Skip to main content
Erschienen in: Zeitschrift für Epileptologie 1/2021

Open Access 19.12.2020 | Epilepsie | Kasuistiken

Panayiotopoulos-Syndrom – oder doch nicht?

verfasst von: A. Rüegger, G. Ramantani

Erschienen in: Clinical Epileptology | Ausgabe 1/2021

Zusammenfassung

Seltene fokal autonome Krampfanfälle sind ein typisches Merkmal des Panayiotopoulos-Syndroms, einer selbstlimitierenden fokalen Epilepsie des Kindesalters. Doch auch bei vermeintlich typischer Semiologie und EEG-Befund kann eine zerebrale Bildgebung die Verdachtsdiagnose auf den Kopf stellen.

Falldarstellung

Anamnese

Nachdem in der Nacht ein 5,5-jähriger Knabe beim Gang zur Toilette bereits während kurzer Zeit wesensverändert schien, kam es am Folgemorgen nach dem Erwachen zu unklarer prolongierter Bewusstlosigkeit und nachfolgend mehrfachem Erbrechen sowie Kopfschmerzen. Nach gut 3 Stunden zeigte sich der Knabe wieder in gutem Allgemeinzustand. Diarrhöe, Fieber oder Gewichtsverlust wurden verneint. Eine ähnliche Episode ereignete sich bereits 1 Monat zuvor.
Er ist ein ehemals termingeborener Zwillingsknabe (dichorial, diamniot), bei dem im letzten Trimenon der Schwangerschaft ein Untergewicht für das Gestationsalter diagnostiziert wurde. Seit nun 9 Monaten wird er mit Wachstumshormonen therapiert. Er zeigt eine altersentsprechende Entwicklung. Die Familienanamnese ist unauffällig betreffend Epilepsien, mütterlicherseits wird von Verwandten mit Migräne berichtet.

Befund

Klinischer Befund

In der klinisch-neurologischen Untersuchung fanden sich keine Auffälligkeiten. Hinweise für einen Infekt bestanden keine. Differenzialdiagnostisch stand für uns ein fokal epileptischer Anfall im Vordergrund, ferner eine Synkope oder eine Migränesymptomatik.

EEG

Wir haben 48 h nach dem Ereignis ein Schlaf-EEG durchgeführt. Dieses zeigte eine kontinuierliche regionale Verlangsamung okzipital links bei ansonsten altersentsprechendem Grundrhythmus, physiologischen Schlafstadien und Schlafgraphoelementen. Epilepsietypische Potenziale waren nicht nachweisbar (Abb. 1). Aufgrund des pathologischen EEGs gingen wir von prolongierten fokal autonomen Anfällen aus. Die Semiologie sowie das Alter des Kindes ließ uns in erster Linie an ein Panayiotopoulos-Syndrom denken. Aufgrund der kontinuierlichen fokalen Verlangsamung im EEG entschieden wir uns jedoch, eine zerebrale Bildgebung durchzuführen zum Ausschluss einer strukturellen Veränderung.

Magnetresonanztomographie (MRT) Kopf

Zu unserem Erstaunen zeigte die MRT des Kopfes eine ausgedehnte Polymikrogyrie perisylvisch links bis zum Gyrus parahippocampalis reichend (Abb. 2).

Diagnose

Aufgrund der Befunde mussten wir unsere Verdachtsdiagnose eines Panayiotopoulos-Syndroms revidieren und die Diagnose einer strukturellen fokalen Epilepsie stellen.

Therapie und Verlauf

Bei deutlich erhöhtem Risiko für erneute fokale Anfälle haben wir eine antiepileptische Therapie mit Oxcarbazepin begonnen. Der Patient ist seither anfallsfrei.

Diskussion

Das Panayiotopoulos-Syndrom (PS) ist charakterisiert durch meist seltene, häufig jedoch prolongierte fokale Anfälle mit autonomen Symptomen [1]. Das Alter der Erstmanifestation liegt zwischen 1 und 14 Jahren, wobei in über 75 % die Epilepsie zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr beginnt [2]. Iktales Hauptmerkmal sind autonome Symptome (80–90 %), insbesondere Nausea und Erbrechen [2]. Die Ausprägung der autonomen Symptome kann allerdings variieren, und oft sind die Anfälle durch eingeschränktes Bewusstsein, Reaktionslosigkeit und/oder Verwirrtheit begleitet. Weitere nichtautonome Manifestationen sind Blickdeviation, Spracharrest, Hemikonvulsionen und visuelle Halluzinationen. Zudem ist ein Übergang in einen bilateral tonisch-klonischen Anfall möglich [2]. Die Ätiologie ist unklar, wahrscheinlich spielen genetische Faktoren eine Rolle [3]. Strukturelle zerebrale Auffälligkeiten sind nicht beschrieben.
Die Prognose ist gut mit Anfallsfreiheit 1 bis 2 Jahre nach Beginn der epileptischen Anfälle sowie fehlenden neurokognitiven Defiziten. Meist besteht keine Indikation für eine antiepileptische Therapie. Das EEG stellt einen wichtigen Puzzlestein bei der Diagnosestellung dar, zumal das PS oft als nichtepileptisches Ereignis wie Gastroenteritis, Synkope, zyklisches Erbrechen oder atypische Migräne falsch diagnostiziert wird [4].
Zwei Drittel der Patienten mit PS zeigen im EEG eine interiktale epileptiforme Aktivität, insbesondere in der posterioren Region mit Zunahme im Schlaf. Bilaterale synchrone okzipitale Spikes werden am häufigsten beschrieben, in einem Drittel der Fälle ist das EEG jedoch normal oder zeigt multifokale Spikes in extraokzipitalen Regionen [4, 5].
Trotz der typischen Semiologie sowie des typischen Alters eines PS zeigte das EEG unseres Patienten eine kontinuierliche fokale Verlangsamung okzipital links ohne Nachweis von epilepsietypischen Potenzialen. Auch wenn die EEG-Veränderungen beim PS mannigfaltig sein können und oft okzipital betont sind, sollte eine kontinuierliche Verlangsamung Anlass zu einer zerebralen Bildgebung geben.
Die Polymikrogyrie (PMG) ist eine der häufigsten kortikalen Hirnmalformationen und charakterisiert durch eine exzessive Anzahl an kleinen Gyri [6]. Gewöhnlich wird die PMG isoliert im MRT diagnostiziert, das Auftreten von zusätzlichen Hirnfehlbildungen ist jedoch möglich [7].
Die Ursache kann multifaktoriell bedingt sein, neben intrauterinen Infektionen, v. a. Cytomegalovirusinfektionen, spielen auch metabolische und genetische Faktoren eine Rolle. Das klinische Spektrum ist breit und abhängig von der Ätiologie, zusätzlichen syndromalen Zeichen sowie der Ausprägung der PMG [7]. Epilepsie wird bei bis zu 80 % der Patienten beschrieben mit Anfallsbeginn meist im ersten Lebensjahr sowie häufig therapierefraktärem Verlauf [7]. Assoziiert mit unilateraler multilobärer PMG ist der elektrische Status epilepticus während des Schlafs (ESES), weshalb bei PMG, insbesondere bei Auftreten von fokal motorischen Anfällen, fokal atonen Anfällen, atypischen Absenzen sowie kognitivem Abbau stets auch ein Schlaf-EEG durchgeführt werden sollte [8]. Zusätzlich ist bei PMG mit therapierefraktärer Epilepsie auch eine prächirurgische Evaluation in Erwägung zu ziehen. Eine chirurgische Resektion der epileptogenen Zone führt zur größtmöglichen Chance, Anfallsfreiheit zu erreichen [8].

Schlussfolgerung

Aufgrund der Semiologie der epileptischen Anfälle sowie des Manifestationsalters stand ein PS differenzialdiagnostisch an oberster Stelle mit guter Prognose hinsichtlich Epilepsie sowie kognitiver Entwicklung und meist fehlender Indikation für eine antikonvulsive Therapie. Obwohl das EEG okzipitale Veränderungen zeigte, ist eine kontinuierliche fokale Verlangsamung nicht ein typischer Befund eines PS, weshalb eine MRT des Kopfes durchgeführt wurde. Bei Nachweis einer PMG wurde die Diagnose einer strukturellen fokalen Epilepsie gestellt mit deutlich schlechterer Prognose und Notwendigkeit zum Beginn einer medikamentösen Therapie.

Fazit für die Praxis

Eine zerebrale Bildgebung ist beim PS in der Regel nicht notwendig, sollte aber bei atypischen Befunden, wie z. B. einer kontinuierlichen fokalen Verlangsamung im EEG, in Erwägung gezogen werden. Bei PS sollen differenzialdiagnostisch auch posteriore insuläre Epilepsien bedacht werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Rüegger und G. Ramantani geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Clinical Epileptology

Print-Titel

• Übersichten, Originalarbeiten, Kasuistiken

• Aktuelles aus der epileptologischen Diagnostik und Therapie  


e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

e.Med Neurologie & Psychiatrie

Kombi-Abonnement

Mit e.Med Neurologie & Psychiatrie erhalten Sie Zugang zu CME-Fortbildungen der Fachgebiete, den Premium-Inhalten der dazugehörigen Fachzeitschriften, inklusive einer gedruckten Zeitschrift Ihrer Wahl.

Weitere Produktempfehlungen anzeigen
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Michael M, Tsatsou K, Ferrie CD (2010) Panayiotopoulos syndrome: an important childhood autonomic epilepsy to be differentiated from occipital epilepsy and acute non-epileptic disorders. Brain Dev 32:4–9CrossRef Michael M, Tsatsou K, Ferrie CD (2010) Panayiotopoulos syndrome: an important childhood autonomic epilepsy to be differentiated from occipital epilepsy and acute non-epileptic disorders. Brain Dev 32:4–9CrossRef
2.
Zurück zum Zitat Panayiotopoulos CP, Michael M, Sanders S et al (2008) Benign childhood focal epilepsies: assessment of established and newly recognized syndromes. Brain 131:2264–2286CrossRef Panayiotopoulos CP, Michael M, Sanders S et al (2008) Benign childhood focal epilepsies: assessment of established and newly recognized syndromes. Brain 131:2264–2286CrossRef
3.
Zurück zum Zitat Lada C, Skiadas K, Theodorou V et al (2003) A study of 43 patients with Panayiotopoulos syndrome, a common and benign childhood seizure susceptibility. Epilepsia 44:81–88CrossRef Lada C, Skiadas K, Theodorou V et al (2003) A study of 43 patients with Panayiotopoulos syndrome, a common and benign childhood seizure susceptibility. Epilepsia 44:81–88CrossRef
4.
Zurück zum Zitat Parisi P, Paolino MC, Raucci U et al (2019) Ictal epileptic headache: when terminology is not a moot question. Front Neurol 10:1–6CrossRef Parisi P, Paolino MC, Raucci U et al (2019) Ictal epileptic headache: when terminology is not a moot question. Front Neurol 10:1–6CrossRef
5.
Zurück zum Zitat Ohtsu M, Oguni H, Hayashi K et al (2003) EEG in children with early-onset benign occipital seizure susceptibility syndrome: Panayiotopoulos syndrome. Epilepsia 44:435–442CrossRef Ohtsu M, Oguni H, Hayashi K et al (2003) EEG in children with early-onset benign occipital seizure susceptibility syndrome: Panayiotopoulos syndrome. Epilepsia 44:435–442CrossRef
6.
Zurück zum Zitat Leventer RJ, Phelan EM, Coleman LT et al (1999) Clinical and imaging features of cortical malformations in childhood. Neurology 53:715–722CrossRef Leventer RJ, Phelan EM, Coleman LT et al (1999) Clinical and imaging features of cortical malformations in childhood. Neurology 53:715–722CrossRef
7.
Zurück zum Zitat Leventer RJ, Jansen A, Pilz DT et al (2010) Clinical and imaging heterogeneity of polymicrogyria: a study of 328 patients. Brain 133:1415–1427CrossRef Leventer RJ, Jansen A, Pilz DT et al (2010) Clinical and imaging heterogeneity of polymicrogyria: a study of 328 patients. Brain 133:1415–1427CrossRef
8.
Zurück zum Zitat Maillard L, Ramantani G (2018) Epilepsy surgery for polymicrogyria: a challenge to be undertaken. Epileptic Disord 20:319–338CrossRef Maillard L, Ramantani G (2018) Epilepsy surgery for polymicrogyria: a challenge to be undertaken. Epileptic Disord 20:319–338CrossRef
Metadaten
Titel
Panayiotopoulos-Syndrom – oder doch nicht?
verfasst von
A. Rüegger
G. Ramantani
Publikationsdatum
19.12.2020
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Clinical Epileptology / Ausgabe 1/2021
Print ISSN: 2948-104X
Elektronische ISSN: 2948-1058
DOI
https://doi.org/10.1007/s10309-020-00382-0

Weitere Artikel der Ausgabe 1/2021

Zeitschrift für Epileptologie 1/2021 Zur Ausgabe

Leitlinien kompakt für die Neurologie

Mit medbee Pocketcards sicher entscheiden.

Seit 2022 gehört die medbee GmbH zum Springer Medizin Verlag

Update Neurologie

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.