Einleitung
Urologische Tumore treten häufig in höherem Lebensalter auf. Daher muss sich der behandelnde Anästhesiologe bei der operativen Versorgung dieser Patienten auf die typischen Komorbiditäten dieses Patientengutes einstellen und das individuell optimale Anästhesieverfahren, adjustiert nach operativem und patientenindividuellem Risiko, auswählen.
In dieser Patientengruppe steigern neben häufig anzutreffenden Atemwegs-, Stoffwechsel- und neurologischen Erkrankungen insbesondere auch Herz-Kreislauferkrankungen das perioperative Risiko signifikant (Ferguson et al.
2002; Carroll et al.
2003; Fassbender et al.
2016) und bedingen daher eine gründliche Erhebung des kardiopulmonalen Status in der präanästhesiologischen Visite. Eine niederländische Untersuchung an ca. 2500 Zystektomiepatienten zeigte, dass lediglich 14 % davon in die American-Society-of-Anesthesiologists (ASA) – Klasse 1, d. h. ohne Begleiterkrankungen eingruppiert wurden. 63 % hatten zumindest eine schwere Komorbidität, 32 % sogar zwei. 38 % der Patienten waren älter als 75 Jahre (Goossens-Laan et al.
2014).
Da bis zu einem Fünftel der Patienten Anzeichen einer
koronaren Herzerkrankung aufweisen können (Carroll et al.
2003), die wiederum mit weiteren kardialen Manifestationen wie Wandbewegungsstörungen, kardialer Pumpschwäche oder
Herzrhythmusstörungen vergesellschaftet sein können, gilt es, diese Patienten zu identifizieren, gegebenenfalls weiter abzuklären und eine Strategie für die perioperative Versorgung und die postoperative Überwachungsmodalitäten festzulegen. Die europäischen Gesellschaften für Kardiologie (ESC) und Anästhesiologie (ESA) haben hierfür eine gemeinsame Leitlinie herausgeben, in der detaillierte Handlungsempfehlungen zur kardiovaskulären Evaluation und Management bei nicht-kardiochirurgischen Eingriffen beschrieben werden (Kristensen et al.
2014). Ziel aller weiterführender Diagnostik und Therapie sollte dabei immer sein, den präoperativen kardiopulmonalen Status des Patienten zu optimieren und/oder durch ein verändertes perioperatives Management das Risiko für den Patienten zu verringern.
Hierfür sollten die im folgenden beschriebenen Aspekte berücksichtigt werden.
Operatives Risiko
Die Rate an kardialen Komplikationen hängt neben patientenseitigen Faktoren auch von Art, Umfang und Dringlichkeit des operativen Eingriffs ab (Wirthlin und Cambria
1998). Uroonkologische Operationen haben hierbei typischerweise ein mittleres (1-5 %, z. B. Prostatektomie) bis hohes (>5 %, z. B. radikale
Zystektomie) operatives Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle oder Herzinfarkte bis zu 30 Tage nach der Operation (Glance et al.
2012).
Auch wenn eine laparoskopische Vorgehensweise prinzipielle verfahrensimmanente Vorteile wie eine Verminderung von Gewebetrauma und
Schmerzen und eine bessere postoperative Lungenfunktion bedingen, bringt sie doch gerade für den kardiologischen Risikopatienten aufgrund des Capnoperitoneums und der häufig notwendigen Trendelenburgposition auch Nachteile mit sich. Die kardiale Funktion kann durch eine daraus resultierende Erhöhung von zentralem Venendruck, mittleren arteriellen und pulmonalarteriellen Blutdruck und systemvaskulären Widerstand deutlich beeinträchtigt werden (Hirvonen et al.
1995; Lestar et al.
2011).
Einschätzung des kardialen Risikos
Um das kardiale Risiko besser einschätzen zu können sind in den letzten Jahren verschieden Risikoindices etabliert worden, die das kardiale Risiko des Patienten stratifizieren und dann zu sinnvollen weiteren Untersuchungsmethoden führen sollen ohne dabei Überdiagnosen ohne therapeutische Konsequenzen zu generieren. Erwähnenswert wäre hierbei beispielsweise der Revised Cardiac Risk Index (Lee et al.
1999), der die Inzidenz schwerwiegender kardialer Komplikationen (Lungenödem, Herzinfarkt, Kammerflimmern oder Herzstillstand) abschätzt, sowie ein neuerer, datenbankbasierter
Risikoindex, der NSQIP (National Surgical Quality Improvement Program) (Gupta et al.
2011). Hier wurden fünf Prädiktoren für ein erhöhtes kardiales Risiko identifiziert:
Nichtinvasive kardiale Untersuchungen
Nichtinvasive kardiale Untersuchungen können zur weiteren Risikoabschätzung notwendig sein, auch wenn sie im Einzelfall eine Verschiebung des Operationstermins bedingen. Ihr Ergebnis sollte aber eine potenzielle Änderung des perioperativen Managements, des intraoperativen Monitorings oder der postoperativen Überwachung zur Folge haben können.
Auch ein
Elektrokardiogram ist nicht sinnvoll, wenn es unkritisch bei jedem Patienten geschrieben wird. Die ESA/ESC Guidelines empfehlen mit hohem Empfehlungsgrad ein
EKG bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren, die sich einer Operation mit mittleren bis hohen Risiko unterziehen. In den meisten verbleibenden Fällen kann ein EKG lediglich erwogen werden, während es bei Patienten ohne Risikofaktoren bei Operationen mit niedrigem Risiko nicht empfohlen wird (Kristensen et al.
2014).
Eine transthorakale
Echokardiografie wird empfohlen bei neu aufgetretener Dyspnoe ohne sonstige Ursache, bei einer Verschlechterung einer bekannten
Herzinsuffizienz (Kristensen et al.
2014) oder neu aufgetretenen Klappengeräuschen (Gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und
Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
2017). Eine verminderte linksventrikuläre Funktion stellt einen unabhängigen Risikofaktor für perioperative Komplikationen und ein vermindertes Langzeitüberleben dar (Healy et al.
2010).
Andere nichtinvasive Formen der kardialen Risikotestung (Stress-Echo, Myokardszintigraphie u. a.) mögen im Einzelfall nach kardiologischem Konsil notwendig sein, sollen aber hier nicht weiter behandelt werden.
Inwiefern medikamentöse Therapiestrategien dazu beitragen können, das perioperative kardiale Risiko zu senken, ist nicht abschließend geklärt, aktuell scheint gesichert zu sein, dass eine bestehende ß-Blockade fortgeführt werden soll, nicht aber routinemäßig neu begonnen wird. Ebenso sollte eine Therapie mit Statinen fortgeführt werden (Kristensen et al.
2014). Auch wenn die Datenlage zu
ACE-Hemmer uneinheitlich ist, empfehlen die aktuellen Leitlinien ACE-Hemmer, die wegen einer arteriellen
Hypertension verschrieben wurden, aufgrund der Gefahr ausgeprägter intraoperativer Hypotensionen präoperativ für 24 Stunden zu pausieren. Wurden ACE-Hemmer aufgrund einer linksventrikulären Pumpschwäche verordnet und befindet sich der Patient in einer stabilen klinischen Situation, sollen die ACE-Hemmer nicht pausiert werden (Kristensen et al.
2014; Hollmann et al.
2018).
Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen präsentieren sich häufig mit einer Therapie mit Medikamenten, die in das Gerinnungssystem eingreifen (zB Thrombozytenaggregationshemmer oder Vitamin K-Antagonisten), zunehmend aber neuere Substanzklassen. Hier sind genaue Kenntnisse zur
Pharmakokinetik und -dynamik dieser Substanzen essenziell, damit interdisziplinäre Überlegungen zum perioperativen Umgang mit diesen Substanzen erfolgen können. Es gilt das Risiko der vermehrten intraoperativen Blutung gegen das Risiko thrombotischer Ereignisse und der damit verbundenen Morbidität und Mortalität abzuwägen. Nach
Schlaganfall oder der Implantation kardialer Stents ist eine lebenslange Therapie mit niedrigdosierter Acetylsalicylsäure (ASS) notwendig. Während man bei bestimmten neurochirurgischen oder ophtalmologischen Operationen häufiger zu der Entscheidung kommen wird, diese perioperativ abzusetzen, ist das bei den meisten urologischen Operationen vermutlich nicht indiziert (Burger et al.
2005; Graham et al.
2018). Ebenso gilt eine niedrigdosierte ASS-Therapie nicht als Kontraindikation für eine Periduralkatheteranlage (s. Tab.
2) (Waurick et al.
2014).
Tab. 2
Empfohlene Zeitintervalle einiger ausgesuchter
Antikoagulantien und
Thrombozytenaggregationshemmer vor und nach rückenmarksnaher Punktion. (adaptiert nach: (Waurick et al.
2014))
Unfraktioniertes Heparin (UFH) Prophylaxe | 4 h | 1 h | |
Unfraktioniertes Heparin (UFH) Therapie | i. v. 4–6 h s. c. 8–12 h | 1 h | s. o. |
Niedermolekulares Heparin (NMH) Prophylaxe | 12 h | 4 h | Kontrolle Thrombozyten bei Anwendung >5 Tage |
Niedermolekulares Heparin (NMH) Therapie | 24 h | 4 h | s. o. |
Fondaparinux | 36–42 h | 6–12 h | - |
Vitamin-K-Antagonisten | 2–3 Tage (INR <1,4) | nach Entfernung | - |
Dabigatran (max. 1 × 150−220 mg/d) | 28–34 h | 6 h | Antidot: Idarucizumab |
Dabigatran (max. 2 × 150 mg/d) | 56–85 h | 6 h | s. o. individuelle Risiko-Nutzenabwägung |
Rivaroxaban (1 × 10 mg/d) | 22–26 h | 4–5,5 h | Antidot: Andexanet alfa (Zulassung aktuell nur USA) |
Rivaroxaban(2 × 15 mg/d, 1 × 20 mg/d) | 44–65 h | 4–5,5 h | s. o. individuelle Risiko-Nutzenabwägung |
ASS (100 mg/d) | keine | keine | Unter ASS-Gabe sollen andere Antikoagulatien 4–5 HWZ vor Punktion pausiert werden |
Clopidogrel | 7–10 Tage | nach Entfernung | - |
Prasugrel | 7–10 Tage | 6 h | - |
Ticagrelor | 5 Tage | 6 h | - |
Ein deutlich höheres Blutungsrisiko besteht bei Patienten, die nach Koronarstentimplantation eine duale Plättchenhemmung (DAPT) benötigen (einen Monat für Bare-Metal-Stents, 6 Monate bei Drug-Eluting-Stents, bis zu 12 Monate bei akutem Koronarsyndrom). Hier sollten in enger Absprache mit den behandelnden Kardiologen elektive Operationen nach Möglichkeit bis an das Ende der DAPT verschoben werden (Task Force on Myocardial Revascularization of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) et al.
2010; Hawn et al.
2013). Das Absetzen der DAPT innerhalb der vorgeschriebenen Therapiedauer erhöht das Auftreten ischämischer Ereignisse deutlich (Mehran et al.
2013).
Die Frage, ob eine Therapie mit antikoagulatorischen Medikamenten wie Vit-K-Antagonisten oder den neueren direkten oralen Antikoagulatien (DOAK) komplett abgesetzt werden sollte oder ein perioperatives Bridging notwendig ist, bedingt wiederum eine Abwägung zwischen perioperativem Blutungsrisiko und dem erwünschtem antikoagulatorischen Effekt. Bei Patienten mit moderatem bis hohen thrombembolischen Risiko wird ein Bridging aktuell im Allgemeinen als sinnvoll angesehen (Wysokinski und McBane
2012). Typische Indikationen für die Antikoagulation könnten in diesem Zusammenhang beispielsweise Mitralklappenvitien, valvulär bedingtes
Vorhofflimmern, mechanische Herzklappen oder der Zustand nach einer Lungenarterienembolie oder tiefen Venenthrombose sein.
Intraoperatives Monitoring
Inwiefern neben dem anästhesiologischen Standardmonitoring, bestehend aus
EKG mit ST-Strecken-Analyse, nicht-invasiv gemessenem Blutdruck, peripherer
Sauerstoffsättigung, Körperkerntemperaturmessung, Relaxometrie und Kapnographie ein erweitertes invasives Monitoring etabliert werden sollte, hängt neben Umfang, Dauer und Blutungsrisiko der Operation auch vom patientenseitigen Risikoprofil ab. Prinzipiell sinnvoll ist es, das Standardmonitoring für bestimmte Operationen mittels klinikinterner SOPs festzulegen.
Arterieller Blutdruckmesskatheter
Ein mittels
arteriellem Katheter, bspw. in der Arteria radialis, kontinuierlich gemessener Blutdruck erlaubt – neben der regelmäßigen
Blutgasanalyse zur Quantifizierung des pulmonalen Gasaustauschens – auch das unmittelbare Erkennen und Behandeln hypotoner Phasen, die mit einer Erhöhung der perioperativen Morbidität und Mortalität einhergehen können (Bijker und Gelb
2013; Walsh et al.
2013). In der Regel wird der Katheter erst nach der Narkoseeinleitung angelegt, kann aber z. B. beim kardiologischen Risikopatienten auch bereits vor der Einleitung in Lokalanästhesie etabliert werden, um durch die bei der Narkoseinduktion verwendeten Pharmaka entstehenden hypotonen Phasen detektieren und unmittelbar therapieren zu können.
Zentralvenöser Katheter
Auch wenn heute die Messung des zentralen Venendrucks (ZVD) als alleiniger Parameter der Vorlast zur Abschätzung des Volumenhaushaltes keine Rolle mehr spielt (Sondergaard et al.
2015), so dient er doch in der Zusammenschau verschiedener Vitalparameter als ein wichtiger dynamischer Baustein in der Diagnostik perioperativer Volumenschwankungen. Ein akuter ZVD-Anstieg kann zudem auf eine Rechtsherzbelastung im Rahmen einer
Lungenembolie oder eines
Pneumothorax hinweisen. Auch die kontinuierliche Analyse der ZVD-Kurve kann wertvolle Hinweise auf perioperative pathophysiologische Veränderungen geben (z. B. überhöhte v-Welle bei Trikuspidalklappeninsuffizienz). Außerdem können über einen ZVK zentralwirkende oder venenreizende Medikamente verabreicht werden und er sollte daher bei Operationen größeren Ausmaßes regelhaft in Betracht gezogen werden. Die Anlage sollte hierbei stets ultraschallgestützt vorgenommen werden, weil hierdurch die Sicherheit für den Patienten deutlich erhöht und die Dauer der Anlage deutlich vermindert wird (Reusz und Csomos
2015).
Erweitertes Hämodynamisches Monitoring
Zur Überwachung der hämodynamische Situation (i. e. Herzzeitvolumen, Schlagvolumen und
-varianz, u. a.) bei bestimmten Hoch-Risiko-Konstellationen ist ein erweitertes
hämodynamisches Monitoring erforderlich. Hier war bis vor wenigen Jahren vor allem der Pulmonalarterienkatheter weit verbreitet, der allerdings mit einer gewissen Komplikationsrate behaftet ist und dessen Messwertinterpretation stark von der Erfahrung des Anwenders abhängig ist, weshalb dessen Verwendung in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat (Wiener und Welch
2007). Heutzutage sind neuere, weniger oder nicht-invasive Verfahren verfügbar wie bspw. die Pulswellenanalyse, die transpulmonale Thermodilution (Broch et al.
2012) oder die Echokardiografie, die vergleichbare oder noch genauere Informationen über die hämodynamische Situation des Patienten liefern können (Teboul et al.
2018).
Transösophageale Echokardiografie
In den letzten Jahren hat die perioperative transösophageale Echokardiografie (TEE) vermehrten Einzug in die Operationssäle gehalten, auch außerhalb der Kardiochirurgie (Mahmood und Shernan
2016). In der Hand eines erfahrenden Anwenders ist sie ein schnelles und einfach anzuwendendes, sicheres Tool um eine Vielzahl an qualitiativen und quantitativen Informationen über Klappen- und Ventrikelfunktion, sowie Herzfüllung und Blutvolumen zu erhalten und kann somit bei Risikopatienten oder Risikoeingriffen sinnvoll sein. Exemplarisch sei hier ein
Nierenzellkarzinom mit Tumorzapfen in der Vena Cava zu nennen, das immer unter TEE-Kontrolle und nach herzchirurgischem Konsil ggf. mit einer im Hintergrund bereit gehaltenen Herz-Lungen-Maschine operiert werden sollte (Lawindy et al.
2012; Morita et al.
2017).
Narkosetiefenmonitoring
Insbesondere beim älteren Patienten stellen das postoperative
Delir (POD) und die postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) (Deiner und Silverstein
2009) signifikante Risikofaktoren für eine Morbiditäts- und Mortalitätserhöhung dar (Guenther und Radtke
2011; Guenther et al.
2016).
Während es für das POD klare Diagnosekriterien gibt, sind diese für die POCD nicht einheitlich beschrieben (Deiner und Silverstein
2009; Rundshagen
2014), es ist vielmehr ein Vergleich von prä- und postoperativem Status durch geeignete neuropsychologische
Testverfahren notwendig (Murkin et al.
1995; Dressler et al.
2007). Eine grobe Unterscheidung von POD und POCD zeigt Tab.
3.
Tab. 3
Unterschied zwischen postoperativem
Delir (POD) und postoperativer kognitiver Dysfunktion (POCD) nach (Rundshagen
2014; MacKenzie et al.
2018)
POCD | bis zu 40 % | Neue kognitive Defizite (Einschränkung von Gedächtnis, Psychomotorik u. a.) | Vergleich von prä- und postoperativen psychomotorischen Tests | Unmittelbar nach Aufwachen aus der Narkose | Reversibel in Tagen bis Wochen |
POD | postoperativ > 20 % ICU: bis 80 % | | Verschiedene Delir Tests (Nu-DESC, Cam-ICU) | Typischerweise postop. Tag 1–3 (bis zu Wochen später) | Potentiell reversibel |
Während die Genese beider Phänomene multifaktoriell ist, scheint doch die Narkosetiefe eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen (Chan et al.
2013) (Radtke et al.
2013). Hier setzt das Narkosetiefenmonitoring an, das durch einen EEG-basierten Algorithmus eine patientenindividuelle Anpassung der Narkotikadosierung und damit der Narkosetiefe erlaubt und somit zumindest das Auftreten des postoperativen Delirs vermindern kann (Radtke et al.
2013). Das Narkosetiefenmonitoring wurde daher in die aktuellen europäischen Leitlinien zur Prävention und Verminderung des postoperativen Delirs aufgenommen (Aldecoa et al.
2017).
Enhanced Recovery after Surgery
Es gibt eindeutige Belege, dass die evidenzbasierte Standardisierung von Behandlungssträngen für bestimmte Krankheitsbilder und -therapien das Outcome verbessern und die Patientensicherheit erhöhen kann (Wood et al.
2008). Ursprünglich für die kolorektale Chirurgie eingeführte „Enhanced Recovery after Surgery (ERAS)“-Protokolle beschreiben in einem multidisziplinären Ansatz eine Fülle von jeweils evidenzbasierten Einzelmaßnahmen, die durch eine Reduktion von chirurgischem Stress die postoperative Erholung des Patienten verbessern sollen (Varadhan et al.
2010).
Seit einigen Jahren existieren ERAS – Protokolle auch für uroonkologische Operationen, vornehmlich für die radikale
Zystektomie und konnten hier bereits eine geringere Komplikationsrate, eine verbesserte
Lebensqualität, sowie einen geringeren Schmerzmittelbedarf verzeichnen (Cerantola et al.
2013; Karl et al.
2014; Pang et al.
2018).
Im Folgenden sollen kurz die für die Anästhesiologie relevanten Bestandteile des ERAS-Konzeptes bei der radikalen
Zystektomie erläutert werden.
Analgesie
Ein weiterer integraler Bestandteil des ERAS-Konzeptes ist die optimale
Schmerztherapie (Cerantola et al.
2013). Zahlreiche Studien belegen, dass die thorakale Peridualanästhesie (PDA) für dieses Ziel die am besten geeignete Methode darstellt, und sie wird daher oft als der
Goldstandard der Schmerztherapie bei abdominellen Eingriffen bezeichnet (Block et al.
2003; Weiss und Pöpping
2018). Neben der überlegenen Analgesie, die unter anderem auch eine bessere und früherer Mobilisation ermöglicht, gibt es noch eine ganze Reihe anderer positiver Eigenschaften, die die Anwendung einer Periduralanästhesie sinnvoll erscheinen lassen (Carli et al.
2011). Eine PDA verkürzt die Dauer der
mechanischen Ventilation nach größeren abdominellen Eingriffen (Nishimori et al.
2006), reduziert die pulmonale Morbidität (Ballantyne et al.
1998), verbessert die postoperative Darmmotilität und vermindert die Dauer des postoperativen
Ileus (Nishimori et al.
2006; Liu und Wu
2007) und ist über eine Hemmung kardialer sympathischer Fasern kardioprotektiv (Nishimori et al.
2006). Zusätzlich existieren Hinweise, dass eine PDA die Rezidivhäufigkeit nach onkologischen Operationen vermindern könnte (Biki et al.
2008), auch wenn das in Meta-Analysen bisher nicht bestätigt werden konnte (Lee et al.
2015).
Volumentherapie
Die perioperative
Volumentherapie beeinflusst die postoperative Komplikationsrate. So konnte gezeigt werden, dass die Anwendung einer restriktiven intraoperativen Volumentherapie die Krankenhausaufenthaltsdauer, sowie das Auftreten
postoperativer Komplikationen signifikant verringern konnte (Nisanevich et al.
2005; de Aguilar-Nascimento et al.
2009; Varadhan und Lobo
2010; Wuethrich et al.
2014). Arterielle Hypotensionen wurden hierbei durch den Einsatz von Vasopressoren wie Noradrenalin behandelt.
Auch in den aktuellen ERAS-Konzepten wird daher eine restriktive
Volumentherapie gefordert (<1l kristalloide Infusionslösung bis zum Entfernen der Blase), optimalerweise als sogenannte „perioperative goal-directed therapy“ (PGDT) (Grocott et al.
2013; Pearse et al.
2014), bei der sich die Volumengabe am Schlagvolumen des Herzens orientieren soll (bspw. über o. g. nicht-invasive Verfahren des erweiterten hämodynamischen Monitorings) (Cerantola et al.
2013; Pang et al.
2018).
Eine aktuelle randomisierte Multicenterstudie an 3000 Patienten konnte allerdings keine Überlegenheit einer restriktiven
Volumentherapie zeigen, in der Interventionsgruppe war sogar die Rate an postoperativem
Nierenversagen erhöht (8,6 % vs 5 % in der liberalen Gruppe) (Myles et al.
2018). Hier werden weitere Studien zeigen müssen, wie viel Flüssigkeit für den individuellen Patienten in der individuellen Situation die richtige Dosis ist.
Postoperative Versorgung
In der postoperativen Versorgung stehen vor allem die frühe Mobilisation, die Erholung der gastrointestinalen Funktion durch frühe Wiederaufnahme der oralen Ernährung und die adäquate Kontrolle von
Schmerzen und Übelkeit/Erbrechen im Vordergrund (Cerantola et al.
2013; Pang et al.
2018).
Anästhesiologische Besonderheiten bei der Roboterchirurgie
Roboterassistierte laparoskopische Operationen sind in der urologischen Krebschirurgie innerhalb kurzer Zeit zu weit verbreiteten Verfahren geworden. Mittlerweile werden knapp 30 % der Prostatektomien roboterassistiert durchgeführt und auch
Zystektomien werden gehäuft mit diesem Verfahren operiert. Durch die minimalinvasive Natur der Roboteroperationen können intraoperative Komplikationen vermindert und die Patienten früher entlassen werden (Yaxley et al.
2016; Parekh et al.
2018), auch wenn sich das onkologische und funktionelle Outcome laut aktuellen Studien nicht wesentlich von dem von offenen Verfahren zu unterscheiden scheint (Parekh et al.
2018; Coughlin et al.
2018).
Roboterassistierte Operationen stellen für den behandelnden Anästhesiologen aus verschiedenen Gründen eine besondere Herausforderung dar:
Zum einen ist aufgrund der Größe des Roboters in der Regel deutlich weniger Platz im Operationssaal vorhanden, alle Kabel und Infusionsleitungen müssen gut gesichert sein, ein Verändern der Tischposition ist nach „Andocken“ des Gerätes auch in Notfallsituationen nicht mehr ohne weiteres möglich.
Insbesondere bei Eingriffen im kleinen Becken ist eine steile Trendelenburg-Lagerung notwendig (>30°), die in Kombination mit dem Kapnoperitoneum eine Vielzahl bedeutsamer Konsequenzen nach sich zieht. Die abdominellen Organe werden nach kranial verlagert und verdrängen das Zwerchfell, wodurch die funktionelle Residualkapazität und die
Compliance der Lungen sinken (Lestar et al.
2011); das Risiko für Ventilations-Perfusions-Missverhältnisse,
Atelektasen und Lungenödem steigt (Lee
2014). Hier muss auf eine Ventilation mit einem ausreichend hohen positiven endexpiratorischen Druck (PEEP) geachtet werden.
Hämodynamisch erhöht sich durch die steile Trendelenburglagerung der ZVD, der pulmonalarterielle, sowie der arterielle Blutdruck, was häufig zu einer Bradykardie führt (Lestar et al.
2011). Aber auch extreme Bradykardien bis hin zu Asystolien sind beschrieben worden.
Auch eine deutliche Schwellung von Gesicht und oberem Atemweg ist nicht selten und kann zu einer signifikanten Erhöhung des Atemwegswiderstandes führen, die für mehrere Tage anhalten kann (Köhne et al.
2017).
Durch die Kopftieflagerung erhöhen sich der intrakranielle und der intraokulare Druck und es wurden schon deutliche Visusverluste und Erblindungen nach roboterassistierten Operationen berichtet (Olympio
2013; Geis et al.
2015). Auch Hornhautabschürfungen sind häufig und können mit einer Schutzbrille in der Regel verhindert werden (Gainsburg et al.
2010).
Weiterhin vermindert sich die Perfusion der unteren Extremitäten, wodurch Ischämien und konsekutiv
Kompartmentsyndrome auftreten können (Meyer et al.
2002; Pridgeon et al.
2013). Die Perfusion beider Beine sollte daher mit geeigneten Verfahren (z. B. Plethysmographie oder Nah-Infrarot
Spektroskopie) überwacht werden.