Einleitung
Weichteilsarkome (WTS) stellen eine sehr heterogene Gruppe maligner Tumoren dar. Sie entstehen primär in den Weichteilen, sind mesenchymaler Herkunft und bilden die viertgrößte Gruppe solider Tumoren im Kindesalter (nach ZNS-Tumoren,
Lymphomen und
Neuroblastomen). Der häufigste bei Kindern auftretende Tumor aus der Gruppe der Weichteilsarkome ist das
Rhabdomyosar
kom (RMS).
Wie andere Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen werden
Weichteilsarkome in der Regel in multizentrischen Therapieoptimierungsstudien der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hömatologie (GPOH) behandelt. Solche Therapiestudien machen genaue Vorgaben für Diagnostik und Therapie (
www.GPOH.de). Diese Detailempfehlungen können und sollen das vorliegende Kapitel nicht ersetzen. Vor allem soll es nicht dazu ermutigen, Kinder und Jugendliche außerhalb von multimodalen Behandlungskonzepten und außerhalb erfahrener anerkannter Zentren für pädiatrische Hämatologie und Onkologie zu behandeln. Die entsprechende Studiengruppe der GPOH ist die seit 1981 existierende Cooperative Weichteilsarkom Studiengruppe (CWS) mit Studienzentrale in Stuttgart (CWS Studienzentrale, Olgahospital Klinikum Stuttgart, Bismarckstraße 8, D-70176 Stuttgart;
www.cws.olgahospital-stuttgart.de)
Epidemiologie
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 100 Kinder und Jugendliche
bis zum Alter von 15 Jahren an einem Weichteilsarkom, dem zweithäufigsten extrakraniellen Tumor nach dem
Neuroblastom mit einem Anteil von 6,1 % an allen Neuerkrankungen im Jahr. 61 % dieser Patienten haben ein Rhabdomyosarkom (RMS). Das entspricht einer Inzidenz von 5,4 bezogen auf 1 Mio. Kinder unter 15 Jahren. 2/3 der Kinder sind 6 Jahre oder jünger, Jungen sind etwas häufiger als Mädchen betroffen (1,2:1). Rund 90 % aller nach 1981 im Mainzer Kindertumoregister (
www.kinderkrebsregister.de) erfassten Rhabdomyosarkome wurden in den CWS-Studien (
www.cws.olgahospital-stuttgart.de) registriert.
Epidemiologische Untersuchungen haben nur wenige exogene Faktoren gezeigt, die mit einem erhöhten Risiko für kindliche
Weichteilsarkome einhergehen (Schwartzbaum et al.
1991). Fetales Alkohol-/Hydantoin-Syndrom, intrauterine Strahlenexposition und der Missbrauch von Marihuana und
Kokain durch die Eltern korrelieren mit einem erhöhten Risiko für ein RMS. Die meisten Fälle treten sporadisch auf, allerdings ist bekannt, dass Weichteilsarkome im Rahmen bestimmter familiärer Syndrome mit genetisch bedingter Prädisposition zur Krebsentwicklung wie
Neurofibromatosen,
Neurofibromatosen, Beckwith-Wiedemann-, Li-Fraumeni-, Werner-, Gardner- oder Castello-Syndrom mit einer erhöhten Inzidenz vorkommen können (Hennekam
2003).
Biologie und Pathologie
Weichteilsarkome werden histogenetisch aufgrund ihrer phänotypischen Ähnlichkeit zum normalen Gewebe klassifiziert. Die pathologisch-anatomische Klassifikation der Weichteilsarkome erfolgt zunächst morphologisch. Eine differenzierte Einstufung ist jedoch ohne immunhistochemische und molekularbiologische Zusatzverfahren nicht mehr möglich.
Die häufigsten histologischen Entitäten im Kindesalter sind (genannt in der Reihenfolge der Häufigkeit
im CWS-Register 1981–2008):
-
Rhabdomyosarkome (RMS): 58,6 %,
-
extraossäre Tumoren der Ewing-Gruppe (ETEG): 9,5 %
-
Synovialsarkome (SS): 7 %,
-
Neurofibrosarkome: 4 %,
-
Fibrosarkome: 3 %,
-
Weichteilsarkome wie Rhabdomyosarkome, extraossäre Tumoren der Ewing-Gruppe und Synovialsarkome zählen zu der Gruppe der chemotherapieempfindlichen Weichteilsarkome und werden deswegen in den CWS-Protokollen als „RMS-artige Tumoren“ bezeichnet und ähnlich behandelt.
Die morphologische Diagnose des Rhabdomyosarkoms basiert auf einer Kombination von zytologischen Merkmalen, Wachstumsart sowie immunhistochemischem Nachweis verschiedener
Antigene. Heute wird am häufigsten der Nachweis von Myogenin und/oder MyoD1 verwendet.
Die
internationale Rhabdomyosarkomklassifikation (Newton Jr et al.
1995) unterscheidet grundsätzlich 2 Typen der Rhabdomyosarkome:
-
embryonal (RME; Varianten botryoid und spindelzellig) und
-
alveolär (RMA; Variante: solide alveolär).
-
Diese werden in 3 Subgruppen mit unterschiedlicher Prognose eingeteilt:
-
Rhabdomyosarkome mit günstiger Prognose sind der botryoide und spindelzellige Typ des embryonalen Rhabdomyosarkoms. Der botryoide Typ (7 % aller Rhabdomyosarkome) wächst in Hohlorganen (Harnblase, Vagina, Gallengänge, Gehörgang, Nase) mit einer charakteristischen, polypoiden, traubenartigen Vorwölbung in das Lumen; der Spindelzelltyp (3–8 % aller Rhabdomyosarkome) kommt vorwiegend paratestikulär vor und weist histologisch definitionsgemäß mehr als 75 % Spindelzellen auf.
-
Zu den Rhabdomyosarkome mit intermediärer Prognose gehören „klassische“ embryonale Rhabdomyosarkome.
-
Rhabdomyosarkome mit ungünstiger Prognose sind alveoläre Rhabdomyosarkome (RMA) einschließlich der sog. „soliden Variante“.
In der Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Formen spielt die Molekularbiologie allerdings eine immer wichtigere Rolle. Das alveoläre Rhabdomyosarkom zeichnet sich durch eine charakteristische Translokation zwischen dem langen Arm des
Chromosoms 1 bzw. 2 und dem langen Arm des Chromosoms 13 aus [t(2; 13) (q35; q14) oder t(1; 13)]. Molekulargenetisch entspricht dieser Translokation das Rearrangement des PAX3- bzw. PAX7-Gens und des FOXO-1-Gens. Es wird vermutet, dass dieses Rearrangement zu einer Aktivierung der
Transkription von Genen führt, die an dem abnormen Phänotyp beteiligt sind. Aus diesem Grund unterscheiden sich die alveolären und embryonalen RMS in Expressionsmuster bestimmter Proteine (AP2-beta, p-Cadherin, EGF-R und Fibrillin-2; Wachtel et al.
2006). Es wurden auch andere, seltene Rearrangement des PAX3 und der NOCOA1, NCOA2, AFX, INO80D Gene identifiziert, deren klinische Bedeutung noch unklar ist (Shern et al.
2014). Die Translokationen sind allerdings nur bei ca. 70–80 % der untersuchten alveolären RMS zu finden (Williamson et al.
2010; Stegmaier et al.
2011; Kashi et al.
2015).
Basierend auf den Genexpressionsanalysen wird in letzter Zeit diskutiert, ob die translokationsnegativen RMA klinisch und genetisch eher der Gruppe der RME zuzuordnen sind.
Die Beantwortung dieser Frage hat eine enorme klinische Bedeutung, da die Patienten mit RMA eine viel intensivere Chemo- und Radiotherapie erhalten. Solche Analysen sind aber bei der Seltenheit der RMS nur in kooperativen, nationalen und internationalen Studiengruppen möglich. Dies zeigt auch deutlich, welche Bedeutung die zentrale pathologische und genetische Auswertung der Tumorproben in der pädiatrischen Onkologie einnimmt. Die Kenntnis der molekulargenetischen Struktur spezifischer Translokationen erlaubt außerdem den Nachweis auf RT-PCR-Ebene und damit die Identifizierung genetischer Marker, die zum Nachweis minimaler metastatischer bzw. residueller Erkrankung (MMT und MRD) bei der Diagnose wie auch im weiteren Verlauf genutzt werden kann. Allerdings ist die klinische Bedeutung der MMT und MRD noch nicht ausreichend evaluiert.
Das embryonale Rhabdomyosarkom (RME) zeichnet sich durch einen sog. Verlust von Heterozygosität („loss of heterozygosity“) am 11p15-Locus aus. Dabei geht maternales Genmaterial verloren, so dass eine Disomie des väterlichen Genmaterials vorliegt. Es wird vermutet, dass diese Veränderung entweder zu einem Verlust eines
Tumorsuppressorgens oder der Überexpression eines Wachstumsgens führt. Molekulargenetische Untersuchungen zeigten relativ niedrige Mutationsraten in RMS. Folgende Gene bzw. Signalwege wurden häufig als verändert beobachtet:
NRAS,
KRAS,
HRAS,
FGFR4,
PIK3CA,
CTNNB1,
FBXW7,
BCOR und Rezeptorkinasen der
RAS/
PIK3CA Achse (Kratz et al.
2007; Shern et al.
2014).
Angesichts der Seltenheit von
Weichteilsarkomen ist eine Referenzbeurteilung der Histologie obligatorisch.
Diagnostik
Angesichts der Vielfalt der Histologien und der möglichen Lokalisationen von
Weichteilsarkomen ist eine einheitliche Symptomatik nicht zu erwarten. Vielmehr sind die Symptome abhängig von der Lokalisation und dort von der vom Tumor ausgehenden raumfordernden Wirkung. Je weniger das gesunde Gewebe ausweichen kann, desto eher werden Obstruktion, Verlegung von Gangsystemen und Hohlräumen eintreten. Tumoren im Urogenitaltrakt werden üblicherweise durch
Bauchschmerzen, Hämaturie, Dysurie, Hodenschwellung oder
Obstipation auffällig; Allgemeinsymptome wie
Fieber, Gewichtsverlust, Schwitzen sind dagegen selten.
Klassifikation
Die
TNM-Klassifikation zeigt Tab.
1.
Tab. 1
Klassifikation. (Quelle: TNM Classification of pediatric tumours. Genf 1982)
Tumor
|
T0 | Kein Anhalt für Primärtumor |
T1 | Tumor auf Ausgangsorgan oder -gewebe beschränkt mit |
| – T1a Tumordurchmesser ≤5 cm |
| – T1b Tumordurchmesser >5 cm |
T2 | Tumor nicht auf Ausgangsorgan oder -gewebe beschränkt |
| – T2a Tumordurchmesser ≤5 cm |
| – T2b Tumordurchmesser >5 cm |
TX | Inadäquate Information über Primärtumor |
Lymphknoten
|
N0 | Kein Anhalt für Befall der regionären Lymphknoten |
N1 | Befall der regionären Lymphknoten |
NX | Inadäquate Information |
Metastasen
|
M0 | Kein Anhalt für Fernmetastasen oder Befall extraregionärer Lymphknoten |
M1 | Fernmetastasen oder Befall nicht regionärer Lymphknoten |
MX | Inadäquate Information |
Ziel der Diagnostik ist es, die Histologie, die Tumorgröße und das Tumorvolumen festzulegen, darüber hinaus die Beziehung zu den Nachbarorganen und -strukturen zu definieren und Lymphknoten- und Fernmetastasen (Tab.
2 und
3) zu erkennen.
Tab. 2
Stadienteinteilung nach IRS (Intergroup Rhabdomyosarcoma Study) im Vergleich zum postchirurgischen Stadium (pT-Stadium)
I | Tumor komplett entfernt (makroskopisch und mikroskopisch), Lymphknoten nicht befallen | |
I (T1) | Tumor organbegrenzt | pT1 |
I (T2) | Tumor nicht organbegrenzt | pT2 |
II | Tumor makroskopisch entfernt, aber mikroskopische Reste | |
IIA | Regionäre Lymphknoten nicht befallen | pT3a |
IIB | Regionäre Lymphknoten befallen | |
III | Inkomplette Resektion mit Tumorresten oder nur Biopsie mit malignem Erguss in benachbarte Körperhöhle | pT3b, pT3c |
IV | Fernmetastasen bei Erkrankungsbeginn oder Befall nicht mehr regionärer Lymphknoten nachweisbar | pT4 |
Tab. 3
Hauptlokalisationsgruppen und die damit verbundene Risikoeinschätzung
1 | Orbita (ORB) | Günstig | Orbita (ohne knöcherne Infiltration) |
2 | Kopf/Hals nicht parameningeal (K/H-nPM) | Günstig | Wangen, Kopfweichteilgewebe |
3 | Kopf/Hals parameningeal (K/H-PM) | Ungünstig | Mittelohr, Nasennebenhöhlen, Orbita mit knöcherner Infiltration, Schädelbasis, Fossa pterygoplatina |
4 | Urogenital Blase/Postata (UG-BP) | Ungünstig | Blase, Prostata |
5 | Urogenital nicht Blase/Prostata (UG-nBP) | Günstig | Paratestikuläre Tumoren, Vagina, Uterus |
6 | Extremitäten (EXT) | Ungünstig | Untere Extremität bis Leistenband, Gesäßmuskulatur, obere Extremität, Schultergürtelmuskulatur |
7 | Andere (AND) | Ungünstig | Kleines Becken, Abdomen, Stamm, Thorax |
Verfahren
Die primäre Diagnostik erfordert eine sorgfältige klinische Untersuchung mit Dokumentation aller Schwellungen und insbesondere aller Lymphknotenregionen.
Die bildgebende Diagnostik des Primärtumors baut auf der
Sonographie auf, da die meisten Lokalisationen der Sonographie zugänglich sind. Der nächste Schritt in der präoperativen Bildgebung ist ein hochauflösendes Schnittbildverfahren mit definierter Schnittführung. Hierbei ist bei urogenitalen Tumoren die zusätzliche sagittale Schnittführung für die Planung der Lokaltherapie wichtig. Bei Kindern ist die Magnetresonanztomographie (MRT) das Verfahren der Wahl. Wichtig ist dabei, dass nicht nur die unmittelbare Umgebung des Tumors, sondern auch die im Drainagebereich liegenden Lymphknotenstationen dargestellt werden. Die MRT sollte in der sog. Fat-Suppression-Technik durchgeführt werden. Die Ausbreitungsdiagnostik wird komplettiert durch ein Thoraxröntgenbild und eine Computertomographie (CT) des Thorax, MRT des ZNS, eine Skelettszintigraphie sowie eine
Knochenmarkpunktion. Der Einsatz der CT soll bei Kindern, wegen der – auch mit modernen CT-Techniken – hohen Strahlenbelastung, auf die Thoraxuntersuchung beschränkt werden. Im Einzelfall sind weitere Untersuchungen erforderlich z. B. MRT der Wirbelsäule und eine
Liquordiagnostik Zunehmend werden auch bei Kindern und Jugendlichen FDG-PET-Untersuchungen (Positronenemissionstomographie) in Kombination mit CT (PET/CT) oder MRT (PET/MRT) eingesetzt, wobei PET/MRT nur an wenigen Orten zur Verfügung steht. Wegen der kumulativen Strahlenexposition bei Kindern und Jugendlichen sollte ein Ganzkörper-MRT bevorzugt werden. Insbesondere zur Verlaufskontrolle ist eine PET/CT Untersuchung nicht zu empfehlen. In Zukunft wird vermutlich PET/MRT die Ganzkörper MRT und Skelettszintigraphie ersetzen.
Eine unklare Raumforderung sollte letztlich immer Anlass zu einer Biopsie geben, da ohne Biopsie eine Diagnosestellung nicht möglich ist. Wichtig ist dabei, dass Kinder mit einem Tumorverdacht in dafür spezialisierte pädiatrisch-onkologische Zentren überwiesen werden, wo alle notwendigen Fachrichtungen vertreten sind. Feinnadelpunktionen sind meistens nicht aufschlussreich, so dass in der Regel eine offene Probeentnahme erfolgt. Der Biopsieschnitt soll so platziert werden, dass er bei dem definitiven chirurgischen Eingriff entfernt werden kann. In Zentren mit ausreichender Expertise können auch Thru-cut-Biopsien unter MRT-/Sonographie-Kontrolle durchgeführt werden. Wichtig dabei ist die adäquate Asservierung des nicht fixierten Biopsiematerials für die molekulargenetische Untersuchung, die zunehmend für die Diagnose und die Therapiestratifizierung eine entscheidende Rolle spielt.
Sentinel-Lymphknotenbiopsien, die eine etablierte Methode in der internistischen Onkologie darstellen, werden zunehmend für die Stadieneinteilung auch bei pädiatrischen Patienten mit
Sarkomen mit Erfolg angewandt.
Therapie
Die Therapie muss den Tumor lokal und systemisch kontrollieren. Grundsätzlich sollte die Therapie angesichts der Seltenheit im Kindes- und Jugendalter im Rahmen kontrollierter Studien erfolgen. Die Wahl der Reihenfolge der Therapiemodalitäten und ihrer Intensität ist von der Tumorhistologie, dem Stadium, der Tumorgröße, der Lokalisation und dem Alter des Patienten abhängig. Diese tumor- und patientenbezogenen Faktoren haben sich als prognostisch relevant erwiesen und werden für riskoadaptierte Therapiestratifizierung der Chemo- und Radiotherapie benutzt (Tab.
4).
Tab. 4
Tumor- und patientenbezogene prognostisch relevante Faktoren bei „rhabdomyosarkomartigen“ Tumoren
Präoperativer TN-Status | T1a N0 | T2b N1 |
Postchirurgischer TN-Status | pT1–pT2–pT3a pN0 | pT3b–pT3c pN1 |
Alter | 10 Jahre | ≥10 Jahre |
Lokalisation | Kopf/Hals/ nicht para-/parameningeal Urogenital/nicht Blase/Prostata | Kopf/Hals/parameningeal Blase/Prostata Extremitäten andere |
Histologischer Typ | Embryonales Rhabdomyosarkom | Alveoläres Rhabdomyosarkom periphere neuroektodermale Tumoren Synovialsarkome |
Chemotherapie
Die Chemotherapie ist eine Kombinationschemotherapie und baut auf Medikamenten auf, die als Einzelmedikamente ein befriedigendes Ansprechen erreichen konnten. Eingesetzt werden Actinomycin D (ActoD), Vincristin (VCR), Alkylanzien (Cyclophosphamid und Ifosfamid), Anthrazykline, Platin-Derivate und Topoisomerasehemmer I und II.
Patienten mit sehr günstigen Risikofaktoren werden mit Actinomycin D und Vincristin alleine behandelt. Alle anderen benötigen den Einsatz von Alkylanzien, wobei in den USA Cyclophosphamid (CYC), in Europa Ifosfamid (IFO) bevorzugt wird (Flamant et al
1998; Ruymann
2003). Bei der Entscheidung zwischen CYC und IFO sollte neben der Effektivität auch das Toxizitätsspektrum berücksichtigt werden. Trotzdem bleibt bis heute unklar, welches von diesen zwei Medikamenten in der Therapie der Rhabdomyosarkome vorteilhafter ist (Carli et al.
2003). Obwohl die Aktivität von Anthrazyklinen bei Rhabdomyosarkomen bekannt ist, konnte der zusätzliche Effekt im Sinne einer Prognoseverbesserung nicht nachgewiesen werden (Crist et al.
1995).
In den CWS-Studien wurde Doxorubicin (DOX) zusätzlich zu ActoD, VCR und Alkylanzien eingesetzt („
VACA-“ oder „
VAIA-Zyklus“). Dafür wurden kumulative Dosen anderer Medikamente wie auch die Therapiedauer im Vergleich zu den nordamerikanischen IRS-Studien reduziert, was insgesamt das Toxizitätsspektrum vorteilhaft beeinflusste. Außerdem wurde in den IRS-Studien viel häufiger
Strahlentherapie eingesetzt.
Die CWS-96-Studie wie auch die italienische ICG-98-Studie haben die VAIA-Therapie versus
CEVAIE (6-Medikamenten-Kombination mit zusätzlich Etoposid und Carboplatin wie auch Epirubicin statt Doxorubicin) randomisiert. Die SIOP MMT-98-Studie hat dieselbe Kombination gegen IVA (3-Medikamenten-Kombination: ActoD, IFO, VCR) bei identisch definierter Hochrisikogruppe randomisiert untersucht. Die Analysen ergaben keinen prognostischen Vorteil von CEVAIE gegenüber IVA oder VAIA (Oberlin et al.
2012). Aus diesem Grunde wird die IVA-Kombination in einem Konsensprotokoll der European Pediatric Soft Tissue Sarcoma Group zur Therapie der Rhabdomyosarkome empfohlen. Mittlerweile wird die Rolle einer metronomischen Therapie aus Trofosfamid, Idarubicin und Etoposid, die sich für Patienten mit Weichteilsarkom Stadium IV für Subgruppen der Hochdosischemotherapie überlegen gezeigt hat (Klingebiel et al.
2008), auch für lokalisierte Tumoren im Rahmen einer randomisierten Studie untersucht. Die Therapie der
Weichteilsarkome erfolgt gegenwärtig entsprechend der CWS Guidance (
http://olgahospital-stuttart.de;
www.kinderkrebsinfo.de).
Chirurgie
Eine primäre Resektion eines Weichteilsarkoms ist nur selten möglich. Verstümmelnde Ersteingriffe sind in jedem Fall zu vermeiden. Eine Tumorreduktion / Debulking hat keinen Vorteil für den Patienten und sollte unterbleiben. Unvorbereitete Resektionen ohne vorausgegangene bildgebende und fehlende histopathologische Diagnostik oder die falsche zeitliche Abfolge der Lokaltherapie können das Schicksal des Patienten in negativer Weise beeinflussen (Siebenrock et al.
2000; Seitz et al.
2011).
Das chirurgische Vorgehen ist abhängig von der Lokalisation des Tumors und sollte die Erfahrungen berücksichtigen, die in den letzten Jahren durch die standardisierte Therapie im Rahmen der CWS-Studien gewonnen wurden. Die R0-Resektion (Tab.
5) ist in jedem Fall das Ziel der chirurgischen Therapie, jedoch nicht ein Ziel, das um den Preis der Verstümmelung zu erreichen ist. Die Planung der primären R
0-Resektion sollte immer nach einer vorausgegangenen Biopsie erfolgen und die Histologie des Tumors berücksichtigen.
Tab. 5
Radikalität der Tumorentfernung
R0 | Vollständige Resektion ohne makro- und mikroskopische Tumorreste; entspricht IRS-Stadium I |
R1 | Marginale Resektion, mikroskopische Reste (ungenügender Sicherheitsabstand, Zweifel an der Radikalität, Tumor erreicht Resektionsrand); IRS-Stadium II |
R2 | Unvollständige Resektion, makroskopische Reste; IRS-Stadium III |
Eine primäre R1- oder gar R2-Resektion des Tumors ist für den Patienten nicht sinnvoll. Eine primäre Re-Exzision nach einem nicht adäquaten chirurgischen Eingriff sollte erwogen werden (Chui et al.
2002).
Lokalisation: Blase oder Prostata
Tumoren in der Blase / Prostata bedürfen neben einem hochauflösenden MRT einer zystoskopischen Untersuchung. Hierbei können die intraluminalen Tumoren gut dargestellt und biopsiert werden. Bei Tumoren im Bereich der Prostata findet sich häufig eine Impression von außen oder auch ein Tumorwachstum in das Urethralumen. Biopsien können daher je nach Lokalisation zystoskopisch, offen oder als MRT-gesteuerte Thru-cut-Biopsien durchgeführt werden.
Die primäre R0-Resektion ist in der Regel nur möglich für Tumoren, die weit vom Trigonum entfernt im Blasendach lokalisiert sind.
Auch wenn nach Beendigung der Chemotherapie im MRT kein Tumor mehr nachweisbar ist, sollte eine zystoskopische Reevaluation erfolgen. Ausgewählte Tumoren können nach neoadjuvanter Chemotherapie und ggf. Bestrahlung organ- und funktionserhaltend reseziert werden. Die Blasenerhaltungsrate kann durch die Kombination von nicht mutilierender Chirurgie und kombinierter Brachytherapie verbessert werden (Seitz et al.
2011; Martelli et al.
1999; Fuchs et al.
2016).
Hierbei erfolgt in gleicher Sitzung eine je nach Autor unterschiedlich stark ausgeprägte nicht mutilierende Tumorresektion (R0-R2) und die intraoperative Einlage von mehreren Brachytherapiesonden, die paraurethral und ggf. auch transurethral platziert werden. In der nachfolgenden Bestrahlungsplanung wird die Dosis möglichst analog zur perkutanen Bestrahlungsdosis angepasst. Diese Bestrahlung kann entweder als Niedrig-Dosis-Rate-(LDR-) oder als Hochdosis-Rate (HDR)-Brachytherapie durchgeführt werden (Martelli et al.
2009; Fuchs et al.
2016). Wichtig ist hierbei, dass die Tumoren das Trigonum (und 1 cm kranial) nicht überschreiten oder im kranialen Anteil einer R0-Resektion zugänglich sind. Bei residuellem vitalem Tumor nach Radiotherapie kann eine mutilierende Operation (
Zystektomie, Prostatektomie) erforderlich sein.
Lokalisation: nicht Blase/Prostata
Radiotherapie
Die Radiotherapie ist eine effektive Methode, die lokale Tumorkontrolle bei Patienten mit mikroskopischen und makroskopischen Tumorresten zu verbessern. Patienten, die eine primäre R0-Resektion erfahren haben (außer alveoläre Rhabdomyosarkome), bedürfen keiner
Strahlentherapie. Nach primäre R1- und sekundärer R0- und R1- Resektion dagegen ist eine Bestrahlung grundsätzlich indiziert. Es sollte aber der Nutzen gegen die Risiken, speziell bei sehr jungen Patienten (<3 Jahren), abgewogen werden. In der aktuellen CWS-Guidance wird eine Radiotherapiedosis mit 32–44,8 Gy, abhängig von Histologie, Fraktionierung (konventionell vs. akzeleriert hyperfraktioniert), Ansprechen, postchirurgischem Status und der Reihenfolge der RT (prä- oder postoperativ), empfohlen (Koscielniak et al.
1994).
Verlaufskontrollen
Die Therapiekontrollen erfolgen bildgebend (sonographisch und mit MRT), indem die primäre Tumorregion untersucht wird. Diese Informationen sind zur Beurteilung des Ansprechens und damit zur Einschätzung der Lokaltherapie unerlässlich. Die Kontrolle der Chemotherapie hat die Organtoxizitäten zu berücksichtigen. Bei Einsatz von Anthrazyklinen müssen regelmäßig EKG- und Echokardiographiekontrollen, beim Einsatz von Ifosfamid regelmäßig Kontrollen der Tubulusfunktion und bei Einsatz von Platinpräparaten regelmäßig Überprüfung des Hörvermögens und der Nierenfunktion erfolgen. Nach Abschluss der Therapie erfolgt eine systematische Tumornachsorge, die sowohl eine Überwachung der Tumorregion als auch eine Kontrolle der Organfunktionen erfordert.
Prognose
Die Prognose
ist abhängig von Alter, Histologie, Lokalisation, Ansprechen und Stadium. In den Studien CWS-86 und CWS-91 betrug die rezidivfreie Überlebensrate nach 5 Jahren für alle Patienten 67 % bzw. 63 %, die Überlebensrate 78 % bzw. 73 % (Koscielniak et al.
1999; Dantonello et al.
2009). Ähnliche Ergebnisse wurden in den IRS-Studien (Intergroup Rhabdomyosarcoma Group – jetzt the Children Oncology Group Soft Tissue Sarcoma Committee COG-STS; Crist et al.
2001) und SIOP MMT89-Studie (57 % und 71 %) erreicht (Stevens et al.
2005). Die rezidivfreie Überlebensrate für Blase-Prostata-RMS beträgt in der CWS -96-Studie 69,8 % (Seitz et al.
2011) und 79,9 % in der CWS-2002P-Studie (Seitz et al. 2016/2), für paratestikuläre RMS 89,8 % (Seitz et al.
2016a) mit den positiv prädiktiven Faktoren Alter < 10 Jahre und Tumorgröße <5 cm. Für vaginale RMS wurde 62,1 % und für Uterus-RMS 78,6 % ermittelt (Seitz et al.
2017).
Rezidiv
Die Prognose der Patienten nach einem Rezidiv richtet sich nach dem Stadium des Primärtumors, der vorausgegangenen Therapie, der Lokalisation und dem Zeitpunkt des Rezidivs. Die besten Chancen (Überlebensraten bis 50 %) haben Patienten mit initialen IRS-Gruppen I und II, lokalem, eher spätem Rezidiv und vorhandener Möglichkeit der Radiotherapie (Klingebiel et al.
1998; Pappo et al.
1999). Besonders schlechte Chancen haben Patienten mit frühen metastatischen Rezidiven (Dantonello et al.
2008; Mattke et al.
2009).
Die Alkylanzien (besonders IFO) und Anthrazykline werden obligatorisch bei Patienten eingesetzt, die diese Medikamente in der primären Therapie nicht erhalten haben. Bei anderen Patienten werden zusätzlich Topoisomerasehemmer wie VP16, Topotecan oder auch Irinotecan (Gupta und Pappo
2006) sowie Platin-Derivate (Cisplatin und Carboplatin) verwendet (Cosetti et al.
2002). Vinorelbin hat sich auch als wirksam bei vorbehandelten Rhabdomyosarkomepatienten erwiesen (Casanova et al.
2002). Ähnlich wie bei primär metastatischer Erkrankung ist die Bedeutung der Hochdosischemotherapie unklar und wird daher nicht außerhalb von Studien empfohlen (Admiraal et al.
2010).
Spätfolgen
Jede unter kurativem Aspekt durchgeführte onkologische Therapie bringt eine Morbidität mit sich, die mit der Aggressivität des therapeutischen Vorgehens zusammenhängt. Dabei muss zwischen den akuten Nebenwirkungen und Spätfolgen differenziert werden. Die primäre Diagnostik (inklusive Biopsie) einer Raumforderung soll bereits in pädiatrisch-onkologischen Zentren erfolgen. Da die Chemotherapie der
Weichteilsarkome im Kindesalter sehr intensiv ist, soll sie ebenfalls in dafür spezialisierten Zentren durchgeführt werden, die über die notwendige Erfahrung für diese Altersgruppe wie auch entsprechende Kooperationspartner (pädiatrische Kardiologie,
Intensivmedizin, Neurologie, Endokrinologie) verfügen.
Die Kombination der während der Therapie auftretenden allgemeinen Nebenwirkungen wie Panzytopenie, Schleimhautläsionen, Schädigung von Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse kann schnell zu lebensbedrohlichen Situationen führen.
Nach Behandlungsende treten die Langzeitfolgen mehr in den Vordergrund. Im Einzelnen sind dies:
-
glomeruläre und tubuläre Nierenschädigung (Alkylanzien, Platin-Derivate, RTX),
-
Herzmuskelschädigung bis zum Herzversagen (Anthrazykline, Alkylanzien, RTX),
-
Leberschädigung (Operation, fast alle Zytostatika, Infektionen),
-
endokrinologische Defizite (Wachstums- und/oder Pubertätsverzögerung: Alkylanzien, Platin-Derivate, RTX, Infertilität: Alkylanzien, RTX),
-
funktionelle Defizite, die neurologisch oder organisch bedingt sind (Hörvermögen, Lungenfunktion, Kontinenz, Funktionalität des muskuloskelettalen Systems: Platin-Derivate, Bleomycin, RTX, Operationen) und
-
sekundäre Malignome (RTX, Alkylanzien, Topoisomeraseinhibitoren).
In der CWS-86-Studie entwickelten 1,6 % der Patienten, die DOX bekommen haben, kardiale Funktionsstörungen nach einer kumulativen Dosis von 240–360 mg/m
2 KOF. Die Herzmuskelschädigung kann sich noch sehr spät (bis 20 Jahre nach Therapie) manifestieren (Krischer et al.
1997). Zusätzliche Risikofaktoren, die eine Herzmuskelschädigung durch Anthrazyklinebegünstigen können, sind schnelle intravenöse Verabreichung (Bolusinjektion), Radiotherapie der Thoraxregion und gleichzeitige Therapie mit IFO, das auch kardiotoxisch wirken kann (Oberlin et al.
1992). IFO bewirkt glomeruläre, überwiegend jedoch tubuläre Nierenschädigungen. 27 % der mit IFO behandelten Patienten in der CWS-86-Studie zeigten eine Schädigung des proximalen Tubulus, 6 % entwickelten ein Fanconi-ähnliches Syndrom (Koscielniak et al.
1999).
Risikofaktoren für die Entwicklung der Nierenschädigung durch IFO sind kumulative Dosen >50 g/m
2 KOF, Alter <4 Jahre, Bestrahlung der Nierenregion und Nephrektomie (Marina et al.
2000).
Sekundäre maligne Erkrankungen stellen ein weiteres Risiko für Patienten dar, die mit Alkylanzien,Topoisomeraseinhibitoren und Radiotherapie behandelt wurden. Hier kann aber auch die genetisch bedingte Prädisposition eine wichtige Rolle spielen. In der CWS-86-Studie wurden sekundäre Malignome bei 2,4 %, in der CWS-91 bei 1 % Patienten nach einer medianen Bobachtungszeit von 6 bzw. 8 Jahren diagnostiziert. Ähnliche Daten hat die IRS-Gruppe publiziert (Heyn et al.
1993).
Lokale Nebenwirkungen stellen die Einschränkung der Blasenfunktion (Arndt et al.
2004) und die
erektile Dysfunktion vor allem nach Beckenbestrahlung (Frees et al.
2016) dar. Diese scheinen bei der konservativen Chirurgie und Brachytherapie reduziert zu sein (Martelli et al.
2016; Fuchs et al.
2016).
Eine Arbeitsgemeinschaft der GPOH – LESS ( Late Effects Surveillance System) beschäftigt sich seit 1990 mit den Spätfolgen der onkologischen Therapie im Kindesalter, erstellt Empfehlungen und bietet umfangreiche Beratung (
www.nachsorge-ist-vorsorge.de) an.