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Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland

Verfasst von: Heiner Fangerau und Anne Oommen-Halbach
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie als organisiertes medizinisches Fach ist wie viele medizinische Spezialfächer eine relativ junge Disziplin. Der Beitrag zeichnet auf Basis bisher publizierter Arbeiten in großen Linien die Geschichte der Kinderpsychiatrie als Fach nach. Das ärztliche Spezialistendenken mit Bezug zur Psychiatrie des Kindesalters im 19. Jahrhundert wird beschrieben und die Entwicklung des Fachs in Deutschland im Kaiserreich, der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit wird nachvollzogen. Im Zentrum stehen dabei verschiedene Knotenpunkte der Entwicklung mit einem Fokus auf die enger medizinisch definierte Fachentwicklung. Es erfolgt eine kurze Einordnung in Spezialisierungsprozesse in der Medizin insgesamt. Das Ziel des Kapitels ist es, Leserinnen und Leser dieses Lehrbuches für die Geschichte des eigenen Fachs zu sensibilisieren und zur Reflexion über das eigene heutige Denken und Handeln in Forschung und Praxis anzuregen.

Einleitung

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie als organisiertes medizinisches Fach ist wie viele medizinische Spezialfächer eine relativ junge Disziplin. Die oft herangezogenen Hauptindikatoren der Disziplinenentwicklung verweisen auf die letzten 60 Jahre: Während Lehrbücher bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert existieren, wurde ein Facharzttitel erst 1968/1969 anerkannt und erste Ordentliche Professuren wurden in der DDR 1959 und in der BRD 1963 etabliert. Der vorliegende Beitrag kann nur die großen Linien der Geschichte der Kinderpsychiatrie als Fach in groben Zügen nachzeichnen und bezieht sich vornehmlich auf Sekundärliteratur. Dabei kann er sich allerdings auf eine Reihe von umfangreichen und lesenswerten Arbeiten zur Kinder- und Jugendpsychiatrie stützen, denn wie einer der Herausgeber dieses Buches vor mehr als 20 Jahren festhielt, hatte das in den 1980er-Jahren als erwachsen geworden wahrgenommene Fach die Phase der historischen Selbstvergewisserung überwunden und Historiker und Fachvertreter hatten begonnen, vertiefende Arbeiten zur Disziplinengeschichte vorzulegen, um so zur „Entwicklung der fachspezifischen theoretischen Erkenntnisinteressen“ sowie zu einer „aus den spezifischen Inhalten der Disziplin selbst ausgefüllten Autonomie“ beizutragen (Fegert 1986, S. 128 f.; siehe auch Parry-Jones 1992). Diese Beiträge reichen von sehr informativen Lexikoneinträgen (Siefert 2005), Einleitungen zu Lehrbüchern oder Übersichtsartikeln (Warnke und Lehmkuhl 2003; Neve und Turner 2002; Remschmidt 1988; Nissen 1991) bis hin zu umfassenden Darstellungen (Castell et al. 2003; Nissen 2005) und biografischen Zusammenstellungen (Castell 2008).
Nichtsdestowenigerˋ ist die Geschichte des Fachs und seiner Inhalte eine verwinkelte und schwierige Spezialisierungsgeschichte, die nicht ohne weiteres auf Denkinhalte früherer Epochen zurückbezogen werden kann. Zwar ist die Beschäftigung mit psychischen Leiden von Kindern bis weit in die Geschichte (mindestens bis ins 16. Jahrhundert) zurück verfolgbar (siehe insbesondere Nissen 2005, S. 17–127, 1974). Diese ist allerdings nicht in direkter Linie als Kinder- und Jugendpsychiatrie im engeren Sinne zu begreifen. Vielmehr stellt sie sich aus heutiger Sicht als Hybrid aus Geschichte der Fürsorge, der Erziehung, der Medizin und des Rechts dar, die keineswegs so geradlinig in der heutigen Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgingen, wie manche knappe Schilderungen (wie auch die hier vorliegende) es glauben machen könnten. Entsprechend der Ausrichtung des vorliegenden Buches konzentriert sich auch die folgende Darstellung auf die eng medizinisch-psychiatrisch verstandene Kinder- und Jugendpsychiatrie und unterschlägt die vielfältigen Mittel, Wege, Einrichtungen und Akteur/-innen, die im Umfeld der Kinderpsychiatrie Einfluss auf das Denken und die Institutionalisierung des Faches hatten. Hier sei auf einschlägige Fachliteratur, wie etwa die literaturreiche Übersicht zur Sonderpädagogik von Ellger-Rüttgart (Ellger-Rüttgart 2008), verwiesen. Im Wesentlichen geht es im Folgenden um die Ausdifferenzierung und Spezialisierung des Fachs entlang ausgewählter Knotenpunkte.
Das Phänomen der Spezialisierung in der Medizin wird dabei seit längerem theoretisch diskutiert. Wie schon vom Autor dieser Übersicht an anderem Ort zur Spezialisierung der Urologie als medizinisches Spezialfach ausgeführt (Fangerau und Imhof 2015) nutzen einige der Arbeiten historische Referenzpunkte, um einen quasi zwangsläufigen, naturgesetzlichen, deterministischen Charakter der Spezialisierung zu postulieren. Wie Luce und Byyny sich 1979 ausdrückten, halten sie Spezialisierung für einen historisch unabwendbaren Prozess (Luce und Byyny 1979, S. 377). Zumindest retrospektiv lassen sich in der Tat Phasen der Spezialisierung rekonstruieren (Guntau 1986; Guntau und Laitko 1987). Es ist aber im Blick zu behalten, dass das Konzept der Spezialisierung zunächst dazu diente, ein Interpretationsmuster für die Beobachtung von beschleunigten Prozessen der Gründung von medizinischen und wissenschaftlichen Gesellschaften und/oder Zeitschriften zu bieten. Es handelt sich also bei der „Spezialisierung“ nicht um eine deterministisch wirkende, mystische Kraft, die die institutionelle Entwicklung der Medizin und der Wissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert bestimmt, sondern um den Versuch einer Beschreibung der aus unterschiedlichen Interessen heraus erfolgten Ausdifferenzierung von Arbeitsfeldern. Diese Ausdifferenzierung von Arbeitsfeldern und die dabei verfolgten Interessenlagen wiederum wirken zurück auf die beteiligten Akteure und prägen ihr Selbstverständnis. Das was als Spezialisierung begriffen wird, erscheint dabei weniger gerichtet als ergebnisoffen, spezifisch und historisch kontingent (Fangerau und Imhof 2015).

Psychiatrie des Kindesalters im 19. Jahrhundert

Das ärztliche Spezialistendenken mit Bezug auf psychisch kranke und geistig behinderte Kinder hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Bereits im 18. Jahrhundert allerdings waren Kinder zunehmend als der Erziehung bedürftige Individuen wahrgenommen worden und Autoren wie Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) hatten der Kindheit als Bildungsphase ein besonderes Gewicht verliehen. Diese eher pädagogischen und weniger medizinischen ideellen Grundlagen trafen im 19. Jahrhundert auf ideengeschichtliche und sozialhistorische Rahmenbedingungen, die sich in groben Zügen wie folgt schildern lassen (für eine ausführliche Schilderung siehe z. B. Nissen 2005).
Im medizinischen Kontext hatte sich zunehmend eine naturgeschichtliche Weltsicht durchgesetzt. In Deutschland war nicht zuletzt Ernst Haeckel (1834–1919) als Popularisator der Evolutionstheorie hervorgetreten. Insbesondere seine These, dass sich die Stammesgeschichte einer Art (Phylogenese) in der Einzelentwicklung eines Lebewesens (Ontogenese) wiederhole, das sog. biogenetische Grundgesetz, wurde von der Embryologie und Biologie auch auf die Psychologie übertragen. Inspiriert von diesen Gedanken publizierte etwa der Embryologe William Preyer (1841–1897) 1882 ein Buch mit dem Titel „Die Seele des Kindes“ (Preyer 1882), in dem er relativ detailreich die Kleinkindentwicklung seines Sohnes schilderte (Cairns und Cairns 2006, S. 92–100). Seine Arbeit wurde auch noch viele Jahre nach dem Erscheinen von Entwicklungspsychologen wie William Stern (1871–1938) methodisch und inhaltlich rezipiert (Hoppe-Graff und Kim 2007). Diese Ideen entstanden zur gleichen Zeit, in der Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und die damit einhergehenden Arbeits- und Lebensverhältnisse klassische Familienkonstellationen zumindest in der Arbeiterklasse zur Auflösung gebracht hatten. Kinderarbeit, Kinderarmut, aber auch -verwahrlosung wurden als Massenphänomene wahrgenommen. Philanthropische und pädagogische Initiativen, die Abhilfe für die betroffenen Kinder schaffen wollten, setzten neben die schon seit der frühen Neuzeit bestehenden Funden- und Waisenhäuser neue Institutionen. Auch die alten Funden- und Waisenhäuser waren nicht nur reine Verwahranstalten gewesen: Sie waren Orte der Erziehung und Disziplinierung, der Vorbereitung auf ein Arbeitsleben und der – wenn auch in eingeschränktem Rahmen – medizinischen Versorgung (Griemmert 2012; Ritzmann 2008). Die neuen Einrichtungen verfolgten jedoch neben der Erweiterung der Plätze für arme und verwahrloste Kinder explizit und dezidiert verschiedene neue Erziehungs- und Bildungsideale im Sinne der Aufklärung, um die Entwicklung von Kindern unter diesen Verhältnissen zu gewährleisten.
Für psychisch kranke und geistig behinderte Kinder, die vielleicht in alten Dorfgemeinschaften noch Aufgaben hatten übernehmen können, wurde es nahezu unmöglich, angemessen auf die Herausforderungen der Gesellschaft der Moderne zu reagieren, sich in Standards der Industrialisierung einzufügen und im Sinne der Moderne zu funktionieren (Thomson 1998). Die in der ärztlichen Theorie und juristischen Praxis diskutierte Trennung zwischen „Geistesschwachen“ und „Geisteskranken“ hatte bis dahin in der Lebensrealität der Gesellschaft keine wirkliche Rolle gespielt (siehe hierzu und zum Folgenden auch Fangerau 2006). Eine ätiologische oder prognostische Unterscheidung wurde ebenso wenig vorgenommen wie eine Binnendifferenzierung der Gruppe der „Geistesschwachen“ nach Schweregrad ihrer Erkrankung (Kanner 1964). Dies änderte sich unter anderem mit der Idee, geistige Leistungsfähigkeit zu messen, zu objektivieren, und damit vergleichbar zu machen. Der Arzt und Pädagoge Edouard Séguin (1812–1880) etwa postulierte eine sich kontinuierlich gestaltende Variationsbreite menschlichen Intellekts, die von Normalität über „Imbezilität“ bis zur „Idiotie“ reichte. Alfred Binet (1857–1911) und Théodore Simon (1873–1961) entwickelten auf der Basis der Untersuchung von Kindern eine Skala des durchschnittlichen, statistischen Leistungsvermögens in einzelnen Altersstufen, einen ersten Intelligenztest, der es erlaubte, individuelle Geistesfähigkeiten altersspezifisch mit dem Durchschnitt einer Population zu vergleichen (Berrios 1996, S. 157–171). Für eine abschließende medizinische und/oder pädagogische Beurteilung des Messergebnisses mussten Normalwertvorstellungen entwickelt werden, die ihrerseits auf moralischen, erwünschtes Verhalten betreffenden Kriterien ebenso fußten wie auf statistischen Verteilungen und biologisch verstandenen Parametern.
Für geistesschwache Kinder sollten nun, wie etwa für Waisenkinder, Unterbringungseinrichtungen geschaffen werden (Fandrey 1990), wobei insbesondere die Frage im Raum stand, ob solche Einrichtungen nur der Versorgung, Erziehung und Bildung oder auch der Heilung von geistig behinderten Kindern dienen könnten. Psychiater, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts die prinzipielle Heilbarkeit von Geisteskrankheiten propagierten und entsprechend für den Ausbau einer Infrastruktur von Heil- und Pflegeanstalten eintraten, verneinten die Frage der Heilbarkeit von Geistesschwäche. Entsprechend sah beispielsweise der Psychiater Heinrich Damerow (1798–1866) die Errichtung von „Aufbewahrung-Bewahr-Behütungs-Halte-Pflegeanstalten für Idioten“ als private, wohltätige und nicht als vom Staat zu bewältigende Aufgabe an (Damerow 1858; zitiert nach Kuhlo 1974, S. 130). So bestand am Ende des 19. Jahrhunderts die deutsche Fürsorgelandschaft auch vornehmlich aus konfessionell-karitativ-pädagogischen Einrichtungen. Die „Idiotenfürsorge“ wurde als zentrale Aufgabe etwa der Inneren Mission begriffen (Kuhlo 1974, S. 141). Für ein langsames Umdenken unter den deutschen Psychiatern waren vor allem die Erfahrungen der französischen Psychiatrie wegweisend: Hierzu zählte nicht nur die erfolgreiche Unterrichtung von Taubstummen, sondern auch die unter ärztlicher Aufsicht geführten Anstalten für „Idioten“ (Kuhlo 1974, S. 133–137). Zunehmend sahen sie in der Versorgung der „Schwachsinnigen“ nicht mehr nur eine Aufgabe für Betreuungspersonal und Pädagogen. Je nach Ursache der geistigen Behinderung sollten nun auch besonders ausgebildete Ärzte Aufgaben in der Fürsorge und Behandlung übernehmen. Der „Verein deutscher Irrenärzte“ stellte 1893 sogar fest, dass nicht unter ärztlicher Leitung stehende Behinderteneinrichtungen nicht dem Stand der Wissenschaft und Humanität entsprächen und es der Würde des ärztlichen Standes widerspräche, in Einrichtungen zu arbeiten, in denen eine ärztliche Leitung nicht gewährleistet sei (Kuhlo 1974, S. 144).
In ähnlicher Weise wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert nun auch Geisteskrankheiten bei Kindern zunehmend als spezielles Problem gesehen und in Lehrbüchern als eigenes psychiatrisches Themenfeld geschildert (Hauss 1989). Hatte Ernst Albert von Zeller (1804–1877) 1844 seine Beschreibung kindlicher Pathologien noch auf einen „Bericht über die Wirksamkeit“ der von ihm geleiteten Heilanstalt Winnenthal in der „Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie“ beschränkt (Nissen 2005, S. 326 ff.), setzte sich Wilhelm Griesinger (1817–1868) 1861 in der 2. Auflage seines Lehrbuchs wenigstens kurz systematisch in 2 Paragraphen (5 Seiten) mit dem Auftreten und den Erscheinungsformen von Geisteskrankheiten im Kindesalter und in der Jugend auseinander. Er sah hier im Wesentlichen die gleichen Störungen wie bei Erwachsenen, die aber im Ganzen je seltener aufträten, desto jünger die Kinder seien. Er differenzierte die Geisteskrankheiten bei Kindern deutlich vom „Idiotismus“, dem er ein eigenes ca. 50 Seiten umfassendes Kapitel widmete (Nissen 2005, S. 334; Griesinger 1861, S. 146–150). Auch Heinrich Schüle (1840–1916) findet in historischen Rückblicken immer wieder Erwähnung, weil er in seinem 1878 erschienenen Handbuch der Geisteskrankheiten neben Ausführungen zu Geschlechtsunterschieden und psychiatrischen Störungen im Alter auch 2 kurze Unterkapitel zum Kindesalter und zur Pubertät angelegt hatte. Explizit führte Schüle hier zu Beginn aus, dass die kindlichen Erscheinungsformen der bei Erwachsenen auftretenden Erkrankungen sich anders als bei letzten zeigten „weil die Patienten eben noch Kinder sind, noch ein kindliches Gehirn mit eigenartiger Reaction haben“ (Schüle 1878, S. 222). Im Folgenden listete er „Formen des kindlichen Irreseins“ auf, angefangen von der Epilepsie über „aufgeregtes Traumerleben“ und Melancholie (erst ab 8–9 Jahren) bis hin zu Feindseligkeit und Impulsivität sowie Gewalttätigkeit. Als Ursachen nannte er neben der Erblichkeit u. a. Hirnschäden durch Infektionen und Kopfverletzungen, ab der Pubertät Onanie, aber auch Fehler in der Erziehung durch Strenge, Gewalt oder zu große Nachsichtigkeit.
Das erste rein die Kinderpsychiatrie behandelnde Lehrbuch folgte 10 Jahre (1887) später. Hermann Emminghaus (1845–1904) verfasste im Rahmen des von Carl Gerhardt (1833–1902) herausgegebenen Handbuchs der Kinderkrankheiten einen Nachtragsband, in dem er ausschließlich „Die psychischen Störungen des Kindesalters“ behandelte. Wie Nissen (Nissen 2005, S. 359 ff.) und fast alle anderen einleitend genannten Autoren anmerken, ist Emminghaus‘ Bedeutung für die Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie als Spezialfach nicht zu unterschätzen, da er nicht die Pathologie von Erwachsenen auf Kinder übertrug, sondern versuchte, eine eigene Psychopathologie des Kindesalters vorzulegen. Aus der Retrospektive wird sein Buch in vielen Rückblicken auch deshalb hervorgehoben, da ein thematisches Lehrbuch neben einer Fachzeitschrift und einer Fachgesellschaft als Grundpfeiler einer wissenschaftlichen/medizinischen Spezialisierung angesehen wird. Emminghaus‘ Buch erfüllte im Narrativ der Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie somit auch immer die Funktion des Ausgangspunkts bzw. Initiationsmoments zum Zweck der disziplinären Selbstvergewisserung.
Emminghaus’ Buch erschien nicht umsonst in einer pädiatrischen Reihe, war doch die von ihm propagierte Psychopathologie des Kindesalters eher anschlussfähig an die Konzepte der Pädiatrie, deren besonderes Charakteristikum ebenfalls der sich durch Wachstum und Entwicklung dynamisch verändernde Patient ist, als an die Erwachsenenpsychiatrie. So eröffnete Emminghaus sein Buch nicht umsonst mit einer vierseitigen Einlassung, in der er das neue Themengebiet der Kinderpsychiatrie fachlich zu verorten versuchte. Dabei sah er Aufgaben sowohl bei den Kinderärzten als auch den Psychiatern, die beide seit einiger Zeit eine systematische Bearbeitung kindlicher psychischer Pathologien forderten. Beide Disziplinen würden „gerechte Ansprüche“ auf das „gewissermaßen ein neutrales Grenzgebiet“ darstellende Feld erheben, wobei Emminghaus hoffte, dass die „bisher auch erfreulich friedliche – gemeinsame Arbeit der beiden Specialitäten“ mit ihren jeweiligen Kompetenzen „reiche Früchte tragen“ möge (Emminghaus 1887, S. 1).

Anfänge der Spezialisierung

Dieser von Emminghaus hervorgehobene disziplinenübergreifende Zugriff kennzeichnet einige Debatten um die Etablierung neuer Fächer, insbesondere solcher, die sich mit (in heutiger Diktion) „Grenzobjekten“ wie etwa der Kindheit befassten, die an den Schnittstellen traditioneller Lehrfächer angesiedelt waren. Die hier angedeutete Frage der Zuständigkeit und Kompetenz sollte für mehrere Jahrzehnte ein Diskussionsfeld für Psychiater und Pädiater bleiben, auf dem zusätzlich noch die Heilpädagogik ihren Platz beanspruchte. Ihren Anspruch und gleichzeitig ein interdisziplinäres Verständnis versinnbildlicht am deutlichsten die Herausgabe der Zeitschrift „Die Kinderfehler“, die seit 1896 erschien. Ihr Schriftleiter Johannes Trüper (1855–1921) hatte sie zusammen mit dem Psychiater Julius Ludwig August Koch (1841–1908), dem Lehrer Christian Ufer (1856–1934) und dem Theologen Friedrich Zimmer (1855–1919) begründet, um explizit das Zusammenwirken der Pädagogik und der Medizin in der Betreuung und Behandlung zu bewirken sowie auch die Beforschung kindlicher psychischer Störungen mit den vereinten Kompetenzen beider Disziplinen voranzutreiben (Zimmermann 2005).
Einen Ansatzpunkt, die eigene Spezialisierung in Fragen kindlicher Devianz unter Rückgriff auf die Pädagogik voranzutreiben, sahen Psychiater vor allem in der u. a. durch Ludwig Strümpell (1812–1899) und Trüper vorangetriebenen Konzeption einer „pädagogischen Pathologie“, die darauf abzielte, kindliches deviantes Verhalten weniger moralisch normativ als naturwissenschaftlich zu beschreiben (Rose et al. 2016; Fuchs und Rose 2017). Die Pädagogik wiederum übernahm ihrerseits das u. a. von Koch in die Debatte eingeführte psychiatrische Konzept der Psychopathie, das relativ offen psychische Andersartigkeit beschreiben sollte und für diese gleichzeitig allem voran eine hirnorganische Ursache vermutete. Strümpell, der mit den Arbeiten Kochs vertraut war, übertrug das Psychopathiekonzept direkt auf kindliche und jugendliche Störungen, sah aber seinerseits die Führungsrolle in der Erforschung und Behandlung der kindlichen Psychopathien eher in der Pädagogik als in der Psychiatrie (Fuchs und Rose 2017, S. 192 ff.).
Mit dem 5. Jahrgang (1900) wurde die Zeitschrift zur „Zeitschrift für Kinderforschung“ umbenannt, sie stellte sich zugleich in den Dienst des 1898 in Trüpers Umfeld in Jena gegründeten „Vereins für Kinderforschung“. Zwar entstammte dieser Verein einer pädagogischen Initiative, doch war auch er interdisziplinär besetzt mit Pädagogen, Theologen und zahlreichen Ärzten (vor allem Psychiatern) (Anonym 1900, S. 8 f.). Allerdings stellte dieser Verein nach einem großen 1906 in Berlin stattgefundenen „Kongress für Kinderforschung und Jugendfürsorge“, der die erheblichen Differenzen innerhalb der Pädagogik (aber auch im Verhältnis zu den Medizinern) in Bezug auf die einzuschlagende Richtung und Verortung der neuen Disziplin zu Tage förderte, seine Aktivitäten ein (Fuchs und Rose 2017, S. 194).
Die Frage, „wer sich künftighin als Specialist bezeichnen“ dürfe und wer nicht (Wernich 1889, S. 333 f.), wurde zur Zeit des Erscheinens von Emminghaus‘ Buch und Trüpers Zeitschrift in- und außerhalb der Medizin thematisiert. Beispiele für das damit einhergehende Kompetenzgerangel aus der Medizin bieten die um 1900 ebenfalls ausgetragenen Differenzierungsstreitigkeiten um die Urologie als Grenzfach zwischen Innerer Medizin und Chirurgie oder der Neurologie als Grenzfach zwischen Innerer Medizin und Psychiatrie (Fangerau und Imhof 2015; Martin et al. 2016). Wie bereits an anderem Ort dargestellt (Fangerau und Imhof 2015) wurden insbesondere ganzheitliche, generalistische Konzepte der medizinischen Ausbildung und Praxis reduktionistischen und spezialisierten Konzeptionen gegenübergestellt. Letztere hatten insbesondere im Zuge der naturwissenschaftlichen Neuorientierung der Medizin einen Aufschwung erfahren. Als Triebfedern für diesen Trend wurde ein zunehmender Wissenszuwachs, der von Generalisten nicht mehr bewältigt werden könne, die Notwendigkeit besonderer Kenntnisse und (technischer) Fertigkeiten im Interesse der Patienten und die grundsätzlich zunehmende Arbeitsteilung in der Gesellschaft angeführt (Weisz 2003, 2006; Gelfand 1976). Helmuth Plessner (1892–1985) hielt hierzu 1924 fest: „Aus der wachsenden Konkurrenz in jedem Fachberuf drängt infolgedessen der einzelne nach neuen Gebieten und schafft damit neue Spezialitäten. Immer engere Stoffgruppen, immer andere Verbindungsformen von Stoffen werden als autonom proklamiert und zu Spezialfächern, das heißt zu Erwerbsmöglichkeiten, gemacht“ (Plessner 1985 [1924], S. 13).

Fachetablierung in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Aus Sicht der Psychiater und Heilpädagogen forderte der Prozess der kinderpsychiatrischen Spezialisierung auf dieser Basis eine fachliche Institutionalisierung, die über die bisherigen Vereinsgründungen hinausging. Besonders in den späten 1930er-Jahren gab es verstärkte Bemühungen, z. B. eine eigenständige Fachgesellschaft zu gründen, auch, um das Feld psychiatrisch dominieren zu können. Auf praktischer und akademischer Ebene hatte sich bis dahin seit der Jahrhundertwende ein relativ breit gefächertes Panorama der Behandlung, Betreuung und Erforschung von psychisch kranken Kindern etabliert. Vor allem in der Weimarer Republik wurden neben konfessionellen (vor allem evangelisch, katholisch und jüdisch), privaten und staatlichen pädagogischen Einrichtungen, Heimen, Sanatorien, Erziehungsberatungsstellen einige klinische Abteilungen an vornehmlich aber nicht ausschließlich psychiatrischen Kliniken eingerichtet (Ellger-Rüttgart 2008, S. 222; Köhnlein 2001; Nissen 2005, S. 500–506; Hähner-Rombach 2017; Stutte 1966). Daneben standen vor allem diverse Initiativen des 1918 unter dem Eindruck einer als Kriegsfolge wahrgenommenen jugendlichen Verwahrlosung gegründeten Deutschen Vereins zur Fürsorge jugendlicher Psychopathen (DVFjP). Ihm gehörten von Beginn an zahlreiche prominente Vertreter der späteren Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik an. Eine der Wurzeln dieses Vereins war der 1907 gegründete Deutsche Zentralverein für Jugendfürsorge, der sich schon von Beginn an vertreten durch unter anderem den Psychiater Theodor Ziehen (1862–1950) und die Juristin Frieda Duensing (1864–1921) die Aufgabe gestellt hatte, soziale Arbeit für in prekäre Lebenssituationen geratene Kinder mit psychiatrischer Forschung zu kindlicher Psychopathie zu verbinden (Fuchs und Rose 2017, S. 195). Der DVFjP wurde im ganzen Reich aktiv und baute „ein Netz von Institutionen“ (Fuchs und Rose 2017, S. 198) zur heilpädagogischen Erziehung auf. Die immer noch bestehende „Zeitschrift für Kinderforschung“ wurde zum Organ des Vereins erkoren. Die in der Weimarer Republik tragenden und führenden Kräfte des unter anderem durch das Reichsinnenministerium finanzierten Vereins waren die Wohlfahrtspflegerin Ruth von der Leyen (1888–1935) und der Psychiater Franz Kramer (1878–1967) (Oommen-Halbach und Schepker 2017, S. 227; Fuchs und Rose 2017, S. 196 ff.).
Der Verein war ein interdisziplinär ausgerichtetes, Wohlfahrtspflege, Heilpädagogik, Rechtswissenschaften und Medizin umfassendes Unterfangen. Aus der Medizin engagierten sich – wie schon Emminghaus festgestellt hatte – neben Psychiatern vor allem Kinderärzte für die Erforschung und Behandlung von kindlichen Auffälligkeiten von Schlafstörungen, Einnässen und kindlicher Gewalt bis hin zu Pubertätsstörungen und Schulversagen. Gerade Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre suchten auch Kinderärzte die vermehrte Kooperation über institutionelle Kanäle wie den DVFjP oder die Deutsche Vereinigung für Säuglings- und Kleinkinderschutz (Beddies 2017, S. 218–221). Diesen kooperativen Versuchen haftete jedoch immer auch eine durch Konkurrenz ausgezeichnete Komponente an. Seit dem Deutschen Ärztetag 1924 gab es z. B. eine Richtlinie zur „Facharztfrage“. Diese erfüllte zwei Zwecke: Zum einen diente sie dazu, Spezialistentum anzuerkennen, zum anderen aber sollten mit ihr die Allgemeinmediziner („Vollärzte“) dadurch geschützt werden, dass die Spezialisten auf Tätigkeiten in ihrem Spezialbereich beschränkt sein sollten. In diesem Sinne durften Kinderärzte z. B. nur Kinder bis 14 Jahre behandeln, die Behandlung von erwachsenen Angehörigen aber war nicht gestattet (Hoppe 1997, S. A2484).
Auch die Nervenärzte und Psychiater waren seit 1924 als gemeinsame Facharztdisziplin anerkannt. Aus dieser Gruppe wiederum gab es nun die stärksten Bestrebungen, die Kinderpsychiatrie als eigene medizinische Disziplin zu etablieren. Getragen wurden die entsprechenden Initiativen vor allem aus der Psychiatrie von Personen wie Paul Schröder (1873–1941) oder Werner Villinger (1887–1961). Ihr Anliegen war dabei auch inhaltlich motiviert. Anders als Kramer oder von der Leyen vertraten sie weniger individualpsychologische Erklärungsmuster, die der Erziehung und den Lebensbedingungen der betroffenen Kinder bei der Entstehung von Störungen eine größere Rolle einräumten. Vielmehr vertraten sie die Idee einer erblichen Anlage für Psychopathien, die deterministisch Störungen bei Kindern hervorriefe. Schröder etwa forderte eine an Erblichkeitstheorien anknüpfende Charakterkunde als Grundlage der Kinderpsychiatrie (Topp 2017, S. 142 ff.; Oommen-Halbach und Schepker 2017).
Solche Konzepte zeigten sich mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler leicht anschlussfähig an das nationalsozialistische Vererbungsparadigma. Damit ebneten sie nicht nur den Weg für neue personelle Machtkonstellationen innerhalb der Fachdisziplin, sondern auch für eine inhaltliche Argumentation, die die weitere Spezialisierung des Faches rechtfertigte. Dieser Prozess wurde vor allem von Schröder vorangetrieben, der Unterstützung von dem rassenhygienisch arbeitenden Psychiater Ernst Rüdin (1874–1952) erhielt. Rüdin setzte sich 1935 als Vorsitzender an die Spitze der aus psychiatrischer und neurologischer Fachgesellschaft zusammengelegten Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater.
Rüdin teilte mit Schröder und anderen Psychiatern die Idee, dass es eine zentrale Aufgabe der Kinderpsychiatrie werden müsse, heilbare bzw. therapierbare von unheilbaren bzw. nicht therapierbaren Kindern zu unterscheiden, um dann alle verfügbaren Ressourcen nur noch den heilbaren Kindern zukommen zu lassen. Nicht therapier- oder erziehbare Kinder sollten nur noch in entsprechenden Einrichtungen untergebracht werden. Für erblich belastet gehaltene Personen sollten sterilisiert und so von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden, um die weitere Verbreitung ihrer Psychopathie zu verhindern. Solche Ansätze entsprachen dem Profil der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, die mit dem 1933 verabschiedeten Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses eine Grundlage für Zwangssterilisationen dieser Menschen legte. Die praktische Umsetzung im Umfeld der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben unter anderem Matthias Dahl und Heiko Frese rekonstruiert (Dahl und Frese 2001).
Während etliche Vertreter der von den neuen Machthabern als „Humanitätsduselei“ verunglimpften individualistischen Ansätze der Kinderpsychiatrie als nicht-arisch klassifiziert wurden, ihre Positionen verloren und Deutschland verlassen mussten, konnten Netzwerke um Schröder, Rüdin und Villinger binnen der ersten beiden Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft die Lücken füllen, die sich nach der Zerschlagung wichtiger bisher bestehender Strukturen der Kinderpsychiatrie und -fürsorge sowie der Vertreibung, Verhaftung oder Existenzvernichtung bisheriger Akteure aufgetan hatten (siehe hierzu ausführlich Topp 2017). Sie schickten sich an, auf dieser Basis auch die Institutionalisierung der Kinderpsychiatrie voranzutreiben.
Die Etablierung einer eigenen Gesellschaft stellt sich rückblickend jedoch als ein komplexer Weg dar, auf dem verschiedene Interessen miteinander konkurrierten. Als 1937 der 1. Internationale Kongress für Kinderpsychiatrie in Paris stattfand (organisiert durch den französischen Psychiater Georges Heuyer [1884–1977] und den Schweizer Psychiater Moritz Tramer [1882–1963]), war Ernst Rüdin für die Auswahl der deutschen Teilnehmer zuständig und bemühte sich beispielsweise darum, eine mögliche deutsche Initiative zur Gründung einer kinderpsychiatrischen Gesellschaft unter dem Dach der GDNP als psychiatrische Teildisziplin stattfinden zu lassen (Roelcke 2016). Spätestens ab 1939 aber suchte Schröder wieder die Nähe zur Heilpädagogik und strebte nach einem integrativen Zusammenschluss. Die Chance hierfür bot dann eine vom Reichsgesundheitsamt initiierte Kinderkundliche Woche, im Rahmen derer Vorbereitung auch die kinderärztliche Fachgesellschaft als mögliches Dach für eine kinderpsychiatrische Gründung kurz ins Spiel kam. Letztendlich wurde aber 1940 während der Tagungswoche verschiedener sich mit Kindern und der Kindheit befassender medizinischer Gesellschaften unter Beteiligung von Vertretern der Heil- und Sonderpädagogik eine Deutsche Gesellschaft für Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik ausgerufen. Erster Vorsitzender wurde Paul Schröder, 1. Schriftleiter wurde Werner Villinger. Der Sonderpädagoge und NS-Funktionär Fritz Zwanziger wurde 2. Vorsitzender, der Heilpädagoge Anton Maller wurde 2. Schriftführer (Hänsel 2017; Schepker und Fangerau 2016).
Als Schröder 1941 unerwartet verstarb, folgte ihm als Vorsitzenden dieser neuen Gesellschaft nicht etwa Villinger, sondern nach einigen politischen Interventionen von verschiedensten Seiten (darunter auch Rüdin) Hans Heinze (1895–1983) nach, der sich durch seine führende Rolle bei der NS-Euthanasie (unter anderem als Mitglied des „Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“, der Tarnorganisation für die NS-Kinder-Euthanasie) und die in diesem Rahmen erfolgte Ermordung psychisch kranker und behinderter Kinder besonders hervorgetan hatte (Schepker et al. 2016; Schmuhl 2017). In radikaler Fortführung des Selektionsgedankens vertrat Heinze unter anderem die Ansicht, dass es eine der Hauptaufgaben der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei, durch Selektion die bildungsfähigen Kinder von nicht bildungsfähigen zu trennen und letztere als wertlos entweder in besonderen Verwahreinrichtungen unterzubringen oder sie im Rahmen der NS-Euthanasie-Aktionen zu beforschen und zu töten (Schepker 2017, S. 100).
Die sog. Kindereuthanasie begann im Jahr 1939. Der erwähnte Reichsausschuss koordinierte die Erfassung von Kindern mit geistigen und körperlichen Behinderungen: Amtsärzte forderten seit August 1939 Ärzte und Hebammen dazu auf, betreffende Kinder beim Gesundheitsamt anzuzeigen, wobei die zunächst bestehende Altersgrenze von 3 Jahren 1941 auf 16 Jahre hochgesetzt wurde. Anhand der Meldebögen prüfte der „Reichsausschuss“, dem neben Hans Heinze der Leiter der Leipziger Kinderklinik Werner Catel (1894–1981) sowie der Pädiater Ernst Wentzler (1891–1973) angehörten, die Verlegung in sog. „Kinderfachabteilungen“. Hier wurden die Kinder zunächst untersucht und beobachtet. Die meisten dieser über 30 „Fachabteilungen“ befanden sich entweder in Heil- und Pflegeanstalten oder aber in psychiatrischen Institutionen. „Fachabteilungen“ in Kinderkliniken, wie etwa am Universitätsklinikum Leipzig unter Catel, bildeten die Ausnahme. Die Untersuchung der Kinder erfolgte mit wissenschaftlicher Forschungsabsicht nach vorher festgelegten Untersuchungsplänen, die nach verschiedenen neurologischen, psychiatrischen, psychologischen und radiografischen diagnostischen Tests die Tötung und hirnanatomische sowie histopathologische Untersuchungen der betroffenen Kinder einkalkulierten (Rotzoll et al. 2011; Reicherdt 2010; Schmuhl 2016, S. 300). Mehr als 10.000 Kinder wurden in den Abteilungen zumeist durch überhöhte Medikamentengaben getötet. Darüber hinaus starben aber auch mehrere tausend Kinder in der sog. „Aktion T4“, der Gasmordaktion an überwiegend erwachsenen behinderten Menschen und psychisch Kranken (Kaelber und Reiter 2011; Schmuhl 2016; Aly 2013; Topp 2004).

Kinderpsychiatrie in der BRD und der DDR

Fachgesellschaft

Nach dem Krieg war Heinze bis 1952 in verschiedenen sowjetischen Lagern interniert, sodass in der Zwischenzeit Werner Villinger zur treibenden Kraft der nun nach dem Krieg medizinisch definierten und dominierten Kinder- und Jugendpsychiatrie werden konnte. Villinger war 1946 Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Marburg geworden. Schon 1947 hatte er an seiner Klinik eine Kinderabteilung eingerichtet (zur Marburger Klinik siehe insbesondere Rauh und Topp 2019; Remschmidt 2018; Topp 2017). Nachdem er 1949 auf dem Kongress der GDNP noch unter dem Dach dieser Gesellschaft eine Arbeitsgemeinschaft Jugendpsychiatrie gegründet hatte, organisierte er 1950 ein eigenständiges „Jugendpsychiater-Treffen“, aus dem die 1952 ins Vereinsregister eingetragene „Deutsche Vereinigung für Jugendpsychiatrie“ (DVJ) hervorging, die in der Bundesrepublik Deutschland fortan die Kinder- und Jugendpsychiatrie akademisch, institutionell und politisch dominieren sollte.
Der Heilpädagogik wurde fortan nicht nur im Namen kein Platz mehr eingeräumt. Diese neue Gesellschaft war fast ausschließlich durch psychiatrisch ausgebildete Ärzt/-innen besetzt. Gleichzeitig aber suchten die Hauptakteure der DVJ überregionale Vernetzungsmöglichkeiten z. B. mit dem Allgemeinen Fürsorgeerziehungstag und der Jugendgerichtsbarkeit, um so die medizinische Perspektive auch auf den verschiedensten Feldern der Jugendfürsorge einbringen zu können. Innerärztlich suchte die DVJ vor allem die Kooperation mit der pädiatrischen Fachgesellschaft unter gleichzeitiger Abgrenzung zur Pädiatrie. Eine der hier zu klärenden zentralen Fragen sollte nun die der Facharztanerkennung sein, denn mit der psychiatrisch dominierten Gesellschaft im Rücken gehörte es nun zu den zentralen strategischen Zielen, die Kinderpsychiatrie als fachärztliche Disziplin endgültig im medizinischen Fächerspektrum zu verankern (Topp 2017). Die Pädiater wollten ihren Definitionsanspruch nicht ohne weiteres aufgeben, ihre Position innerhalb der DVJ vertrat allen voran der Kölner Ordinarius für Kinderheilkunde Carl-Gottlieb Bennholdt-Thomsen (1903–1971). Nachdem im Gründungsprozess der DVJ der Kinderpsychiater Franz-Günther von Stockert (1899–1967) angeregt hatte, doch einen Pädiater in den Vorstand aufzunehmen, um eben auch die Verbindung zu den Pädiatern zu halten, war Bennholdt-Thomsen der DVJ als kooptierter Vorstand beigetreten. Immer wieder kam es zu kleinen Auseinandersetzungen innerhalb der DVJ, wie denn eine mögliche Facharztweiterbildung gestaltet werden müsse und welchen Anteil pädiatrische und psychiatrische Ausbildungsinhalte ausmachen müssten. Als gegen Ende der 1950er-Jahre die DVJ sich um eine Zusatzbezeichnung Kinder- und Jugendpsychiatrie bemühte, erklärte die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde (DGfK), dass sie nur dann keinen Einspruch erhebe, wenn die pädiatrische Weiterbildung für einen Zusatztitel der psychiatrischen im Mindesten gleichwertig gegenüberstehe. Wenig später gab die DGfK angesichts der international bereits erfolgten Eigenständigkeit der Kinderpsychiatrie sowie der zunehmenden Niederlassung von nichtärztlichen Kinderpsychotherapeuten ihren Widerstand zu Gunsten der gesamtärztlichen Interessen auf (Topp et al. 2016, S. 114 ff.).
Die Aufnahme in den Facharztweiterbildungskatalog erfolgte am Ende mit Unterstützung der Pädiater und Erwachsenenpsychiater auf dem 71. Deutschen Ärztetag 1968 (Remschmidt 2018, S. 31). In der DDR wurde eine entsprechende Möglichkeit der Spezialisierung unter der Bezeichnung Kinderneuropsychiatrie 1974 gesetzlich eingeführt (Warnke und Lehmkuhl 2003, S. 9; Moik 2013, S. 4). Die DVJ im Westen nannte sich 1973 in „Deutsche Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychiatrie“ und 1976 (möglicherweise auch unter dem Eindruck des Berichts der Psychiatrie-Enquete) in „Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie“ um.

Institutionelle Räume

Auf institutioneller Ebene fügte sich die 1947 erfolgte Gründung der Marburger kinderpsychiatrischen Abteilung in eine Reihe von vielfältigen Einrichtungen ein, die in den ersten 15–20 Jahren nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut wurden (Stutte 1966), auch um der angenommenen gesellschaftlichen Bedrohung durch vaterlos aufwachsende, durch Vertreibung und Kriegserlebnisse verrohte Jugendliche Herr zu werden. Ein Verzeichnis des „Allgemeinen Fürsorge-Erziehungs-Tags“, eines seit 1906 heute unter dem Namen Bundesverband für Erziehungshilfe bestehenden Verbandes von vornehmlich Institutionen der Erziehungshilfe, listete z. B. 1958 mehr als 30 dezidiert als jugendpsychiatrisch bezeichnete Institutionen auf (Schulz und Fricke 1959, S. 126–135). Sog. Beobachtungsstationen nach dem amerikanischen Modell der Child Guidance Clinics sollten Diagnostik betreiben, um Kinder in die für sie am besten geeigneten Einrichtungen zu überweisen und so Devianz und Delinquenz reduzieren helfen (Hähner-Rombach 2017, S. 311–320).
Dieser Ansatz legt nahe, dass konzeptionell Kinderpsychiater Umwelteinflüssen wieder höheres Gewicht bei der Entstehung von Pathologien beimaßen als noch während des Krieges. Ein Blick auf Arbeiten führender deutscher Kinderpsychiater der Nachkriegszeit zeigt allerdings, dass sie noch einige Jahre am erblich dominierten Defizit- und Auslesemodell im Blick auf auffällig gewordene Kinder festhielten, unabhängig davon, ob sie von einer Erblichkeit oder einer sekundären Störung z. B. nach einem sog. frühkindlichen Hirnschaden ausgingen (Roelcke 2017). Als „unerziehbar“ eingestufte Kinder sollten beispielsweise als „Asoziale“ dauerhaft asyliert werden (Willing 2017).
Eine solche Defizit-Perspektive, die Schwererziehbarkeit oder unmoralisches Verhalten (z. B. Lügen, Stehlen) als diagnostischen Kernindikator betrachtet, wird auch in einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen deutlich, die in der Zeit über die entsprechenden Kinder publiziert wurden. Im Vordergrund standen hier ab Mitte der 1950er-Jahre Veröffentlichungen von Medikamentenversuchen bei Kindern, im Rahmen derer z. B. die gerade neu beschriebenen Neuroleptika, Vitamine, Glutaminsäure oder triebhemmende Präparate auf ihren möglichen Einsatzbereich bei etwa aggressiven Kindern getestet wurden (Kaminsky 2011; Wagner 2018a, b). Testreihen gab es sowohl in der BRD als auch in der DDR (Häßler und Weirich 2017). Gerade in das Wirkspektrum der Neuroleptika setzten Kinderpsychiater große Hoffnungen. Während das therapeutische Arsenal der Kinder- und Jugendpsychiatrie bis dahin vor allem aus Psychotherapie (auf Basis der seit der Jahrhundertwende immer weiter ausgebauten behavioristischen und psychoanalytischen Entwicklungspsychologie), Milieutherapie, physischen Anwendungen (z. B. Bäder) und Hirnchirurgie bestanden hatte, ließen die neuen neuroleptisch wirkenden Substanzen eine erfolgversprechende Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten erwarten.
Die rechtliche und ethische Zulässigkeit solcher Versuche steht in Frage, waren viele dieser Kinder doch in Institutionen untergebracht, die der Soziologe Erving Goffman als „Totale Institutionen“ bezeichnet hat, womit er unter anderem verdeutlichen wollte, dass Handlungs- und Entscheidungsspielräume der in ihnen untergebrachten Menschen auf ein Minimum reduziert waren (Goffman 1973). Mehr noch scheinen die Unterbringung, Versorgung und Erziehung vieler Kinder in psychiatrischen oder Heimeinrichtungen mitunter katastrophal gewesen zu sein. Zeitzeugen und zeithistorische Studien erinnern heute an entwürdigende Erziehungsmaßnahmen und verschiedenste Formen von Gewalt und Zwang, zu der auch Verlegungen, Isolierung und medizinische Gewalt in Form von schmerzhaften Untersuchungen mit zweifelhafter Indikation oder Arzneimittelgaben zur Ruhigstellung gehörten (siehe u. a. Wagner 2018a; Fehlemann und Sparing 2017, S. 81–174; Schepker und Afschar-Hamdi 2017; Wilke et al. 2018). Auch stereotaktische Operationen wurden bei in Heimen untergebrachten Kindern Anfang der 1970er-Jahre z. B. zur Minderung einer wahrgenommenen Aggressivität mit Zustimmung des zuständigen Jugendamtes durchgeführt (Wagner 2018b). Kritisch berichtete der Spiegel 1975 unter dem Titelthema „Seele unterm Messer“ über zwar seltene, aber zunehmende psychochirurgische Eingriffe auch an Kindern in „westdeutschen Kliniken“ (Anonym 1975, S. 40), die der ebenfalls (medizin-)kritische Volkmar Sigusch im Jahrbuch für kritische Medizin 1977 als „Therapeutische Raserei“ bezeichnete (Sigusch 1977, S. 18). 2009 trat zur Aufarbeitung der Verhältnisse in Kinderheimen auf Anregung des Bundestages der „Runde Tisch Heimerziehung“ zusammen, dem verschiedenste damalige und aktuelle Akteurinnen und Akteure der Heimerziehung sowie Betroffenenvertreter angehörten. Zwei Jahre später übergab er seinen Bericht, in dem er unter anderem individuelle Aufarbeitungen und Entschädigungszahlungen empfahl. Aktensicherung und Aktenzugang stellen dabei heute eine bleibende Herausforderung dar (Häusler 2013).

Universitäre Kinder- und Jugendpsychiatrie

Parallel zum institutionellen Ausbau trugen die Akademisierung und Fachetablierungsversuche weitere Früchte jenseits der Deutschen Vereinigung für Jugendpsychiatrie. Das Land Hessen etwa vergab an den Psychiater Franz Günther Stockert (zu Stockert siehe u. a. Castell 2003, S. 480–488; Kumbier et al. 2009a, b), der 1939 ein Buch zur Psychopathologie des Kindesalters veröffentlicht hatte, im Jahr 1948 eine Diätdozentur für das „Lehrfach der Kinderpsychiatrie“ (Topp 2017, S. 368). Die Universität Marburg richtete 6 Jahre später (1954) an Villingers Klinik für dessen Oberarzt Herrmann Stutte (1909–1982) ein Extraordinariat ein. Die Berufung Stuttes allerdings war nicht ohne Alternative. Auch der inzwischen in der DDR in Rostock tätige Stockert war ein mehrfach vorgeschlagener Kandidat im Verfahren (Topp 2017, S. 349).
Stockert war 1954 auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie der Universität Rostock berufen worden. Hier hatte sein kommissarischer Vorgänger Gerhard Göllnitz (1920–2003) bereits im Jahr davor eine kleine kinderpsychiatrische Station geschaffen. Die beiden kinderpsychiatrisch interessierten Ärzte gerieten jedoch in Streit. Ende 1957 verfügte das Staatssekretariat für Hochschulwesen die Aufteilung von Stockerts Lehrstuhl in Psychiatrie, Neurologie und Kinderpsychiatrie. 1958 wurde Göllnitz „als Vertreter für den Lehrstuhl für Kinderpsychiatrie benannt“ (Kumbier und Häßler 2010, S. 158). Stockert, der wegen Staatsverleumdung angeklagt und verurteilt worden war, war im gleichen Jahr aus der DDR geflohen. 1964 wurde er außerplanmäßiger Professor für Kinderpsychiatrie in Frankfurt am Main.
Von Bedeutung für den weiteren universitären Ausbau mag der Bericht des Wissenschaftsrates von 1960 gewesen sein, dessen Wirkung aber auch nicht überschätzt werden darf. Während der Ministerrat der DDR im Sommer 1957 einen Beirat für naturwissenschaftlich-technische Forschung und Entwicklung beim Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik ins Leben gerufen hatte (Malycha 2001, S. 20), hatten der Bund und die Länder in der BRD im Herbst 1957 einen Wissenschaftsrat gegründet. Dieser sollte bei der Planung des Hochschulwesens beraten. Zentral im Beratungsanspruch war dabei, dass der Rat vom Lehrstuhl als zentraler Organisationseinheit der Wissenschaft ausging und entsprechend des konstatierten Spezialisierungsgrades der einzelnen Fächer die Gründung vieler neuer medizinischer Lehrstühle empfahl (Wissenschaftsrat 1960, S. 112), obwohl die Verwaltungskommission hier vor unübersehbaren Kosten warnte (Bartz 2005, S. 76). Ungeachtet dessen regte der Rat in seinen ersten 1960 dem Bundespräsidenten übergebenen Empfehlungen zum Ausbau der Universitäten und Fächer beispielsweise die mittelfristige Schaffung eines Lehrstuhls für Geschichte der Medizin an jeder Fakultät an, aber auch die Einrichtung eigener Abteilungen für Kinderpsychiatrie an den Universitätskliniken (Wissenschaftsrat 1960, S. 114, 425).
Gleichwohl dauerte es noch einige Jahre, bis die Zahl der tätigen Kinder- und Jugendpsychiater in der BRD sichtbar anstieg. Der quantitative Zuwachs fällt in die Zeit nach der Arbeit der sog. „Psychiatrie-Enquete“. Der Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland der ersten Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages vermerkte 1975, dass die „Versorgungslage“ für „psychisch auffällige, gestörte und behinderte Kinder und Jugendliche“ „besonders unzureichend“ sei (Enquete-Kommission 1975, S. 6, 10). Die Versorgung übernähmen in Großteilen Erziehungsberatungsstellen und obwohl „die Kinder- und Jugendpsychiatrie eine verhältnismäßig eigenständige Disziplin“ sei, sei „ein einigermaßen strukturiertes Versorgungssystem […] auch in Ansätzen nicht zu erkennen […] Eklatant ist der Mangel an Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie“ (Enquete-Kommission 1975, S. 13). Einschränkend ist hier vielleicht zu erwähnen, dass die Enquete-Kommission vornehmlich den Blick der Akademie auf die Verhältnisse der Psychiatrie richtete und nicht alle Initiativen im Umfeld der Kinderpsychiatrie umfassend darstellen und berücksichtigen konnte.

Gesellschaftliche Wahrnehmung und Kinderrechte

Erst in der Folge des Berichts konnte die Zahl der Fachärzt/-innen erhöht werden. Das hängt aber nur bedingt mit der Enquete zusammen. Nach der Einführung der Facharztordnung bedurfte es naturgemäß einige Zeit bis die ersten Kohorten diese durchlaufen hatten (Warnke und Lehmkuhl 2003, S. 2). Die damals geforderten Lehrstühle an jeder Fakultät gibt es bis heute noch nicht. Entsprechend monierten auch 2011 Warnke und Lehmkuhl in einem Überblick über die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen, dass z. B. immer noch an fünf deutschen Fakultäten eigene Lehrstühle fehlten (Warnke und Lehmkuhl 2011, S. 96). Gleichwohl hat sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie bis in die Ärztliche Ausbildung hinein in der Medizin fest etabliert. In der aktuellen Approbationsordnung findet sie sich in Anlage 3 in der Liste potenzieller Wahlfächer.
Gleichzeitig ist die öffentliche Wahrnehmung des Faches in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Problem der Gewalt gegen Kinder seit den 1960er-Jahren nach seiner seit dem Ende des 19. Jahrhunderts laufenden Diskussion im pädagogischen und juristischen Umfeld zunehmend auch im medizinischen Diskurs eine Rolle spielte. Neben Rechtsmediziner/-innen und Pädiater/-innen erhoben hier auch Kinder- und Jugendpsychiater/-innen ihre Stimme, unter anderem, da die Beschäftigung mit den seelischen Folgen von Gewalt gegen Kinder und deren entwicklungsschädigende Wirkung wieder mehr im Mittelpunkt der inhaltlichen Orientierung des Faches stand, seitdem rein erbpsychologische Positionen nach dem 2. Weltkrieg zunehmend an Bedeutung verloren hatten (Söhner und Fangerau 2018; Söhner et al. 2017). Auch die Medien widmeten dem Thema des Kindesmissbrauchs und der Kindesmisshandlung eine verstärkte Aufmerksamkeit, wobei sich verschiedene Konjunkturen ausmachen lassen (siehe für das Folgende Görgen und Fangerau 2017a, b; Görgen 2013):
Seit 1950 wurde zwar regelmäßig über Gewalt gegen Kinder in deutschen Leitmedien berichtet, wobei aber vornehmlich Gerichtsfälle geschildert wurden. In den 1990er-Jahren führten internationale Berichterstattungen zu „sexuellem Missbrauch“ auch in Deutschland zu einer verstärkten Berichterstattung. Sexueller Missbrauch wurde dabei (nach ersten Buchpublikationen in den 1980er-Jahren) in den Medien zunehmend nicht mehr nur als Problem von Einzeltätern, sondern als soziales und systemisches Problem verstanden. In den 2000er-Jahren stand vor allem die Gewalt gegen Kinder in pädagogischen Institutionen im Mittelpunkt. Als weiterer Katalysator für die Entwicklung der Debatte wirkte eine erhöhte Medienaufmerksamkeit für Fälle der Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern, die vor allem in den Jahren 2006 bis 2009 immer wieder Empörung hervorriefen und die Reaktion einer Reform vor allem im Bereich der Früherkennung des Kinderschutzes ermöglichten. Ein solches Problembewusstsein brachte auch eine gesteigerte Wahrnehmung der Kinder- und Jugendpsychiatrie als Akteur im Umfeld des Kinderschutzes hervor und hat ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft sicherlich gestärkt.
Eine für die Kinder- und Jugendpsychiatrie relevante Hintergrundfolie für diese mediale Repräsentation bietet auch die zunehmende Anerkennung von Partizipationsrechten von Kindern in der Medizin (Alderson 2007): Grundsätzlich lassen sich hierbei ein protektionistischer Ansatz, der vor allem den Schutz des Kindes propagierte, und ein emanzipatorischer Ansatz unterscheiden, der auf die individuelle Selbstbestimmung des Kindes zielte. Während die 1924 auf der Vollversammlung des Völkerbundes verabschiedete „Genfer Deklaration der Rechte des Kindes“, die 1959 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Erweiterung und Bestätigung erfuhr (Dorsch 1994, S. 44–49), im Wesentlichen das Recht des Kindes auf physischen und psychischen Schutz festschrieb, wurden in dieser Zeit auch bereits Fragen der kindlichen Autonomie propagiert: So entstand beispielsweise im Umfeld der Proletkult-Bewegung 1918 in Moskau die „Moskauer Deklaration der Rechte des Kindes“. Ihre Forderungen nach kindlichen Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechten gingen weit über alle bis dato formulierten Kinderrechtsansprüche hinaus (Liebel 2015). Ähnlich revolutionär, wenn auch über Jahrzehnte von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, waren die pädagogischen Grundsätze des polnischen Kinderarztes, Pädagogen und Schriftstellers Janusz Korczak (1878–1942), der bereits 1919 wesentliche Grundrechte für Kinder in seiner „Magna Charta Libertatis“ forderte und diese 1929 um das „Recht des Kindes auf Achtung“ erweiterte (Korczak 1999, S. 45; Liebel 2013).
Trotz dieser frühen Impulse stellt die 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention (United Nations 1989, S. Artikel 12) die erste und bis heute einzige international völkerrechtlich bindende Konvention dar, die explizit kindliche Partizipationsrechte festschreibt. Sie impliziert auch einen Anknüpfungspunkt für die in der Medizin bis heute anhaltende Debatte über Fragen der autonomen Entscheidungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, denen mit zunehmendem Alter eine Einwilligungsfähigkeit (Ruhe et al. 2015) zugesprochen wird. Einer juristischen Perspektive, die grundsätzlich eine stellvertretende, am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung (Best-Interest-Standard) (Streuli 2015) ihrer rechtlichen Vertreter fordert, wurde so eine entwicklungsorientierte Sicht gegenübergestellt. Diese antizipiert eine Zunahme der Partizipationsrechte bei gleichzeitiger Abnahme der elterlichen Verantwortung in Analogie zu den sich dynamisch entwickelnden Fähigkeiten und dem wachsenden Erfahrungshorizont eines Kindes oder Jugendlichen. Der grundsätzlich bestehende ethische Konflikt zwischen Schutz und Fürsorge einerseits und Partizipationsrechten andererseits lässt sich dadurch nur bedingt auflösen (Oommen-Halbach und Fangerau 2019).
In ihrer Geschichte zeigte sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie in ihrer Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen als „Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen“ (Fegert 2011). Sie wirkte aber wie oben geschildert auch ihrerseits auf gesellschaftliche Diskurse und Strukturen ein oder entwickelte sich im verschränkten Dialog mit gesellschaftlichen Strömungen. Dies spiegelt sich in den von ihr beanspruchten und hervorgebrachten Krankheitsentitäten. Frühe Konzepte wie der „moralische Schwachsinn“ („moral insanity“) sind heute obsolet, Intelligenztest- und Diagnostikentwicklungen verschieben Diagnosegrenzen mal in die eine, mal in die andere Richtung, was z. B. auch zu statistischen Veränderungen in der Häufigkeit von Inzidenz und Prävalenz von Krankheiten oder Verhaltensauffälligkeiten wie der Hyperaktivität und/oder Aufmerksamkeitsstörung führt. Auch Krankheiten erfahren so einen ständigen historischen Bedeutungswandel. Die Interaktion der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit der Gesellschaft lässt sich systematisch unter anderem mit dem Konzept der (De-)Medikalisierung beschreiben, was sich am deutlichsten entlang von Krankheitskonzeptionen illustrieren lässt. Weitet sich der Definitionsbereich der Medizin hier aus, so handelt es sich um einen Medikalisierungsprozess, geht er zurück, so sprechen Historiker und Soziologen von Demedikalisierung (Conrad und Angell 2004). Ein jüngeres Beispiel für solche Medikalisierungsprozesse bietet die Geschichte des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsyndroms (ADHS) (Conrad und Bergey 2014), in der die vielfältigen Interessen von Eltern, Erziehungseinrichtungen, Industrie, Medizin und Wissenschaft die Kinder- und Jugendpsychiatrie in ihrer forschenden und therapeutischen Rolle und Funktion beeinflussten.
Ihre interdisziplinäre Verortung und ihre vielfältige Verschränkung mit anderen Gesellschaftssystemen stellen die Kinder- und Jugendpsychiatrie damit auch in Zukunft vor die Herausforderung, Fragen des Wohlergehens von Betroffenen immer wieder neu zu kalibrieren und vor dem Hintergrund sich verschiebender Diskurse zu Kinderrechten, Fragen der kindlichen Autonomie und Rechten der Eltern zu evaluieren.

Fazit

Diese kurze Übersicht sollte in groben Linien die Entwicklung des Fachs Kinder- und Jugendpsychiatrie in den letzten 150 Jahren nachzeichnen. Sie konzentrierte sich dabei auf die medizinisch definierte Kinder- und Jugendpsychiatrie mit dem Ziel, Leserinnen und Leser dieses Lehrbuches für die Geschichte des eigenen Fachs zu sensibilisieren und zur Reflexion über das eigene heutige Denken und Handeln in Forschung und Praxis anzuregen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde dabei vorgestellt als ein Fach, das durch Entscheidungen das Profil entwickelt hat, das sie heute aufweist, das sich aber aus dieser Basis heraus auch in Zukunft verändern wird. Auch wenn nicht alle möglichen Dimensionen des Blicks auf Kinder von der Diagnostik über die Therapie bis hin zur Einbettung in gesellschaftliche Prozesse, wirtschaftliche Interessen und politische Entscheidungen explizit in notwendiger Tiefe angesprochen werden konnten, so sollten die exemplarisch ausgewählten Knotenpunkte der Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland deutlich gemacht haben, dass die historische Entwicklung eng mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhing. Die Einflüsse auf sozialhistorische und ideengeschichtliche Prägungs-, Formierungs- und Verschiebungsprozesse in der Kinder- und Jugendpsychiatrie waren in der Vergangenheit wie auch heute durch den Umstand geprägt, dass das Kind als Kernbezugspunkt der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein Grenzobjekt zwischen verschiedensten akademischen Disziplinen darstellt und alle gemeinsam auch immer um eine Deutungshoheit darüber ringen, wie mit Kindern am besten umgegangen werden soll, was bei ihnen normal und was als pathologisch anzusehen ist. Der Bezugspunkt des Kindes erlegt dabei den Beteiligten die nicht immer einfach zu befolgende normative Forderung auf, das Wohl der Kinder im Blick zu behalten und dieses über möglicherweise gegebene institutionelle und akademische Interessen zu stellen.
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