Erhöhtes Unfallrisiko bei nichtmotorischem Epilepsiebeginn

Epilepsiekranke benötigen rund zehnfach länger bis zur richtigen Diagnose, wenn sie statt motorischer zunächst nichtmotorische fokale Anfälle entwickeln. Zudem ist jeder Zehnte mit nichtmotorischem Beginn vor der Diagnose in einen Verkehrsunfall verwickelt. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Eine fokale Epilepsie beginnt häufig mit nichtmotorischen Zeichen wie Bewusstseinstrübungen, kognitiven Störungen, emotionalen Erlebnissen, sensorischen Symptomen oder autonomen Dysfunktionen. Da solche Zeichen von außen kaum wahrnehmbar sind, werden sie von den Betroffenen und den Ärzten meist nicht als Epilepsiesymptom gedeutet. Die richtige Diagnose erfolgt oft erst dann, wenn auch sichtbare motorische Beschwerden auftreten. Dies führt zu erheblichen Verzögerungen bei der Diagnose und kann die Sicherheit der Betroffenen – etwa im Straßenverkehr – gefährden. Wie ausgeprägt die Verzögerungen und deren Konsequenzen sind, haben jetzt Neurologen um Dr. Jacob Pellinen von der Grossman School of Medicine in New York untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass es bei einer fokalen Epilepsie mit motorischen Symptomen zu Beginn im Schnitt rund zwei Monate bis zur Diagnose dauert, dagegen sind bei nichtmotorischen Symptomen fast 21 Monate nötig. In der Zwischenzeit fallen die Patienten nicht selten durch Verkehrsunfälle auf. 616 Tage bis zur Diagnose Für ihre Analyse haben die Ärzte um Pellinen Angaben zu 447 Epilepsiekranken ausgewertet, die sich am Human Epilepsy Project (HEP) beteiligen. Die prospektive Beobachtungsstudie zielt darauf, Informationen zum Therapieerfolg, zu Biomarkern und Komorbiditäten bei Patienten mit einer frisch diagnostizierten fokalen Epilepsie zu sammeln. Bei der Aufnahme werden die Patienten in einem strukturierten Interview auch gefragt, wann sie zum ersten Mal Epilepsiesymptome bemerkt hatten und welcher Art diese waren. Die Interviewer fragen dabei gezielt nach motorischen und nichtmotorischen Zeichen. Das Team um Pellinen eruierte über Befragungen und medizinische Datenbanken zudem Unfälle in der Zeit vor der Diagnose. Empfehlung der Redaktion Epilepsie – Themenseite Ob fokaler oder generalisierter Anfall – Übersichten, News, Interviews und kommentierte Studienreferate zur Epilepsie, einer der häufigsten chronischen ZNS-Erkrankungen, finden Sie auf dieser Themenseite. Die Patienten waren bei den ersten Anfällen im Schnitt 30 Jahre alt, etwa ein Drittel hatte weitere Betroffene in der Familie, 58% waren Frauen und etwas mehr als die Hälfte verfügte über einen höheren Bildungsabschluss. Bei den meisten der Befragten begann die Epilepsie mit nichtmotorischen Beschwerden (55%). Größere Unterschiede bei Alter, Geschlecht und Bildung zwischen Patienten mit motorischem und nichtmotorischem Beginn der Erkrankung konnten die Ärzte nicht beobachten. Über alle Patienten gemittelt wurde die Epilepsie im Median 219 Tage nach dem ersten Anfall diagnostiziert. Es zeigten sich jedoch erhebliche Unterschiede bei Patienten mit motorischem und nichtmotorischem Beginn: Bei Ersteren erfolgte die Diagnose im Median bereits nach 60 Tagen, bei Letzteren nach 616 Tagen. Beginnt eine Epilepsie also nichtmotorisch, dauert es etwa zehnfach länger bis zur Diagnose. Von den Patienten mit motorischem Beginn entwickelten immerhin 10% nie einen bilateralen tonisch-klonischen Anfall, dennoch dauerte es bei ihnen im Median nur 39 Tage bis zur Diagnose. Umgekehrt führte ein bilateraler tonisch-klonischer Anfall bei 60% mit zunächst nichtmotorischen Symptomen unmittelbar zur Diagnose – im Median innerhalb von 13 Tagen. Die meisten Patienten mit einem nichtmotorischen Epilepsiebeginn fallen also erst auf, wenn sie deutliche motorische Anfälle entwickeln. Dabei berichtete immerhin die Hälfte mit nichtmotorischem Beginn auch von Bewusstlosigkeit. Bei diesen erfolgte die Diagnose nach im Median 266 Tagen, bei solchen ohne Einschränkungen des Bewusstseins nach über 800 Tagen. Doch auch Patienten mit einem motorischen Epilepsiebeginn benötigten länger bis zur Diagnose, wenn ihr Bewusstsein dabei nicht getrübt wurde (115 versus 44 Tage bei Bewusstseinseinschränkung). Wenig überraschend ist aufgrund der Diagnoseverzögerungen, dass Patienten mit nichtmotorischem Beginn im Schnitt deutlich mehr Anfälle vor der Diagnose aufwiesen als solche mit motorischem Beginn (34 versus 4). Über 1800 vermeidbare Verkehrsunfälle Verletzungen zwischen Beginn der Anfälle und der Diagnose traten bei nichtmotorischem Start zwar etwas häufiger auf (bei 49% versus 41%), der Unterschied war aber nicht signifikant. Die Verletzungen gingen zumeist mit motorischen Anfällen einher – auch in der Gruppe mit nichtmotorischem Beginn. 19 der Patienten mit nichtmotorischem Beginn – also fast 10% – waren vor der Diagnose an Verkehrsunfällen beteiligt, dies war nur bei 4 Patienten mit motorischem Beginn der Fall. Ein Verkehrsunfall führte aber nicht unbedingt zu einer rascheren Diagnose – die Betroffenen benötigten dafür ähnliche lange wie die übrigen Patienten. Die Neurologen um Pellinen weisen darauf hin, dass epileptische Anfälle in der Bevölkerung noch immer mit deutlich sichtbaren Konvulsionen assoziiert sind und subtilere nichtmotorischer Anfälle daher häufig nicht als solche erkannt werden. Dies führe zu einer verzögerten Diagnose, einem erhöhten Unfallrisiko und einer schlechteren Lebensqualität. So berechnen die Experten aufgrund ihrer Resultate, dass sich in den USA jährlich rund 1800 Verkehrsunfälle durch unerkannte fokale nichtmotorische Anfälle ereignen. Die Zahl könnte sogar noch deutlich höher sein, da Patienten mit tödlichen oder sehr schweren Unfällen nicht in die Studie aufgenommen wurden. Auch aus solchen Gründen sei es wichtig, Wege zu finden, um diagnostische Verzögerungen bei nichtmotorischen Anfällen zu vermeiden. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie lange dauert es bei nichtmotorisch und motorisch beginnenden fokalen Epilepsien bis zur Diagnose und welche Konsequenzen haben diagnostische Verzögerungen? Antwort: Eine Epilepsie wird nach rund zwei Monaten bei motorischem und 21 Monaten bei nichtmotorischem Beginn diagnostiziert. Das Risiko für Verkehrsunfälle ist bei nichtmotorischem Beginn deutlich erhöht. Bedeutung: Es dauert bei einem nichtmotorischen Beginn etwa zehnfach länger bis zur Diagnose als bei einem motorischen Beginn. Einschränkung: Retrospektive Analyse. Beginn der Epilepsie beruht auf subjektiven Angaben.

Springer Medizin

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