Ziel dieses Kapitels ist eine erste Einführung in Aspekte der Studienplanung, Biometrie und klinischen Epidemiologie mit einem gewissen Fokus in Richtung (Uro-)onkologie und Therapie. In drei Abschnitten werden zunächst Typen und Ziele klinischer Studien dargestellt. Daran anknüpfend wird über Studienplanung und -organisation berichtet und schließlich erfolgt eine Beschreibung zentraler Grundlagen von Dokumentation und biometrischer Auswertung. Den Abschluss bildet ein weiterer Abschnitt, der einen Ausblick auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen bei der Planung, Durchführung und Auswertung klinischer Studien liefert.
Typen und Ziele klinischer Studien
Klinische Forschung und Grundlagenforschung sind unter dem Schlagwort der „Translation“ in den letzten Jahren näher aneinander gerückt. Während moderne klinische Therapiestudien ohne Begleit- und Grundlagenforschung nicht mehr auskommen, richtet sich letztere vermehrt auf menschenrelevante Ergebnisse aus. So lässt sich durch Therapiestudien der wechselseitige Nutzen von klinischer und experimenteller Krebsforschung belegen. Aus diesen Gründen ist es nur allzu gut zu verstehen, dass sich kontrollierte klinische Studien als das wichtigste Instrument der klinischen Forschung durchgesetzt haben, um eine Behandlung auf ihre Effektivität und Unbedenklichkeit zu prüfen. Das Ziel solcher Studien ist die Erfassung von
Daneben etablieren sich zunehmend Studienansätze aus der
klinischen Epidemiologie, die epidemiologische Prinzipien und Methoden auf die Praxis der klinischen Medizin anwenden. Zu den Hauptaufgaben der klinischen Epidemiologie zählen beispielsweise (Beaglehole et al.
2006):
Definition von Normal- und pathologischen Werten,
Bestimmung der Genauigkeit und der prädiktiven Werte diagnostischer Tests in der Zielgruppe, in der die Anwendung erfolgen soll,
Charakterisierung der „natürlichen“ Entwicklung von Krankheitsverläufen („natural history“) und der Bedeutung prognostischer Faktoren,
Bestimmung der Effizienz etablierter Behandlungen,
Integration und Implementierung präventiver Ansätze in die klinische Praxis.
Da sich dieses Buch primär an die in der Praxis tätigen onkologischen Urologen wendet, kann auf Fragen der Methodik der Epidemiologie nicht weiter eingegangen werden. Erwähnt werden soll aber, dass die moderne Epidemiologie, die sich als die Wissenschaft von der Verteilung der Erkrankungen und deren Determinanten in der Bevölkerung versteht, inzwischen über Methoden zur Deskription und Analytik verfügt, die einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Entstehung urologischer Tumoren und deren Prävention leisten. Ein wesentliches Instrument hierfür sind Krebsregister, in denen alle bösartigen Neubildungen einer definierten Region vollständig erfasst werden, um einerseits umfassend über das Krebsgeschehen zu informieren und andererseits analytische, an ätiologischen Fragen orientierte Studien zu ermöglichen.
Generell unterscheidet man zwischen experimentellen (meist randomisierten) und Beobachtungsstudien. Während bei einer experimentellen randomisierten Studie die Studiensubjekte (Patienten, Probanden) zufällig einem Behandlungsregime zugewiesen werden können, geht die Beobachtungsstudie von den auf das Studiensubjekt wirkenden Einflüssen aus, sei es eine bestimmte Therapie oder eine stattgefundene Exposition (z. B. die historische Arzneimitteleinnahme).
Grundsätzlich ist die randomisierte Studie der Beobachtungsstudie überlegen (Pocock
2002): Durch die zufällige Zuteilung der Studiensubjekte zur Art der Behandlung (z. B. Placebo vs. Verum) wird sichergestellt, dass innerhalb der Grenzen des statistischen Zufalls beobachtete Unterschiede ausschließlich den Behandlungsarten, nicht aber konstituierenden Gruppenunterschieden (z. B.
Prävalenz prognostischer Faktoren zum Zeitpunkt der Randomisation) zugeschrieben werden können. Andererseits sind Beobachtungsstudien vielfach kostengünstiger und stellen u. U. die einzig ethisch vertretbare Alternative dar: Interessiert man sich beispielsweise für die Auswirkung phenacetinhaltiger Medikamente auf die Entstehung von Blasen- und/oder
Nierenzellkarzinomen, so verbietet sich ein randomisierter Ansatz von vornherein.
Darüber hinaus unterscheidet man zwischen einer retrospektiven und einer prospektiven Studienführung. Beide Studienkonzepte haben ihre Vorzüge und können wertvolle Informationen liefern, wenn man ihre Aussagemöglichkeiten kennt und vor diesem Hintergrund die Ergebnisse interpretiert. Retrospektive Studien sind ihrer Natur nach Beobachtungsstudien, während prospektive Studien sowohl randomisiert als auch als Beobachtungsstudien durchgeführt werden können. Wo immer möglich, sollten klinische Studien als randomisierte Studien durchgeführt werden.
Eine Rolle zwischen randomisierten Studien und Beobachtungsstudien spielen nichtrandomisierte Studien, bei denen die Therapiewahl auf wenige Regimes eingeschränkt wird, die Wahl aber nicht dem Zufall überlassen ist. Sie werden in einigen Fällen verwendet, in denen die Randomisierung schwer durchsetzbar oder unmöglich ist, die äußeren Bedingungen aber kontrolliert dokumentiert werden sollen. Fälle, in denen die Randomisierung schwer durchsetzbar ist, sind z. B. Organtransplantationen, bei denen ein Spenderorgan nicht per Zufall zugeteilt werden kann.
Ergebnisse nichtrandomisierter Studien sind mit besonderer Vorsicht zu betrachten, da unbekannte oder fehlerhaft beobachtete Einflüsse den Therapieeffekt systematisch verzerren können. Solche Fehlbeobachtungen und deren Auswirkungen müssen im Zusammenhang mit den Ergebnissen kritisch diskutiert werden. Da solche
Störgrößen in prospektiven (randomisierten) Studien im Gegensatz zu historischen Vergleichen auf standardisierte Weise erhoben werden können, sind hier Fehlerquellen in der Regel geringer.
Retrospektive Studien
Retrospektive Studien gliedern sich in nichtvergleichende (Fallberichte, Fallserien) und vergleichende, analytische Untersuchungen. Vergleichende retrospektive Studien untersuchen Personengruppen, die sich z. B. im Erkrankungsstadium oder in der Behandlung unterscheiden; in der einfachsten Studiensituation wird nur dichotom nach Erkrankten (den Fällen) und Nichterkrankten (den Kontrollen) differenziert.
Retrospektiv, d. h. zurückschauend, wird dann festgestellt, inwieweit sich der Krankheitsverlauf beider Gruppen unterscheidet und ob sich durch gewisse (prognostische) Faktoren der beobachtete unterschiedliche Krankheitsverlauf beschreiben lässt. So kann z. B. beim Blasenkarzinom der Einfluss von Infiltrationstiefe, Differenzierungsgrad und begleitendem Carcinoma in situ, aber auch Alter und Geschlecht des Patienten untersucht werden. Da diese Faktoren jedoch untereinander in der Regel in enger Wechselbeziehung stehen (z. B. sind schlecht differenzierte Blasenkarzinome in der Regel infiltrativ, gut differenzierte wachsen meist oberflächlich), bedarf es einer biometrischen Betreuung, um mit statistischen Verfahren diese Korrelationen herauszuarbeiten. In der Regel sind hohe Fallzahlen notwendig, um zu validen Aussagen zu gelangen.
Ein weiterer Nachteil retrospektiver Studien liegt in der Unvollständigkeit der Daten: Nicht bei allen Patienten werden sämtliche – nachträglich als erforderlich erkannten – Untersuchungen in dem vereinbarten Zeitraster durchgeführt und dokumentiert (eingeschränkte Beobachtungsqualität).
Ebenfalls ein Nachteil ist die Tatsache, dass Patienten für eine bestimmte Behandlung ausgesucht wurden (Selektion) und die Kriterien sich mit der Zeit und von Klinik zu Klinik ändern. Auch ändern sich die diagnostischen Kriterien und Möglichkeiten, sodass z. B. ein T2-Prostatakarzinom 1935 ein anderes ist als 2017 – zu einer Zeit, in der mittels Sonografie, PSA und evtl. CT und MRT das Stadium besser festgelegt werden konnte.
Rückschlüsse auf die Wirksamkeit/Effizienz unterschiedlicher therapeutischer Verfahren sind nur in Ausnahmefällen möglich. Die Schlüsse gehen immer von beobachteten Wirkungen aus und zielen dann auf deren mögliche Ursachen (z. B. die therapeutischen Maßnahmen).
Die Bedeutung vergleichender retrospektiver Analysen liegt in der Generierung von Hypothesen im Vorfeld kontrollierter Studien und in der Abschätzung der zu erwartenden Therapieeffekte (Rezidivhäufigkeit, Progressionsrate, Überlebensrate), aufgrund derer eine Fallzahlplanung erfolgen kann.
Prospektive Studien
Wesentlich für eine prospektive klinische Studie sind die wissenschaftliche Qualität und die praktische Durchführbarkeit. Für die Praktikabilität sind nicht nur organisatorische, sondern auch ethische Erwägungen entscheidend. Die heute dafür geltenden Normen beruhen auf den Nürnberger Militärgerichtsurteilen von 1949, der Deklaration von Helsinki 1962 und deren aktueller revidierter Fassung von Fortaleza 2013. Das Wohl des Patienten und die Achtung vor dem Menschen sind oberste Prinzipien. Jedoch werden neben dem Abwägen von Bedeutung, Nutzen und Risiko ausdrücklich auch das Vorgehen nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen und die wissenschaftliche Kompetenz des Ausführenden als ethische Norm postuliert (Tab.
8.1). Methodisch unzureichende Untersuchungen sind nicht nur wissenschaftlich wertlos, sondern auch unethisch. Eine Ethikkommission ist vor Studienbeginn einzuschalten.
Tab. 8.1Ethische Forderungen für den klinischen Versuch
Wohl des Patienten Achtung vor dem Menschen Gerechtigkeit/Billigkeit | Anerkannte wissenschaftliche Grundsätze Kompetenz des Ausführenden Abwägung von Bedeutung, Nutzen und Risiko Abbruch bei Schadensverdacht Wahrung der Persönlichkeitsrechte Genehmigtes Studienprotokoll Registrierung des Forschungsvorhabens und Veröffentlichung nach Abschluss |
Die klinische Prüfung ist in Deutschland in § 4 Abs. 23 des Arzneimittelgesetzes (AMG) definiert. Maßnahmen zum Schutz der Patienten sind im § 40–42 beschrieben. Neben dem AMG regelt die Good Clinical Practice (GCP)-Verordnung in Deutschland die Details bzgl. Genehmigung und Durchführung klinischer Studien mit Arzneimitteln am Menschen.
Richtlinien zur GCP wurden durch die Europäische Union (Verordnung 536/2014 EU) und die Internationale Harmonisierungskonferenz (ICH) zur Abstimmung der Regulatorien zwischen Japan, den USA und der EU (ICH „Guideline for Good Clinical Practice“ E6 (R2)) erlassen. Diese Richtlinien der GCP beinhalten auch die Forderung nach
Standardarbeitsanweisungen (SOP)
, die den Ablauf einer klinischen Studie regeln, nachvollziehbar machen sowie die Umsetzung von GCP im Einzelnen sicherstellen sollen.
Prospektive Studien werden üblicherweise in 4 Klassen unterteilt, die den 4 zeitlich aufeinander folgenden Phasen bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln entsprechen:
Klinische Studien zur Überprüfung z. B. neuer Indikationen, neuer Darreichungswege oder Kombinationen werden wie Studien für neue Arzneimittel angesehen.
Da die Anforderungen an nicht kommerzielle klinische Prüfungen gestiegen sind, soll nun noch eine kurze Einführung in diese Thematik gegeben werden.
Nicht kommerzielle klinische Prüfungen
Studien, die von Ärzten konzipiert und durchgeführt werden, nennt man „investigator-initiated trials“ (IIT), „investigator sponsored trials“ (IST) oder auch nicht kommerzielle klinische Prüfungen. Statt der pharmazeutischen Industrie übernimmt in diesen Fällen der Arzt selbst oder z. B. dessen Universitätsklinikum oder die Universität die Sponsorenschaft.
Solche Studien sind oft nicht auf einzelne Arzneimittel ausgerichtet, sondern unterstützen die kontinuierliche Verbesserung der prophylaktischen, therapeutischen und diagnostischen Verfahren. Insbesondere im Bereich der Onkologie gibt es in Deutschland für viele Indikationen etablierte Studiengruppen, welche nicht kommerzielle klinische Prüfungen initiieren. Für den Bereich der Uroonkologie findet man Studiengruppen auf den Seiten der Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie e. V. [
www.auo-online.de/].
Die zahlreichen und bedeutsamen Fortschritte, die diese nicht kommerziellen klinischen Prüfungen insbesondere in der Onkologie erzielt haben, zeigen, dass diese einen relevanten Beitrag zur Forschung und Krankenversorgung leisten. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Kinderonkologie und seltene Tumoren.
Studienplanung und -organisation
Die wesentlichen Bestandteile des Protokolls (Prüfplans) einer kontrollierten klinischen Studie sind in Tab.
8.4 am Beispiel der innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie empfohlenen Standardstruktur aufgeführt und werden nachfolgend erläutert. Die dort aufgeführten Informationen decken sich zu großen Teilen mit den internationalen Empfehlungen von SPIRIT2013 (Chan et al.
2013a,
b).
Tab. 8.4Checkliste zum Studienprotokoll
Titelseite | |
Synopse | |
Unterschriften | |
Inhaltsverzeichnis | |
1 | Einführung und Begründung |
2 | Benennung der Verantwortlichen |
3 | Studienziele |
4 | Studiendesign |
4.1 | Patientenzahl |
4.2 | Zeitplan |
5 | Patientenauswahl |
5.1 | Einschlusskriterien |
5.2 | Ausschlusskriterien |
6 | Prüf-Vergleichsmedikationen, Behandlungsplan |
6.1 | Prüfmedikation bzw. -therapie |
6.2 | Vergleichsmedikation bzw. -therapie |
6.3 | Randomisation/Stratifikation/Blindung |
6.4 | Begleit-/Supportivmedikation |
6.5 | Notfallmaßnahmen |
6.6 | Ausscheiden eines Patienten aus der Studie |
6.7 | Weiterbehandlung nach Studienende |
7 | Untersuchungsmethoden und Beurteilungskriterien |
7.1 | Untersuchungszeitplan |
7.2 | Basisdokumentation |
7.3 | Erfassung der therapeutischen Effektivität |
7.4 | Erfassung und Meldung der Toxizität |
7.5 | |
8 | Datenmanagement und statistische Aspekte |
8.1 | Datenmanagement |
8.2 | Statistik/Fallzahlkalkulation/Zwischenauswertungen |
9 | Ethische, gesetzliche und administrative Regelungen |
9.1 | Deklaration von Helsinki/§ 40–§ 42 AMG/GCP-Verordnung |
9.2 | Ethikvotum |
9.3 | |
9.4 | Genehmigung durch die Behörde |
9.5 | Qualifikation der Zentren |
9.6 | Versicherung |
9.7 | Überwachung/Abbruch der Studie |
9.8 | |
9.9 | Monitoring |
9.10 | Verwaltung der Prüfmedikationen |
9.11 | Referenzinstitutionen/„extramural review“ |
9.12 | |
9.13 | |
9.14 | Protokolländerungen („amendments“) |
9.15 | Publikation/Vertraulichkeitsbestimmung |
9.16 | |
10 | Literaturverzeichnis |
11 | Beteiligte Zentren/Unterschriften |
Ethische, gesetzliche und administrative Regelungen
Der Studienprotokolltext sollte die allgemeine Zusicherung enthalten, dass die Prüfung in Übereinstimmung mit den Richtlinien zur biomedizinischen Forschung am Menschen durchgeführt wird, d. h. unter Beachtung der Deklaration von Helsinki sowie des Arzneimittel-/
Medizinproduktegesetzes/Strahlenschutzgesetzes und der GCP- und ICH-Leitlinien. Eine klinische Prüfung eines Arzneimittels darf nur begonnen werden, wenn die zuständige Ethikkommission diese zustimmend bewertet
und die zuständige Bundesoberbehörde diese genehmigt hat.
Jeder Patient muss vor Aufnahme in die Studie umfassend über die Prüfung informiert werden. Die generellen rechtlichen Grundsätze über
Aufklärung und Einwilligung können jedoch nicht ohne Modifizierung auf eine kontrollierte klinische Studie übertragen werden. Hier hat sich die Aufklärung unter Darlegung objektiver Inhalte auf die Chancen und Risiken der vorgeschlagenen Therapieverfahren (der neu zu prüfenden und der etablierten) zu erstrecken, wobei die Vorstellungen der medizinischen Wissenschaft über Nutzen und Risiko der neuen Behandlung ebenso darzulegen sind wie die Unsicherheiten, mit denen diese Vorstellungen belastet sind. Es sind auch solche Erkenntnisse mitzuteilen, die mit einem geringen Gewissheitsgrad ausgestattet sind. Die Notwendigkeiten ergeben sich aus dem generellen Umstand, dass jetzt der Arzt dem Patienten nicht nur als Therapeut, sondern auch als Forscher gegenübertritt.
Der Aufklärungsinhalt sollte im Rahmen einer Studie standardisiert sein. Die zur Dokumentation der Patienteninformation verwendeten Schriftstücke sind kurz zu beschreiben und im Anhang des Protokolls beizufügen. Hierbei sollte es sich in der Regel um ein Informationsblatt handeln, das in einer für den Patienten verständlichen Sprache abgefasst ist, sowie um eine vorgefertigte Einverständniserklärung mit Platzhaltern für Unterschrift von Arzt und Patient. Seit dem 25.05.2018 ist zudem die neue Europäische Datenschutzgrundverordung sowie das neue daran angepasste Bundesdatenschutzgesetz zu beachten.
Rückhaltlos sind die Patienten über eine Randomisation aufzuklären, d. h. es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Wahl zwischen den erläuterten Therapieverfahren nicht vom Arzt, sondern aus gutem Grund ausschließlich vom Zufall bestimmt wird. Darüber hinaus sind auch die
Einwilligung zu den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, zur Weitergabe der dokumentierten Daten in anonymisierter Form zum Zwecke der wissenschaftlichen Auswertung sowie zur Einsichtnahme in die Krankenakte durch die Studie wissenschaftlich betreuende Monitoren bzw. Behörden erforderlich.
Laut Arzneimittelgesetz muss der Leiter einer klinischen Prüfung bzw. Hauptprüfer über eine mindestens 2-jährige Erfahrung in der klinischen Forschung mit Arzneimitteln verfügen.
Der Abschluss einer
Patienten- bzw. Probandenversicherung ist bei Studien im Sinne des Arzneimittel-/
Medizinproduktegesetzes oder des Strahlenschutzgesetzes obligatorisch. Auch bei anderen klinischen Prüfungen wird der Abschluss einer analogen Versicherung empfohlen. Es ist im Prüfprotokoll zu erörtern, unter welchen Umständen ein
Abbruch der gesamten Studie in Erwägung gezogen werden sollte (z. B. ungenügende Patientenrekrutierung, unerwartet schwere Toxizität, Ergebnisse von Zwischenauswertungen oder neue Erkenntnisse von anderen Arbeitsgruppen). Bei größeren Studienprojekten kann ein eigens hierfür geschaffenes unabhängiges Überwachungskomitee („Data Safety Monitoring Board“) Entscheidungshilfen für den Abbruch oder die Weiterführung der Studie bieten.
Der protokollgemäße Ablauf der klinischen Prüfung sowie die Vollständigkeit, Korrektheit und
Plausibilität der ausgefüllten Dokumentationsbogen sind durch ein
Monitoring sicherzustellen. Der Monitor soll die beteiligten Zentren in allen Belangen der Studiendurchführung unterstützen. Seine Tätigkeit umfasst auch die komplette bis stichprobenartige Kontrolle von Daten in den Dokumentationsbogen und den Patientenakten auf Übereinstimmung
(„source data verification“).
Zusätzlich zu den im Rahmen des Monitorings ergriffenen Maßnahmen kann bei einer GCP-konformen Studie eine umfangreichere Qualitätskontrolle in Form eines
Audits veranlasst werden. Ein
Audit kann durch den Sponsor der Studie oder durch eine Überwachungs- bzw. Zulassungsbehörde veranlasst werden.
Falls alle oder ein Teil der bei der klinischen Prüfung verwendeten Medikamente vom Hersteller als Prüfmuster zur Verfügung gestellt werden (insbesondere bei noch nicht auf dem Markt befindlichen Medikamenten), sind Ausgabe, Verwendung und Verbleib der Prüfmedikation exakt zu dokumentieren.
Dokumentation und biometrische Auswertung
Dokumentation
Formulare für alle protokollgemäß zu erhebenden Daten (Dokumentationsbogen, „case report form“, CRF) müssen so beschaffen sein, dass sie eine zweifelsfreie Datenerfassung sowie die Durchführung der im Protokoll beschriebenen Analysen ermöglichen. Es ist grundsätzlich zu beachten, dass Daten, die für diese Zwecke irrelevant sind, nicht in die Dokumentationsbogen aufgenommen werden sollten, selbst wenn sie für den einzelnen Patienten und dessen weiteren Verlauf durchaus relevant sind. Solche Informationen gehören selbstverständlich ins Krankenblatt, aber nicht notwendigerweise in die Studiendokumentation.
Der Wechsel von der papierbasierten Erhebung auf ein webbasiertes klinisches Datenmanagementsystem erfolgt immer häufiger, da sich daraus eine Verringerung des logistischen Aufwandes und der anfallenden Korrekturaufgaben beim Prüfer ergibt; zudem wird mit einer Zeitersparnis vom Einschluss des letzten Patienten bis zur Übergabe der korrigierten Daten an die Biometrie gerechnet.
Abschn. „Appendix
1“ enthält Informationen zur Anlage von Bögen zur Patientenregistrierung, Patientenaufnahme, Therapie, Nachsorge, Abschlussdokumentation und spezieller Dokumentation.
Biometrische Auswertung
Zu Beginn einer statistischen Auswertung werden die Daten mit Maßzahlen wie Mittelwert, Median, Häufigkeitsangaben,
Standardabweichungen,
Varianz,
Spannweite, Quantilen, Vertrauensbereiche (
Konfidenzintervalle),
Korrelationskoeffizienten und
Grafiken sorgfältig beschrieben. Erst nach sorgfältiger deskriptiver Aufbereitung des Datenmaterials wird zur Durchführung der konfirmatorischen und explorativen statistischen Tests gemäß Studienprotokoll übergegangen. Häufig werden auch statistische Analysepläne erstellt, die Details der Auswertung vor Datenbankschluss festlegen. Für eine zeitlos gute Einführung in biometrische Aspekte sei auf Altman (
1990) verweisen.
Statistische Tests sind Hilfsmittel, um zwischen zwei Hypothesen zur Wirklichkeit mit Hilfe der Studiendaten eine Entscheidung zu treffen. Wenn es um den Nachweis eines Unterschieds in der Zielgröße zwischen zwei Therapiegruppen geht, so kann das Ergebnis des statistischen Tests zu zwei möglichen Aussagen führen:
Die Gruppen unterscheiden sich bezüglich des Zielkriteriums nur im Zufallsbereich, d. h. ein Unterschied lässt sich nicht nachweisen. Das muss nicht heißen, dass tatsächlich kein Unterschied besteht. Eine zu geringe Fallzahl und eine zu große Streuung können dafür verantwortlich sein, dass die sog. Nullhypothese (hier kein Unterschied zwischen den Gruppen bezogen auf die Zielgröße) nicht verworfen werden konnte.
Die Gruppen unterscheiden sich stärker, als dies der Zufall erwarten lässt. Bei der Interpretation ist mehr Gewicht auf die Größe des beobachteten Unterschieds, also auf die
klinische Relevanz, als auf die
Signifikanz des Unterschieds (ermittelt über den sog.
p-Wert) zu legen, da auch klinisch unbedeutsame (aber wahre) Unterschiede mit wachsendem Stichprobenumfang zu kleinen p-Werten führen.
Im Ergebnisteil soll nicht nur mitgeteilt werden, ob das Ergebnis statistisch signifikant war oder nicht, sondern es sollen stets auch Vertrauensbereiche zu den statistischen Maßzahlen angegeben werden. Ein üblicherweise berechneter 95 %-Vertrauensbereich bedeutet dann, dass der angegebene Vertrauensbereich den tatsächlichen Wert (für die Grundgesamtheit) mit einer Sicherheit von 95 % einschließt. Falls der 95 %-Vertrauensbereich des Unterschieds zwischen den medianen Überlebenszeiten zweier Gruppen 3–5 Monate beträgt, heißt das: Die Wahrscheinlichkeit dass dieser Vertrauensbereich die wahre Differenz einschließt, beträgt 95 %. Abschn. „Appendix
2“ enthält Erläuterungen zur Interpretation von Vertrauensbereichen von Mittelwerten und Prozentangaben.
Neben statistischen Tests zu Unterschieden gibt es insbesondere in der Onkologie vermehrt auch Fragen zum Nachweis von Äquivalenz oder Nichtunterlegenheit einer Therapie gegenüber einem Standard (z. B. Fueglistaler et al.
2007). Zusätzlich kann man grundsätzlich zwei verschiedene Testansätze unterscheiden: Die häufig eingesetzten Verfahren, wie der
χ
2-Test
und der
t-Test, betrachten nur ein Zielkriterium (univariat), wohingegen der Krankheitsprozess als multivariates Geschehen (mehrere Zielkriterien betreffend) aufgefasst werden kann. Multivariate Auswertungsmethoden jedoch sind aus verschiedensten Gründen in klinischen Studien nur selten einsetzbar, wegen ungenügender Voraussetzungen, aber insbesondere auch wegen mangelnder Interpretierbarkeit der Ergebnisse. Deshalb werden häufig mehrere univariate Analysen
durchgeführt und dabei die beobachteten Merkmale einzeln beurteilt.
Insgesamt ist zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit eines falsch-positiven Ergebnisses nach Durchführung eines statistischen Tests schnell sehr groß wird, wenn viele solcher Tests durchgeführt werden. Dies ist der Grund dafür, dass streng zwischen konfirmatorischer und explorativer Testung unterschieden wird, wobei im Fall der konfirmatorischen Testung meist nur eine oder sehr wenige Hypothesen getestet werden und die Irrtumswahrscheinlichkeit streng kontrolliert wird (z. B. durch sog. α-Adjustierung). Nach Abschluss der konfirmativen Testung können zusätzliche deskriptive/explorative Analysen erfolgen, z. B., um neue Hypothesen zur Planung weiterer Studien zu generieren oder um die
Plausibilität der Ergebnisse der konfirmatiorischen Testung im Bezug auf Annahme (z. B. Umgang mit fehlenden Werten) oder in Subgruppen zu untersuchen (sog. Sensititivtätsanalysen).
In onkologischen Therapiestudien werden häufig Zeiten bis zum Eintritt bestimmter Ereignisse als primäre Zielkriterien herangezogen. Für das Gesamtüberleben stellt die Überlebenskurve Wahrscheinlichkeiten dar, welche Patienten zu bestimmten Zeitpunkten nach Aufnahme in die Studie noch leben. Dabei können auch Patienten berücksichtigt werden, über deren weiteres Schicksal nach einem bestimmten Zeitpunkt keine Informationen mehr vorliegen. Gründe für solche sog. zensierte Beobachtungen sind vielfältig: Patienten haben sich z. B. im Studienverlauf dem weiteren Untersuchungsprogramm unkontrolliert entzogen, oder sie haben das Ende der Beobachtungsdauer einer Studie überlebt. Diese Kurven werden in der Regel nach der Methode von Kaplan und Meier ermittelt.
Als statistischer Test zum Vergleich von Überlebenskurven wird meist der Logrank-Test verwendet. Hierbei wird zu allen Zeitpunkten, an denen Todesfälle aufgetreten sind, jeweils ein Vergleich zwischen der beobachteten Anzahl von Todesfällen und der Anzahl von Toten durchgeführt, die man erwarten würde, wenn beide Behandlungen den gleichen Effekt auf die Überlebenszeit hätten. Diese Methodik ist nicht nur für Überlebenszeiten, sondern für jede Art von Zeitdauer bis zum Auftreten eines bestimmten Ereignisses anzuwenden (z. B. Eintritt der Progression, der Metastasierung, eines Rezidivs; aber auch des Erfolgs, der vollständigen Heilung oder dergleichen).
Zusammenfassung und Ausblick
Das Ziel des Kapitels ist eine Einführung in Aspekte und Notwendigkeiten einer studienangepassten Planung. Die Sicherheit der Patienten und das Ziel, gültige/valide Studienergebnisse zu ermitteln, sind dabei stets die wichtigsten Motive. Beide Punkte sind essenziell, da sich aus klinischen Therapiestudien im Unterschied zu Laborexperimenten oder auch epidemiologischen Beobachtungsstudien häufig handlungsrelevante Schlussfolgerungen ergeben, die unmittelbare Einflüsse auf die Patientenversorgung haben können. Von daher und vor dem Hintergrund schlechter Erfahrungen im Rahmen klinischer Prüfungen in der Vergangenheit sind bestimmte Formalisierungen und Regelungen notwendig.
Als aktuelle und zukünftige Entwicklung ist zu beobachten, dass immer häufiger Biomaterialien in klinischen Studien erhoben werden; zudem werden auch Routinedaten aus elektronischen Patientenakten immer häufiger in klinische Studien integriert. Als weitere Entwicklung im Rahmen klinischer Studien gewinnen gesundheitsökonomische Begleitfragestellungen ebenfalls immer mehr Bedeutung – beispielsweise im Rahmen der frühen Nutzenbewertung bedingt durch das Arzneimittelneuordnungsgesetz. Für diese Bereiche ist zu beachten, dass dabei nicht die eigentlichen Ziele der klinischen Studie gefährden dürfen, z. B. durch Einflüsse auf die Rekrutierung infolge zusätzlichen Studienaufwands. Zudem wird das Thema Datenqualität für Daten, die nicht im Rahmen der klinischen Studien erhoben wurden, zentraler. Schließlich ist auch zu erwarten, dass umgekehrt alle drei Bereiche zukünftig die Planung und Durchführung klinischer Studien maßgeblich beeinflussen werden.