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Uroonkologie
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Publiziert am: 19.10.2019

Systemische Therapie: Grundlagen

Verfasst von: Isabel Virchow, Johannes Meiler und Martin Schuler
Neben der klassischen systemischen Chemotherapie haben sich in den letzten Jahren sowohl zielgerichtete als auch immunologische Therapiestrategien in der Behandlung von Tumorerkrankungen etabliert. Hierzu zählen die Hemmung von Rezeptortyrosinkinasen, Hemmung intrazellulärer Signalübertragungsmoleküle, Hemmung antiangiogenetischer Signale, Modulation von Apoptosesignalwegen und die Hemmung sogenannter Immun-Checkpoints. Grundprinzipien und Einsatz der jeweiligen Ansätze sollen im Folgenden beispielhaft diskutiert werden.

Einleitung

Durch die Einführung der sog. „zielgerichteten Medikamente“ fand ein Paradigmenwechsel in der systemischen Behandlung maligner Erkrankungen statt. Voraussetzungen dieser Entwicklung waren die Erkenntnisse molekularbiologischer, molekulargenetischer und immunologischer Grundlagenforschung aus den letzten 30 Jahren, die zu einem besseren Verständnis der pathogenetischen Prozesse der malignen Transformation, Tumorprogression und zur Identifikation neuer Zielstrukturen („targets“) führten. Dadurch wurden spezifischere Strategien der Wirkstoffentwicklung ermöglicht, die auf die Beeinflussung von spezifischen Signalwegen und nicht auf primäre zelluläre Endpunkte wie Wachstumshemmung und Zelltod ausgerichtet sind.
Obwohl hierbei teils hochselektive Substanzen identifiziert werden konnten, ist deren weitere konventionelle pharmakologische und toxikologische präklinische und klinische Entwicklung unabdingbar. Die klinischen Prüfungen zeigten vielmals, dass gerade bei hoher Selektivität der Prüfsubstanz allenfalls Untergruppen ansonsten histologisch uniformer Tumoren auf das jeweilige Therapeutikum ansprachen. Dies führte in der Vergangenheit zu negativem Verlauf von Behandlungsstudien, die Patienten nach „klassischen“ histologischen Kriterien einschlossen, da derartige Studienkollektive oft das der Substanz entsprechende Tumorprofil nicht oder nur in geringer Zahl repräsentierten.
Eine entscheidende Bedeutung kommt daher einer umfassenden molekularen und genetischen Charakterisierung diagnostischer Tumorproben zu, welche die konventionelle Histomorphologie und Immunhistochemie ergänzt.
Viele bislang bei soliden Tumoren wirksame und zugelassene zielgerichtete Therapeutika weisen entweder einen breiten Wirkungsansatz auf, oder sie sind nur bei molekularpathologisch definierten Subgruppen von Tumoren aktiv und effektiv. Die wesentlichen Prinzipien der zielgerichteten Tumortherapie werden im Folgenden zusammengefasst und mit Beispielen aus der urologischen Onkologie belegt.

Hemmung von Rezeptortyrosinkinasen

Die Deregulation intrazellulärer Signalübertragungswege von Wachstums- und Überlebensfaktoren ist das klassische Resultat der Aktivierung zellulärer Onkogene. Geschieht dies auf der Ebene membrangebundener Wachstumsfaktorrezeptoren, wie z. B. bei einer Überexpression durch Genamplifikation (z. B. Her2/Neu) oder durch spezifische Mutationen mit endogener Aktivierung (z. B. Mutation des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors EGFR, Fusionstranskripte durch Translokationen unter Beteiligung von FGFR3), erfolgt die Signalübermittlung auch bei physiologischerweise subeffektiven Konzentrationen oder sogar in Abwesenheit der jeweiligen Wachstumsfaktorliganden.
Nach aktuellem Verständnis werden durch deregulierte Wachstumsfaktorrezeptoren 3 wesentliche Signalübertragungswege aktiviert:
  • der sog. Mitogen-aktivierte Proteinkinase (MAPK)-Weg,
  • der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K)/Proteinkinase B(AKT)-Signalweg,
  • und der Januskinase (JAK)/Signal-transducers-and-activators-of-transcription (STAT)-Signalweg (Abb. 1).
Der MAPK-Weg vermittelt vor allem Proliferations- und Wachstumssignale, während der PI3K/AKT-Weg vornehmlich das Zellüberleben und den Zellstoffwechsel, aber auch Proliferation und Motilität beeinflusst. Insbesondere Zytokine aktivieren den JAK/STAT-Signalweg, welcher in einer direkten transkriptionellen Aktivierung verschiedener Zielgene mündet.
Klassischerweise wird die Hemmung deregulierter Wachstumsfaktorrezeptortyrosinkinasen durch kleine zellpermeable Moleküle (sog. „small molecules“) erzielt, welche die intrazelluläre Enzymaktivität der Rezeptoren (meist Tyrosinkinasen) inhibieren. Dabei werden Substanzen unterschieden, die entweder im katalytischen Zentrum kompetitiv und reversibel binden oder die Kinase durch irreversible Bindung blockieren. Zur ersten Gruppe gehören beispielsweise die EGFR-Inhibitoren Erlotinib und Gefitinib sowie der duale EGFR/Her2/Neu-Inhibitor Lapatinib, zur zweiten Gruppe die Inhibitoren Afatinib, Dacomitinib und Osimertinib. Erlotinib ist in Kombination mit Gemcitabin zur Behandlung von Pankreaskarzinomen zugelassen. Afatinib, Erlotinib, Gefitinib und Osimertinib sind zur Therapie fortgeschrittener oder rezidivierter nichtkleinzelliger Lungenkarzinome (NSCLC) zugelassen, sofern eine aktivierenden Mutationen des EGFR-Gens nachgewiesen ist. Entsprechend erfordert der Einsatz dieser Substanzen in der Erstbehandlung von Patienten den vorherigen molekularpathologischen Nachweis des Vorliegens einer solchen somatischen Mutation im Tumorgewebe. Diesem Paradigma folgend wurden in den vergangenen Jahren weitere Tyrosinkinaseinhibitoren für spezifisch, molekular charakterisierte Subgruppen von NSCLC zugelassen. Beispiele sind Alectinib und Ceritinib bei ALK-translozierten Tumoren, Crizotinib bei ROS1-rearrangierten Tumoren und Dabrafenib/Trametinib bei Tumoren mit BRAFV600-Mutation.
Es ist zu erwarten, dass weitere Neuzulassungen auf ein molekularpathologisch definiertes Patientenkollektiv beschränkt bleiben werden.
Sowohl Erlotinib als auch Gefitinib wurden im Rahmen von Phase-II-Studien bei Patienten mit Urothel- und Nierenzellkarzinomen geprüft. Am unselektionierten Patientenkollektiv war die klinische Wirkung jedoch nur moderat, sodass ein Einsatz außerhalb von klinischen Studien derzeit nicht empfohlen werden kann. Eine Phase III-Studie zur Wirksamkeit einer Erhaltungstherapie mit Lapatinib nach Induktionschemotherapie bei EGFR- oder HER2-positiven Blasenkarzinomen verlieft ebenfalls negativ. Vielversprechend sind hingegen die Daten zur klinischen Wirksamkeit von FGFR-Inhibitoren, wie beispielsweise Erdafitinib, bei Patienten mit Urothelkarzinomen, die somatische FGFR-Aberrationen wie beispielsweise FGFR3-TACC3-Translokationen aufweisen.
Eine weitere Methode zu Hemmung deregulierter Wachstumsfaktorrezeptoren stellt der Einsatz monoklonaler Antikörper dar, die beispielsweise gegen die extrazellulären Domänen von EGFR (Cetuximab, Panitumumab) oder Her2/Neu (Trastuzumab) gerichtet sind. Durch die Bindung der Antikörper an den Rezeptor wird die intrazelluläre Signalübertragung vermindert oder komplett inhibiert. Man unterscheidet hierbei zwischen
  • chimären bzw. humanisierten Antikörpern (-ximab/-zumab), die noch Anteile von zumeist Mausprotein enthalten, und
  • vollständig humanen Antikörpern (-mumab).
Die Behandlung mit Antikörpern kann zwar durch in der Signalkaskade folgende aktivierende Mutationen ganz oder zumindest teilweise aufgehoben werden (insbesondere sind hier die aktivierende Mutationen von RAS-Onkogenen oder PIK3CA zu nennen), andererseits kann die Rekrutierung von Immunmechanismen beim Angriff auf die Tumorzellen, z. B. durch Antikörper vermittelte Zytotoxizität (ADCC), die Wirkung verstärken.
Es wurden Studien zum Einsatz von Cetuximab und Panitumumab bei Urothel- und Prostatakarzinomen durchgeführt, die jedoch keine Signale für eine klinische Weiterentwicklung erbrachten.
Zusammenfassende Bewertung
Bisher ist der klinische Einsatz von Inhibitoren von Rezeptortyrosinkinasen oder von monoklonalen Antikörpern in der Behandlung von urogenitalen Tumoren nicht etabliert. Dies ist unter anderem in den fehlenden oder nicht passgenauen Strategien zur Anreicherung von Patienten mit hoher Wirkwahrscheinlichkeit begründet. Aktuelle Daten zu FGFR-Inhibitoren bei Patienten mit metastasierten Urothelkarzinomen, die genomische FGFR-Aberrationen tragen, sind vielversprechend.

Hemmung intrazellulärer Signalübertragungsmoleküle

Deregulationen der den Rezeptortyrosinkinasen nachgeschalteten Schritte der intrazellulären Signalübertragung gehören zu den häufigen Schlüsselereignissen der malignen Transformation und der Tumorentstehung. Einerseits kann dies durch aktivierende Mutationen von Signalmolekülen erfolgen, andererseits durch inaktivierende Mutationen oder den Verlust von negativen Regulatoren (z. B. Tumorsuppressorgenen) bedingt sein.
Mutationen der GTPase Ras gehören zu den häufigsten Mutationen und sind bei etwa einem Drittel aller malignen Tumoren nachweisbar. Ähnlich wie die MAPK B-Raf aktivieren sie den MAPK-Weg und sind beispielhaft für die Deregulation von Signalwegen. Als erster spezifischer Raf-Inhibitor wurde im Jahr 2011 die Substanz Vemurafenib zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Melanom und Nachweis einer aktivierenden BRAFV600E-Mutation durch die FDA zugelassen.
Ein typischer negativer Regulator des MAPK-Weges, der in Tumoren inaktiviert sein kann, ist NF1. Als Konsequenz folgt die endogene Überaktivierung folgender Schritte des Signalweges, die u. a. durch die Kinasen MEK und ERK vermittelt werden.
Veränderungen im PI3KAKT-Signalweg finden sich u. a. bei aktivierenden Mutationen der Kinasen PIK3CA oder AKT. Wesentlich häufiger ist bei urologischen Tumoren der Verlust des negativen Regulators der PI3K, des Tumorsuppressors „phosphatase and tensin homolog deleted from chromosome 10“ (PTEN). Dadurch wird PI3K mit konsekutiver Stimulation von AKT aktiviert, die eine Vielzahl weiterer Signal- und Regulatormoleküle reguliert.
Prominentestes Zielmolekül von AKT ist die Kinase „mammalian target of rapamycin“ (mTOR). Sie wird durch die natürliche Substanz Rapamycin und dessen Derivate im Komplex mit dem endogenen Bindungspartner „12 kD FK506-binding protein“ (FKB12) spezifisch gehemmt.
Als weitere pathophysiologisch relevante Wege der Deregulation von mTOR seien die Inaktivierung der Tumorsuppressoren TSC1 (Hamartin) und TSC2 (Tuberin) genannt. Deren Inaktivierung findet sich bei der tuberösen Sklerose, der Lymphangioleiomyomatose sowie dem Peutz-Jeghers-Syndrom. Obwohl die Kinase mTOR nur eines von vielen biologisch bedeutsamen Zielmolekülen von AKT darstellt, reguliert sie bedeutende zelluläre Funktionen wie die für die Proteinbiosynthese essenzielle Translation.
Beispielhaft für die urologischen Tumoren findet sich beim Nierenzellkarzinom eine Überaktivierung des MAPK-Weges, während beim Prostatakarzinom der Verlust des Tumorsuppressors PTEN mit konsekutiver Aktivierung von AKT quantitativ relevant ist.
Daher wird der Inhibitor Sorafenib (der u. a. als Hemmstoff der Raf-Kinasen entwickelt wurde) erfolgreich beim metastasierten Nierenzellkarzinom eingesetzt. Auch Inhibitoren von mTOR, wie Temsirolimus und Everolimus, zeigten sich beim metastasierten Nierenzellkarzinom effektiv. In keiner der Zulassungsstudien wurde der Nachweis einer Überaktivierung der MAPK- oder AKT-Wege für den Studieneinschluss gefordert. Ob dies zu den relativ geringen Remissionsraten und moderaten klinischen Effekten, die in diesen Studien beobachtet wurden, beigetragen hat, bleibt spekulativ. Hervorzuheben bleibt aber, dass beide Substanzklassen zu einer signifikanten Verbesserung des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens (Temsirolimus) dieser bisher medikamentös nur schwer zu beeinflussenden Erkrankung beigetragen haben.
Weitere pharmakologische Modulatoren der MAPK- (u. a. RAF-, MEK- und ERK-Inhibitoren) und PI3K/AKT-Signalwege sowie anderer Signalmoleküle (z. B. Proteinkinase-C ) und Rezeptorkinasen (z. B. MET) sind in klinischer Entwicklung und werden hoffentlich die aktuell verfügbaren mTOR-Inhibitoren und Multikinaseinhibitoren klinisch sinnvoll ergänzen können.

Hemmung angiogenetischer Signale

Neben der Modulation von Signalwegen in der Tumorzelle wurde in den letzten Jahren die Bedeutung des Tumorstromas wissenschaftlich stark beachtet. Schrittmacher waren hier Strategien der Beeinflussung der durch Tumoren ausgelösten Gefäßneubildung, welche auf einer von Judah Folkman im Jahre 1971 aufgestellten Hypothese basiert. Eine ganze Reihe sog. antiangiogenetischer Substanzen wurde entwickelt. Der monoklonale Antikörper Bevacizumab, der gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) gerichtet ist und diesen neutralisiert, sowie die ATP-kompetitiven Kinaseinhibitoren Sunitinib, Sorafenib, Pazopanib, Cabozantinib, Axitinib, Lenvatinib und Tivozanib, die mehrere Rezeptortyrosinkinasen hemmen, sind in der klinischen Entwicklung am weitesten fortgeschritten. Dabei inhibiert Sunitinib u. a. den VEGF-Rezeptor, PDGF-Rezeptor, c-Kit und Flt-3. Sorafenib hemmt zusätzliche intrazelluläre Kinasen (Raf-Kinasen), Pazopanib weist ein dem Sunitinib ähnliches Hemmspektrum auf. Cabozantinib hemmt zusätzlich MET und für Lenvatinib wird eine noch breitere Hemmung der mit proangiogener und onkogener Signaltransduktion in Zusammenhang stehenden Rezeptortyrosinkinasen wie auch FGFR1, 2, 3 und 4, PDGFRα, KIT und RET beschrieben. Gemeinsam haben diese Substanzen ein eher unselektives Wirkungsspektrum, weshalb sie auch als Multikinaseinhibitoren bezeichnet werden. Tivozanib und Axitinib sind potente und selektive Inhibitoren der vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptoren (VEGFR)-1, VEGFR-2 und VEGFR-3, deren spezifischere Hemmung von VEGF-Rezeptoren als der wesentliche Wirkunterschied im Vergleich zu VEGF-Rezeptorinhibitoren der ersten Generation eingestuft wird.
Bevacizumab und die 7 genannten Multikinaseinhibitoren sind in der Behandlung des Nierenzellkarzinoms effektiv und zugelassen, wobei Lenvatinib nur in der Kombination mit Everolimus eingesetzt werden kann. Diese Effektivität wird u. a. der beim klarzelligen Nierenzellkarzinom häufigen Inaktivierung des von-Hippel-Lindau (VHL)-Tumorsuppressors zugeschrieben. VHL ist ein negativer Regulator des Transkriptionsfaktors hypoxieinduzierter Faktor 1α (HIF-1α). Dieser wiederum steigert die Produktion von Wachstumsfaktoren wie VEGF, welchem eine pathophysiologische Bedeutung in der Entstehung und Progression von Nierenzellkarzinomen zugesprochen wird.
Ob die Wirkung von Bevacizumab tatsächlich auf der Hemmung der Tumorangiogenese beruht oder eher den Aufbau der Tumorgefäße moduliert, ist derzeit noch unklar. Bevacizumab kann in der Behandlung des Nierenzellkarzinoms sowohl als Monotherapeutikum als auch in Kombination mit Interferon-α objektive Remissionen erzielen, während es in der Behandlung anderer Tumorerkrankungen (z. B. kolorektales Karzinom, NSCLC) nur in Kombination mit zytotoxischer Chemotherapie aktiv ist.

Modulation von Apoptosesignalwegen

Die pharmakologische Modulation von Signalwegen, die für den gerichteten, programmierten Zelltod (Apoptose) von Tumorzellen und auch Stromazellen entscheidend sind, stellt einen breiten und zielgerichteten therapeutischen Ansatz dar. Apoptose kann durch eine ganze Reihe von Stressreizen ausgelöst werden. Dazu zählen Zytostatika, ionisierende Strahlung, aber auch Entzug von Wachstums- und Überlebenssignalen. Die Hemmung von Apoptose kommt daher bei der malignen Transformation und Progression gesetzmäßig vor und wirkt sich oft nachteilig auf die Effektivität zytotoxischer Therapeutika und Strahlentherapien aus.
Essenzielle Faktoren der Apoptose sind spezifische Enzyme, die sog. Caspasen. Sie werden über zwei Signalwege aktiviert (Abb. 2). Die Bindung von sog. „Todesliganden“ wie TRAIL und FasL an spezifischen „Todesrezeptoren“ der Tumornekrosefaktor (TNF)-Familie initiiert den extrinsischen Signalweg. Die Rezeptor-Liganden-Interaktion führt zu einer Komplexbildung, welche die Aktivierung von Caspasen nach sich zieht.
Im Gegensatz dazu wird der intrinsische Signalweg durch Stressreize, aber auch durch zytostatische Therapeutika induziert. Eine zentrale Bedeutung kommt hierbei dem Tumorsuppressor p53 zu. Einmal z. B. durch DNS-Strangbrüche aktiviert, moduliert p53 über das BH3-Protein PUMA die pro- und antiapoptotischen Mitglieder der BCL-2-Proteinfamilie. Daneben existieren p53-unabhängige Wege der intrinsischen Apoptoseaktivierung, die über weitere der mittlerweile mehr als 14 Mitglieder umfassenden Gruppe der BH3-Proteine vermittelt wird. Eine Aktivierung von BH3-Proteinen führt zu einem funktionellen Übergewicht proapoptotischer BCL-2-Proteine, allen voran BAK und BAX, was eine Permeabilisierung der äußeren Mitochondrienmembran nach sich zieht. Die Freisetzung von Cytochrom c und anderer apoptogener Moleküle aus den Mitochondrien initiiert daraufhin die Ausbildung des sog. Apoptosoms, einem Multimolekülkomplex, der schlussendlich die den programmierten Zelltod exekutierenden Caspasen aktiviert.
Sowohl der intrinsische Signalweg als auch der extrinsische Apoptoseweg können als therapeutische Angriffspunkte genutzt werden.
Geeignete agonistische Antikörper gegen „Todesrezeptoren“ oder rekombinanter aktivierter „Todesligand“ wirken über den extrinsischen Weg und sind beispielsweise für das TRAIL-Liganden-Rezeptorsystem in klinischer Erprobung. Eine intrazelluläre pharmakologische Modulation der Signalwege kann auf der Ebene des Tumorsuppressors p53 erfolgen. Pharmakologische Regulatoren des physiologischen Inhibitors von p53, der Ubiquitinligase HDM2, sind in klinischer Entwicklung.
Die antiapoptotischen BCL-2-Proteine stellen ein weiteres attraktives Target dar. Insbesondere niedermolekulare Antagonisten von BCL-2 und BCL-XLwurden in die klinische Entwicklung überführt, von denen Venetoclax bereits die Zulassung zur Behandlung von bestimmten B-Zell-Lymphomen wie der chronischen lymphatischen Leukämie erhielt. Als weitere Zielmoleküle dienen die Mitglieder der IAP-Familie (IAP = „inhibitor of apoptosis“), z. B. XIAP, cIAP1 und cIAP2. Verschiedene niedermolekulare Inhibitoren dieser Moleküle befinden sich in klinischer Entwicklung.
Zusammenfassende Bewertung
Zielgerichtete Hemmstoffe der Angiogenese und des PI3K/AKT-Signalweges sind in der Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms fest etabliert.
Die therapeutische Modulation der apoptotischen Signaltransduktion befindet sich im Gegensatz dazu noch im frühen Entwicklungsstadium. Der potenziell breite, entitätsübergreifende Entwicklungsansatz lässt jedoch einen klinischen Einsatz erhoffen.

Checkpoint-Inhibition

Der Nachweis der klinischen Wirksamkeit von Antikörpern, die immunregulatorische Rezeptor-Liganden-Interaktionen modulieren, in der Behandlung bestimmter Krebserkrankungen war die mit Abstand bedeutsamste Innovation der medikamentösen Tumortherapie der vergangenen Jahre. Diese sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren zeichnen sich durch einen indirekten Wirkmechanismus mit teilweise sehr nachhaltiger klinischer Effektivität in einer Vielzahl verschiedener Krebserkrankungen aus. In verschiedenen Ländern und Indikationen zugelassen sind Antikörper gegen PD-1 (Nivolumab, Pembrolizumab), PD-L1 (Atezolizumab, Avelumab, Durvalumab) und CTLA-4 (Ipilimumab). Antikörper gegen PD-1/PD-L1 werden bislang meist als Monotherapien verabreicht und zeigen sich in so unterschiedlichen Entitäten wie malignen Melanomen, Lungenkarzinomen, Kopf-Hals-Tumoren, Nierenzellkarzinomen, Urothelkarzinomen und M. Hodgkin effektiv. Der Antikörper Ipilimumab wird heute beim Melanom als Monotherapie kaum mehr eingesetzt, in Kombination mit Nivolumab ist er für die Therapie von Melanomen zugelassen. Beim metastasierten Nierenzellkarzinom mit mittlerem und ungünstigem Risikoprofil zeigt sich die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab im Rahmen einer Phase III-Studie überlegen gegenüber dem Standard Sunitinib (Motzer et al. 2018). Die Zulassung in den USA und der Schweiz ist entsprechend erfolgt, die EMA erteilte die Zulassung erst nach einem befürwortenden Gutachten zur Änderung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Nivolumab und Ipilimumab zur Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms im November 2018. Die Kombination von PD-1/PD-L1 und CTLA-4 Antikörpern wird bei einer Reihe weiterer Tumorerkrankungen erprobt, wie beispielsweise dem Blasenkarzinom und Lungenkarzinomen. Darüber hinaus zeigte sich bei Lungenkarzinomen die Kombination von Platin-basierter Chemotherapie mit PD-1/PD-L1-Antikörpern in mehreren Phase III-Studien aktiv, s. d. bereits erste Zulassungen erfolgt sind. Präklinische Modelle und korrelative klinische Untersuchungen legen nahe, dass diese Antikörper durch die Reaktivierung einer über PD-1/PD-1 gehemmten, antigenspezifischen, antitumoralen T-Zellantwort sowie die Aufhebung einer CTLA-4-vermittelte Blockade des T-Zell-Primings wirken. Tumorproben von Patienten mit starkem Ansprechen auf diese Therapien zeigen oft eine hohe T-Zell-Infiltration, die Expression inflammatorischer Gensignaturen, und eine hohe Anzahl somatischer Mutationen als potenzielle Quelle von Neoantigenen. Bei manchen Entitäten kann durch den immunhistochemischen Nachweis einer hohen Expression von PD-L1 im Tumorgewebe eine Anreicherung der Patienten mit Therapieansprechen erreicht werden (Abb. 3).
Die präklinische und klinische Prüfung antagonistischer und agonistischer Antikörper und Biotherapeutika zur Modulation weiterer immunregulatorischer Moleküle, wie z. B. LAG3, TIM3, STING, VISTA, IDO1 als Monotherapien und in Kombination mit PD-1/PD-L1-Antikörpern ist derzeit Gegenstand intensiver Forschungsanstrengungen Sharma P, Allison JP (2015). Ebenso kann die Kombination von Immuncheckpoint-Inhibitoren mit klassischer Chemotherapie oder Strahlentherapie in verschiedenen Entitäten wirksam sein. Von diesem dynamischen Forschungsgebiet kann in den nächsten Jahren noch einige Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten auch für Patienten mit Krebserkrankungen des Urogenitaltrakts erwartet werden (Tab. 1).
Tab. 1
Graduierung der Nebenwirkungen nach WHO (Toxizitätsgrade)
Toxizitätsgrad
Defintion
Grad 0
Keine Nebenwirkungen
Grad 1
Geringe Nebenwirkungen ohne Einfluss auf Dosis und Dauer der Chemotherapie und ohne Einfluss auf den Allgemeinzustand
Grad 2
Mäßige Nebenwirkungen mit Verschlechterung des Allgemeinbefindens und/oder notwendiger Reduktion der Chemotherapeutika
Grad 3
Ausgeprägte Nebenwirkungen, die einen Abbruch oder eine Unterbrechung der Chemotherapie erforderlich machen
Grad 4
Schwere Nebenwirkungen, die eine stationäre Aufnahme bedingen
Grad 5
Tod durch Chemotherapie
Zusammenfassende Bewertung
Mit den Immuncheckpoint-Inhibitoren stehen Wirkstoffe zur Behandlung des fortgeschrittenen bzw. metastasierten Urothel- und Nierenzellkarzinom mittlerweile als Standardtherapie zur Verfügung. Unmittelbare Verbesserungen sind durch die präzisere Definition der besonders empfänglichen Patientenpopulationen durch Biomarker zu erwarten.
Literatur
Chen DS, Mellman I (2013) Oncology meets immunology: the cancer-immunity cycleImmunity. Immunity 39(1):1–10. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​immuni.​2013.​07.​012CrossRefPubMed
Motzer et al (2018) LBA5 – CheckMate 214: Nivolumab plus Ipilimumab versus Sunitinib in Advanced Renal-Cell Carcinoma. N Engl H Med 378:1277–1290CrossRef
Sharma P, Allison JP (2015) Immune checkpoint targeting in cancer therapy: toward combination strategies with curative potential. Cell 161(2):205–214. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​cell.​2015.​03.​030CrossRefPubMedPubMedCentral