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Uroonkologie
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Publiziert am: 18.04.2019

Rektale Harnableitung

Verfasst von: Philipp Reimold, Markus Hohenfellner, Jan Philipp Radtke und Joanne Nyaboe Nyarangi-Dix
Rektale Harnableitungen stellen die erste entwickelte Form der kontinenten Harnableitung dar. Als Alternative zu anderen Verfahren haben sie nach wie vor ihren Stellenwert, da sie einfach in der Handhabung und kosmetisch günstig sind.
Essentiell für den Erfolg dieser Art der Harnableitung ist die richtige Patientenselektion und deren präoperative Vorbereitung.
Neben der klassischen Ureterosigmoideostomie stehen die modifizierte Rektumblase und der Sigma-Rektum Pouch (Mainz-Pouch II), sowie die doppelt gefaltete Rektosigmoidblase zur Verfügung.
Antirefluxive Anastomosentechniken verringerten hierbei das Auftreten von Reflux-assoziierten Komplikationen, da die Druckunterschiede zwischen dem oberen Harntrakt und dem Intestinum abgefangen werden können.
Die postoperative Nachsorge ist hierbei essenziell, hierbei steht zwar vor allem die engmaschige Kontrolle der Nierenfunktion im Vordergrund, langfristig ist allerdings auch an die Entstehung von Adenokarzinomen im Bereich der ureterointestinalen Anastomose zu denken.
Rektale Harnableitungen waren nicht nur die erste Form der kontinenten Harnableitung, sondern die Ursprungstechnik der klinisch angewandten Harnableitung an sich. Rektale Ableitungen sind kontinent, kosmetisch günstig und einfach in der Handhabung (Woodhouse 2004).

Patientenselektion und Kontraindikationen

Entscheidend für den Erfolg einer rektalen Harnableitung ist die korrekte Indikationsstellung. Vorbestehende entzündliche Darmerkrankungen, Divertikulose oder eine vorausgegangene Strahlentherapie im Bereich des Beckens sind Kontraindikationen für die Anlage einer rektalen Harnableitung, ebenso wie der Zustand nach spinalen Läsionen aller Art (Spirnak und Caldamone 1986). Von entsprechend wesentlicher Bedeutung ist die Kompetenz des rektalen Kontinenzmechanismus (M. sphincter ani). Weitere Voraussetzung ist eine normale Nierenfunktion, da es ansonsten durch einen insuffizienten enterorenalen Kreislauf zur Akkumulation potenziell toxischer Stoffwechselprodukte mit konsekutiver metabolischer Entgleisung kommen kann (McDougal 1992). Präoperativ manifeste Harntransportstörungen erhöhen das Risiko eines postoperativen akuten Nierenversagens und/oder einer Pyelonephritis (McDougal und Koch 1986).

Präoperative Diagnostik und Vorbereitung

Der präoperative Funktionstest des analen Kontinenzmechanismus prüft prospektiv, ob der Patient postoperativ in der Lage sein wird, den nach rektal abgeleiteten Urin anzuhalten und zu kontrollieren. Dies sollte dem Patienten auch unter Belastung und alltäglichen Aktivitäten (wie z. B. beim Heben) möglich sein. In der klinischen Praxis werden dem Patienten präoperativ 300–400 ml physiologische Kochsalzlösung per anal instilliert. Diese Menge sollte der Patient über 2–3 Stunden halten können. Fakultativ kann eine rektodynamische Messung erfolgen, bei der mittels rektalem Druckkatheter ein Ruheverschlussdruck des Analsphinkters >50 cm H2O und unter Stress (Husten/Pressen) ein Verschlussdruck >100 cm H2O gemessen werden sollte. Die Darmvorbereitung mit präoperativ ballaststoffarmer Ernährung und antegrader Darmspülung, z. B. mit 3 l Golitely, spielt eine wesentliche Rolle in der Reduktion postoperativer infektiöser Komplikationen (Fisch et al. 1993).

Evolution der modernen rektalen Harnableitung

Klassische Ureterosigmoideostomie und transkolische ureterointestinale Anastomose

Im Gegensatz zu allen anderen Formen der Harnableitung ist die Notwendigkeit einer soliden antirefluxiven Ureterneuimplantation bei der rektalen Harnableitung bis heute unumstritten. Diese Erkenntnis geht auf die Arbeiten von Maydl im späten 19. Jahrhundert zurück, der durch die Implantation des intakten Trigonums erstmals die bis dahin hohen Mortalitätsraten durch aszendierende Infektionen signifikant verringern und damit der rektalen Harnableitung einen klinischen Stellenwert verschaffen konnte (Maydl 1894). Die Weiterentwicklung der ureterointestinalen Anastomose setzte Coffey 1911 fort, der mit Hilfe eines submukösen Tunnels die antirefluxive Technik revolutionierte (Coffey 1911). Durch die Modifikationen der Technik, initial durch Goodwin et al. 1953 und später Hohenfellner und Marberger 1977 beschrieben, kam es zur Reduktion der postoperativen Pyelonephritis von initial 81 % Anfang des 20. Jahrhunderts auf ≤20 % (Zincke und Segura 1975; Hohenfellner und Marberger 1977; Goodwin et al. 1953).
Das modifizierte Prinzip basiert auf einer antirefluxiven Einbettung des Ureters zwischen Mukosa und Muskularis des Kolons (transkolische ureterointestinale Anastomose). Zusätzlich zur antirefluxiven Ureterimplantation empfehlen einige Autoren eine initiale antibiotische Prophylaxe, um die Rate an Infektionen weiter zu minimieren (Duckett und Gazak 1983). Die Vorteile der Ureterosigmoideostomie bestehen in der sphinktergesteuerten Kontrolle der Miktion ohne externes Stoma und Auffangbeutel, kürzerer Operationszeit und einfacherer Technik gegenüber dem Anlegen eines Conduits oder Pouchs (Wear und Barquin 1973). Unter den Spätkomplikationen ist die Stenose der ureterointestinalen Anastomose führend (32–49 %), die durch korrekte Spatulierung des distalen Ureters vor spannungsfreier Anastomosennaht und durch passageres Einlegen von Harnleitersplints reduziert werden kann.
In einer vergleichenden retrospektiven Analyse, die Ureterosigmoideostomien der Anlage eines Ileumconduits gegenüberstellte, konnten für beide Verfahren ähnliche Langzeitkomplikationen und Überlebensprofil gezeigt werden, jedoch kam es in der Gruppe der Ureterosigmoideostomien zu einer höheren Morbidität aufgrund postoperativer Komplikationen (Campos-Juanatey et al. 2013).

Karzinogenese

An der ureterointestinalen Anastomose nach Ureterosigmoideostomie kommt es in ca. 11 % der Fälle zur Induktion einer Neoplasie (Zabbo und Kay 1986; Wynant et al. 1991; Filmer und Spencer 1990; Azimuddin et al. 1999). Noch häufiger werden Polypen beobachtet (40 %). Die genaue Pathogenese ist unbekannt, diskutiert wird hierbei eine klassische Adenom-Dysplasie-Karzinom-Sequenz wie beim Kolonkarzinom, der häufigste Tumortyp ist das Adenokarzinom (85 %). Das allgemeine Risiko, an einem Adenokarzinom zu erkranken, ist nach Ureterosigmoidostomie gegenüber der Normalbevölkerung um das 8,5- bis 10,5-Fache erhöht (Kälble et al. 1990). In einer aktuellen multizentrischen Evaluation aller Harnableitungen in 44 deutschen Kliniken sind im Zeitraum 1970–2007 insgesamt 32 Sekundärkarzinome dokumentiert worden (0,18 %). Demzufolge handelt es sich um ein seltenes Ereignis. Das Risiko der Karzinomentstehung bei der Ureterosigmoideostomie ist mit 2,58 % jedoch signifikant höher (p < 0,0001) als bei anderen Formen der Harnableitung, (Kälble et al. 2011). Die mediane Latenz bis zum Auftreten des Adenokarzinoms beträgt 7–26 Jahre (Badalament et al. 1990). Aufgrund der langen Latenz spielt das Sekundärkarzinomrisiko beim typischerweise älteren Blasenkarzinompatienten nach radikaler Zystektomie eine untergeordnetere Rolle, muss jedoch bei jüngeren Patienten beachtet werden. Bei Letzteren sind aus diesem Grund regelmäßige Koloskopien lebenslang zwingend. Im Falle einer Umwandlung der Harnableitung (Undiversion) sollte zwingend darauf geachtet werden die Ureteren vollständig aus dem Sigma zu entfernen d. h. inklusive des transmuralen Sigmaanteils. Insbesondere dann, wenn nach erfolgreicher Undiversion Uretersegmente transmural im Sigma belassen werden sollten regelmäßige Koloskopien erfolgen.

Ventilmechanismus und Detubularisierung zur Vermeidung von Inkontinenz und metabolischen Komplikationen

Als weitere wesentliche Nebenwirkung der ureterokolischen Anastomose gilt das Auftreten einer analen Inkontinenz (Ishigooka et al. 1993). Nachdem durch die Entwicklung der antirefluxiven Implantationstechnik die Rate an Infektionen deutlich gesenkt werden konnte, wurden in urodynamischen Untersuchungen die ringförmigen Kontraktionen des Darms mit Anstieg des rektalen Drucks als Ursache für gehäufte Inkontinenz (v. a. nachts) nachgewiesen (Schmidbauer et al. 1987). Außerdem wird dieser erhöhte Druck im Intestinum auf das Niederdrucksystem des oberen Harntrakts übertragen und als eine der Hauptursachen für den progredienten Verlust der Nierenfunktion nach klassischer Ureterosigmoideostomie postuliert (Kinn 1996; Kristjansson und Mansson 2004).
Kock und Ghoneim übertrugen diese Erkenntnisse auf die Ureterosigmoideostomie und verwendeten das Prinzip der Detubularisierung von Darmsegmenten zur Unterbrechung zirkulärer Kontraktionen. Außerdem entwickelten sie ein Ventil oberhalb des neu geschaffenen Niederdruckreservoirs durch eine kurze Invagination des Sigmas. Dadurch konnte die Rate metabolischer Komplikationen reduziert werden (Kock et al. 1988). Durch diese Techniken begann die Ära der rektalen Harnableitungen mit Niederdruckreservoirs.

Modifizierte Rektumblase

Um ein Niederdruckreservoir zu bilden, führten Kock und Ghoneim eine antimesenteriale Inzision der Taenia libera auf der Vorderwand des Rektums durch. Diese Detubularisierung reicht vom rektosigmoidalen Übergang bis 3–5 cm distal der peritonealen Umschlagfalte. Anschließend wird das Sigma über 5 cm (von innen) in das Rektum invaginiert. Es entsteht eine Niederdruckrektumblase mit Sigmainvaginat, das als Ventil die Regurgitation des Urin-Stuhl-Gemischs in das proximale Kolon verhindert. Das Volumen des nun durch die Invagination verkleinerten Reservoirs wird durch die zusätzliche Augmentation eines detubularisierten Ileumsegments vergrößert, das als Patch auf das Rektum genäht wird. Dabei wird der orale Anteil des Patchs ebenfalls invaginiert. Die Implantation der Ureter in diesem Invaginat resultiert in einem effizienten Antirefluxschutz (Kock et al. 1988). In der Regel wird ein protektives Kolostoma angelegt. Das Prinzip dieser Harnableitung ist in Abb. 1 dargestellt.
Stellenwert
Durch die geringeren intraluminalen Drücke mit ausreichender Compliance des Reservoirs konnten die Inkontinenzraten deutlich reduziert werden. Ein Nachteil der Technik ist, dass durch die Verwendung des Ileum-Patchs und Ileuminvaginats eine zusätzliche intestinale Anastomose erforderlich ist. Ein Vorteil der Technik ist, dass in der Langzeitbeobachtung von 89 Patienten nach modifizierter Rektumblase bisher keine Sekundärmalignome im Bereich der ureterointestinalen Anastomose detektiert wurden. Außerdem blieben die Bikarbonat- und pH-Spiegel der Patienten auch ohne zusätzlich durchgeführte alkalisierende medikamentöse Prophylaxe im Normbereich (Dawaba et al. 1996). Dies deutet auf einen Vorteil der modifizierten Rektumblase in Bezug auf die Reduktion möglicher metabolischer Komplikationen hin.

Entwicklung des Sigma-Rektum-Pouch (Mainz-Pouch II)

1993 gelang Fisch et al. (1993) eine weitere Verbesserung der Anlage einer rektalen Harnableitung mit Niederdruckreservoir, der Mainz-Pouch II (Fisch et al. 1993). Das Rektosigmoid wird antimesenteriell eröffnet und einmal gefaltet, um ohne ein zusätzlich notwendiges Ileumaugmentat (und damit ohne zusätzliche Ileumanastomose) das Reservoirvolumen zu erhöhen und die Niederdrucksituation zu erreichen (Abb. 1b). Die Harnleiter werden nach der Goodwin-Technik antirefluxiv implantiert.
Stellenwert
Durch den Mainz-Pouch II wird eine Tageskontinenz in bis zu 100 % der Fälle und eine Enuresis nocturna von lediglich 2–5 % erreicht (Bastian et al. 2004). Spezialisierte Zentren konnten demonstrieren, dass der Sigma-Rektum-Pouch auch bei einer vollständig intrakorporal laparoskopisch durchgeführten radikalen Zystektomie als kontinente Ableitung angelegt werden kann (Turk et al. 2001).
Langzeituntersuchungen von Sun et al. (2014) an 45 Patienten mit Sigma-Rektum-Pouch zeigten, dass Komplikationen wie hyperchlorämische Azidose oder Pyelonephritis ausblieben, durchschnittliche Pouchvolumina von 375 ml erreicht wurden und 40 von 45 Patienten bereits 30 Tage postoperativ Kontrolle über die Miktion erlangt hatten (Sun et al. 2014).

Doppelt gefaltete Rektosigmoidblase

1994 berichtete die Gruppe um Abol-Enein et al. die Technik der Mansoura-Gruppe zur Erstellung eines Niederdruckreservoirs bei der rektalen Harnableitung (Abol-Enein und Ghoneim 1994). Hierbei wird das Rektosigmoid 2-mal zu einer S-Form gefaltet und antimesenterial im Bereich der anterioren Taenia eröffnet (Abb. 1c). Die Harnleiterimplantation erfolgt nach dem Prinzip der „extramural serous-lined technique“. Hierbei wird im Bereich der durch die Faltung in S-Form entstehenden Kontakte der anterioren Taeniae eine Seit-zu-Seit-Adaptierung der Seromuskularis durchgeführt. Dadurch entstehen 2 Kanäle, durch die die Ureteren gezogen und platziert werden. Der Tunnel entsteht anschließend durch allschichtige Übernähung der Ureteren mit den Schnittkanten des Kolons.
Stellenwert
Durch diese Techniken wurden 100 % Tageskontinenz und nur geringe Raten an Enuresis nocturna erreicht. Die Nierenfunktion konnte im 3 Jahres Follow-Up in 95 % der Patienten erhalten oder sogar verbessert werden (el Mekresh et al. 1997). Hammouda et al. (2006) verglichen Patienten mit einem Mainz-Pouch II und einer doppelt gefalteten Rektosigmoidblase und stellten in der Langzeitnachbeobachtung (Median: 40 Monate) neben kompletten Kontinenzraten vergleichbare urodynamische Eigenschaften fest. Beide Varianten sind Niedrigdruckreservoire mit guter Kapazität (Hammouda et al. 2006).

Postoperative Behandlung und Überwachung

Unmittelbar postoperativ stehen die üblichen Komplikationen nach abdominellen chirurgischen Eingriffen im Vordergrund. Hierbei ist auf Symptome wie z. B. Fieber als Zeichen einer Infektion oder Bauchschmerzen als Zeichen einer verzögerten Darmmobilisation mit der Gefahr der Entwicklung eines Ileusbildes zu achten. Des Weiteren ist auf Thrombosen mit potenzieller Entwicklung einer Lungenarterienembolie zu achten.
Postoperative sonographische Kontrollen decken eine Ureterdilatation/Hydronephrose auf. Bei zusätzlichem klinischem Verdacht auf eine Harnabflussstörung müssen perkutane Nephrostomiekatheter angelegt werden, bevor ein Anastomosenleck entsteht (Barbaric 1984). Abszesse des Beckens sind durch eine perioperativ durchgeführte Antibiotikaprophylaxe selten, erfordern bei Auftreten jedoch eine Drainage. Diese sollte CT-gesteuert durchgeführt werden, um Verletzungen im Operationsfeld zu vermeiden (Daschner et al. 1993).
Das Auftreten einer hyperchlorämischen Azidose durch Rückresorption von sauren Metaboliten ist häufig (Koch und McDougal 1985). Die meisten Patienten befinden sich nach der Operation dauerhaft in einer subklinischen Azidose, die präventiv mit Natriumbikarbonat oder Kaliumzitrat behandelt werden sollte (Blutgasanalyse anfangs alle drei Monate), um eine manifeste klinisch relevante metabolische Azidose zu vermeiden (Hall et al. 1993). Wenn diese Prophylaxe durchgeführt wird, sind im Falle des Mainz-Pouch II und der doppelt gefalteten Rektosigmoidblase nur in äußerst seltenen Fällen relevante Azidosen mit Base-excess-Werten geringer als −2,5 mmol/l zu erwarten (el Mekresh et al. 1997). Nach Anlage einer modifizierten Rektumblase sind auch ohne zusätzlich durchgeführte alkalisierende Prophylaxe normwertige pH-Werte beschrieben worden (Dawaba et al. 1996).
Bei Auftreten einer ureterointestinalen Anastomosenstriktur ist eine Revision der Anastomose angezeigt. In diesem Fall muss der Harnleiter mobilisiert und der distale Harnleiter gekürzt werden. Zum Ausschluss eines Malignoms sollte eine Schnellschnittanalyse erfolgen. Anschließend wird entweder eine Harnleiterneuimplantation durchgeführt oder alternativ in eine andere Form der Harnableitung gewechselt. Im letzteren Fall ist die Resektion des Kolonabschnitts erforderlich, der die Harnleiterimplantationsstellen enthält, um das Risiko eines Sekundärmalignoms zu verhindern (Fisch und Hohenfellner 2004).

Nachsorge

Eine regelmäßige, anfangs dreimonatliche Nachsorge mit Kontrolle der Blutgase und Retentionsparameter (Kreatinin/Harnstoff) sowie sonographischen Kontrollen ist erforderlich. Aufgrund des erhöhten Risikos für Adenokarzinome im Bereich der ureterointestinalen Anastomose sollten ab dem 3. postoperativen Jahr jährliche Koloskopien durchgeführt werden (Austen und Kälble 2004).

Beurteilung der rektalen Harnableitung nach aktuellen Gesichtspunkten

Seit der Beschreibung der ersten (erfolglosen) Ureterosigmoideostomie durch Simon (1852) wurde über zahlreiche Modifikationen der Techniken rektaler Harnableitungen berichtet. Die Ureterosigmoideostomie blieb die Harnableitung der Wahl, bis in den späten 1950er-Jahren verstärkt über Elektrolytstörungen und das Sekundärmalignomrisiko berichtet wurde (Clarke und Leadbetter 1955). Dies führte bis zum heutigen Tag zu einer deutlichen Abnahme der Verwendung rektaler Harnableitungen, auch und insbesondere aufgrund der parallelen Entwicklung der orthotopen und heterotopen Harnableitungen unter Verwendung des Dünndarms (Hautmann et al. 2007).
Die aktuellen Empfehlungen zur Harnableitung basieren auf der Konsensmeinung ausgewiesener Experten und auf der Evidenz zahlreicher retrospektiver Fallstudien. Prospektive Studiendaten über den Erfolg, Komplikationen sowie über die Vor- und Nachteile einzelner Harnableitungstechniken fehlen.
Somit lautet die heutige Experten-Konsensusempfehlung, dass die derzeitige Datenlage keine spezifische Bevorzugung und Empfehlung einer bestimmten Harnableitungstechnik, Wahl des Darmsegments und Technik der ureterointestinalen Anastomose erlaubt (Hautmann et al. 2007).
Eine Metaanalyse der Cochrane-Database bestätigt diese Empfehlung und schlussfolgert, dass die vorliegende Evidenz zur vergleichenden Beurteilung verschiedener Formen der Harnableitungen äußerst limitiert ist (Cody et al. 2012). Die moderne Uroonkologie muss die rektalen Harnableitungen neu und prospektiv bewerten, bevor eindeutige Schlüsse gezogen werden können. Die heute zur Verfügung stehenden kontinenten Techniken der rektalen Harnableitung mit Erzeugung eines Niederdruckreservoirs mit effizienter Protektion des oberen Harntrakts und Vermeidung von Inkontinenz und metabolischen Komplikationen ermöglicht eine gute Lebensqualität und gute Langzeitergebnisse (Bastian et al. 2004; Hohenfellner 2008).
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