Antikonvulsiva nicht besser verträglich als vor 40 Jahren

Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen gibt es bei Epilepsiekranken heute ähnlich häufig wie zu Beginn der 1980er-Jahre. Die einzelnen Therapeutika unterscheiden sich dabei jedoch deutlich. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die „Glasgow-Kohorte“ des Schottischen Neurologen Dr. Martin Brodie ist immer wieder für Überraschungen gut. Vor zwei Jahren kam eine Auswertung von 1800 Epilepsiekranken zu dem Schluss, dass trotz mehr als einem Dutzend neuer Antiepileptika, welche in den vergangenen drei bis vier Dekaden auf den Markt gekommen sind, die Therapiefortschritte kaum überzeugen: Wie schon in den 1980er-Jahren spricht auch heute etwa ein Drittel der Epilepsiekranken nicht ausreichend auf die Medikation an. Immerhin, so konnte man sich trösten, sind moderne Antikonvulsiva wohl etwas verträglicher. Doch auch diese Ansicht erweist sich einer aktuellen Analyse zufolge als Illusion: Die Initialbehandlung mit einem Antiepileptikum wird heute ähnlich häufig abgebrochen wie in den 1980er-Jahren, zudem unterscheiden sich die Abbruchraten von älteren und modernen Medikamenten in der Summe kaum. Für die Analyse, die Brodie mit einem Team um Dr. Bshra Ali Alsfouk von der Universität Melbourne angefertigt hat, wurde der Verlauf der Erkrankung bei knapp 2300 Patienten untersucht, die am Glasgower Epilepsiezentrum behandelt worden waren. Die Ärzte um Brodie und Alsfouk schlossen Patienten mit schlechter Compliance, übermäßigem Alkohol- und Drogenkonsum sowie Verdacht auf nichtepileptogene Anfälle aus. Übrig blieben 1795 Patienten, die zwischen 1982 und 2012 erstmals auf Antiepileptika eingestellt und mindesten ein Jahr nachuntersucht worden waren. Auswahl und Dosierung der Medikamente lag im Ermessen der beteiligten Ärzte. Jede sechste Behandlung wegen Nebenwirkungen abgebrochen Sämtliche Patienten wurden nach der Diagnose alle zwei bis sechs Wochen untersucht, anschließend alle vier Monate. Dabei erfassten die Ärzte auch unerwünschte Wirkungen sowie Therapieabbrüche und deren Ursachen. Empfehlung der Redaktion Epilepsie – Themenseite Ob fokaler oder generalisierter Anfall – Übersichten, News, Interviews und kommentierte Studienreferate zur Epilepsie, einer der häufigsten chronischen ZNS-Erkrankungen, finden Sie auf dieser Themenseite. Rund ein Siebtel der Patienten war zum Therapiebeginn jünger als 18 Jahre, drei Viertel waren im Alter von 18–64 Jahren, im Schnitt begannen die Patienten die erste Behandlung mit 33 Jahren; alle erhielten zunächst eine Monotherapie. In den 1980er-Jahren war dies zumeist ein Antikonvulsivum der ersten Generation (eingeführt vor 1980), später ein Medikament der zweiten Generation (eingeführt nach 1980). Der Anteil moderner Antikonvulsiva bei der Initialtherapie stieg von etwa 22% zu Beginn bis 68% zum Ende des Untersuchungszeitraums. Im gesamten Beobachtungszeitraum wurde jede fünfte Behandlung im ersten halben Jahr nach ihrem Beginn abgebrochen – knapp 16% aller Behandlungen aufgrund von Nebenwirkungen, 4% mangels Wirksamkeit. Betrachteten die Ärzte nur die initialen Monotherapien, war der Anteil etwas geringer, aber über drei Dekaden hinweg vergleichbar: 10% zwischen 1982 und 1992, 14% zwischen 1992 und 2002 und ebenfalls 14% zwischen 2002 und 2012. Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen sind seit den 1990er-Jahren also eher noch häufiger zu beobachten als davor. Hauptgründe für Therapieabbrüche waren ZNS-bedingte Nebenwirkungen (etwa 35%). Seltener wurden psychiatrische Gründe, Hautirritationen oder Magen-Darm-Probleme angeführt. Im Laufe der Zeit verschob sich das Nebenwirkungsspektrum jedoch hin zu mehr ZNS-Effekten und psychiatrischen Beschwerden, dafür traten weniger Magen-Darm- und Hautprobleme auf. Abbruchraten von älteren und modernen Mitteln fast identisch Frauen brachen eine Antikonvulsivabehandlung wegen Nebenwirkungen etwa 60% häufiger ab als Männer, Erwachsene 58% häufiger als Kinder, Senioren 90% häufiger als Kinder und 20% häufiger als Erwachsene unter 64 Jahren. Zudem war die Abbruchrate bei Patienten mit Kombitherapien um 30% höher als bei solchen mit Monotherapien, auch korrelierten häufige Anfälle vor der Behandlung mit einem höheren nebenwirkungsbedingten Therapieende. Dagegen war es für die Tolerabilität unerheblich, ob die Patienten ein älteres oder modernes Medikament bekamen – die Abbruchraten waren fast identisch. Sechs Antikonvulsiva wurden mindestens 50 Patienten zur initialen Monotherapie verordnet. Diese unterzogen die Studienärzte einer genaueren Beurteilung. Am häufigsten brachen Epilepsiekranke Behandlungen mit Oxcarbazepin und Topiramat ab, am seltensten mit Lamotrigin. So gab es – unter Berücksichtigung von Begleitfaktoren wie Alter und Geschlecht – unter Oxcarbazepin zweieinhalbfach häufiger nebenwirkungsbedingte Abbrüche als unter Lamotrigin und doppelt so oft wie mit Levetiracetam. Wegen ZNS-Effekten wurde am häufigsten Topiramat abgebrochen, am seltensten Lamotrigin. Lamotrigin, Carbamazepin und Oxcarbazepin waren dagegen bei intolerablen Hautproblemen überrepräsentiert. Die Ärzte um Brodie raten ihren Kollegen, bei der Wahl eines initialen Antikonvulsivums das Nebenwirkungsprofil stärker zu beachten. Deutliche Nebenwirkungen würden die Compliance gefährden und einen Therapieabbruch begünstigen, was letztlich auch das Ziel gefährde, die Patienten anfallsfrei zu bekommen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wird eine Antikonvulsivatherapie heute seltener aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen als noch in den 1980er-Jahren? Antwort: Nach Daten einer schottischen Langzeitstudie ist dies nicht der Fall. Bedeutung: An der Verträglichkeit von Antikonvulsivatherapien hat sich über drei Dekaden hinweg in der Summe wenig geändert, wenngleich es zwischen einzelnen Medikamenten deutliche Unterschiede gibt. Einschränkung: Monozentrische Studie.

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