Familienanamnese und Prostatakarzinom
Vergleichbar mit dem Kolon- und dem
Mammakarzinom findet sich auch beim PCA eine familiäre Häufung (Morganti et al.
1956). Eine familiäre Häufung von PCA beschreibt das gehäufte Auftreten von PCA innerhalb genetisch verwandter Familienmitglieder. Hierbei müssen jedoch zusätzliche nicht genetisch determinierte
Einflussgrößen in Betracht gezogen werden, etwa die gemeinsame Umgebung und/oder ähnliche Ernährung nicht verwandter Personen und – betrachtet man die hohe Inzidenz des PCA – auch eine zufällige Komponente. Eine Häufung ist dann offensichtlich, wenn die Inzidenz innerhalb genetisch verwandter Männer höher ist als in der männlichen Vergleichspopulation (Stanford und Ostrander
2001).
Hierbei ist zwischen dem familiären und dem hereditären PCA zu unterscheiden: Die gängige Definition des
familiären PCA ist das Auftreten bei zwei erstgradig Verwandten (Vater, Bruder, Sohn) oder bei einem erstgradig und mindestens zwei zweitgradig Verwandten (Onkel, Neffe, Großvater). Etwa 10 % bis 20 % aller PCA in der Gesamtpopulation können als familiäre PCA angesehen werden (Stanford und Ostrander
2001). Aus der Gruppe der familiären PCA kann eine Subgruppe isoliert werden, die hereditären PCA (Carter et al.
1993). Die hereditären Prostatakarzinome werden charakterisiert durch:
-
drei oder mehr erstgradig Verwandte mit PCA oder
-
drei aufeinanderfolgende Generationen mit PCA oder
-
zwei Geschwister mit PCA-Diagnose in jungem Alter (z. B. <55 Jahre).
Es wird vermutet, dass hereditäre PCA etwa 5–10 % aller PCA der Gesamtpopulation ausmachen, wahrscheinlich aber einen überproportional großen Anteil bei jüngeren Patienten (Tab.
2).
Tab. 2
Relatives Risiko der Diagnose eines Prostatakarzinoms bei positiver Familienanamnese. (Nach Kicinski et al.
2011)
Bruder mit Prostatakarzinom (altersunabhängig) | 3,1 (2,4–4,2) |
Vater mit Prostatakarzinom (altersunabhängig) | 2,4 (2,0–2,7) |
Ein betroffener erstgradig Verwandter (altersunabhängig) | 2,5 (2,3–2,7) |
Ein betroffener zweitgradig Verwandter (altersunabhängig) | 2,5 (0,99–6,5) |
Ein betroffener erstgradig Verwandter, Alter bei Diagnose <65 Jahre | 2,9 (2,2–3,7) |
Ein betroffener erstgradig Verwandter, Alter bei Diagnose ≥65 Jahre | 1,9 (1,5–2,5) |
Zwei oder mehr betroffene erstgradig Verwandte (altersunabhängig) | 4,4 (2,6–7,4) |
Ethnische Herkunft
Wie in Abschn.
2 bereits angedeutet, ist die ethnische Herkunft einer der etablierten Risikofaktoren für die Entwicklung eines PCA. Detaillierte Daten hierzu liefert eine Studie von Jemal et al. aus dem SEER-Programm des National Cancer Institutes der USA (Jemal et al.
2017). Hiernach weist die schwarze US-Bevölkerung die mit Abstand höchste Inzidenz und Mortalität auf, während US-Amerikaner asiatischer Abstammung bzw. von den Pazifikinseln stammend, die Niedrigrisikopopulation darstellen. Eine Übersicht gibt Tab.
3.
Tab. 3
Prostatakarzinom: SEER-Inzidenz und US-Mortalität 2009–2013
Schwarze US-Bevölkerung | 205,3 | 41,9 |
US-Asiaten/pazifische Insulaner | 68,1 | 8,8 |
US-Ureinwohner | 93,4 | 19,4 |
Weiß – Gesamt | 118,0 | 18,6 |
Weiß – hispanisch | 110,1 | 16,5 |
Weiß – nicht hispanisch | 128,4 | 20,3 |
Die für die schwarze US-Bevölkerung berichteten Inzidenzen galten lange als die höchsten der Welt. Allerdings fand sich in der jamaikanischen Bevölkerung 1994 eine noch höhere Inzidenz (304/100.000/Jahr) als in den USA. Mögliche ähnliche genetische Faktoren und/oder Ernährungsmuster dürften eine Rolle spielen (Glover et al.
1998a,
b).
Darüber hinaus wird in der schwarzen US-Bevölkerung über eine zum Zeitpunkt der Diagnose höhere Anzahl an aggressiveren, lokal weiter fortgeschrittenen PCA mit initial höheren PSA-Werten berichtet als in der weißen Bevölkerung. Insbesondere in den jüngeren Patientengruppen beider Kohorten fand sich auch ein schlechteres progressionsfreies Überleben der schwarzen Bevölkerung. Diese Daten suggerieren zum einen die Tatsache aggressiverer Tumoren in der schwarzen US-Bevölkerung (Powell et al.
2000; Hoffman et al.
2001). Nicht ganz ausgeschlossen ist aber auch eine unterschiedliche Wahrnehmung und/oder ein unterschiedlicher Zugang zu medizinischer Versorgung (Merrill und Lyon
2000). Neuere Daten belegen zwar einen Rückgang der Mortalität für die schwarze US-Bevölkerung, die jedoch immer noch deutlich über der weißen Bevölkerung liegt (DeSantis et al.
2016). Wallace et al. konnten Unterschiede in Tumor-Immunbiologie zwischen beiden Ethnizitäten zeigen, was ein Grund für die erhöhte Mortalität und aggressiveren Tumore in der schwarzen Bevölkerung darstellen könnte (Wallace et al.
2008).
Vergleichbare Daten zu ethnischer Variation sind innerhalb eines Landes der Europäischen Union im Allgemeinen – oder Deutschland im Speziellen – nicht verfügbar.
Ernährung
Über die Hauptfaktoren der Karzinogenese hinaus ist eines der augenfälligsten Merkmale des PCA der deutliche Anstieg der Inzidenz bei Asiaten, die in den US-amerikanischen Kulturkreis migrieren (Haenszel und Kurihara
1968; Yu et al.
1991; Kritchevsky
1999). Da der genetische Hintergrund unverändert bleibt, liegt es nahe, dass die veränderte Umwelt einen Einfluss auf die Karzinogenese hat. Zu den bestimmenden
Einflussgrößen der Umgebung zählen beispielsweise veränderte Ernährung, körperliche Aktivität und deren Folgen (
Adipositas) oder der Einfluss von Schadstoffen.
Unterschiedliche Ernährung bzw. Nahrungsinhaltsstoffe stellen einen etablierten Ansatz zur Erklärung der geographisch unterschiedlichen Inzidenz des PCA dar. Hierbei wurden sowohl Ernährungsfaktoren beschrieben, die das Risiko eines PCA erhöhen, als auch solche, welche sich auf die Genese des PCA protektiv auswirken.
Nahrungsenergieaufnahme und Übergewicht
Energieaufnahme in Form von Kalorien gilt als potenzielle Einflussgröße auf die Genese des PCA (Calle et al.
2003). In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass durch Nahrungsaufnahme mit reduzierter kalorischer Energie die Tumorlast – neben anderen Malignomen auch beim PCA – im Vergleich zu solcher ohne kalorische Beschränkung reduziert werden konnte (Kritchevsky
1999; Thompson et al.
1999; Mukherjee et al.
1999). Zahlreiche Studien haben daher Nahrungsenergieaufnahme und ihren Einfluss auf das PCA-Risiko untersucht, allerdings konnten diese Studien kein kohärentes Ergebnis liefern (Platz
2002). Die biologischen Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen
Adipositas und PCA bedingen, sind nicht eindeutig definiert. Es werden mehrere Möglichkeiten postuliert. Zum einen wird diskutiert, ob Änderungen des hormonellen Environments, insbesondere der
Androgene, die Karzinogenese beeinflussen könnten.
Die
Adipositas ist zwar eher mit niedrigeren Testosteron- und höheren Östrogenkonzentrationen assoziiert, was auf den ersten Blick protektiv wirkt. Demgegenüber steht aber eine niedrigere Konzentration an sexualhormonbindendem Globulin (SHBG), wodurch der relative Anteil des freien
Testosterons erhöht wird (Hsing
2001). Weitere hormonelle Faktoren stellen die mit Adipositas assoziierte Insulinresistenz und der
Hyperinsulinismus dar, ferner der insulin-like growth factor 1 (IGF-1) (Wolin et al.
2010). In einer
Metaanalyse sind erhöhte Serumkonzentrationen an IGF-1 mit einem höheren PCA-Risiko bezüglich der Inzidenz als auch mit fortgeschrittenen Stadien aufgezeigt worden. Das von den Adipozyten synthetisierte Hormon
Leptin, welches auf PCA-Zellen einen spezifischen Rezeptor aufweist, fördert die Angiogenese. Die Serumkonzentration von Leptin scheint ebenfalls mit großvolumigeren und aggressiveren PCA assoziiert zu sein (Hsing
2001; Chang et al.
2001; Stattin et al.
2001)
Die Korrelation von Energieaufnahme und Karzinomrisiko ist kritisch zu werten, da die Energiebilanz nicht nur von der Energieaufnahme, sondern auch von der Verhaltensweise des Individuums beeinflusst wird. Dies heißt z. B., dass Männer mit hoher körperlicher Aktivität als auch Männer, die bei niedriger körperlicher Aktivität übermäßig viel Nahrung zu sich nehmen, hohe Energieaufnahmen haben. Dennoch ist die Energiebilanz in beiden Patientengruppen unterschiedlich und damit möglicherweise auch der Einfluss auf das PCA.
In einer prospektiven Studie konnte eine positive Korrelation zwischen Energieaufnahme und fortgeschrittenem PCA
vorwiegend in schlankeren und weniger in adipösen Patienten gefunden werden (Hsing
2001). Dieses Ergebnis suggeriert, dass Patienten, die trotz einer relativ hohen Energiezufuhr nicht übergewichtig sind, möglicherweise ein metabolisches oder hormonelles Profil aufweisen, das ein höheres Risiko der PCA-Progression bewirkt. So zeigten die Ergebnisse der EPIC-Studie einen Zusammenhang zwischen abdomineller
Adipositas und einem erhöhten Risiko eines fortgeschrittenen Karzinoms – dabei war dieser Zusammenhang bei niedrigerem BMI ausgeprägter (Pischon et al.
2008).
Wenn übermäßige Energiezufuhr per se das Risiko des PCA erhöhen würde, dann würde es auf der Hand liegen, dass die
Adipositas das PCA-Risiko erhöht. Allerdings liefern zahlreiche prospektive Studien zum Teil konträre Ergebnisse bezüglich der Assoziation zwischen einem erhöhten BMI und der PCA-Inzidenz, sodass hierzu eine definitive Aussage zurzeit nicht möglich ist (Nomura
2001). Eine schwedische Studie zeigte, dass nach 18-jährigem Follow-up, Männer mit einem höheren BMI ein signifikant erhöhtes Risiko für ein PCA hatten (Andersson et al.
1997). Eine niederländische Studie, in der über 58.000 Patienten über 6,3 Jahre nachgesorgt wurden, fand dagegen keine Assoziation zwischen einem erhöhtem BMI und der PCA-Inzidenz (Schuurman et al.
2000).
Schlüssiger sind die Daten, die zeigen, dass ein erhöhtes Körpergewicht mit einem höheren Risiko für ein
aggressives PCA einhergeht bzw. an einem PCA zu sterben. So berichten 3 Fallstudien über ein höheres Risiko eines aggressiveren PCA bei Patienten mit höherem BMI im Vergleich zu solchen mit normalem BMI (Spitz et al.
2000; Rohrmann et al.
2003; Möller et al.
2015). Eine weitere Studie zeigte ein 34 % höheres Risiko der prostatakarzinomspezifischen Mortalität für Patienten mit einem extrem hohen BMI (>35 kg/m
2) im Vergleich zu Patienten mit normalem BMI. 2 longitudinale Studien, zusammen mit über 800.000 Patienten, zeigten, dass ein höherer BMI (>30 kg/m
2) ein um 27 % bzw. 21 % signifikant höheres Risiko aufwiesen, an einem PCA zu sterben (Calle et al.
2003; Rodriguez et al.
2001). In einer Auswertung der EPIC-Kohorte, mit über 800.000 Männern, zeigte sich ebenfalls ein positiver Zusammenhang zwischen einem erhöhtem BMI und der Aggressivität sowie an einem PCA zu sterben (Perez-Cornago et al.
2017)
Möglicherweise kann gefolgert werden, dass die
Adipositas eine Assoziation zur Progression und Mortalität des PCA hat, aber die Inzidenz des PCA nicht beeinflusst. Das wirft die Frage auf, ob die
Detektion eines PCA bei adipösen Patienten erschwert wird. Diese Vermutung wird durch Beobachtungen gestützt, die zeigen, dass das Prostatavolumen mit zunehmendem BMI signifikant zunimmt, so dass möglicherweise die Prostatabiopsie ein PCA leichter verfehlen kann (Freedland et al.
2006). Ebenfalls möglich ist eine Korrelation des PSA-Wertes mit dem BMI. Eine Studie an 2779 Patienten zeigte, dass in Patienten mit normaler digital-rektaler Palpation (DRU) der mittlere PSA-Wert mit zunehmendem BMI signifikant abnahm (Baillargeon et al.
2005). Extrapoliert man dies auf die gegenwärtig PSA-gesteuerte Biopsiestrategie, würden adipöse Patienten mit einem Karzinom aufgrund eines niedrigeren PSA-Wertes später biopsiert und damit das PCA zu einem späteren Zeitpunkt erkannt (Allott et al.
2013).
Nahrungsfett und spezifische Fettsäuren
Fettaufnahme, insbesondere in Form von tierischem Fett, gilt als beeinflussbarer Risikofaktor für das PCA. Diese Hypothese wird durch die Beobachtung gestützt, dass die Pro-Kopf-Aufnahme von Fett mit der Inzidenz und Mortalität des PCA korreliert (Epstein et al.
2012). Eine Assoziation zwischen fettreichen Nahrungsmitteln, insbesondere tierischen Ursprungs, wie etwa Fleisch oder Milchprodukten, und der PCA-Inzidenz wird in mehreren internationalen Fallkontrollstudien beschrieben (Kushi und Giovannucci
2002). So zeigte eine Fallkontrollstudie eine Assoziation zwischen einer an hochgesättigten
Fettsäuren reichen Ernährung und fortgeschrittenen Stadien des PCA sowohl bei Amerikanern afrikanischer, kaukasischer, chinesischer als auch japanischer Abstammung (Whittemore et al.
1995).
Andere Studien zeigen eine positive Assoziation von Nahrungsmitteln, die reich an tierischem Fett waren, insbesondere mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten PCA, sowohl bei Afroamerikanern als auch in der kaukasischen US-Bevölkerung (Hayes et al.
1999). Eine geringere Anzahl an Studien zeigten eine schwache Korrelation für das Gesamtfett oder für Fett tierischen Ursprungs in der Nahrung und Inzidenz des PCA. Schließlich wird in mehreren Studien ein höheres Risiko für fortgeschrittene PCA berichtet, wonach das relative Risiko sich zwischen 1,6- und 2,9-fach bei Patienten mit hochkalorisch-fettreicher Ernährung im Vergleich zu Patienten mit normaler Nahrungsaufnahme erhöht (Whittemore et al.
1995; Giovannucci et al.
1993).
Es findet sich aber kein einheitliches Gesamtbild, da andere Fallkontrollstudien und prospektive Kohortenstudien die Assoziation von einem erhöhtem PCA-Risiko mit Gesamtfett oder gesättigten
Fettsäuren nicht nachweisen konnten (Andersson et al.
1996; Crowe et al.
2008).
Die Bedeutung einzelner
Fettsäuren in der Nahrung für die Genese und Progression des PCA ist unterschiedlich. Die α-Linolensäure, eine ω3-polyungesättigte Fettsäure, erhöht das Risiko des PCA. Diese Fettsäure ist beispielsweise in Pflanzen-, wie Sojaöl, und in geringerer Menge in Gemüse, Fleisch und Milchprodukten enthalten (Giovannucci et al.
1993; Gann et al.
1994; Harvei et al.
1997). Fisch mit erhöhtem Fettgehalt, wie z. B. Lachs oder Thunfisch, sind reich an langkettigen ω3-polyungesättigten Fettsäuren, wie z. B.
Eicosapentaensäure oder Docosahexaensäure. Erstaunlicherweise haben die beiden letzteren keine (Eicosapentaensäure) oder eine inverse (Docosahexaensäure) Assoziation zur PCA-Genese gezeigt (Crowe et al.
2008; Norrish et al.
2000; Godley et al.
1996; Andersson et al.
1996; Key et al.
1997) Dies steht im Gegensatz zur α-Linolensäure. Da die α-Linolensäure ein Vorläufer der langkettigen ω3-Fettsäuren ist, ist die positive Assoziation der α-Linolensäure und die negative Assoziation von Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure zum PCA unklar. Möglicherweise liegt ein Grund darin, dass nur ein kleiner Anteil der α-Linolensäure in die langkettigen ω3-Fettsäuren umgewandelt wird und andere Abbauprodukte die Karzinogenese fördern. Eine Studie an den Patienten der SELECT-Studie konnte bestätigen, dass Patienten mit einem erhöhten Blutplasma-Spiegel an langkettigen ω3-Fettsäuren ein erhöhtes PCA-Risiko aufweisen (Brasky et al.
2013)
Die essenzielle Fettsäure Linolsäure, eine ω6-Fettsäure, die in Pflanzen- und Sojaöl häufig gefunden wird, ist ein Vorläufer der Arachidonsäure und damit ein Vorläufer der proinflammatorischen Prostaglandin-2-Substanzklasse. Eine Assoziation zwischen Aufnahme (Giovannucci et al.
1993; Schuurman et al.
1999) oder Serumkonzentration (Gann et al.
1994; Harvei et al.
1997) von Linolsäure und dem PCA-Risiko konnte bisher nicht beobachtet werden. Gleiches gilt für die Aufnahme oder Serumkonzentration der Arachidonsäure (Gann et al.
1994; Harvei et al.
1997), dem unmittelbaren Vorläufer der
Prostaglandine. Auch in diesem Fall fand sich in prospektiven Studien keine Assoziation zum PCA.
Pflanzliche Nahrung und Nahrungsinhaltsstoffe
Früchte und Gemüse enthalten ein breites Spektrum an Phytochemikalien. Diese schützen Pflanzen vor Infektionen oder Schädlingen und beinhalten Aromastoffe, Farbstoffe und andere Wirkungsstoffe. Ihre Wirkung ist meist komplex, und sie haben multiple Angriffspunkte im Zellstoffwechsel. Die wichtigsten Phytochemikalien können in 4 verschiedene Klassen eingeteilt werden: Polyphenole, Terpene, Schwefelverbindungen und Saponine. Jedes Obst, Gemüse, Getränk oder Fermentierungsprodukt hat einen unterschiedlichen Gehalt an Phytochemikalien und kann daher unterschiedlich protektiv wirken. Bezüglich der Karzinogenese sind in den letzten Jahren verschiedene Phytochemikalien untersucht worden. Manche können gegen Malignome im Allgemeinen oder gegen das PCA speziell protektiv wirken.
Eine hohe Obst- und/oder Gemüseaufnahme ist bei mehreren Malignomen, z. B. dem
Kolonkarzinom, als protektiv beschrieben worden. Auf die Inzidenz des PCA scheint eine obst- oder gemüsereiche Kost jedoch weniger Einfluss zu haben. Obwohl Früchte und Gemüse ein breites Spektrum potenziell vorteilhafter Komponenten enthalten, ist die Untersuchung von Gesamtfrucht- und -gemüseaufnahme ein möglicherweise zu einfacher Weg, die Vorteile dieser Nahrungsgruppe aufzuarbeiten, da der protektive Effekt häufig von einer spezifischen Komponente des Nahrungsmittels abstammen dürfte (Key et al.
2004). Solche Komponenten finden sich gehäuft in speziellen Pflanzen bzw. Pflanzenfamilien.
4 botanische Familien von Gemüsen sind von besonderer Bedeutung – z. B. wurden protektive Einflüsse auf das PCA basierend auf tomatenähnlichen Produkten, kohlartigen Pflanzen, Soja sowie knoblauch- und zwiebelähnlichen Pflanzenfamilien berichtet. Jede dieser 4 Gruppen hat typische charakterisierende Nahrungsinhaltstoffe.
Tomaten sind reich an Lykopenen, die effektive Antioxidanzien darstellen (Sies und Stahl
1995). Lykopen ist das am höchsten konzentrierte Karotenoid im
Plasma (Kaplan et al.
1987) und Gewebe (Clinton et al.
1996) der Prostata. Die Konzentration und
Bioverfügbarkeit der Lykopene wird durch den Reifegrad der Tomaten
bestimmt und lässt sich durch Erhitzen und durch Zugabe von Pflanzenöl erhöhen (Stahl und Sies
1992). Dies ist insbesondere von Bedeutung, da gekochte Tomaten, eher als rohe Tomaten, am beständigsten mit einem reduzierten PCA-Risiko assoziiert scheinen (Giovannucci et al.
2002). Unterstützt wird die Hypothese eines protektiven Effekts von Lykopene
n durch mehrere Studien, die die Serumkonzentration von Lykopenen in Relation zum PCA-Risiko untersuchten. Diese zeigten, dass eine höhere Konzentration an Lykopenen das PCA-Risiko zu senken scheint (Lu et al.
2001; Vogt et al.
2002; Huang et al.
2003; Nomura et al.
1997; Chen et al.
2015; Key et al.
2015). Allerdings war die Assoziation in zwei Studien nur schwach (Huang et al.
2003; Nomura et al.
1997) ausgeprägt. In der letzteren Studie war die Serumkonzentration an gemessenen Lykopenen allerdings deutlich niedriger als in den Studien, die einen protektiven Effekt zeigten (Nomura et al.
1997). Dies suggeriert, dass eine relativ hohe Konzentration von Lykopenen erforderlich ist, um einen protektiven Effekt auf die PCA-Genese zu erzielen. Insgesamt ist die Studienlage nicht einheitlich, was durch verschiedene
Metaanalysen der letzten Jahre bestätigt wurde (Ilic und Misso
2012).
Kohlartige Gemüse, z. B. Brokkoli oder Rotkohl, sind von Interesse, da sie Senföle, bzw. Suulphoraphane, die Glukosinolate enthalten. Dies sind organische Substanzen, die zu Folgeprodukten metabolisiert werden, die als natürliche
Pestizide und als Abwehrstoffe gegen Pflanzenfresser bedeutsam sind. Sie induzieren Phase-I- und Phase-II-detoxifizierende
Enzyme, z. B. die Glutathion-S-Transferase. Bei höherer Aktivität dieser Enzyme können Zellgifte mit potenziell mitogenem Effekt rascher aus dem Körper eliminiert werden. Ob dieser Mechanismus für das PCA ursächlich relevant ist, ist unbekannt. Allerdings finden sich mehrere Studien, die eine inverse Assoziation zwischen der Aufnahme kohlartiger Pflanzen und PCA-Risiko zeigen (Schuurman et al.
1998; Cohen et al.
2000; Kolonel et al.
2000; Kristal und Lampe
2002; Giovannucci et al.
2003), aber auch Studien, die keinen Effekt nachweisen konnten. Die Variabilität der Ergebnisse kann u. a. daran liegen, dass die Menge und Art des Kohlgemüses von Studie zu Studie, variiert. Ebenso dürften die Exposition des Kohlgemüses mit potenziell karzinogenen Substanzen während des Wachstums der Pflanze (z. B. Pestizide) die zum Teil diskrepanten Ergebnisse mit erklären.
Sojaprodukte
spielen eine weitere wichtige Rolle. Ihre Aufnahme ist in asiatischen Ländern deutlich höher als in der westlichen Welt. Die asiatischen Länder wiederum weisen eine deutlich niedrigere Rate an PCA auf. Daraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass Sojaprodukte das Risiko der Entstehung eines PCA reduzieren. Soja ist besonders reich an Phytoöstrogene
n, deren Hauptvertreter das Genistein und das Daidzein sind. Diese können
Apoptose induzieren, inhibieren hormonmetabolisierende
Enzyme, wie z. B. die 5-α-Reduktase und die 17-β-Hydrosteroid-Dehydrokinase und haben darüber hinaus noch antioxidative Eigenschaften (Morrissey und Watson
2003). Insgesamt ist die Anzahl von Studien, die die Relation von Phytoöstrogenen und Sojaprodukten mit dem PCA assoziiert haben, gering. Nur eine große Fallkontrollstudie fand eine inverse Assoziation zwischen Soja-Nahrungsaufnahme und PCA-Risiko (Kolonel et al.
2000), während andere Studien dieses nicht belegen konnten (Severson et al.
1989). Eine abschließende Bewertung ist somit noch ausstehend und eine Empfehlung für die Aufnahme von Sojaprodukten wie z. B. Sojamilch zur Reduktion des PCA-Risikos kann aufgrund der aktuellen Studienlage nicht ausgesprochen werden. Eine weitere Studie im Tiermodell zeigt, in der Kombination mit grünem Tee, eine Reduktion der inflammatorischen Faktoren TNF-α, IL-6 und IL-1-β in der Prostata. Ein Zusammenhang zwischen der antiinflammatorischen Wirkung und der Progression des PCA wird vermutet, wurde aber bislang nicht weiter untersucht (Hsu et al.
2011).
Infektion, Entzündung
Entzündungen spielen eine Rolle in der Initiation zahlreicher Krebserkrankungen, einschließlich Leber, Lunge, Ösophagus, Magen und dem Urothelkarzinom. Oxidative Schädigungen der DNA und anderer zellulärer Komponenten sind eine Begleiterscheinung akuter, chronischer oder rezidivierender Entzündungen. Körpereigene Entzündungszellen bilden bei der Infektabwehr eine Reihe toxischer Verbindungen, wie z. B. Superoxid, Wasserstoffperoxid oder Stickoxide, die direkt oder indirekt zu DNA-Schäden führen können. Einen maßgeblichen Auslöser solcher Entzündungen stellen Infektionen dar, die u. a. durch bakterielle oder virale Erreger ausgelöst werden können.
Genetische Risikofaktoren und Prädispositionsgene
Vergleichbar zu anderen Malignomen ist das PCA eine Erkrankung, in der die Initiierung des Malignoms aus einer Interaktion von genetischen und nichtgenetischen Faktoren resultieren dürfte. Die Identifikation von Genen, die für das PCA ursächlich sind, gestaltet sich jedoch trotz Segregationsanalysen von PCA-Familien, die die Existenz von einem oder mehreren hereditären Prädispositionsgenen suggerieren, als schwierig (Conlon et al.
2003; Gong et al.
2002; Verhage et al.
2001; Langeberg et al.
2007; Lynch et al.
2016; Benafif und Eeles
2016).
Die Erkenntnis, dass PCA
in Familien gehäuft auftritt, führte zur Sammlung von Daten aus Familien mit multiplen PCA in der Anamnese mit dem Ziel, durch Linkage-Studien Prädispositionsgene für das PCA zu identifizieren. Mehrere potenzielle Genloci wurden durch genomweite Linkage-Analyse in Hochrisikofamilien identifiziert; deren Bestätigung blieb in Folgestudien jedoch oft aus und bisher konnte nicht gezeigt werden, dass einer dieser Loci zu einer signifikanten Zahl von Karzinomfällen in Hochrisikofamilien beiträgt. Das Ziel der Linkage-Analyse ist es, den chromosomalen Abschnitt, auf dem sich das Prädispositionsgen befindet, zu identifizieren, allerdings konnte bisher keines der potenziellen Gene in den entsprechenden Regionen universelle klinische Bedeutung erreichen. In Tab.
4 sind einige mögliche Prädispositionsgene zusammengefasst, die in Familien mit multiplen Fällen von Prostatakarzinomen nachgewiesen wurden.
Tab. 4
Einige mögliche Prädispositionsgene für das Prostatakarzinom
HPC 1 RNASEL | 1q24–25 | Jüngeres Alter bei Diagnose (<65 Jahre) Höherer Gleason-Score Fortgeschrittenes Stadium bei Erstdiagnose | Hinweise auf Verbindung am deutlichsten in Familien mit mehr als 5 betroffenen Mitgliedern und jüngerem Alter bei Diagnose |
HPC2 ELAC2 | 17p12 | Nicht bekannt | Seltene Polymorphismen in HPC-Familien |
MSR1 | 8p22 | Nicht bekannt | |
CAPB EPHB2 | 1p35–36 | Jüngeres Alter bei Diagnose (<65 Jahre) | Hinweis auf Verbindung in Afro-amerikanischen Familien |
PCAP/HPC8 | 1q42.2–43 | Jüngeres Alter bei Diagnose (<65 Jahre) | Hinweise auf Verbindung am deutlichsten in europäischen Familien |
HPCX | Xq27–28 | Nicht bekannt | Höheres relatives Risiko für Männer mit betroffenen Brüdern als für Männer mit betroffenem Vätern, an einen PCA zu erkranken |
HPC20 | 20q13 | Späteres Alter bei Erstdiagnose | Hinweise auf Verbindung am deutlichsten in Familien mit wenigen betroffenen Mitgliedern und höherem Alter bei Diagnose |
Trotz breiter Kooperation, die in der Etablierung des Internationalen Konsortiums für PCA-Genetik (International Consortium for Prostate Cancer Genetics, ICPCG) kulminierte, zeigte sich die zuverlässige Bestätigung der möglichen Prädispostionsgenen für das PCA schwierig und erbrachte uneinheitliche Ergebnisse.
In einer Übersicht von 8 Linkage-Studien mit insgesamt über 4500 Prostatakarzinomfällen von fast 1300 Blutsverwandten fanden sich mehrere methodologische Unterschiede, etwa unterschiedliche Populationen oder Einschlusskriterien in die jeweilige Studie, die für diese inkonsistenten Ergebnisse mitverantwortlich sein können (Easton et al.
2003).
Eine universell akzeptierte Definition des hereditären Prostatakarzinom
s (HPC) liegt ebenfalls nicht vor, was bedeutet, das verschiedene Linkage-Studien unterschiedliche Patienten in ihre Analyse aufnahmen (Easton et al.
2003). Verbreitet ist die Definition der Johns Hopkins University, die folgende Kriterien für das HPC umfasst (Carter et al.
1993).
-
3 oder mehr erstgradig Verwandte (Vater, Bruder, Sohn) oder
-
3 aufeinander folgende Generationen und/oder
-
mindestens 2 betroffene Verwandte mit Alter bei Diagnose von <55 Jahren.
Patienten müssen nur eines dieser Kriterien erfüllen, um im Kontext von familiären Analysen als Patienten mit einem hereditären PCA betrachtet zu werden. Die
Validität dieser Kriterien konnte im klinischen Gebrauch allerdings noch nicht bestätigt werden.
Ein zusätzliches Problem ist die hohe Rate an sporadischen PCA, die die dominierende Variante aller PCA ausmacht. Da das Risiko eines Mannes, an einem PCA zu erkranken, etwa 1:9 beträgt, ist es wahrscheinlich, dass Patienten einer Studie sowohl sporadische als auch hereditäre PCA haben können (Siegel et al.
2018). Mit anderen Worten können Patienten, die keine Prädispositionsgene erben, dennoch ein – sporadisches – PCA entwickeln. Da es gegenwärtig kein klinisches oder pathologisches Korrelat gibt, welches in der Lage ist die sporadischen von den HPC zu differenzieren, erschwert dies die Genauigkeit der Analysen. Ebenfalls fehlen Daten, die den Phänotyp oder den klinischen Verlauf eines PCA zu spezifischen Genloci korrelieren.
Um die nicht schlüssigen Ergebnisse der Linkage-Studien zu klären, kombinierte die ICPCG genomweite Linkage-Daten von 1233 Familien, die von 10 Gruppen zusammengetragen wurden. Zunächst wurde das gesamte Set von 1233 Familien untersucht. Hierbei wurden 5 potenzielle Regionen identifiziert, die einen LOD-Score („logarithm of the odd“) zwischen 1,87 und 3,3 aufwiesen. Diese waren zu finden auf 5q12, 8p21, 15q11, 17q21, und 22q12, also auf Abschnitten, die vorher nicht als potenzielle Regionen für Prädispositionsgene erkannt worden waren. In der Hoffnung, dass homogenere Familiensubgruppen die Identifizierung erleichtern könnten, wurden Subgruppen der 1233 Familien analysiert. So fand sich in 269 Familien mit mindestens 5 betroffenen Mitgliedern eine signifikante Linkage auf 22q12 (LOD-Score 3,57) und potenzielle Linkage auf 1q25, 8q13, 13q14, 16p13 und 17q21. In einer zweiten Subgruppe von insgesamt 606 Familien, in denen ein PCA unterhalb des Alters von 65 Jahren diagnostiziert wurde, fanden sich Linkages auf 3p24, 5q35, 11q22, und Xq12 (Xu et al.
2005).
Durch die Linkage-Studien konnte schließlich eine seltene Hoch-Risiko Mutation, HOXB13 (G84E) identifiziert werden, die in einem deutlich erhöhten Risiko für ein PCA sowie ein jüngeres Alter bei Diagnose resultiert (Ewing et al.
2012; Attard et al.
2016; Giri und Beebe-Dimmer
2016)
Eine weitere seltene Mutation die mit einem deutlich erhöhten Risiko (etwa siebenfach) für ein PCA sowie ein jüngeres Alter bei Diagnose einhergeht ist die BRCA2-Mutation (Castro et al.
2013; Attard et al.
2016; Giri und Beebe-Dimmer
2016).
In den letzten Jahren wurden die Linkage-Studien durch sogenannte genomweite Assoziationsstudien (GWAS) ergänzt. Hierbei handelt es sich um eine Untersuchung der genetischen Variation des Genoms – ausgelegt um einen bestimmten Phänotyp, wie zum Beispiel das PCA – mit bestimmten Allelen zu assoziieren. Das Ziel von GWAS ist es also letztlich die Allele zu identifizieren, welche gemeinsam mit einem Merkmal auftreten. Dabei werden nicht notwendigerweise die Gene direkt untersucht, sondern in der Regel Single Nucleotide Polymorphism (
SNP). Dies führte dazu, dass die Liste an möglichen Allelen, die mit dem PCA assoziiert werden in den letzten Jahren auf über 100 verschiedene SNPs anwuchs. Eine Übersicht hierzu liefern Lynch und Kollegen sowie Benafif und Eeles (Lynch et al.
2016; Benafif und Eeles
2016). Diese SNPs werden insgesamt für über ein Drittel aller PCA-Fälle verantwortlich gemacht.
In einer Studie mit 9560 PCA-Fällen des ICPCG konnten 20 SNPs, auf den Chromosomenbanden 6q25, 7p15, 8q24, 10q11, 11q13, 17q12, 17q24, und Xp11, identifiziert werden, die auch mit einem familiären PCA assoziiert sind (Teerlink et al.
2014).
Es ist wahrscheinlich, dass einzelne dieser Prädispositionsgene für die Prostatakarzinogenese in bestimmten Subgruppen mitverantwortlich sind. Es ist hingegen nicht wahrscheinlich, dass ein einziges Prädispositionsgen für die Genese aller Prostatakarzinome verantwortlich ist, sodass das Prostatakarzinom auch hier große Heterogenität aufweist. Zwei seltene Mutationen konnten identifiziert werden (HOXB13 und
BRCA2) die mit einem deutlichen erhöhten Risiko für ein Prostatakarzinom einhergehen.