Off-label-Use von anfallssuppressiver und immunsuppressiver Medikation bei Epilepsien
Definition, Anwendungsfelder und praktisches Vorgehen
verfasst von:
Prof. Dr. Adam Strzelczyk, Sebastian von Stuckrad-Barre, Gerhard Kurlemann, Thomas Bast, Nico Melzer, Felix Rosenow, Susanne Schubert-Bast
Zur Behandlung der Epilepsien stehen zahlreiche anfallssuppressive Medikamente (ASM) zur Verfügung, die auf Basis klinischer Studien für bestimmte Indikationen und Altersgruppen zugelassen sind. Allerdings erfordert die Vielzahl verschiedener Epilepsietypen und Syndrome häufig einen Off-label-Einsatz von ASM, wenn die Patienten unter der aktuellen Therapie nicht anfallsfrei werden oder diese nicht vertragen. Ähnliches gilt für die Verwendung von verschiedenen immunsuppressiven Medikamenten zur Therapie von Anfällen und Epilepsien, die infolge autoimmuner Enzephalitiden auftreten, mit dem Unterschied, dass hier bisher keinerlei zugelassene Substanzen existieren. Der Off-label-Use beschreibt die Anwendung eines Medikaments außerhalb der zugelassenen Indikationen, Dosierungen oder Altersgruppen. Insbesondere in der Epilepsietherapie tritt dies häufig auf, etwa bei Kindern unter dem Zulassungsalter, bei generalisierten Epilepsien oder bei entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathien. Obwohl der Off-label-Use zusätzliche Behandlungsoptionen bietet, führt es zu einigen Herausforderungen in der klinischen Praxis. Es fehlen oft klinische Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit, was zu Unsicherheiten in Bezug auf Dosierung und Nebenwirkungen führen kann. Eine sorgfältige Aufklärung der Patienten oder ihrer Angehörigen über Nutzen und Risiken ist daher essenziell, ebenso wie eine umfassende Dokumentation der Entscheidungsfindung. Da der Off-label-Use nicht regelhaft von den Kostenträgern übernommen wird, ist – insbesondere bei kostenintensiven neueren Substanzen unter Patentschutz – eine vorherige Klärung der Kostenübernahme sinnvoll, um wirtschaftliche Risiken zu vermeiden.
Hinweise
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Die Epilepsien umfassen eine große Anzahl an verschiedenen Anfallstypen, Syndromen und Ätiologien sowie Komorbiditäten. Der gemeinsame Nenner ist das Auftreten unprovozierter epileptischer Anfälle, die aber mit unterschiedlichen Semiologien und auch unterschiedlichen Anfallsmustern in der Elektroenzephalographie (EEG) auftreten können [1]. Grob kann man die epileptischen Anfälle in fokale und generalisierte Formen einteilen, früher wurden Erstere v. a. mit Carbamazepin und Letztere mit Valproat behandelt. Epilepsien betreffen Menschen jeden Alters, und die meisten Neumanifestationen treten in der frühen Kindheit und im hohen Erwachsenenalter auf.
Zur Therapie stehen verschiedenen anfallssuppressive Medikamente (ASM) zur Verfügung, deren Wirksamkeit in Studien belegt wurde und die zur Therapie für bestimmte Indikationen zugelassen wurden. Da in den Zulassungsstudien bestimmte Populationen bzw. Epilepsietypen bzw. Epilepsiesyndrome sowie der Einsatz zu Beginn (initiale Monotherapie) oder im Verlauf der Erkrankung (Add-on-Therapien) untersucht wurden, erklärt sich die daraus ergebende Zulassung für bestimmte Krankheitsentitäten und vorgegebene Altersbeschränkungen. Schwierig ist, dass die Zulassungsentitäten nicht mit den neuen Klassifikationen der Epilepsien und Anfälle Schritt gehalten haben, zudem bildet die aktuell verwendete ICD(Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme)-10-Klassifizierung die ILAE(Internationale Liga gegen Epilepsie)-Klassifikation aus den 1980er-Jahren ab. Dies alles kann in der Praxis häufig zum Off-label-Gebrauch von ASM führen, wenn ein bestimmtes ASM nicht in allen klassischen Indikationen und für ein breites Verordnungsalter zugelassen wurde. Seit Kurzem ist zudem klar, dass autoimmune Enzephalitiden zu akuten Anfällen, aber auch chronischen Epilepsien führen können [2‐4], bei denen ASM, aber auch verschiedene Immuntherapien zum Einsatz kommen, die jeweils für diese Indikation nicht zugelassen sind und damit unter den Off-label-Use fallen.
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Was ist Off-label-Use?
Der Off-label-Use bezeichnet die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb seiner zugelassenen Indikation, Dosierung oder für eine andere Altersgruppe. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat dazu eine Definition festgelegt, die mehrere Aspekte umfasst (wörtliche Zitierung) [5]:
„Unter Off-Label-Use wird der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen, Patientengruppen) verstanden.“
„Grundsätzlich ist Ärztinnen und Ärzten eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln erlaubt.“
„Eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ein Off-Label-Use jedoch nur in Ausnahmefällen. Denn grundsätzlich kann ein Medikament in Deutschland nur dann zulasten der GKV verordnet werden, wenn es zur Behandlung von Erkrankungen eingesetzt wird, für die ein pharmazeutisches Unternehmen die arzneimittelrechtliche Zulassung bei der zuständigen Behörde erwirkt hat. Der Gesetzgeber hat jedoch einen Weg eröffnet, in engen Grenzen einen Off-Label-Use als GKV-Leistung zu ermöglichen.“
In der Anlage VI zum Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinie (Stand: 10.08.2024) werden im Teil A Arzneimittel aufgeführt, die unter Beachtung der dazu gegebenen Hinweise in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-label-Use) verordnungsfähig sind. Aktuell sind dort keine Arzneimittel für die Verwendung zur Behandlung von Epilepsien aufgeführt. Innerhalb der ASM werden Valproinsäure bei der Migräneprophylaxe im Erwachsenenalter, Lamotrigin bei zentralem neuropathischem Schmerz nach Schlaganfall sowie Gabapentin zur Behandlung der Spastik im Rahmen der multiplen Sklerose aufgeführt.
Gründe für und Umstände des Off-label-Use von Anfallssuppressiva
Für den Off-label-Use von Anfallssuppressiva ergeben sich verschiedene Gründe wie v. a. der Einsatz bei Kindern unterhalb eines Zulassungsalters sowie auch bei Erwachsenen, wenn eine explizite Zulassung für Kinder und Jugendliche erfolgte. Die Pharmakoresistenz der Patienten sowie Unverträglichkeit zugelassener Arzneimittel können den Einsatz weiterer ASM notwendig machen. Zudem gibt es seltene Epilepsiesyndrome mit nur einer begrenzten Anzahl zugelassener Medikamente wie das Dravet-Syndrom (DS) oder das Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) [6]. Die oben genannten Beispiele sind in der klinischen Praxis und bei der Kostenübernahme zwecks des Off-label-Use teilweise sehr klar zu definieren wie bei Unter- bzw. Überschreiten eines bestimmten Alters oder weniger klar, wenn zwischen fokaler oder primär generalisierter Epilepsie, zwischen fokalen und generalisierten Anfällen sowie bei der Definition elektroklinischer Syndrome wie des LGS Unsicherheiten bestehen. Auch sind einige häufig verwendete ICD-10-Kodierungen (z. B. G40.9: Epilepsie, nicht näher bezeichnet) nicht mit den oben genannten Epilepsietypen oder Syndromen verbunden.
Praxistipp
Neben den Leitdiagnosen sollten auch sog. Sekundärdiagnosen (z. B. geistige Behinderung F72.9) zur Beschreibung der Primärdiagnose und Begründungsdiagnosen (z. B. T88.8 unerwünschte Wirkung unter medikamentöser Behandlung) zur Beschreibung der Fallbesonderheit aus dem ICD-Kodierungssystem genutzt werden.
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Der Off-label-Use von ASM bietet zweifellos zusätzliche Behandlungsoptionen, kann jedoch auch erhebliche Herausforderungen und Risiken im klinischen Alltag nach sich ziehen. Durch den Mangel an Evidenz fehlen häufig klinische Daten, um die Sicherheit und Wirksamkeit zu bestätigen. Es kann Unsicherheit bezüglich Dosierungen bestehen, da offizielle Empfehlungen fehlen. Dies kann – bei Kindern insbesondere bei einem frühen Einsatz neuer Medikamente – zu Unterdosierung und ineffektiver Behandlung oder Überdosierung mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen führen. Die Behandler müssen sicherstellen, dass sie Patienten oder ihre Sorgeberechtigten umfassend über die potenziellen Risiken informieren und eine informierte Zustimmung einholen. Off-label-Use kann das Risiko unerwarteter Nebenwirkungen erhöhen, da die Medikamente möglicherweise nicht umfassend auf die spezifische Patientengruppe oder Form der Epilepsie hin getestet wurden. Die Kostenübernahme sollte – insbesondere bei kostenintensiven neueren Substanzen unter Patentschutz – durch die gesetzliche und private Krankenversicherung sichergestellt sein, um möglichen finanziellen Risiken für den Versicherten (gilt für die PKV) oder Behandler zu begegnen. Im Verlauf der beiden letzten Jahrzehnte hat sich kein besonderer Anstieg der Ausgaben für ASM in Deutschland feststellen lassen [7, 8].
Einsatz außerhalb von Altersbeschränkungen
Der Off-label-Use von ASM, aber auch Immuntherapien bei Kindern ist in der Praxis sehr häufig, da viele ASM ursprünglich für Erwachsene entwickelt und nur dafür zugelassen wurden. Spätere Zulassungserweiterungen mit Herabsetzung des Zulassungsalters können erfolgen, wenn die Hersteller Daten zur Extrapolation und zu klinischer Sicherheit in dem Altersbereich vorlegen können. Zudem gibt es für einige Epilepsieformen im Kindesalter keine spezifisch zugelassenen Therapien. Die Verordnungspraxis stützt sich auf klinische Erfahrungen oder kleinere Fallserien, die die Wirksamkeit und Sicherheit bei Kindern nahelegen. Dies betrifft insbesondere seltene oder schwer behandelbare Epilepsien. Eine sehr gute Übersicht zum Zulassungsstatus verschiedener ASM findet sich im Beitrag „Medikamentöse Therapie fokaler Anfälle bei Kindern“ von Thomas Bast [9] sowie dem entsprechenden Kapitel aus dem Medikamenten-Pocket Epilepsie [10]. Innerhalb der zugelassenen und in Deutschland verfügbaren ASM gab es bis vor Kurzem nur ein Medikament, das bei Kindern, aber nicht bei Erwachsenen zugelassen war. Dabei handelt es sich um bukkales Midazolam als anfallsunterbrechendes Akutmedikament. Dieses wurde über das PUMA(„paediatric use marketing authorisation“)-Verfahren zugelassen und umfasste nur den Bereich bis Erreichen des 18. Lebensjahres. Eine Ausweitung der Zulassung ins Erwachsenenalter wurde von der European Medicines Agency (EMA) im September 2024 angeregt. Bis zur Umsetzung der Entscheidung empfiehlt sich, bei Transition ins Erwachsenenalter eine entsprechende Kostenübernahme bei den Krankenkassen zu beantragen, da mit der Transition die Notwendigkeit einer Akutmedikation nicht entfällt [11‐13]. Britische Leitlinien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfehlen seit längerem z. B. den Einsatz von bukkalem Midazolam im Erwachsenenalter [14]. Ganaxolon wurde 2023 für die Zusatzbehandlung von epileptischen Anfällen bei einem CDKL5-Mangel-Syndrom im Alter von 2 bis 17 Jahren zugelassen [15], es kann aber im Erwachsenenalter bei Wirksamkeit weiter angewendet werden.
Off-label-Einsatz von anfallssuppressiven Medikamenten in Monotherapien
Insbesondere im Kindesalter wurden die meisten neuen ASM im Gegensatz zum Erwachsenenalter ausschließlich als Zusatztherapie zugelassen, da die Zulassungsstudien so konzeptioniert waren. Die Wirksamkeit in Monotherapie ist deshalb nicht geringer, aber nicht ausreichend getestet, sodass neuere ASM meist nur als zweite oder nachfolgende Therapieoption genutzt werden können, obwohl die Wirksamkeit mit den Medikamenten ohne Zulassungsbeschränkung gleich ist, die Verträglichkeit aber wesentlich besser sein kann. Insbesondere im frühesten Kindesalter (< 2 Jahre) sind fast ausschließlich Medikamente in der Erstbehandlung zugelassen, die im Erwachsenenbereich aufgrund schlechter Verträglichkeit nicht als Ersttherapie empfohlen werden (wie Phenobarbital, Phenytoin, Valproat, Carbamazepin) [16]. Diese Substanzen bergen für den sich noch entwickelnden Organismus erhebliche Risiken, die ein Teil der neueren ASM nicht in dieser Ausprägung vorweist.
Aber auch im Erwachsenenalter stellt sich oft die Frage, ob ein bislang nur zur Zusatztherapie zugelassenes ASM nicht in Monotherapie fortgeführt werden sollte, wenn sich gezeigt hat, dass sich mit Einsatz dieses Medikamentes rasch und anhaltend Anfallsfreiheit eingestellt hat. In diesen Fällen scheint es problematisch, ein zweites weniger wirksames ASM einzusetzen oder fortzuführen, nur um der Zulassung Genüge zu tun, und dabei unnötige Kosten und mögliche Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen.
Off-label-Einsatz bei fokalen Epilepsien
Die meisten ASM haben eine Zulassung für fokale Anfälle. Eine Übersicht über etwaige Altersbeschränkungen oder die Zulassung als Monotherapie bzw. Kombinationstherapie (auch Add-on-Therapie genannt) bietet Abb. 1. Die Leitlinien für das Erwachsenenalter empfehlen als initiale Monotherapie v. a. die Gabe von Lamotrigin und dann Lacosamid bzw. Levetiracetam als Mittel der ersten Wahl [16]. Aktuell gibt es keine deutschsprachige Leitlinie für die Epilepsiebehandlung von Kindern (Ausnahme West-Syndrom). In Anlehnung an die v. a. an der Verträglichkeit orientierten Empfehlungen bei Erwachsenen kann die initiale Monotherapie bei Kindern und Jugendlichen entsprechend teilweise als Off-label-Use notwendig sein, da die Zulassung der drei zur Monotherapie empfohlenen ASM eine untere Altersgrenze hat (Lamotrigin ab 12 Jahre, Levetiracetam ab 16 Jahre und Lacosamid ab 4 Jahre). Alle 3 ASM sind generisch, und ihr Einsatz verursacht keine relevante höhere finanzielle Last als die der zugelassenen ASM. Ein anderes Problem stellt die fehlende Zulassung einiger ASM für die Monotherapie dar. Als Beispiel sei hier Brivaracetam genannt, für das Daten zur Monotherapie [17, 18] vorliegen und das eine entsprechende FDA(Food and Drug Administration)-Zulassung zur Monotherapie in den USA besitzt. Liegt ein Versagen der Mehrzahl gut verträglicher und bei fokalen Epilepsien zugelassener ASM vor, so können auch Orphan Drugs, die für die Behandlung spezieller Syndrome wie des Dravet-Syndroms oder des Lennox-Gastaut-Syndroms entwickelt wurden, zum Einsatz kommen. Die Daten für z. B. Cannabidiol [19], Rufinamid [20] oder Stiripentol [21] sind deutlich spärlicher verfügbar, und eine Kostenübernahmeerklärung sollte insbesondere bei den höheren Kosten für diese ASM eingeholt werden.
Abb. 1
Zulassungsstatus von anfallssuppressiver Medikation (ASM) bei fokalen Anfällen (adaptiert nach [10]). Asterisk Zugelassen bei Rolando-Epilepsie, Raute bei refraktärem Verlauf. (Icons made by Freepik from www.flaticon.com)
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Off-label-Einsatz bei primär generalisierten Epilepsien
Für die Therapie generalisierter Anfälle und primär generalisierter Epilepsien stehen deutlich weniger ASM zur Verfügung. Auch die gut belegte Teratogenität von Valproat und Topiramat schränkt damit die verfügbaren Optionen deutlich stärker bei jungen Frauen ein [22, 23]. Eine Übersicht über etwaige Altersbeschränkungen oder die Zulassung als Monotherapie bzw. Kombinationstherapie bietet Abb. 2. Insbesondere die initiale Therapie junger Frauen und Mädchen bei Diagnose einer idiopathisch generalisierten Epilepsie (IGE) mit Levetiracetam wird damit leider als Off-label-Use erfolgen müssen. Die Altersbeschränkungen für Levetiracetam im Kontext der IGE scheinen wenig sinnvoll, da sehr gute Daten auch von jungen Menschen aus den Zulassungsstudien für fokale Epilepsien vorliegen. So wird Levetiracetam auch in der Leitlinie neben Lamotrigin unabhängig von der Zulassung als Mittel der Wahl bei Patientinnen, für die Valproat nicht infrage kommt, aufgeführt [16]. Führen die zugelassenen ASM nicht zu einer Anfallsfreiheit oder sind nicht verträglich bzw. kontraindiziert, liegen gute Daten für den Einsatz anderer ASM vor [24, 25], die nur eine Zulassung für fokale Epilepsien haben, hier sind insbesondere Brivaracetam [26, 27] und Zonisamid [28, 29] zu nennen.
Abb. 2
Zulassungsstatus von anfallssuppressiver Medikation (ASM) bei generalisierten Anfällen sowie spezifischen Syndromen wie Dravet-Syndrom (DS), Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS), tuberöse Hirnsklerose (TSC) und Cyclin-abhängigem Kinase-ähnlichem 5(CDKL5)-Mangel-Syndrom (CDD) (adaptiert nach [10, 30]). 1 Bei generalisiert tonisch-klonischen Anfällen, 2 bei Absencen, Myoklonien, 3 bei Absencen, 4 bei frühkindlicher Grand-mal-Epilepsie, 5 in Kombination mit Valproat und Clobazam, 6 in Kombination mit Clobazam (in der Schweiz Kombination mit Clobazam nicht Teil der Zulassung), 7 Reservemedikament wegen Risiko aplastischer Anämien, 8 idiopathisch generalisierte Epilepsie, juvenile myoklonische Epilepsie, 9 Ganaxolon ist für die Zusatzbehandlung von epileptischen Anfällen bei einem CDKL5-Mangel-Syndrom im Alter von 2 bis 17 Jahren zugelassen, kann ab 18 Jahren bei Wirksamkeit weiter angewendet werden. (Icons made by Freepik from www.flaticon.com)
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Off-label-Einsatz bei entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathien
Für die Therapie bestimmter Syndrome wie des DS oder des LGS erfolgten mehrere Studien [31‐33], die zur spezifischen Zulassung breit zugelassener Medikamente wie Lamotrigin und Topiramat bei LGS führten. Zudem sind in den letzten beiden Jahrzehnten Zulassungen von Orphan Drugs [34] wie Stiripentol (DS), Rufinamid (LGS) sowie Cannabidiol (DS, LGS, TSC [tuberöse Hirnsklerose]) und Fenfluramin (DS, LGS) hinzugekommen, Details s. Abb. 2. Diese Orphan Drugs sind spätestens ab dem Alter von 2 Jahren zugelassen, eine frühere Therapie ist häufig wünschenswert und wird in Studien untersucht bzw. ist durch Fallserien gestützt [35]. Da die entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathien wie das LGS sich über mehrere Jahre entwickeln und zu Beginn und häufig auch im Verlauf entweder fokale oder generalisierte Anfälle auftreten, werden entsprechend zugelassene Medikamente eingesetzt. Auch steht Evidenz aus Fallserien bei LGS zur Verfügung, dass ASM wie beispielsweise Brivaracetam [36], Cenobamat [37], Lacosamid [38], Perampanel [39] oder Zonisamid [40] in dieser Population gut eingesetzt werden können. Zonisamid ist seit mehreren Jahrzehnten in Japan verfügbar und wird dort bei Kindern und Erwachsenen mit fokalen und generalisierten Epilepsien breit eingesetzt [40].
Problematisch ist die Wahl der ASM bei Patienten mit sehr seltenen entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathien, bei denen nicht die elektroklinische Diagnose eines LGS gestellt werden kann. Sollen Orphan Drugs eingesetzt werden, so empfiehlt sich die Einholung einer Kostenzusage unter Verweis auf Fallserien und Fallberichte, wie z. B. für Cannabidiol bei Aicardi- oder Doose-Syndrom [41, 42] oder Fenfluramin bei Sunflower-Syndrom [43], SCN8A-Enzephalopathie [44] oder Status epilepticus [45]. Erfreulicherweise gibt es Bestrebungen, in zukünftigen Studien Patienten mit allen entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathien (DEEs) einzuschließen, wie zuletzt für Bexicaserin berichtet [46, 47]. Solche weiten Zulassungen im Bereich der DEEs würden die Problematik des Off-label-Use bei den sehr seltenen Enzephalopathien lösen.
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Off-label-Einsatz von Immunsuppressiva bei autoimmun bedingten Anfällen und Epilepsien
Autoimmune Enzephalitiden können zu akuten Anfällen, aber auch chronischen Epilepsien führen [2‐4, 48‐50], bei denen ASM, aber auch verschiedene Immuntherapien zum Einsatz kommen, die jeweils für diese Indikation nicht zugelassen sind und damit unter den Off-label-Use fallen. In der Akutphase der Erkrankung kommen je nach Subtyp der Erkrankung unter stationären Bedingungen akute Immuninterventionen mittels intravenös applizierter Glukokortikosteroide, Immunglobulinen und Aphereseverfahren (Plasmapherese, Immunadsorption) als Erstlinientherapie zur Anwendung [51‐53]. Die Zweitlinientherapie besteht aus einer Anti-CD20-B-Zell-Depletion mittels Rituximab und/oder Cyclophosphamid [54, 55]. Bei unzureichendem klinischem Therapieeffekt schließen sich Drittlinientherapien wie Bortezomib, Daratumumab (Anti-CD38) oder Tocilizumab (Anti-IL[Interleukin]-6) an [56‐59]. Die Zweit- und Drittlinientherapien werden in vielen Fällen längerfristig je nach dem klinischen Zustand des Patienten stationär oder ambulant angewendet. Als Erhaltungstherapie kommen weiterhin klassische orale Immunsuppressiva wie Azathioprin, Methotrexat, Cyclosporin A und Mycophenolat-Mofetil zur Anwendung. Solche längerfristigen Immuntherapiekonzepte werden insbesondere bei länger anhaltenden kognitiven Defiziten und Anfällen durchgeführt, da bisher keinerlei Biomarker für ein Sistieren der parenchymalen Immunreaktion existieren, die eine Fortführung der Immuntherapie zuverlässig zeitlich begrenzen könnten [2].
Derzeit befinden sich mit Inebilizumab (Anti-CD19; The ExTINGUISH Trial of Inebilizumab in NMDAR Encephalitis, NCT04372615) eine „vertiefte“ B‑Zell-Depletion, mit Rituximab plus Bortezomib (GENERATE BOOST Trial; DRKS00017497) [60] eine „sequenzielle“ B‑ und Plasmazelldepletion und mit Satralizumab (CIELO Trial; NCT05503264) [61] eine Anti-IL-6-Therapie in fortgeschrittenen Phasen klinischer Studien, die in Zukunft eine Zulassung für die Behandlung der Autoimmunenzephalitis mit Antikörpern gegen zellmembranständige Antigene erwarten lassen. Für die Autoimmunenzephalitis mit Antikörpern gegen intrazelluläre neurale Antigene ist weiterhin keine Immuntherapie in fortgeschrittener Entwicklung. In der Regel besteht in der Akutphase der Erkrankung keine Zeit für die Beantragung einer Kostenübernahme von Immuntherapien im Off-label-Use unter stationären Bedingungen, sodass diese begonnen werden und ihre Fortsetzung unter ambulanten Bedingungen nach der Akutphase beantragt wird.
Vorgehen in der Praxis
Sind die Voraussetzungen für einen Off-label-Use wie schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität erheblich beeinträchtigende Erkrankung (in der Regel gut belegbar einschließlich SUDEP[„sudden unexpected death in epilepsy“]-Risiko), Versagen der Standardtherapie (im Einzelfall aufzuführen, ggf. begründen, warum verbliebene zugelassene ASM im konkreten Fall nicht eingesetzt werden können) und wissenschaftliche Evidenz (z. B. Fallserien, ggf. auch Querverweise auf ähnliche Epilepsieformen oder Ursachen) gegeben, sollte die Aufklärung des Patienten bzw. des Sorgeberechtigten bezüglich Indikation, Erfolgsaussichten und Nutzen-Risiko-Abwägung dokumentiert werden. Insbesondere bei kostenintensiven Therapien solle ggf. ein entsprechender Antrag zur Kostenübernahme bei der Kasse erwogen werden. Da die meisten ASM vorsichtig und schrittweise eindosiert werden und jeder Dosierungsstufe ausreichend Zeit für eine Beurteilung gegeben werden muss, empfiehlt es sich, mindestens einen Zeitraum von 6 Monaten zu beantragen und eine Evaluation des Behandlungsergebnisses in diesem Zeitraum anzubieten. Die Vorlage positiver Therapieberichte in der wissenschaftlichen Literatur über den Einsatz bei nicht zugelassener Indikation erleichtert eine positive Entscheidung zur Kostenübernahme durch den Medizinischen Dienst.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
A. Strzelczyk hat Honorare und Forschungsunterstützung von Angelini Pharma, Biocodex, Desitin Arzneimittel, Eisai, Jazz Pharmaceuticals, Neuraxpharm, Takeda, UCB Pharma und UNEEG Medical erhalten. S. von Stuckrad-Barre hat Honorare für Vorträge von Angelini Pharma, Eisai GmbH, Novartis, Roche und UCB Pharma erhalten. G. Kurlemann hat Vortragsvergütungen von Angelini Pharma, Desitin Arzneimittel, Eisai, Jazz Pharmaceuticals, Takeda, UCB Pharma, Neuraxpharm, Stada Arzneimittel, Precisis GmbH und Alexion Pharmaceuticals erhalten. T. Bast erhielt in den letzten 3 Jahren Honorare für Vortrags- und/oder Beratungstätigkeit von Desitin Arzneimittel GmbH, Eisai, Ethypharm, GW Pharmaceuticals, Jazz Pharma, Livanova, Neuraxpharm, Orion Pharma, Precisis, Takeda, UCB Pharma und Zogenix. Er ist oder war an Studien von Eisai, GW Pharmaceuticals, Precisis, UCB Pharma und Zogenix beteiligt. N. Melzer hat Honorare für Vorträge und Reisekosten für die Teilnahme an Tagungen von Biogen Idec, GlaxoSmithKline, Teva, Novartis Pharma, Bayer Healthcare, Genzyme, Alexion Pharmaceuticals, Fresenius Medical Care, Diamed, UCB Pharma, Angelini Pharma, BIAL und Sanofi-Aventis erhalten, hat Beratungshonorare von UCB Pharma, Alexion Pharmaceuticals und Sanofi-Aventis erhalten und finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte von Euroimmun, Fresenius Medical Care, Diamed, Alexion Pharmaceuticals und Novartis Pharma erhalten. F. Rosenow hat Honorare von Angelini Pharma, Desitin Arzneimittel, Eisai GmbH, Jazz Pharma, Roche Pharma, Stoke Therapeutics und UCB Pharma erhalten sowie Fördermittel vom Detlev-Wrobel-Fonds für Epilepsieforschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem LOEWE-Programm des Landes Hessen und der Europäischen Union. S. Schubert-Bast hat Honorare und Forschungsunterstützung von Angelini Pharma, Biocodex, Desitin Arzneimittel, Eisai, Jazz Pharmaceuticals, Marinus, Takeda und UCB Pharma erhalten.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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