Glukoseziele auf der Intensivstation dürfen laxer sein

Bei Diabetikern auf der Intensivstation müssen sich Ärzte nicht strikt an die üblichen Glukosezielwerte halten – diese können auch zwischen 180 und 250 mg/l liegen, ohne dass gehäuft Komplikationen auftreten. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Über die optimalen Blutzuckerwerte bei kritisch kranken Diabetikern wird immer wieder diskutiert. Bislang wird für Diabetiker ein Zielwert von 6–10 mmol/l (108–180 mg/dl) in kritischen Situationen empfohlen. Viele Ärzte bevorzugten auf Intensivstationen jedoch etwas laxere Zielwerte, um Hypoglykämien zu vermeiden, berichten Intensivmediziner um Dr. Nora Luethi von der Klinik in Heidelberg bei Melbourne in Australien. Kritiker einer liberaleren Blutzuckerkontrolle vermuten jedoch gehäuft Komplikationen wie Infekte, da hohe Blutzuckerwerte die Leukozytenfunktion stören. In einer Studie mit 400 Diabetikern auf Intensivstationen konnten die Ärzte um Luethi jedoch keine Unterschiede bei der Komplikationsrate von Patienten mit konservativem und liberalem Blutzuckermanagement feststellen. Seltener Hypoglykämien Für die Studie verglichen die Ärzte zwei Zeiträume mit unterschiedlichem Glukosemanagement bei Intensivpatienten: Im Jahr 2013 waren Diabetiker noch konservativ behandelt worden und hatten bei Glukosewerten über 10 mmol/l (180 mg/dl) eine Insulintherapie erhalten. Im Jahr 2015 wurde in der Klinik ein liberaleres Glukosemanagement eingeführt – Insulin gab es erst bei Werten über 14 mmol/l (252 mg/dl). Glukose gegen Hypoglykämien wurde immer erst dann intravenös verabreicht, sobald die Werte unter 4 mmol/l sanken. Aus beiden Zeiträumen wählten die Ärzte jeweils die ersten 200 Diabetiker aus, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Dies waren zu 95% Patienten mit Typ-2-Diabetes, und ein Viertel benötigte schon vor der Klinikaufnahme Insulin. Beim Alter (67 Jahre), HbA1c-Wert (7,0%) und BMI (30) waren die beiden Gruppen praktisch identisch. Die Hälfte der Patienten gelangte nach einem chirurgischen Eingriff auf die Intensivstation, meist waren kardiovaskuläre Probleme der Grund dafür. In beiden Gruppen betrug der Blutzuckerwert bei der Aufnahme auf die Intensivstation im Mittel 8,6 mmol/l. Wie erwartet, hatten Patienten mit liberalem Glukosemanagement während der Behandlung auf der Intensivstation etwas höhere Blutzuckerwerte (11,0 versus 9,4 mmol/l im zeitlich gewichteten Durchschnitt) und verbrachten deutlich mehr Zeit (56% versus 36%) mit Werten über 10 mmol/l als solche mit konservativer Glukosekontrolle. Sie entwickelten auch signifikant seltener relative Hypoglykämien (zu 33% versus 49%). Darunter verstanden die Ärzte weniger als 70% der mit Blick auf den HbA1c erwarteten durchschnittlichen Glukosekonzentration (eAG = 1,59 x HbA1c ‐ 2,59). Absolute Hypoglykämien (Werte unter 4 mmol/l) traten zwar ebenfalls etwas seltener auf (bei 7,2% versus 8,4%), diese Differenz war aber nicht statistisch signifikant. Patienten mit liberaler Kontrolle benötigten zudem seltener eine Insulintherapie (46% versus 61%). Komplikationen während der Behandlung wurden nach einem strukturierten Kodierungssystem erfasst (Classification of Hospital Acquired Diagnoses, CHADx). Insgesamt traten kodierte Komplikationen bei 83% mit liberalem und 89% mit konservativem Blutzuckermanagement auf, es starben jeweils 20% und 16% der Patienten während des Aufenthalts auf der Intensivstation. In beiden Fällen war die Differenz statistisch nicht signifikant. Vergleichbare Infektionsrate Kaum Unterschiede zwischen Patienten mit liberaler und konservativer Glukosekontrolle gab es zudem bei der Rate klinisch relevanter Infektionen (19% versus 16%), akutem Nierenversagen (jeweils 11%), kardiovaskulären (7,5% versus 6,0%) oder neurologischen Komplikationen (16,5% versus 14,5%) sowie der Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation (2,7 versus 2,1 Tage). Wurden Faktoren wie Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen berücksichtigt, änderte sich wenig an den Zusammenhängen: Nierenprobleme traten mit dem liberalen Management dann tendenziell etwas seltener auf, kardiovaskuläre Probleme etwas häufiger, die Unterschiede waren auch hier statistisch nicht signifikant. Die Ärzte um Luethi schließen daraus, dass eine liberalere Blutzuckerkontrolle mit Werten bis zu 14 mmol/l bei intensivmedizinisch behandelten Diabetikern keine erhöhte Komplikationsrate bedingt – auch keine erhöhte Infektionsrate. Da Hypoglykämien eher vermieden werden, sei eine solche Strategie möglicherweise sogar von Vorteil. „Eine Hyperglykämie könnte bei Diabetikern eher eine physiologische Antwort auf die schwere Erkrankung sein als eine Quelle von Komplikationen“, geben die Ärzte zu bedenken. Das Wichtigste in Kürze Frage: Schadet eine weniger strenge Blutzuckereinstellung Diabetikern auf der Intensivstation? Antwort: Blutzuckerwerte bis 14 mmol/l (252 mg/dl) gehen nicht mit einer erhöhten Komplikationsrate einher, auch Infekte treten nicht häufiger auf. Bedeutung: Eine weniger strenge Glukosekontrolle bedingt nicht häufiger Komplikationen, sorgt aber für weniger Hypoglykämien. Einschränkung: Retrospektive Analyse.

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