche Leistungsfähigkeit).
Tabakkonsum ist als maßgeblicher Risikofaktor für zahlreiche Karzinome anzusehen. An erster Stelle steht das Bronchialkarzinom, aber auch Kehlkopf-, Mundhöhlen- oder Speiseröhrenkarzinome werden durch den Tabakkonsum mitverursacht. Leukämien, Karzinome von Magen, Pankreas, Harnblase oder Niere treten bei Rauchern häufiger auf. Karzinomerkrankungen werden u.a. durch die im Tabakrauch enthaltenen Nitrosamine, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, Benzol und radioaktiven Substanzen begünstigt (Chiba und Masironi 1992).
Freie Radikale, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide und Wasserstoffzyanide verursachen atherosklerotische Veränderungen und sekundär kardiovaskuläre Erkrankungen (periphere, kardiale oder zerebrale Durchblutungsstörungen oder Infarkte). Lungenemphyseme und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) als Folge des Tabakkonsums sind neben den Karzinomen und kardiovaskulären Erkrankungen als drittwichtigste Ursache der tabakassoziierten Mortalität anzusehen.

Psychiatrische Komorbidität

Die Prävalenz des Rauchens bei Patienten mit schizophrenen Psychosen, depressiven Erkrankungen, anderen Suchterkrankungen, aber auch mit Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen und Angsterkrankungen ist gegenüber der Normalbevölkerung erhöht. Viele Untersuchungen weisen nach, dass auch die Schwere der Abhängigkeit und der Umfang des Zigarettenkonsums in diesen Populationen deutlich höher sind (Rüther et al. 2014). Die höhere Raucherprävalenz bei Patienten mit psychiatrischen Störungen mag eine Erklärung für deren reduzierte Lebenserwartung sein.
Die der Tabakabhängigkeit zugrunde liegenden Pathomechanismen sind für jede dieser Störungen gesondert zu betrachten (Batra 2000; Rüther et al. 2014):
Synergistische Verstärkung des Belohnungssystems bei Suchterkrankungen
Patienten mit Suchterkrankungen erleben eine synergistische Verstärkung des Belohnungssystems im Nucleus accumbens durch Alkohol, Nikotin, Kokain, Amphetamine und Opiate. Einige negative Wirkungen des Alkohol- oder Drogenkonsums auf kognitiver Ebene können durch eine zeitgleiche Aufnahme von Nikotin kompensiert werden. Psychosoziale Lebensfaktoren alkohol- oder drogenabhängiger Personen (Peergroups, Armut, geringer sozialer Status) unterstützen einen starken und regelmäßigen Tabakkonsum.
Affektive Regulation bei Depression
Patienten mit Depressionen oder Angststörungen erleben durch Nikotin und andere Tabakrauchbestandteile eine affektive Regulation, die vermutlich auf eine antidepressive Wirkung des Nikotins und anderer Tabakrauchbestandteile, die als Monoaminoxidasehemmer wirken, zurückgeht. Hierin liegt eine Erklärung für die hohe Prävalenz des Rauchens bei depressiven Personen, die mit der Zigarette über eine Möglichkeit zur Selbstmedikation verfügen.
Verschiedene motivationale Faktoren bei Schizophrenie
Für Patienten mit einer schizophrenen Störung werden verschiedene motivationale Faktoren für einen regelmäßigen Tabakkonsum benannt:
  • das Umfeld,
  • Langeweile,
  • eine von Therapeuten zugestandene, vermeintlich im Tabakkonsum verankerte Lebensqualität,
  • psychopharmakologische Wirkungen des Nikotins sowie
  • die Enzyminduktion, die über Tabakrauchbestandteile vermittelt wird und zu einer Beschleunigung des Abbaus mancher Psychopharmaka führt.

Therapie

Untersuchungen zur Spontanabstinenz zeigen, dass viele Raucher mehrere Aufhörversuche unternehmen, ehe sie abstinent werden. Bei Aufhörversuchen ohne professionelle Unterstützung bleiben langfristig nur ca. 1–6 % der Raucher tabakabstinent (Fiore et al. 2008). Maßnahmen zur Reduktion der Raucherprävalenzen zielen daher sowohl auf eine Verhinderung des Einstiegs als auch auf eine Unterstützung des Ausstiegs ab.
Die Wirksamkeit sowohl der psychotherapeutischen als auch der medikamentösen Therapiemaßnahmen ist gut untersucht. Aktuelle Metaanalysen aus der Cochrane Study Group sowie nationale evidenzbasierte Therapieleitlinien (Andreas et al. 2014; Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2010; Batra et al. 2015; Fiore et al. 2008) empfehlen (mit einem Evidenzlevel von jeweils Ia bzw. Ib) aufgrund der vorhandenen Datenlage in Abhängigkeit vom Motivationsstadium des Rauchers und der differenziellen Indikation
  • den Einsatz ärztlicher Beratungsgespräche,
  • Kurzinterventionen,
  • verhaltenstherapeutische Einzel- und Gruppentherapien oder Selbsthilfemanuale sowie
  • eine medikamentöse Unterstützung.
Die Akupunktur hat trotz der großen Popularität noch keinen Beleg für ihre Wirksamkeit geliefert. In Metaanalysen zeigt sich im langfristigen Verlauf kein Unterschied zwischen Placebo- und Verumakupunktur (White et al. 2014). Die Datenlage für die Hypnose ist noch zu uneinheitlich, als dass hier eine endgültige Bewertung vorgenommen werden könnte (Barnes et al. 2010), allerdings kann die Hypnotherapie nach den aktuellen Leitlinien (Batra et al. 2015) als alternative Behandlungsform angeboten werden.

Präventionsstrategien

Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung des Einstiegs in den Tabakkonsum versuchen zum einen mit Hilfe von psychoedukativen Elementen zum anderen über eine Kompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen den Einstieg in den Konsum von Suchtmitteln zu verhindern. Verschiedene Präventionsmaßnahmen zielen auf unterschiedliche Klassenstufen. Ein Beispiel für eine Frühintervention in der Grundschule ist das Programm KLASSE2000, das am Klinikum Nürnberg entwickelt wurde. Dieses 45-stündige Kompetenzprogramm versucht in Zusammenarbeit mit Lehrkräften, Eltern und Gesundheitsförderern Körperbewusstsein, soziale Kompetenzen und Selbstwertgefühl zu stärken.
Auch andere Programme mit einem eher kompetitiven Ansatz, wie z. B. „Be smart – don’t start“ des Instituts für Therapieforschung (IfT) Nord, das in den 5. bis 8. Schulklassen durchgeführt wird und eine Tabakabstinenz der Schulklasse zur Bedingung für die Teilnahme an einer Verlosung macht, genießen innerhalb Deutschlands eine große Popularität.

Kurzinterventionen

Der ärztliche Ratschlag zur Beendigung des Rauchens ist wirkungsvoll (Stead et al. 2013; Evidenzgrad Ia). Maßnahmen, die mithilfe der motivierenden Gesprächsführung nach Miller und Rollnick (2015) auf eine Änderung des Problemverhaltens zielen, sind darüber hinaus hilfreich und effektiver als eine alleinige ärztliche Beratung (Lindson-Hawley et al. 2015; Evidenzgrad Ia). Zentrales Merkmal ist hierbei ein klientenzentriertes Vorgehen, um die intrinsische Veränderungsmotivation durch die Aufdeckung von Widersprüchen im Umgang mit Suchtmitteln zu erhöhen und die Diskrepanzen zwischen dem eigenen Verhalten und wichtigen Lebenszielen zu verdeutlichen. Die motivierende Gesprächsführung soll Raucher in einem konsonanten Stadium motivieren, Vor- und Nachteile des Rauchens gegeneinander abzuwägen und über eine Beendigung des Tabakkonsums nachzudenken. Raucher, die sich bereits in der dissonanten Phase befinden, sollen den Anstoß erhalten, den Ausstiegsversuch in naher Zukunft zu unternehmen.
Es besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung der Beratungsleistungen und der Wahrscheinlichkeit für einen Abstinenzversuch, daher wird empfohlen, Minimalinterventionen über eine reine Kurzberatung hinausgehen zu lassen (Fiore et al. 2008; Batra et al. 2015; Evidenzgrad Ia).
Ausgehend von der Beobachtung, dass die im Stadienmodell (s. o.) formulierte Motivationshierarchie vielfach nicht eingehalten wird, wird das transtheoretische Modell in neuerer Zeit infrage gestellt (West 2005). Insbesondere der daraus abgeleitete Algorithmus zur Motivationsförderung von Rauchern in unterschiedlichen Motivationsstadien wurde kritisiert, da hierdurch möglicherweise scheinbar stabilen Rauchern eine Beratung zur Beendigung des Rauchens vorenthalten wird.
Seit 2009 liegt ein Ausbildungscurriculum der Bundesärztekammer zur ärztlichen Raucherberatung vor. Die ärztliche Raucherberatung ist bislang allerdings nicht als vertragsärztliche Leistung anerkannt. Allerdings ist sie als Behandlungselement in strukturelle Therapieprogramme für koronare Herzerkrankung sowie für chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD), Asthma bronchiale und Diabetes mellitus Typ II integriert. Die Raucherberatung kann nach dem gegenwärtigen Stand (2015) nur außerhalb der vertragsärztlichen Leistungen im Sinne einer individuellen Gesundheitsleistung (IGEL) angeboten werden, obgleich der Gemeinsame Bundesausschuss im Oktober 2009 die Tabakentwöhnung in das DMP-Behandlungsprogramm für COPD-Patienten (DMP = Disease-Management-Programm) aufgenommen hat. Die Krankenkassen gewähren in vielen Fällen im Rahmen der Präventionsleistungen im Sinne des § 20 SGB V die Rückerstattung eines Teils der Behandlungskosten sog. „Raucherentwöhnungskurse“, die verhaltenstherapeutisch konzipiert sind.

Verhaltenstherapeutische Gruppentherapien

Die derzeit umfassendsten und wirksamsten Therapieverfahren („Raucherentwöhnungskurse“) zur Behandlung der Raucher verwenden die Gruppentherapie, um kompetitive und unterstützende Ansätze innerhalb der Gruppe zu nutzen (Batra et al. 2015; Fiore et al. 2008; Stead und Lancaster 2005; Evidenzgrad Ia). Gängige „Raucherentwöhnungsprogramme“ umfassen zwischen 3 und 10 Termine im Verlauf von 1 bis zu 10 Wochen (als Beispiel: Batra und Buchkremer 2004). Dabei werden im Regelfall die folgenden Phasen durchlaufen:
1.
In der ersten Therapiephase werden vorbereitend motivationsfördernde und psychoedukative Maßnahmen sowie Beobachtungsaufgaben eingesetzt, um rückfallkritische Situationen zu identifizieren.
 
2.
In der Phase der Konsumbeendigung werden üblicherweise mithilfe von Selbstkontrollmethoden, der Technik der Verhaltensverstärkung und der sozialen Kontrolle und häufig mit begleitender medikamentöser Unterstützung (s. u.) die meisten teilnehmenden Raucher abstinent. In den meisten Fällen wird eine Konsumbeendigung im Sinne einer Punkt-Schluss-Methode (sofortiger Rauchstopp nach der ersten Therapiewoche) gewählt, einzelne Programme verwenden auch einen Reduktionsansatz mit einer allmählichen Reduktion des täglichen Zigarettenkonsums.
 
3.
Die dritte Phase zielt auf eine Stabilisierung des Nichtrauchens ab und verwendet Rollenspieltechniken, den Aufbau von Alternativverhalten und gesundheitsförderlichem Verhalten (Sport, gesunde Ernährung), aber auch die Vermittlung von Maßnahmen und Handlungsmöglichkeiten zur raschen Beendigung eines Rückfalls.
 
EBM-Info zur Verhaltenstherapie
Evidenzbasierte Leitlinien (Andreas et al. 2014; Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2010; Batra et al. 2015; Fiore et al. 2008) sehen keinen großen Unterschied zwischen einzel- und gruppentherapeutisch vermittelten verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Beide Formen der Therapie sind aber unter Verwendung der o. g. Faktoren (soziale Kompetenz, Verstärkung sozialer Unterstützung) im Vergleich zu anderen unspezifischen Motivations- und Beratungsmaßnahmen überlegen und auch wirksamer als Selbsthilfematerialien (Stead und Lancaster 2005; Lancaster und Stead 2005; Evidenzgrad Ia).
Rückfallpräventionsprogramme, die die langfristige Abstinenz aufrechterhalten sollen (beispielsweise mithilfe eines Trainings zur Identifikation und Bewältigung von Risikosituationen, einer verlängerten Behandlungszeit oder einer Verlängerung der medikamentösen Unterstützung), zeigen bei bereits erreichter Abstinenz als Ergänzung zu dem beschriebenen einzel- oder gruppentherapeutischen Vorgehen keinen additiven Effekt (Agboola et al. 2010).

Medikamentöse Unterstützung der Behandlung

Nach einer Vielzahl von Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten für die Entwöhnung des Rauchers wurden bislang nur Nikotinersatztherapeutika sowie Bupropion und Vareniclin für die Behandlung zugelassen. In den Leitlinien werden diese Substanzen als wirksame Formen der Unterstützung der Tabakabstinenz beschrieben (Cahill et al. 2013; Hughes et al. 2014; Stead et al. 2012; Evidenzgrad Ia). Als Reservemedikamente (ohne Zulassung für diese Indikation) werden Nortriptylin, Cytisin und Clonidin genannt (Batra et al. 2015; Fiore et al. 2008). Insbesondere abhängige Raucher profitieren von einer medikamentösen Unterstützung und sollten bei Empfehlung Nikotinersatz, Bupropion oder Vareniclin erhalten. Die Wirksamkeit wurde in zahlreichen Studien belegt. Neuere Studien weisen außerdem nach, dass die Kostenrückerstattung einer medikamentösen Unterstützung der Tabakentwöhnung deren Wirksamkeit erhöht (Kaper et al. 2006).
Nikotinersatztherapeutika
Nikotinersatztherapeutika stehen als Nikotinkaugummi, Nikotinpflaster, Nikotinnasalspray (in Deutschland nicht erhältlich), Nikotinmundspray, Nikotininhaler und Nikotintabletten zur Verfügung. Empfohlen wird eine vorübergehende Nikotinsubstitution für die Dauer von max. 3 Monaten. Während dieser Zeit sollte die Dosis stetig reduziert werden. Aus suchttherapeutischer Sicht sollten dem Nikotinpflaster oder dem Nikotinkaugummi der Vorzug gegeben werden, für stark abhängige Raucher hat sich auch das Nikotinmundspray als praktikable und effektive Lösung erwiesen. Eine therapeutische Nikotinsubstitution erhöht die Abstinenzwahrscheinlichkeit um den Faktor 1,4 (Nikotinkaugummi) bis über 2 (Nikotinmundspray, Cahill et al. 2013; Evidenzgrad Ia).
Seit 2006 ist die Zulassung für Nikotinkaugummi nicht mehr auf den Rauchstopp begrenzt, sondern erweitert worden auf die Reduktion des Zigarettenkonsums mit dem Ziel einer Beendigung des Rauchverhaltens.
Bupropion
Bupropion ist ein monozyklisches Antidepressivum aus der Gruppe der amphetaminähnlichen Substanzen, das die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin verhindert. Dadurch kommt es zu einer Reduktion des Cravings, der Entzugssymptome und der Gewichtszunahme unter der Behandlung. Die Erfolgsaussichten einer Behandlung mit Bupropion sind etwa doppelt so hoch wie unter Placebo (Batra et al. 2015; Hughes et al. 2014; Evidenzgrad Ia). Nebenwirkungen im Sinne von epileptischen Anfällen machen eine sorgfältige ärztliche Indikationsstellung und Überwachung der Therapie erforderlich.
Vareniclin
Vareniclin wurde im Herbst 2006 für die Behandlung der Tabakabhängigkeit zugelassen. Vareniclin wirkt als partieller Agonist am α4β2-Nikotinrezeptor. Zum einen werden hierdurch Nikotineffekte simuliert und die dopaminerge Stimulation des Rauchers aufrechterhalten, zum anderen wird ein zusätzlicher Tabakkonsum aufgrund der mangelhaften Wirksamkeitsentfaltung des Nikotins verhindert. An Nebenwirkungen werden Übelkeit, Kopfschmerzen, Erbrechen, Schlaflosigkeit und Flatulenz beschrieben. Die bisherige Studienlage lässt jedoch auf eine nebenwirkungsarme, effektive medikamentöse Unterstützung schließen. Die Wirksamkeit gilt als etwas höher als die Effektivität von Bupropion oder Nikotinersatz (Cahill et al. 2013; Batra et al. 2015; Evidenzgrad Ia).
EBM-Info zur Behandlung der Tabakabhängigkeit
Die regelmäßige Dokumentation des Rauchstatus eines jeden Patienten erhöht die Rate ärztlicher Empfehlungen zur Beendigung des Tabakkonsums (Evidenzgrad Ia). Jeder Raucher sollte einen ärztlichen Ratschlag erhalten, den Tabakkonsum zu beenden (Evidenzgrad Ia). Über eine einfache Empfehlung hinausgehende effektive Gesprächsalgorithmen nutzen die Techniken der motivierenden Gesprächsführung. Mit höherer Intensität der motivierenden Unterstützung steigt auch die Wirksamkeit der Beratung (Evidenzgrad Ia).
Gruppentherapien und einzeltherapeutische Maßnahmen zur Entwöhnungsbehandlung von Rauchern verwenden verhaltenstherapeutische Elemente im Sinne von Problemlösetechniken, Training von Bewältigungsfertigkeiten in rückfallgefährlichen Situationen und die Einbeziehung einer sozialen Unterstützung (Evidenzgrad Ia).
Die medikamentöse Unterstützung des Rauchers während des Entzugs mithilfe der Nikotinersatztherapie, des Antidepressivums Bupropion und des selektiven, partiellen α4β2-Nikotinrezeptoragonisten Vareniclin (alle Evidenzgrad Ia) erhöht die langfristigen Erfolgsquoten von Tabakentwöhnungsversuchen.
Literatur
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