Mit kühlem Kopf gegen epileptische Anfälle

Epileptische Anfälle lassen sich auch ohne Medikamente durch fokale Kühlung unterbrechen. Im Tierversuch funktioniert das bereits ganz gut, an geeigneten Systemen für Epilepsiekranke wird intensiv geforscht. Wer einen kühlen Kopf bewahrt, gelangt bekanntlich besser durch Krisen und Stresssituationen. Dem sprachlichen Bild liegt die Annahme zugrunde, dass Kälte die überschüssige Hirnaktivität dämpft und damit hilft, einen klaren Blick zu bewahren. Bezogen auf epileptische Anfälle scheint dies tatsächlich der Fall zu sein: Werden die Epilepsiezentren bei einem Anfall rasch gekühlt, hören die Anfälle auf. Ein geeignetes Kühlsystem, das bei ersten Zeichen eines Anfalls anspringt, könnte damit epileptische Anfälle auch bei Epilepsiekranken verhindern, bei denen Medikamente nicht ausreichend wirken. Vor der Anwendung bei Menschen gibt es aber noch einige Hürden zu überwinden, berichten Neurologinnen und Neurologen um Dr. Itamar Niesvizky-Kogan von der Harvard Medical School in Boston in einem Review. Dass Kühlen epileptische Anfälle stoppt, ist bereits seit den 1960er-Jahren durch Tierexperimente bekannt: In Versuchen mit Katzen ließen sich induzierte Anfälle bei fokalen Hirntemperaturen um 27 °C stoppen. Letztlich wird die neuronale Aktivität durch das Kühlen stark heruntergefahren: Die Neurotransmitterausschüttung kommt weitgehend zum Erliegen, die dendritischen Spines ziehen sich zurück, die Neurotransmission wird dadurch unterbrochen. Ist die Kühlung nicht allzu stark, bleibt dies ohne dauerhafte Folgen: Nach dem Wiedererwärmen nehmen die Nervenzellen den normalen Betrieb wieder auf. Optimale Temperatur noch unklar Hier zeigt sich jedoch schon das erstes Problem: Wie groß ist das therapeutische Fenster? Wird zu stark gekühlt, sind dauerhafte Schäden zu erwarten, zu geringe Kühlung reicht dagegen nicht, um die Anfälle zu stoppen. Eine Reihe von Tierexperimenten deutet auf ein Optimum bei rund 20 °C, kurzfristig kann die Temperatur auch darunter liegen, längeres fokales Kühlen unter 15 °C scheint jedoch sensomotorische Schäden zu induzieren, berichtet das Team um Niesvizky-Kogan. Inwiefern solche Temperaturspannen auf das Gehirn von Menschen übertragbar sind, ist jedoch noch offen. Einige Studien bei Menschen deuten auf Schäden an peripheren Nerven, wenn Körperregionen auf 20 °C gekühlt werden, entsprechend vorsichtig sollte man also bei der Kühlung von Hirngewebe sein. Interessant ist eine Studie bei 25 Personen mit therapieresistenter Epilepsie aus dem Jahr 1970, deren Gehirne wurden global und extravasal auf rund 24 °C gekühlt. Zwei Personen zeigten anschließend leichte neurologische Defizite, vier wurden anfallsfrei und zwölf erreichten eine Anfallsreduktion um mindestens 50%. Die meisten Studien bei Menschen beziehen sich jedoch auf Versuche bei Epilepsiekranken, die sich einer hirnchirurgischen Operation unterzogen. Vor der Resektion des Epilepsiezentrums testen Forscherinnen und Forscher die Effekte der Kühlung. Bei Temperaturen unter 15 °C wurde die neuronale Aktivität meist heruntergefahren, dabei ließen sich auch interiktale epilepsietypische Entladungen (IED) wirksam verhindern. Bei einer Routineanwendung besteht allerdings das Problem, die Epilepsiezentren möglichst wenig invasiv mit subdural implantierten Geräten zu erreichen. Ein Team schaffte es, mit einem Metallzylinder, durch den auf 0 °C gekühlte Salzlösung floss, Gewebe in einem Radius von 1 mm auf 12 °C zu kühlen. Thermoelektrische Kühlsysteme Ein solches Flüssigkühlsystem ist für Dauerimplantate jedoch zu aufwendig und zu riskant, besser geeignet sind thermoelektrische Verfahren wie Peltier-Chips, die ohne Kühlmittel und bewegliche Teile auskommen. Hierbei wird unter Aufwendung von elektrischer Energie ein Temperaturgradient zwischen zwei unterschiedlichen Materialen aufgebaut – der eine Teil wird warm, der andere kalt. Damit die Kühlung funktioniert, muss die Wärme jedoch wirksam abgeführt werden. Die Neurologinnen und Neurologen um Niesvizky-Kogan sehen vor allem für kombinierte Systeme Chancen: Ein Sensor erkennt erste Zeichen eines epileptischen Anfalls und schaltet den darüber liegenden Peltier-Chip an. Dessen warme Seite ist mit einer Kupferplatte verbunden, welche über ein verbundenes Drahtgeflecht oder ähnliche Strukturen die Wärme großflächig ableitet. Empfehlung der Redaktion Epilepsie – Themenseite Ob fokaler oder generalisierter Anfall – Übersichten, News, Interviews und kommentierte Studienreferate zur Epilepsie, einer der häufigsten chronischen ZNS-Erkrankungen, finden Sie auf dieser Themenseite. Wird ein solches Gerät subdural implantiert, lassen sich aber nur direkt angrenzende oberflächliche Kortexareale kühlen. Eine Lösung für tiefere Bereiche wäre etwa eine isolierte „Kühlnadel“, die von der kalten Seite des Chips ins Epilepsiezentrum ragt. Solche Implantate werden derzeit entwickelt und tierexperimentell erprobt. Eine andere Möglichkeit wäre, gezielt diejenigen Blutgefäße zu kühlen, welche die epileptogenen Areale versorgen. Die Neurologinnen und Neurologen um Niesvizky-Kogan halten es jedoch für wichtig, dass sich solche Systeme präzise steuern lassen und nur anspringen, wenn sich ein epileptischer Anfall anbahnt. Wie lange die Kühlung dann laufen muss, um den Anfall zu unterbinden, ist noch unklar. In vielen Experimenten wurde etwa eine halbe Stunde lang gekühlt. Offen ist auch die Frage von Langzeitrisiken. Tierexperimente mit Dauerimplantaten ließen zumindest keine durch die Kühlung bedingten Langzeitschäden erkennen. Letztlich, so das Team um Niesvizky-Kogan, könnte die fokale Kühlung durchaus für Epilepsiekranke eine Option sein, die auf Medikamente nicht ansprechen und für eine Operation nicht infrage kommen oder eine solche ablehnen. „Die Erfolge in Tiermodellen vor Augen erscheinen die bestehenden Hürden zur Anwendung beim Menschen alle überwindbar.“

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