Es finden sich unterschiedliche Angaben über eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für angeborene Fehlbildunge
n (Bonduelle et al.
2002; Hansen et al.
2002; Ludwig und Katalinic
2002, Katalinic et al.
2004; Bertelsmann et al.
2008). 2002 gab es erste Berichte über eine mögliche Häufung von Imprintingerkrankungen bei Kindern, die durch IVF oder
ICSI gezeugt wurden (Cox et al.
2002; DeBaun et al.
2003). Es wurde auch über 5 Fälle von
Retinoblastom nach IVF-Behandlung berichtet (Moll et al.
2003).
Epigenetik und Imprinting
Diese
Imprints sind stabil in der
Meiose und verändern sich im weiteren Leben nicht. Man geht davon aus, dass es 60 Gene beim Menschen gibt, die dem Imprinting unterliegen. Diese Gene finden sich häufig in Clustern und sind nicht gleichmäßig über das gesamte Genom verteilt. Solche Cluster finden sich beim Menschen auf den
Chromosomen 7, 11, 14, und 14 und 15. Epigenetische Veränderungen werden durch eine biochemische Veränderung der DNA verursacht. Die wichtigste Modifikation der DNA wird durch eine Methylierung von 5-Cytosin an CpG-Dinukleotiden bewirkt.
Bereits in der Keimbahn findet eine spezifische Prägung des mütterlichen bzw. väterlichen Genoms statt. Die allelspezifische Expression ist von der Transmission durch die väterliche Keimbahn abhängig (Ideraabdullah et al.
2008; Reik et al.
2001). Während die primordialen Keimzellen während der Gametogenese demethyliert werden, findet im Anschluss ein epigenetischer Reprogrammierungsprozess statt. In tierexperimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass durch Methoden der assistierten Reproduktion die Reprogrammierung der Methylierung in der Gametogenese und frühen Embryonalentwicklung gestört wird. So konnte bei Rindern und Schafen ein Large-offspring-Syndrom (LOS) beobachtet werden, das durch eine aberrante Methylierung
und Expression des
IGF2R-Gens verursacht wird (Young et al.
2001). Auch die Vielzahl von biologischen Problemen wie
Wachstumsstörungen der Plazenta, fetaler Großwuchs und Fehlbildungen, die beim Klonieren auffallen, sind in hohem Maße auf eine fehlerhafte Reprogrammierung der Methylierung zurückzuführen. Auch Experimente an Mausembryonen konnten zeigen, dass durch reproduktionsmedizinische Maßnahmen ein aberrantes
Methylierungsmuster entstehen kann (Doherty et al.
2000).
Weitere Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen
männlicher Infertilität und dem Auftreten von Imprintingerkrankungen auf. In Spermien von subfertilen Männern zeigten sich dieselben aberranten
Methylierungsmuster wie bei den durch reproduktionsmedizinische Maßnahmen geborenen Kindern mit einer Imprintingerkrankung (Kobayashi et al.
2009).
Weiterhin wird diskutiert, dass durch Stimulierung der Ovulation (Superovulation) ein gestörtes Imprinting sowohl in maternalen wie auch paternalen Allelen erfolgen kann (Market-Velker et al.
2010).
Epimutationen beruhen auf einer fehlerhaften
DNA-Methylierung oder einem aberranten Histonmodifizierungsmuster. Man unterscheidet zwischen einer primären Epimutation, die ohne DNA-Mutation auftritt, und einer sekundären Epimutation als Folge eine DNA-Mutation. Fehler des Imprintings können sowohl durch primäre wie auch durch sekundäre Epimutationen entstehen. Man geht davon aus, dass Epimutationen auch durch Umweltfaktoren beeinflusst werden können. Hier besteht z. B. ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen Folsäurespiegel in Kombination mit genetischen Risikofaktoren, der zu einer erniedrigten DNA-Methylierungsrate führt (Friso et al.
2002).
Imprintingerkrankungen
Epimutationen in Genen, die dem Imprinting unterliegen, sind für eine Reihe von Imprintingerkrankungen verantwortlich (Tab.
3). Epimutationen spielen darüber hinaus auch eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Krebs- und komplexen Erkrankungen. Fehlerhaftes Imprinting als Ursache für eine spezifische Imprintingerkrankung konnte zum ersten Mal bei Patienten mit
Prader-Willi-Syndrom und
Angelman-Syndrom gezeigt werden. Eine Übersicht ist Tab.
3 zu entnehmen.
Tab. 3
Relevante Imprintingerkrankungen beim Menschen
Prader-Willi-Syndrom (PWS) | 1/25.000–1/10.000 | 15q11-q13 |
Angelman-Syndrom (AS) | 1/20.000–1/10.000 | 15q11-q13 |
Beckwith-Wiedemann-Syndrom (BWS) | 1/15.000 | 11p15, |
Silver-Russell-Syndrom (SRS) | 1/10.000–1/3000 | 11p15; upd (7)mat |
| 1/800.000–1/40,000 | 6q24 |
Pseudohypoparathyreodismus Ib | ? | 20q13.11 |
Upd (14)mat/pat | ? | 14q32.2 |
Das
Prader-Willi-Syndrom (PWS) ist gekennzeichnet durch
-
eine neonatale muskuläre Hypotonie,
-
Fütterungsprobleme,
-
eine sich etwa ab dem 3. Lebensjahr entwickelnde
Adipositas,
-
-
Verhaltensauffälligkeiten
-
eingeschränkte geistige Entwicklung.
Beim
Angelman-Syndrom (AS) handelt es sich um einen wesentlich schwereren Phänotyp, der gekennzeichnet ist durch
-
schwere psychomotorische Entwicklungsverzögerung,
-
ataktische Bewegungsstörung,
-
meist fehlende Sprache;
-
charakteristisch sind auch kraniofaziale Auffälligkeiten wie eine Mikrozephalie, Prognathie und ein weiter Zahnabstand.
-
Patienten mit AS haben ein freundliches Verhalten, auch Lachattacken werden beschrieben.
Interessanterweise konnte sowohl für das PWS wie auch das AS durch Untersuchung an Prometaphasechromosomen dieselbe de-novo-Deletion am
Chromosom 15 (15q11-q13) nachgewiesen werden (Ledbetter et al.
1981; Magenis et al.
1987).
Die Frage, wie ein und dieselbe
Deletion einen völlig unterschiedlichen Phänotyp aufweisen kann, wurde durch die Untersuchung der elterlichen Herkunft dieser Deletion geklärt. Während sich die Deletion beim PWS immer auf dem vom Vater geerbten
Chromosom 15 befindet, liegt sie beim AS immer auf dem von der Mutter geerbten Chromosom – ein erster Hinweis, dass der Phänotyp davon abhängig sein kann, ob die Veränderung auf dem mütterlichen oder väterlichen Chromosom vorhanden ist. Die Identifizierung einer
uniparentalen Disomie, also der Herkunft eines Chromosomenpaars von nur einem Elternteil, konnte dann beweisen, dass beide Krankheiten durch einen Funktionsverlust von mindestens einem maternal bzw. paternal geprägten Gen verursacht werden (Nicholls et al.
1989; Malcolm et al.
1991).
Die häufigste Ursache für eine maternale
uniparentale Disomie ist eine Fehlverteilung der
Chromosomen in der
Meiose 1 oder 2. Durch eine
Befruchtung einer disomen Eizelle entsteht eine Trisomie 15. Häufig tritt dann ein postzygoter Reparaturmechanismus („trisomy rescue“) auf, der dann, wenn das väterliche Chromosom 15 verloren geht, zu einer maternalen uniparentalen Disomie 15 führt. Beim AS scheint es so zu sein, dass eine nullisome Eizelle befruchtet wird. Der spontane Reparaturmechanismus („monosomy rescue“) besteht in einer Duplikation des väterlichen Chromosoms 15, also einer paternalen uniparentalen Disomie 15.
In der Zwischenzeit weiß man, dass eine in interstitelle
Deletion 15q11-q13 die häufigste molekulare Ursache sowohl für PWS wie auch AS ist. Während eine maternale
uniparentale Disomie 15 bei etwa 25–30 % der Patienten mit PWS vorhanden ist, findet man eine paternale uniparentale Disomie nur etwa bei 1–2 % der Patienten mit AS. Bei etwa 5–10 % der Patienten mit AS zeigt sich eine Mutation im
UBE3A-Gen, das nur in einigen Arealen des Gehirns monoallelisch exprimiert wird. Interessanterweise zeigt ein kleiner Teil der Patienten mit PWS (1–3 %) und AS (2–4 %) einen Imprintingdefekt. Dies hat zur Folge, dass beim PWS das paternale
Chromosom einen maternalen Epigenotyp aufweist mit der Folge, dass die paternal exprimierten Gene der Region 15q11-q13 stumm sind, eine reziproke Situation findet sich beim AS.
Eine weitere häufige Imprintingerkrankung ist das
Beckwith-Wiedemann-Syndrom (BWS),
das gekennzeichnet ist durch
Bei Patienten mit BWS finden sich häufig diagnostisch verwendbare Ohrkerben am Lobulus. Im Gegensatz zum PWS und AS ist die psychomotorische Entwicklung unauffällig. Bei einigen Patienten mit BWS besteht ein erhöhtes Risiko für embryonale Tumoren (meist Wilms-Tumoren oder
Hepatoblastome).
Der geprägte chromosomale Bereich liegt auf dem
Chromosom 11 (11p15). Man unterscheidet 2 Cluster:
Im IC1 liegt das fetale Wachstumsfaktorgen IGF2, das vom väterlichen Allel transkribiert wird, sowie das embryonal exprimierte H19-Gen, das vom maternalen Allel transkribiert wird. Im IC2 findet sich das maternal transkribierte Allel des KCNQ1-Ionenkanalgen, das paternal abgelesene KCNQ1-Transkript und das „maternal“ CDKN1C-Gen, das einen negativen Zellzyklusregulator darstellt. Molekulare Ursachen für das BWS sind epigenetische Defekte wie Hypo- und
Hypermethylierung, eine paternale
uniparentale Disomie, Mikrodeletionen oder -duplikationen oder Genmutationen.
Viele Gene, die dem Imprinting unterliegen, sind für das Wachstum von Fetus und Plazenta sowie für die Entwicklung des Gehirns von Bedeutung.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass die unterschiedlichen Imprintingerkrankungen eine Reihe von überlappenden klinischen Zeichen zeigen wie die in der Übersicht genannten.
Imprintingerkrankungen im Zusammenhang mit reproduktionsmedizinischen Maßnahmen
Vor einiger Zeit wurde postuliert, dass reproduktionsmedizinische Maßnahmen wie IVF und
ICSI ein fehlerhaftes Imprinting verursachen können. So wurde in diesem Zusammenhang 3 Patienten mit AS nach ICSI beschrieben (Cox et al.
2002; Orstavik et al.
2003).
Diese Beobachtung trifft auch auf eine andere Imprintingerkrankung, das Beckwith-Wiedemann-Syndrom zu (DeBaun et al.
2003; Gicquel et al.
2003; Maher et al.
2003; Halliday et al.
2004). Allerdings sind beim BWS Kinder betroffen, die sowohl durch IVF wie auch
ICSI gezeugt wurden.
Interessanterweise wurde bisher nicht über einen möglichen Zusammenhang von reproduktionsmedizinischen Maßnahmen und Imprintingerkrankungen wie Silver-Russell-Syndrom, PWS, neonataler transienter
Diabetes, Pseudohypoparathyreoidismus oder einer maternalen bzw. paternalen
uniparentalen Disomie 14 berichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass diese Krankheitsbilder äußerst selten auftreten. Es könnte aber auch in der molekularen Krankheitsentstehung begründet sein. Nur bei AS und BWS findet sich eine
Hypomethylierung des mütterlichen Allels, das normalerweise methyliert ist (El-Maarri et al.
2001; Ludwig et al.
2005).
Bisher weiß man allerdings nicht genau, zu welchem Zeitpunkt der Reprogrammierung der Methylierung Veränderungen des Imprintings auftreten können. Auch Kulturbedingungen des Embryos könnten eine Rolle spielen. Es finden sich auch Hinweise, dass ein Zusammenhang mit Subfertilität der Eltern bestehen könnte. Ludwig et al. (
2005) konnten zeigen, dass die
Prävalenz von Patienten mit AS und einem Imprintingfehler höher ist bei subfertilen Paaren. Das höchste Risiko fand sich bei Paaren, die einen
Kinderwunsch von mehr als 2 Jahren hatten und eine Therapie wegen Infertilität durchlaufen hatten. Das bedeutet, dass möglicherweise die Superovulation eine größeres Risiko für Imprintingerkrankungen darstellt als die reproduktionsmedizinische Maßnahme (Chang et al.
2005).
Zusammenfassend muss man sagen, dass Imprintingerkrankungen nach IVF/
ICSI sehr selten sind.
Da alle Imprintingerkrankungen sehr selten sind, konnte durch keine Studie ein eindeutig erhöhtes Risiko für ihr Auftreten verifiziert werden. Ein kausaler Zusammenhang ist aber nicht auszuschließen.