Schilddrüsen-Screening zur Demenzabklärung überflüssig?

Eine subklinische Schilddrüsendysfunktion prädestiniert offenbar weder für einen beschleunigten kognitiven Abbau noch für die Entwicklung einer Demenz. Die Autoren einer großen Kohortenstudie sehen daher keinen Grund für ein routinemäßiges Schilddrüsen-Screening, um kognitiven Störungen im Alter vorzubeugen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Im Rahmen der Demenzdiagnostik empfehlen manche Leitlinien, wie z. B. die der European Academy of Neurology, die Patienten routinemäßig auch auf eine (subklinische) Schilddrüsenfunktionsstörung zu testen. Der Hintergrund: Es gibt Studien, die nahelegen, dass Menschen mit beginnendem kognitivem Abbau häufig veränderte Schilddrüsenwerte aufweisen. Die Ergebnisse einer neuen Studie mit insgesamt 74.565 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 23 Kohorten – wie auch mehrere bereits vorliegende Metaanalysen – zeigen allerdings keinen signifikanten Zusammenhang. Das mittlere Alter der Männer und Frauen in der aktuellen Studie lag zwischen 58 und 93 Jahren. Wie das Forscherteam um Dr. Nicolien van Vliet von der Universität Leiden berichtet, gab es „keine Assoziation zwischen einer subklinischen Schilddrüsendysfunktion auf der einen Seite und kognitiver Funktion, geistigem Abbau oder beginnender Demenz auf der anderen“. Der Sinn eines Schilddrüsen-Screenings als Baustein der Demenzabklärung ist damit zumindest fraglich. In ihrer aktuellen Analyse haben van Vliet und Kollegen geschaut, inwieweit abweichende Werte von TSH (Thyreotropin) und fT4 (freies Thyrotoxin) sowohl im Querschnitt als auch über die Jahre mit einem kognitiven Abbau bzw. einer Demenzdiagnose assoziiert sind. Bei der Definition von „euthyreot“ richteten sich die Forscherinnen und Forscher nach den Maßgaben der Thyroid Studies Collaboration. Demnach sind TSH-Werte zwischen 0,45 und 4,49 mIU/l die Norm. Darunter spricht man von einer manifesten Hyperthyreose, wenn gleichzeitig der fT4-Wert über dem Referenzbereich liegt, bzw. von einer subklinischen Hyperthyreose, wenn Letzterer normal ist. Von einer manifesten Hypothyreose geht man ab 20 mIU/l bzw. ab 4,50 mIU/l bei erniedrigtem fT4 aus. Werte zwischen 4,50 und 20 mIU/L bei normalem fT4 gelten demnach als subklinische Hypothyreose. Nach dieser Definition waren zum Ausgangspunkt der Studie 577 Teilnehmer und Teilnehmerinnen (0,8%) manifest hyperthyreot, 2557 (3,4%) hatten eine subklinische Hyperthyreose. Eine manifeste Schilddrüsenunterfunktion traf bei 697 Personen zu (0,9%), eine subklinische Hypothyreose bei 4167 (5,6%). Assoziationen durchweg nicht signifikant Messwerte zur kognitiven Funktion lagen für 38.144 Personen vor. Diese wurden zwischen zwei und elf Jahre nachbeobachtet. Insgesamt kamen dabei 114.267 Personenjahre zusammen. In ihrer Querschnittstudie beobachteten van Vliet und Kollegen die größte Standardabweichung (–0,06) im Sinne einer schlechteren kognitiven Leistung im Vergleich zur Euthyreose bei Patienten mit manifester Hypothyreose. Bei den anderen Dysfunktionen waren die Unterschiede noch geringer. Ähnliches galt für die Longitudinalstudien zum kognitiven Abbau im Lauf der Jahre. Hier bauten manifest hypothyreote Teilnehmer im Vergleich am schnellsten ab, die Standardabweichung für die jährliche Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit betrug 0,11. Im MMSE (Mini-Mental State Examination), der als häufigster Test zur Bewertung der kognitiven Fähigkeiten herangezogen wurde, entsprach das einem Unterschied von jeweils 0,1 Punkten (als klinisch relevant gilt eine Veränderung von mindestens 1 Punkt). An dem Bild änderte sich kaum etwas, wenn man Alter, Geschlecht und TSH-Ausgangswerte sowie den Bildungsgrad der Teilnehmer und Teilnehmerinnen berücksichtigte. Das Gleiche galt, wenn man die Einnahme von Schilddrüsenmedikamenten mit einbezog. An den Studien zur Demenz waren insgesamt 46.606 Personen, darunter 2033 Demenzpatienten, beteiligt. Eine Querschnittsanalyse scheiterte an der geringen Zahl der an Demenz erkrankten Teilnehmer mit bestehender Schilddrüsenfunktionsstörung. Dafür ergab die Longitudinalstudie für Personen mit subklinischer Schilddrüsendysfunktion kein signifikant erhöhtes Risiko, im Studienverlauf eine Demenz diagnostiziert zu bekommen. Bei der manifesten Hypothyreose war dieses Risiko sogar um gut 20% verringert. Bei manifester Hyperthyreose war allerdings das Risiko, innerhalb der Beobachtungszeit, im Mittel zwischen vier und 15 Jahren, eine Demenz zu entwickeln, um rund 50% erhöht. Trotz fehlender Signifikanz, so van Vliet und ihr Team, könne man hier ein erhöhtes Demenzrisiko nicht ausschließen. Wie die Forscher betonen, war die Heterogenität bei den durchgeführten Untersuchungen insgesamt gering. Die vorliegende Studie biete „die bislang stärkste Evidenz aus Beobachtungsstudien“ für den fehlenden Zusammenhang zwischen subklinischer Funktionsstörung der Schilddrüse und Demenz. Problematik der Übertherapie Van Vliet und Kollegen weisen sehr deutlich auch auf die Problematik der Übertherapie mit Levothyroxin hin. Unter einer solchen sei, wie Studien gezeigt hätten, das Risiko für Vorhofflimmern und Atherosklerose erhöht. Indirekt, nämlich über die zerebrovaskuläre Schädigung, könne eine Behandlung mit Schilddrüsenmedikamenten damit sogar zum kognitiven Abbau beitragen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hält die Forschergruppe ein Schilddrüsen-Screening „mit dem Ziel, bei älteren Personen kognitive Beeinträchtigungen oder gar Demenz verhindern zu wollen“ für verzichtbar. Leitlinien, die dieses empfehlen, sollten nach Meinung von van Vliet et al. umgeschrieben werden. Es sei „unwahrscheinlich, dass man über die Behandlung einer bis dato nicht aufgefallenen subklinischen Schilddrüsendysfunktion die kognitive Funktion verbessern“ könne. Das Wichtigste in Kürze Frage: Besteht bei älteren Menschen eine Assoziation zwischen Schilddrüsenfunktionsstörungen und kognitivem Abbau bzw. der Entwicklung einer Demenz? Antwort: Aus einer Multikohortenstudie geht hervor, dass das nicht der Fall zu sein scheint. Für subklinische Dysfunktionen der Schilddrüse ließen sich eindeutig keine signifikanten Zusammenhänge mit kognitiven Störungen nachweisen. Weniger klar war das Bild bei den manifesten Schilddrüsendysfunktionen. Bedeutung: Ein Screening auf subklinische Schilddrüsenfunktionsstörungen mit dem Ziel, bei älteren Personen einem kognitiven Abbau durch entsprechende medikamentöse Maßnahmen vorzubeugen, ist wahrscheinlich verzichtbar. Einschränkung: Kohortenstudie; kausale Zusammenhänge lassen sich damit weder belegen noch ausschließen; Schilddrüsenfunktion ausschließlich auf biochemischer Basis bestimmt; fT4 häufig nicht gemessen.

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