GKV-Versicherte und Ostdeutsche schlechter mit Antikonvulsiva versorgt

Privatversicherte und westdeutsche Epilepsiekranke werden besser versorgt: Sie erhalten häufiger neuere Medikamente mit weniger Nebenwirkungen. Dies führt offenbar zu Unterschieden bei der Adhärenz und dem Therapieerfolg. Von den rund 25 zugelassenen Antikonvulsiva werden in Deutschland auch weiterhin im Wesentlichen nur vier verordnet: Valproat, Carbamazepin, Lamotrigin und Levetiracetam. Darauf deutet eine Untersuchung der IMS Disease Analyzer Datenbank, basierend auf repräsentativ ausgewählten Rezeptdaten von knapp 44.000 Epilepsiekranken aus 346 neurologischen Praxen in Deutschland. Mit diesen vier Medikamenten werden rund 80 % der Epilepsiepatienten behandelt, andere Präparate spielten nur eine Nebenrolle, erläuterte Professor Hajo Hamer auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Mannheim. Ein Grund dafür sei sicher die Leitlinienempfehlung für Lamotrigin und Levetiracetam bei fokalen Epilepsien, „nicht, weil sie besser als andere sind, sondern weil sie gut sind, wenig kosten und wir viel Erfahrung damit haben“, sagte der Neurologe vom Epilepsiezentrum Erlangen. Bei generalisierten und unklassifizierten Epilepsien sei Valproat weiterhin eines der wirksamsten Präparate, aber aufgrund seiner Teratogenität und ungünstigen Wirkungen auf Gewicht und Knochengesundheit problematisch. AMNOG als Innovationshemmnis Ein weiterer Grund für die eingeschränkte Auswahl: Das AMNOG verhindere die Verbreitung neu entwickelter Antikonvulsiva in Deutschland. „Wir haben bei Epilepsie keine Standardtherapie, sondern müssen individuell behandeln, das haut uns das IQWiG immer wieder um die Ohren, nach dem Motto: Wenn ihr keine Standardtherapie habt, können wir auch keinen Zusatznutzen feststellen – eure Schuld.“ Von der individuellen Therapie werde man jedoch auch in der überarbeiteten Leitlinie nicht abrücken. Diese soll in den kommenden Wochen veröffentlicht werden. Anhand der IMS-Daten lassen sich auch zeitliche und räumliche Verordnungsmuster ablesen und damit Unterschiede bei der Versorgung mit Antikonvulsiva in Deutschland ableiten, erläuterte Hamer. So können die Erlanger Neurologen in den vergangenen Jahren einen Rückgang bei der Verordnung der älteren Wirkstoffe beobachten. Vor allem Carbamazepin wird immer seltener verschrieben: Zwischen 2009 und 2012 sank der Anteil von Patienten, die damit behandelt wurden, von 25 auf 20 %. Carbamazepin gilt aufgrund seines Nebenwirkungsprofils und Interaktionspotenzials als besonders problematisch. Der Wirkstoff zählt zu den stärksten Cytochrom-P450-Induktoren. „Er sollte daher in der Epilepsietherapie überhaupt nicht mehr angewandt werden“, sagte Professor Michael Schwarz von der Universität Dortmund bei einem Neuropharmakologiesymposium auf dem Kongress. „In 15 Jahren werden wir diesen Wirkstoff in Deutschland sicher nicht mehr sehen“, ist auch Hamer überzeugt. Allerdings behandelten Ärzte in vielen anderen Ländern noch häufig mit Carbamazepin. Levetiracetam holt auf Wenig getan hat sich hingegen bei Valproat – hier liegt der Anteil konstant bei 30 %, für Lamotrigin pendelt er um 20 %. Gewinner der gegenwärtigen Entwicklung ist Levetiracetam: Der Anteil stieg von rund 15 auf 26 %. Inzwischen, so Hamer, dürfte Levetiracetam Valproat bei den Verordnungen überholt haben und das am häufigsten verschriebene Epilepsiemedikament in Deutschland sein. Interessant sind die Unterschiede bei einzelnen Bevölkerungsgruppen. Verordnet wird das problematische Carbamazepin Männern deutlich häufiger als Frauen (21 versus 18 %) und Ostdeutschen häufiger als Westdeutschen (22 versus 19 %). Am stärksten sind jedoch die Unterschiede zwischen Privat- und GKV-Versicherten mit 15 versus 20 %. Immerhin bekommen ältere Patienten (über 60 Jahre) das Medikament etwas seltener als solche im Alter von 40 bis 60 Jahren (21 versus 27 %), auch werden Epilepsiekranke kaum noch neu darauf eingestellt – bei den unter 40-Jährigen erhalten nur noch 11 % diesen Wirkstoff. Valproat wird hingegen am häufigsten bei jungen Patienten verordnet (35 %) und ebenfalls signifikant öfter bei gesetzlich Versicherten als Privatpatienten (29 versus 25 %), wohingegen sich zwischen Ost- und Westdeutschland keine Unterschiede abzeichnen. Lamotrigin verschreiben Ärzte öfter in Westdeutschland (20 versus 16 % im Osten) und bei Frauen (21 % versus 16 % bei Männern). Levetiracetam ist das mit Abstand am häufigsten verordnete Antiepileptikum bei Privatpatienten (32 %), der Anteil bei den GKV-Patienten beträgt 26 %. Unterm Strich, so Hamer, bekommen Frauen häufiger Lamotrigin, Männer Carbamazepin und Valproat, Privatpatienten erhalten deutlich seltener die alten Antikonvulsiva, und auch Westdeutsche werden damit seltener therapiert als Epilepsiekranke im Osten. Die Daten sind alle auf potenzielle Begleitfaktoren hin adjustiert worden, erläuterte Hamer, und ließen sich nicht mit unterschiedlich häufigen Epilepsieformen erklären. Auswirkungen auf die Adhärenz In einer weiteren, bereits publizierten Analyse schauten die Forscher nach möglichen Auswirkungen solcher Unterschiede (wir berichteten). So ermittelten sie die Adhärenz anhand der „Medication Possession Ratio“ (MPR). Sie gibt an, wie viele der verordneten Pillen die Patienten den Verschreibungsdaten nach auch tatsächlich einnehmen. Wird etwa eine Monatspackung nur alle zwei Monate verordnet, so liegt die MPR bei 50 %. Nonadhärenz gilt bei Epilepsiekranken allgemein als MPR unter 80 %. Nach diesem Kriterium konnten die Erlanger Forscher 65 % der Epilepsiekranken als adhärent einstufen. Wie sich zeigte, war die Adhärenz in Westdeutschland etwas höher als im Osten (67 versus 62 %). Dies lässt sich zum Teil mit der häufigeren Verordnung älterer Antikonvulsiva erklären: Nur 56 % der Patienten mit alten Antikonvulsiva gelten nach diesen Daten als adhärent, immerhin 70 % sind es mit neueren. Einen großen Anteil daran hat die Valproat-Behandlung– die MPR liegt damit bei 55 %, mit Levetiracetam sind es 79 %. Die Odds Ratio für eine Adhärenz ist somit unter Levetiracetam 2,9-fach höher als unter Valproat. Die meisten der Unterschiede erwiesen sich als hochsignifikant. Die Daten legen folglich nahe, dass GKV-Versicherte und Ostdeutsche deutlich schlechter mit Antikonvulsiva versorgt werden als Privatversicherte und Westdeutsche. Welche Folgen dies haben kann, erläuterte Hamer am Beispiel anderer Studien: So verdreifacht eine schlechte Adhärenz die Sterberate, das Risiko für Unfälle und stationäre Einweisungen wird verdoppelt, Anfälle und Knochenbrüche treten rund 50 % häufiger auf als bei guter Therapietreue. Die meisten dieser Folgen verursachen ihrerseits wiederum hohe Kosten im Gesundheitswesen.

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