Lipodystrophie hat viele Gesichter

Unkontrollierter Diabetes mellitus mit hohen Insulindosen, schwere Hypertriglyzeridämie mit rezidivierenden Pankreatiden, Hyperphagie oder Steatohepatitis: Derlei unspezifische Symptome können Hinweise auf die sehr seltene Fettstoffwechselerkrankung Lipodystrophie sein. Unter Lipodystrophie werden heterogene Erkrankungen des Fettstoffwechsels zusammengefasst, deren Hauptmerkmal in der selektiven Abwesenheit von subkutanem Fettgewebe liegt, ohne dass eine Katabolie besteht [1]. Betroffene werden mit nur wenig oder ohne Fettgewebe geboren oder verlieren dieses fortan [2]. Mit einer Prävalenz von ein bis vier Betroffenen pro eine Million ist die Lipodystrophie äußerst selten [3]. Die Gruppe lipodystropher Syndrome wird prinzipiell in vier Primärkategorien unterteilt: nach ihrer Ätiologie (angeboren oder erworben) und nach dem Ausmaß des fehlenden Fettgewebes: generalisiert (GL) oder partiell (PL) [4]. Die Manifestation der Lipodystrophie kann vielschichtig und facettenreich sein. Typisch jedoch ist die metabolische Einschränkung aufgrund der geringen oder gänzlich fehlenden subkutanen Fettmasse, deren Ausprägung je nach Phänotyp variiert (s. Abb.) [1]. Dies führt zwangsläufig sowohl zu einer Verminderung der Fettspeicherkapazität als auch zu einer unzureichenden Freisetzung des Hormons Leptin aus dem Fettgewebe. In Summe werden dadurch ektopische Fetteinlagerungen in Leber, Herz, Pankreas und Muskulatur begünstigt, die Organschäden und schwerwiegende, oft schwer therapierbare Stoffwechselanomalien nach sich ziehen [4]. Erste Anzeichen im Kindesalter können Gedeihstörungen, der Verdacht auf eine Essstörung bei ausgeprägter Hyperphagie, aber auch eine nicht alkoholische Fettleber (NASH) sein [4,5]. Im Verlauf können sich schwerwiegende Veränderungen des Glukose- und Fettstoffwechsels entwickeln, die zumeist nur unzureichend auf rein symptomatische medikamentöse Therapien ansprechen [4,5]. Zu den Komplikationen der Lipodystrophie zählen auch z.B. akute Pankreatiden, Leberzirrhose und/oder -karzinome, Nephropathien sowie vorzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen [2]. Wachsam bei hohen Insulindosen Lipodystrophien sind komplexe Krankheitsbilder mit hoher Krankheitslast und progressivem Verlauf. Aufgrund der Phänotyp-bedingten Heterogenität werden die Fettstoffwechselerkrankungen häufig erst spät oder gar nicht diagnostiziert. Doch schon die Kenntnis typischer Befundkonstellationen ist entscheidend, um den Verdacht auf das Vorliegen einer Lipodystrophie zu erhärten: So sollten Primärversorger immer dann hellhörig werden, wenn z.B. ein Diabetiker sehr hohe Insulinmengen (>500 IE) pro Tag benötigt oder sich bei einem Patienten akute Pankreatitiden aufgrund einer exzessiven Hypertriglyzeridämie wiederholen. Untypischerweise entwickeln sich Fettlebererkrankungen bei normalgewichtigen Patienten oder Kardiomyopathien als Begleiterkrankung einer Lipodystrophie schon bei jungen Erwachsenen. Bei Patienten mit Lipodystrophie ist der Leptinspiegel häufig auffallend niedrig. Da die Blutkonzentration von Leptin durch das Körpergewicht, das Alter sowie den individuellen Metabolismus beeinflusst wird, ist Leptin als Diagnosemarker dennoch eher ungeeignet. Die Gesichter der Lipodystrophie sind vielfältig: Sie eint das partielle (oben) oder das vollständige Fehlen an subkutanem Fettgewebe (unten). 2018 Novelion Therapeutics × Vom Blick zum Befund Der Verdacht auf eine Lipodystrophie ergibt sich oft schon im Gespräch und durch eine einfache Blick- und Tastdiagnose. Erhöhte Aufmerksamkeit für die charakteristischen Symptome, z.B. ein unstillbares Hungergefühl, ermöglichen es, eine Lipodystrophie schon mittels Gespräch und einfacher Blick- und Tastdiagnose zu detektieren. Sichtbar fehlendes Unterhautfettgewebe bei der Lipodystrophie ist gut erkennbar, wenn der Patient entkleidet ist, bei der Blutabnahme oder Blutdruckmessung. Hier sollte auf einen sportlichen Habitus mit auffallend schlanken Armen, einer prominent erscheinenden Muskulatur und einer deutlichen Venenzeichnung geachtet werden [4]. Typisch ist auch eine ausgeprägte Acanthosis nigricans. Diese Hautveränderung, eine Hyperpigmentierung und Hyperkeratose vorwiegend in den Achselhöhlen, Gelenkbeugen, im Nacken oder der Leistenregion, tritt oft mit einer schweren Insulinresistenz auf (s. Abb.) [2]. Erhöhte Serumlipidspiegel sind ursächlich für das Auftreten von eruptiven Xanthomen: Infolge einer schweren Hypertriglyzeridämie kommt es zu disseminiert über den Körper auftretenden Einlagerungen von Blutfetten in die Haut in Form von festen, scharf abgegrenzten Knötchen [2]. Mehr Abbildungen und Informationen über Diagnostik und Therapie der Lipodystrophie finden Ärzte auf www.myalepta.eu/de. Sind also Habitus und klinischer Befund auffällig, sollten Patienten mit Verdacht auf eine Lipodystrophie zur weiteren Diagnostik und Initiierung einer Behandlung an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden. Therapielücke jetzt kausal geschlossen Bislang war keine medikamentöse Therapie, die grundlegend die metabolischen Komplikationen der Lipodystrophie verbessert, verfügbar. Mit Metreleptin wird diese therapeutische Lücke jetzt geschlossen. Seit November dieses Jahres gibt es mit dem humanen rekombinanten Hormon-Analogon Metreleptin (Myalepta®) [6] eine subkutan applizierbare Leptin-Ersatztherapie, die in Kombination mit einer Diät zur Behandlung der Folgen eines Leptinmangels bei Patienten mit generalisierter oder partieller Lipodystrophie eingesetzt werden kann [6]. Es handelt sich um die erste kausale Therapieoption gegen den Leptinmangel. Damit Krankenkassen die Kosten für Hilfsmittel übernehmen, schreiben Patienten sich in ein sogenanntes Hilfsmittelversorgungsprogramm ein. Die Einschreibung erfolgt üblicherweise in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten in spezialisierten Stoffwechselzentren, beispielsweise der Universitätskinderklinik in Ulm (Professor Martin Wabitsch) oder dem Universitätsklinikum Leipzig (Professor Michael Stumvoll oder Privatdozent Dr. Thomas Kapellen), denen die erforderlichen Unterlagen vorliegen. Patientenschulungen angelaufen Die ContraCare GmbH aus Nürnberg übernimmt den Genehmigungsprozess für die Hilfsmittel bei den Krankenkassen. Das Unternehmen gewährleistet in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten auch die bereits angelaufenen Patienten-Schulungen zur Vorbereitung und Verabreichung der Leptin-Ersatztherapie. „Die Prognose wird sich grundsätzlich verbessern“ Mit Metreleptin steht für Patienten mit Lipodystrophie erstmals ein kausaler Therapieansatz zur Verfügung. Privatdozent Dr. Thomas Kapellen, Leipzig, erläutert dessen Bedeutung bei generalisierter (GL) und partieller (PL) Lipodystrophie. Privatdozent Dr. Thomas Kapellen, Kinderendokrinologe und Diabetologe DDG, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Leipzig Universitätsklinikum Leipzig × Herr Dr. Kapellen, wie schätzen Sie die Rolle der Leptin-Ersatztherapie ein, und wann sollte diese eingeleitet werden? Thomas Kapellen: Hier muss man zwischen den beiden Hauptformen der Lipodystrophie deutlich unterscheiden: Ein Patient mit GL profitiert von einem frühzeitigen Einsatz von Metreleptin, das den Mangel des Hormons Leptin sowohl bei GL- als auch bei PL-Patienten ausgleicht, bei therapieresistenter Hypertriglyzeridämie, Hepatopathie und natürlich bei beginnendem Diabetes mellitus. Partielle Subtypen verlaufen zumindest im Kindes- und Jugendalter schleichend – sie überhaupt zu diagnostizieren ist herausfordernd. Auch hier ist aus meiner Sicht die Behandlung mit Metreleptin bei schwer behandelbaren metabolischen Komplikationen (z.B. Insulinresistenz, schwer einstellbarem Diabetes mellitus, Hypertriglyzeridämie) sinnvoll. Patienten mit erniedrigtem Leptinspiegel (<4 nm/ml) profitieren besonders. Welche medizinische Verbesserungen und welchen Nutzen erwarten Sie für die Betroffenen durch Metreleptin? Die Prognose für Patienten mit Lipodystrophie wird sich grundsätzlich verbessern. Denn ohne eine kausale Leptintherapie waren bei GL-Patienten frühzeitig mikro- und makrovaskuläre Folgeerkrankungen, frühzeitig Kardiomyopathien sowie kardiovaskuläre Erkrankungen schon im jungen Erwachsenenalter zu erwarten. Für Patientinnen mit GL war aufgrund von Störungen des Hormonhaushalts eine Schwangerschaft bislang undenkbar – diese wird mit Metreleptin möglich. Außerdem: Junge GL-Patienten leiden insbesondere unter einem unersättlichen Hunger mit konsekutiver Hyperphagie, da das Sättigungshormon Leptin nicht oder unzureichend produziert wird. Sie nach ihrem Ess- und Sättigungsverhalten zu befragen, kann den Verdacht auf Lipodystrophie erhärten. Durch die Therapie mit Metreleptin wird jetzt auch dieses Symptom gut behandelbar. Welche Aufgaben bei der Diagnose und für das Management der Lipodystrophie sehen Sie bei primärversorgenden Ärzten? Da die Lipodystrophie eine sehr seltene, schwerwiegende und komplikationsträchtige Erkrankung und das klinische Bild sehr heterogen ist, haben Patienten in aller Regel einen langen Leidensweg, ehe die Diagnose feststeht. Die Diagnose wird also meist erst spät gestellt. Im Zweifelsfall sollte bei Auffälligkeiten in der Fettverteilung in Kombination mit einer Fettstoffwechselstörung oder einer Steatosis hepatis ein Experte konsultiert werden. Für die optimale Versorgung der Betroffenen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Erstbehandler und einem auf Fettgewebserkrankungen spezialisierten Zentrum unabdingbar. Generell bedarf es hier noch mehr Aufklärung und Weiterbildung, auch im Studium. Literatur Miehle K et al., Med Gen 2017, 29: 374-387 Handelsman Y et al., Endocr Pract 2013, 19: 107-116 Chiquette E et al., Diabetes Metab Syndr Obes 2017, 10: 375-383 Brown RJ et al., J Clin Endocrinol Metab 2016, 101: 4500-4511 Patni N et al., Nat Rev Endocrinol 2015, 11: 522-534 Fachinformation Myalepta®, Stand: Oktober 2018 Impressum Symposium „Leptin – Stimme des Fettgewebes“ beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Leipzig, 15. September 2018 Berichterstattung: Nadja Schäfer, Frankfurt am Main Artikel gedruckt in ÄrzteZeitung Nr. 128-231D, Freitag, 30. November 2018 Mit freundlicher Unterstützung der Aegerion Pharmaceuticals GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Ulrike Maronde Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Lipodystrophie hat viele Gesichter

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