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Reproduktionsmedizin
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Publiziert am: 02.07.2018

Spontanschwangerschaften bei Kinderwunschpatientinnen

Verfasst von: Annika K. Ludwig
Bei normal fertilen Paaren liegt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 12 Monaten zu konzipieren, bei 92 %, wenn das Paar nach der symptothermalen Methode Verkehr hat. In einer anderen Studie erzielten Paare, die eine Fertilitätsmonitor verwendeten, eine kumulative Schwangerschaftsrate über 2 Zyklen von 22,7 %, Paare, die keinen Fertilitätsmonitor verwendeten erreichten eine signifikant niedrigere Schwangerschaftsrate über 2 Zyklen von 14,4 % (p = 0,003).

Spontane Schwangerschaften bei subfertilen Paaren

Bei normal fertilen Paaren liegt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 12 Monaten zu konzipieren, bei 92 %, wenn das Paar nach der symptothermalen Methode Verkehr hat (Gnoth et al. 2003). In einer anderen Studie erzielten Paare, die eine Fertilitätsmonitor verwendeten, eine kumulative Schwangerschaftsrate über 2 Zyklen von 22,7 %, Paare, die keinen Fertilitätsmonitor verwendeten erreichten eine signifikant niedrigere Schwangerschaftsrate über 2 Zyklen von 14,4 % (p = 0,003; Robinson et al. 2007). Zu weiteren Daten bezüglich der natürlichen Familienplanung wird an anderer Stelle in diesem Buch Stellung genommen (Kap. „Natürliche Familienplanung bei Kinderwunsch und unerfülltem Kinderwunsch“).
Obwohl die meisten Paare innerhalb von 12 Monaten konzipieren, besteht auch bei längerer Kinderwunschdauer und somit per definitionem im Fall einer Subfertilität weiterhin die Chance, spontan schwanger zu werden. Die kumulative Lebendgeburtenrate untherapierter Paare mit Kinderwunsch über einen Zeitraum von 12 Monaten lag in einer Studie bei 14,3 % (Collins et al. 1995).
Relevante prognostische Faktoren für den Eintritt einer Schwangerschaft waren vorausgegangene Schwangerschaften, das Alter der Frau, die Sterilitätsursache und die Kinderwunschdauer.
In einer nationalen Kohortenstudie untersuchten Eijkemanns et al. (2008) die spontane Konzeptionsrate von 5962 subfertilen Paaren auf der Warteliste für eine IVF- oder ICSI-Therapie (Tab. 1). In den Jahren 2002 und 2003 wurden alle Pare, bei denen die Indikation für eine IVF- oder ICSI-Therapie gestellt wurde, auf dieser Warteliste registriert. Im Jahr 2004 wurde die Warteliste dann mit den IVF-Register abgeglichen. Insgesamt wurden 9 % der Paare innerhalb von 12 Monaten ohne Therapie schwanger. Die Chance schwanger zu werden, wurde signifikant beeinflusst durch das Alter der Patientinnen und die Kinderwunschdauer. Bei sekundärer Sterilität war die Chance besser als bei primärer Sterilität. Die Chance, spontan zu konzipieren, wurde beeinflusst durch die zugrunde liegende Ursachen der Subfertilität. Die niedrigste Konzeptionschance hatten Patientinnen mit Endometriose oder mit tubarer Sterilität. Bei männlicher Subfertilität und immunologischer Subfertilität lag die Chance doppelt so hoch wie bei tubarer Sterilität oder Endometriose, bei idiopathischer Subfertilität sogar 3-mal so hoch. Insgesamt variiert so die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 12 Monaten spontan zu konzipieren, wenn bereits die Indikation für eine assistierte Reproduktion gestellt wurde, in Abhängigkeit aller prädiktiven Faktoren zwischen 0 und 25 %.
Tab. 1
Einflussfaktoren auf die spontane Konzeptionsrate ohne Therapie während der Wartezeit zur IVF- oder ICSI-Therapie bei 5962 Paaren. (Originaldaten in Eijkemanns et al. 2008)
Einflussfaktor
Hazard-Ratio
Alter (pro Jahr)
0,95
0,93–0,98
Kinderwunschdauer (pro Jahr)
0,85
0,79–0,91
Indikation zur ART
  
– Tubarer Faktor
1
 
– Endometriose
0,73
0,37–1,46
– Männliche Subfertilität
1,57
1,06–2,32
– Hormonell
1,19
0,67–2,11
– Idiopathisch
2,64
1,75–3,98
– Immunologisch
1,69
0,75–3,84
Primäre vs. sekundäre Sterilität
0,71
0,56–0,90
Andere sehen bei einer idiopathischen Subfertilität bessere Chancen auf eine spontane Konzeption: Steures et al. (2006) randomisierten 253 Paare mit idiopathischer Sterilität zu einer Inseminationstherapie oder einem abwartenden Management über 6 Monate. Nach diesen 6 Monaten hatten 33 % der Paare nach Insemination konzipiert, aber auch 32 % der Paare ohne Therapie.
Wurden die bereits o. g. 5962 Paare mit idiopathischer Subfertilität im mittleren Alter von 32 Jahren und bis zu 3 Jahren Kinderwunschdauer differenzierter analysiert, konnte die Schwangerschaftsrate abhängig davon kalkuliert werden, ob direkt mit einer IVF-Therapie gestartet oder zunächst noch einmal 12 Monate abgewartet wurde. Frauen mit Tubenpathologie und höhergradiger Endometriose wurden ausgeschlossen. Kam es im expektativen Arm nicht zu einer Schwangerschaft innerhalb von 12 Monaten, wurde ebenfalls eine IVF-Therapie durchgeführt (Eijkemans et al. 2017). Die Chancen auf eine Schwangerschaft innerhalb von 2 Jahren waren mit 55,0 % und 55,1 % quasi identisch.
Eine dänische Arbeitsgruppe analysierte 19.884 Paare, die in Dänemark eine Kinderwunschbehandlung initiiert hatten, eingeschlossen wurden alle Paare, nicht nur solche mit idiopathischer Subfertilität (Malchau et al. 2017). Insgesamt 14 % dieser Paare hatten nach 5 Jahren spontan konzipiert und entbunden.
Evers et al. (1998) untersuchten ebenfalls die spontane Schwangerschaftschance von 1391 Paaren auf einer Warteliste zu einer IVF- oder ICSI-Therapie. Nur 76 dieser 1391 Paare wurden spontan schwanger. Die kumulative spontane Schwangerschaftsrate über 12 Monate lag bei tubarer Subfertilität bei nur 2,4 %, bei langjähriger idiopathischer Subfertilität bei 5,9 % und bei männlicher Subfertilität bei 6,6 %. Verglichen damit konzipierten in einer Kontrollgruppe, die während der Wartezeit nicht spontan konzipiert hatten, 21 % der Paare mit tubarer Subfertilität, 18 % der Paare mit idiopathischer Subfertilität und 17 % der Paare mit männlicher Subfertilität im ersten IVF- oder ICSI-Zyklus. Bei tubarem Faktor und bei idiopathischer Subfertilität traten 75 % der spontan konzipierten Schwangerschaften innerhalb der ersten 3 Monate der Wartezeit ein, während die Schwangerschaftsrate bei männlicher Subfertilität stetig zunahm. Die Paare, die spontan konzipierten, hatten eine geringere Kinderwunschdauer und eine bessere Spermienmotilität als die Paare, die nicht spontan schwanger wurden.
Snick et al. (1997) erstellten anhand der Population der Walcheren-Region in den Niederlanden ebenfalls ein Prädiktionsmodel für die spontane Schwangerschaftschance. Positiv auf die Schwangerschaftschance wirkten sich neben einer sekundären Sterilität eine Kinderwunschdauer von <24 Monaten und ein maternales Alter von <30 Jahren aus. Negativ beeinflusst wurde die Schwangerschaftschance durch eine tubare Pathologie, Ovulationsstörungen und eine männliche Subfertilität (Snick et al. 1997).
Hughes et al. (2004) prüften in einer prospektiv randomisierten Studie bei Paaren mit einer Kinderwunschdauer von mindestens 2 Jahren und durchgängigen Tuben, ob eine IVF- oder ICSI-Therapie einem abwartenden Management überlegen sei, wenn eine Ovulationsinduktion oder intrauterine Inseminationen nicht zum Erfolg geführt hatten. 68 Paare erhielten unmittelbar eine IVF-Therapie, von denen 31 % schwanger wurden und 29 % eine Lebendgeburt hatten. 71 weitere Paare wurden 90 Tage ohne Therapie beobachtet. 3 Paare (4 %) konzipierten in der Wartezeit, von denen aber 2 abortierten, sodass nur eine Lebendgeburt (1 %) resultierte. Die Autoren folgern, dass bei Paaren mit einer Kinderwunschdauer von 2 Jahren und bereits genutzten weniger invasiven Therapieoptionen nicht weiter abgewartet werden sollte, da die spontane Konzeptionsrate gering ist.
Pinborg et al. (2009) erfassten in einer longitudinalen Kohortenstudie die Geburtenraten nach 5 Jahren bei 1338 Frauen, die 2000–2001 eine staatliche Kinderwunschtherapie bestehend aus Inseminationen und drei freien ART-Zyklen begannen. 69,4 % dieser Frauen gebaren innerhalb dieser 5 Jahre mindestens ein Kind. Zu einer Untergruppe von 817 Frauen konnten über einen Fragebogen weitere Daten wie der Konzeptionsmodus erhoben werden. 18,2 % (149/817) dieser Frauen hatten ein Kind nach Spontankonzeption geboren, 2/3 davon nach einer vorausgegangenen Geburt nach ART. Zu beachten ist jedoch auch, dass immerhin 10,7 % (16/149) dieser Frauen mit einem neuen Partner konzipierten, sodass die Spontankonzeptionsrate der ursprünglichen Paare, die die Kinderwunschtherapie begannen, unter 18 % liegt.
Dies zeigt einmal mehr die Bedeutung des Terminus „relative Subfertilität“ gegenüber der landläufig gebrauchten Bezeichnung „Sterilität“:
Auch bei Indikationsstellung zu einer Maßnahme der assistierten Reproduktion verbleibt (fast) immer eine Restchance auf eine spontane Konzeption.

Spontane Schwangerschaften nach erfolgloser Kinderwunschtherapie

Interessanter noch als die Frage, wie wahrscheinlich eine spontane Schwangerschaft ist, wenn eine Subfertilität besteht und noch keine Therapie begonnen wurde, ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Spontankonzeption, wenn eine höhergradige invasive Kinderwunschtherapie erfolgreich oder nicht erfolgreich beendet wurde.
Die spontane Schwangerschaftschance von Patienten, die eine Sterilitätstherapie nach erfolglosen Zyklen abgebrochen haben, wurde erstmalig vor über 20 Jahren mit 11,2 % angegeben (Vardon et al. 1995).
Osmanagaoglu et al. (2002) beschreiben eine Geburtenrate nach Spontankonzeption von 11,5 % bei 200 ICSI-Patienten unter 37 Jahren, die eine ICSI-Therapie ohne Eintritt einer Schwangerschaft abgebrochen hatten. Die monatliche Schwangerschaftsrate betrug 0,23 % (23 Schwangerschaften in 8349 Monaten). Die mittlere Dauer bis zum Eintritt einer spontanen Schwangerschaft lag bei 20,2 Monaten. In dieser Studie hatte das mütterliche Alter keinen Einfluss auf die Chance, spontan schwanger zu werden – allerdings waren alle Frauen jünger als 37 Jahre. Einen signifikanten Einfluss auf die spontane Schwangerschaftsrate hatte die Dauer des unerfüllten Kinderwunsches (Osmanagaoglu et al. 2002).
In einer Registerstudie aus Australien, in der die Daten zwei großer IVF-Zentren und des Geburtenregisters vernetzt wurden, wurde der Schwangerschaftsverlauf von Frauen analysiert, die sich in einem der beiden IVF-Zentren vorgestellt hatten und somit als subfertil definiert wurden, die aber nicht durch IVF, ICSI, GIFT oder Insemination schwanger wurden. 17,5 % (2171/12381) der Frauen, die bei den IVF-Zentren registriert worden waren, aber kein Kind nach ART konzipiert hatten, hatten innerhalb von 5 Jahren nach Registrierung einen oder mehrere Einlinge ohne ART geboren (Jaques et al. 2010).

Spontane Schwangerschaften nach erfolgreicher Kinderwunschtherapie

Die Angaben zur therapieunabhängigen Schwangerschaftsrate nach erfolgreicher ART variieren zwischen 5 und 28 % (Olivennes et al. 1997; Shimizu et al. 1999; Hennelly et al. 2000; Fadini et al. 1993; Roh et al. 1987; Haney et al. 1987; Ludwig et al. 2008; Lande et al. 2012; Troude et al. 2016; Volgsten und Schmidt 2017).
In der deutschen ICSI-Follow-up-Studie II, in der 899 Familien 4–6 Jahre nach Geburt eines ICSI-Kindes zur weiteren Familienplanung und zur Kontrazeption befragt wurden, konnte gezeigt werden, dass nur 77,3 % der Paare nach der Geburt eines ICSI-Kindes wieder schwanger werden wollten. 10,9 % der Paare verhüteten aktiv nach der Geburt des ICSI-Kindes, 1,8 % waren bereits vor der Geburt des ICSI-Kindes sterilisiert und 1,2 % der Paare hatten sich getrennt bzw. der Ehepartner war verstorben. 8,8 % der Paare hatten keine Angaben zu ihrem kontrazeptiven Verhalten gemacht (Ludwig et al. 2008; Abb. 1, 2, und 3; Tab. 2).
Tab. 2
Einflussfaktoren auf die Chance, nach der Geburt eines ICSI-Kindes spontan zu konzipieren. (Originaldaten aus der deutschen ICSI-Follow-up-Studie II; Ludwig et al. 2008)
 
OR
95 % KI
p
Maternales Alter
0,93
0,88–0,98
0,004
Vorausgegangene Schwangerschaften
1,59
0,93–2,73
0,09
Vorausgegangene Geburten
0,75
0,39–1,45
0,39
ICSI Schwangerschaft: Einling vs. Mehrlinge
1,21
0,75–1,95
0,44
Herkunft der Spermien: ejakuliert vs. TESE/MESA
0,08
0,01–0,61
0,014
Indikation für ICSI: schweres OAT vs. andere*
0,96
0,55–1,68
0,88
OAT = Oligoasthenotheratozoospermie
*Obstruktive Azoospermie, nonobstruktive Azoospermie, Fertilisationsversagen bei IVF, andere
Die Tatsache, dass 13,9 % der Paare in der ICSI-Follow-up-Studie II aktiv verhüteten oder getrennt waren, unterstreicht, dass die Annahme eines weiteren Kinderwunsches bei allen ehemaligen Kinderwunschpatienten in Studien zu einer Unterschätzung der wahren spontanen Schwangerschaftsrate führt.
Viele Paare wünschen sich jedoch auch noch ein weiteres Kind.
Die Chance, nach der Geburt eines IVF- oder ICSI-Kindes spontan schwanger zu werden, wird in aktuellen Studien mit etwa 22 % angegeben.
Studien zu Paaren, die in den 1980er Jahren ein Kind nach IVF geboren haben, fanden mit 6,6–11,2 % (Fadini et al. 1993; Roh et al. 1987; Haney et al. 1987; Olivennes et al. 1997) eine geringere therapieunabhängige, spontane Schwangerschaftsrate im Follow-up als die aktuellen Studien, die eine spontane Schwangerschaftsrat von etwa 22 % angeben (Shimizu et al. 1999; Hennelly et al. 2000; Ludwig et al. 2008; Lande et al. 2012; Troude et al. 2016; Volgsten und Schmidt 2017). Olivennes et al. (1997) berichteten bei einem Follow-up von 370 IVF-Kindern eine spontane Schwangerschaftsrate von nur 8,9 %. Diese Kinder waren zwischen 1981 und 1988 geboren worden. In dieser Zeit, als die IVF eine neue Technik darstellte und die ICSI noch unbekannt war, wurde die IVF-Therapie wahrscheinlich in einem hochselektierten Patientenklientel durchgeführt. Im Laufe der Zeit hat sich die Indikation für die IVF-Behandlung von der reinen tubaren Sterilität auch auf andere Indikationen wie die Endometriose oder die idiopathische Sterilität ausgedehnt. Dies kann die niedrigere therapieunabhängige spontane Schwangerschaftsrate in den früheren Studien erklären.
Shimizu et al. (1999) berichten bei 142 Frauen, die durch IVF konzipiert hatten, dass 18 % von ihnen innerhalb von 60 Monaten nach der IVF-Geburt spontan konzipiert hatten. Die meisten Schwangerschaften traten innerhalb von 2 Jahren nach der Geburt ein. Hennelly et al. (2000) verglichen die spontane Schwangerschaftsrate nach IVF und ICSI. In ihrem Kollektiv an 469 Paaren mit einem Kind nach IVF lag die Schwangerschaftsrate mit 22,2 % signifikant höher als bei den 44 Paaren mit einem Kind nach ICSI mit einer spontanen Schwangerschaftsrate von nur 4,4 %. Die ICSI-Gruppe war mit 44 Paaren jedoch sehr klein und damit nicht repräsentativ.
In der deutsche ICSI-Follow-up-Studie II waren von 695 Familien 20 % innerhalb von 4–6 Jahren nach Geburt eines ICSI-Kindes spontan schwanger geworden (Ludwig et al. 2008). Das Besondere dieser Studie ist, dass nur Paare berücksichtigt wurden, die aktiv versuchten, noch einmal schwanger zu werden und nicht verhüteten. 75 % der spontanen Schwangerschaften waren innerhalb von 2 Jahren nach der Geburt des ICSI-Kindes eingetreten (Ludwig et al. 2008; Abb. 2; Tab. 3).
Tab. 3
Daten aus der deutschen ICSI-Follow-up-Studie zu Schwangerschaften und Geburten bei den Paaren (n = 695), die nach Geburt ihres ICSI-Kindes erneut versuchten, schwanger zu werden. (Originaldaten aus der deutschen ICSI-Follow-up-Studie II; Ludwig et al. 2008)
Weitere Schwangerschaften und Geburten nach Geburt des ICSI-Kindes
Anzahl
Anteil
≥1 Schwangerschaft1
312/695
44,9 %
≥1 Geburt1
261/695
37,9 %
≥2 Geburten1
19/695
2,7 %
≥1 spontan konzipierten Schwangerschaft
139/695
20,0 %
≥1 Geburt nach spontan konzipierter Schwangerschaft
114/695
16,4 %
2 Geburten nach spontan konzipierten Schwangerschaften
14/695
2,0 %
1Einschließlich der Schwangerschaften nach erneuter ICSI-Therapie
In der deutschen ICSI-Follow-up-Studie erhöhten vorausgegangene Schwangerschaften vor dem ICSI-Kind die Chance, spontan schwanger zu werden, nicht. Kupka et al. (2003) hingegen ziehen anhand anderer Daten den Schluss, dass die vorausgegangene Schwangerschaften die Chance, durch eine Kinderwunschbehandlung (IVF, ICSI oder Kryotransfer) schwanger zu werden, beeinflusste.
Die Chance subfertiler Paare, die bereits ein Kind nach Kinderwunschtherapie haben, spontan zu konzipieren, wird signifikant vom maternalen Alter und von der Kinderwunschdauer beeinflusst (Ludwig et al. 2008; Shimizu et al. 1999; Hennelly et al. 2000).
Eine sehr relevante Studie wurde in Israel publiziert (Lande et al. 2012). Die Daten sind insofern bedeutsam, weil in Israel unlimitierter Zugang zu einer IVF besteht, finanzielle Gründe also nicht der Grund sind, eine IVF-Therapie frühzeitig abzubrechen. Einschlusskriterium war ein Alter unter 35 Jahren bei der ersten IVF sowie eine Konzeption im Rahmen der IVF-Zyklen, ausgeschlossen waren Frauen mit vorangehenden Schwangerschaften. 102 Frauen, die nach der Entbindung der IVF-Schwangerschaft nicht verhüteten und nicht von ihrem damaligen Partner getrennt lebten, wurden für 7 Jahre nachbeobachtet. 21,6 % konzipierten konsekutiv spontan.
Von 6507 Paaren in Frankreich, die zwischen 2000 und 2002 eine IVF starteten, konzipierten in den nachfolgenden 8 Jahren 12 % spontan und hatten ein lebendgeborenes Kind (Troude et al. 2016).
Neuere Daten aus Schweden zeigen eine höhere Rate (Volgsten und Schmidt 2017). Dort wurden 5 Jahre nach Eingang in ein Kinderwunschprogramm 439 Paare per Fragebogen kontaktiert. Die Frauen waren zu diesem Zeitpunkt 38,3 ± 3,9 Jahre alt. 28 % der Frauen hatten spontan konzipiert. Relevanter Einflussfaktor für die Chance einer Spontankonzeption war eine kürzere Kinderwunschdauer (≤5 Jahre vs. >5 Jahre).
Insgesamt muss die Wahrscheinlichkeit, spontan zu konzipieren, daher für jedes Kinderwunschpaar in Abhängigkeit vom Alter, der Kinderwunschdauer und der Sterilitätsursache individuell betrachtet werden. Die Möglichkeit einer spontanen Schwangerschaft besteht jedoch immer, sodass Paare, die sich kein weiteres Kind wünschen, trotz ihrer Vorgeschichte verhüten müssen.

Kontrazeption nach erfolgreicher ART

Die Beratung zur Kontrazeption wird bei Kinderwunschpatienten häufig vernachlässigt, da meist von einem weiteren Kinderwunsch der Paare ausgegangen wird. Die Paare selbst hingegen nehmen an, nicht schwanger werden zu können und kümmern sich daher auch nicht um eine Kontrazeption.
Wir alle kennen jedoch Paare, die während der Wartezeit auf die Therapie, nach erfolgloser Therapie oder auch nach erfolgreicher Therapie und Geburt eines ART-Kindes plötzlich spontan schwanger werden. Trotzdem gibt es kaum Daten, um die Chance oder auch das Risiko einer spontanen Schwangerschaft von subfertilen Paaren einzuschätzen. Solche Informationen sind jedoch für die Beratung der Paare von besonderer Bedeutung.
Cave
Bei Paaren, die ein Kind nach ART geboren haben, darf nicht zwangsläufig von weiterem Kinderwunsch ausgegangen werden.
Eine ungeplante spontane Schwangerschaft kann auch bei Kinderwunschpaaren unvorhersehbare soziale, ökonomische und psychologische Konsequenzen mit sich bringen, insbesondere bei Familien mit Mehrlingen nach ART. Daher müssen auch Kinderwunschpaare über die Notwendigkeit einer Kontrazeption, solange keine weitere Schwangerschaft gewünscht ist, aufgeklärt werden.
Daten zum kontrazeptiven Verhalten von Kinderwunschpatienten gibt es bisher kaum. Wie oben geschildert, gaben in der deutsche ICSI-Follow-up-Studie II nur 77,3 % der Paare 4–6 Jahre nach der Geburt eines ICSI-Kindes an, dass sie eine weitere Schwangerschaft gewünscht hätten (Ludwig et al. 2008; Abb. 1). Paare, die vor der Geburt des ICSI-Kindes bereits ein Kind hatten, und Eltern von Mehrlingen nach ICSI verhüteten in der deutschen ICSI-Follow-up-Studie II häufiger als Eltern, für die das ICSI-Kind das erste Kind war, und Eltern von Einlingen. Aber bei 30,6 % der Paare, die verhüteten, ist das ICSI-Kind das erste und einzige Kind. Dies zeigt, dass nicht nur Eltern von Mehrlingen oder mehrgebärende Eltern über die Notwendigkeit einer Kontrazeption aufgeklärt werden müssen.

Schlussfolgerung

Die in diesem Kapitel diskutierten Daten belegen, dass auch bei subfertilen Paaren und auch bei Paaren nach fehlgeschlagener Therapie mit einer assistierten Reproduktion spontane Schwangerschaften eintreten können. Grundsätzlich ist das nicht überraschend, wenn man akzeptiert, dass es in der Regel der Fälle eben nicht um eine „Sterilität“, sondern um eine „Subfertilität“ geht – also um eine eingeschränkte und nicht eine fehlende Fertilität (s. auch Kap. „Was ist ‚Sterilität‘ – eine Begriffsbestimmung“).
Die hier genannten Zahlen sollten also vor einer Therapie Eingang in die Beratung finden, damit ein ratsuchendes Paar eine Entscheidung auf dieser Basis fällen kann – in der Abwägung der Chancen einer assistierten Reproduktion gegenüber den Chancen der Spontankonzeption im individuellen Fall.
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