Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anamnese
Eine 38-jährige Drittgravida afrikanischer Abstammung wurde mit chronischer Hypertonie und Proteinurie erstmalig in der 10 + 3 Schwangerschaftswoche vorstellig. Das erste Kind wurde bei Verdacht auf intrauterine Wachstumsrestriktion in Nigeria per Sectio und das zweite Kind aufgrund schwerer Präeklampsie in der 35. Schwangerschaftswoche in unserem Krankenhaus ebenfalls per Sectio entbunden. Bei der Patientin handelte es sich um eine übergewichtige Frau mit einem BMI (Body-Mass-Index) von 30. Bis auf eine (zufriedenstellend eingestellte) chronische Hypertonie waren keine Vorerkrankungen bekannt.
Klinischer Befund
Die Patientin zeigte sich zu diesem Zeitpunkt vollkommen beschwerdefrei. Die transabdominelle Sonographie ergab eine intakte Schwangerschaft, der 11. Schwangerschaftswoche entsprechend.
Anzeige
Diagnostik
Aufgrund der detektierten Proteinurie wurde die Patientin an der nephrologischen Abteilung der Universitätsklinik für Innere Medizin vorgestellt. Eine venöse Blutentnahme ergab einen stark erniedrigten Kaliumwert von 2,3 mmol/l (Normwert 3,5–5,0 mmol/l). In der durchgeführten Blutgasuntersuchung zeigte sich eine metabolische Alkalose, die weder durch Erbrechen noch durch Diarrhö ausgelöst wurde. Weiters verneinte die Patientin jegliche Einnahme von Diuretika, Abführmittel oder sonstigen Präparaten. Bereits in der vorangegangenen Schwangerschaft fielen stark erniedrigte Kaliumwerte auf, außerhalb der Schwangerschaften zeigten sich die Kaliumwerte stets im Normbereich.
Weiteres Procedere
Es wurde eine orale Kaliumsubstitution eingeleitet. In einer 3 Wochen später durchgeführten Elektrolytkontrolle konnte trotz Substitution keine Steigerung des Kaliumspiegels erreicht werden. Daraufhin musste die Patientin zur intravenösen Kaliumsubstitution stationär an unserer Frauenklinik aufgenommen werden.
Wie lautet Ihre Diagnose?
Diagnose: Schwere Hypokaliämie aufgrund von Geophagie in der Schwangerschaft
Literaturrecherche
Im Rahmen einer Pubmed-Recherche sind wir auf die mögliche Ursache Geophagie gestoßen und stellten der Patientin die Frage, ob sie möglicherweise Tonerde zu sich nehme. Sie reagierte völlig ruhig und bejahte. Sie zog aus ihrer Handtasche einen Beutel hervor, in welchem sich 3 große Stücke Tonerde mit einer Größe von ca. 7 × 5 cm befanden (Abb. 1). Als Grund für die Tonerdeeinahme gab sie die Schwangerschaftsübelkeit und das Sodbrennen an.
×
Anzeige
Verlauf
Die Patientin beendete in weiterer Folge den Verzehr der Tonerde und konnte mit einem zufriedenstellenden Kaliumspiegel von 3,5 mmol/l entlassen werden. In einer 2 Wochen darauf durchgeführten Kontrolle zeigte sich jedoch wieder ein stark erniedrigter Kaliumspiegel von 2,9 mmol/l obwohl der letzte Konsum von Tonerde glaubhaft bereits 2 Wochen zurücklag. Wir nahmen die Patientin erneut stationär an unserer Klinik auf, die Kreatinkinase stieg am Folgetag auf 1759 U/l (Normwert bis 145 U/l) bei weiterhin stark erniedrigtem Kaliumwert trotz laufender intravenöser Substitution. Bei zunehmendem Verdacht auf das Vorliegen einer Hypokaliämie-induzierten Rhabdomyolyse mussten wir die Patientin auf die internistische Intensivstation verlegen. Zu diesem Zeitpunkt war die Patientin äußerst schwach und konnte kaum noch mobilisiert werden. Die Patientin entwickelte eine Präeklampsie und musste aufgrund einer therapierefraktären Hypertonie in der 27 + 2 Schwangerschaftswoche sectioniert werden. Unmittelbar postpartal zeigten sich steigende Kaliumwerte, die sich 2 Monate später unter moderater oraler Substitution im Normbereich befanden Zu diesem Zeitpunkt war die Patientin wieder voll belastbar und auch die Kreatinkinasewerte waren wieder im Normbereich, was auf eine vollständige Remission der Rhabdomyolyse ohne jegliche Therapie hinweist. Sechs Monate postpartal konnte die Kaliumsubstitution schlussendlich sogar beendet werden.
Pica in der Schwangerschaft
Pica definiert den Verzehr von nicht nahrhaften Substanzen, die weder Teil einer gesellschaftlich akzeptierten Nahrung sind, noch nennenswerte Nährwerte haben [1]. Pica wird vor allem bei Kleinkindern, schwangeren und stillenden Frauen beobachtet und ist ein weltweit dokumentiertes Phänomen. Die am häufigsten beschriebenen Arten von Pica sind Geophagie (Verzehr von Erde/Ton), Pagophagie (Verzehr von Eis) und Amylophagie (Verzehr von Stärke; [2]). Studien [3‐6] deuten darauf hin, dass Pica während der Schwangerschaft eine unerwartet häufige Praxis ist. Insbesondere bei Minderheiten liegt die Prävalenz des Pica-Konsums bei über 50 %. Im Allgemeinen wird Pica wahrscheinlich unterschätzt, da das Verhalten als entweder beschämend, unwichtig oder „normal“ angesehen wird [7].
Die Ätiologie ist oft unbekannt und scheint komplex zu sein. Eine häufig postulierte Ursache für Geophagie ist das Vorliegen einer Eisenmangelanämie, diese könnte jedoch auch eine Folge der Pica sein. Es werden auch Frauen beschrieben, die den Geruch, Geschmack oder die Beschaffenheit von Lehm oder Stärke mögen.
Die medizinischen Folgen von Pica für Mutter und Fetus hängen von der Art der aufgenommenen Substanzen ab. Maternale Auswirkungen können Zahnschäden, eine verringerte Bioverfügbarkeit wichtiger Mikronährstoffe, Obstipation, Darmperforation, Toxämie, Bleivergiftung, Hypokaliämie und damit assoziierte Komplikationen, wie die Hypokaliämie-induzierte Rhabdomyolyse, beinhalten [4, 7]. Zu den möglichen fetalen Auswirkungen zählen Frühgeburtlichkeit, perinatale Mortalität, niedriges Geburtsgewicht, Verringerung des Kopfumfanges und die Exposition gegenüber Chemikalien wie Blei oder Pestiziden. Im Falle von Geophagie kann die Tonerde auch nach Beendigung des Verzehrs noch für einige Monate im Darm verbleiben und das Kalium binden und somit eine längere Kaliumsubstitution notwendig machen [8, 9].
An dieser Stelle soll aber auch erwähnt werden, dass Heilerde – richtig dosiert – innerlich angewendet ein bewährtes Naturheilmittel ist, das seine Wirksamkeit bei Reflux, Reizmagen und Durchfall in Studien nachweisen konnte [10].
Fazit für die Praxis
Als Geophagie bezeichnet man Pica von Lehm/Tonerde.
Tonerde bindet Kalium im Darm und kann zu schweren hypokaliämischen Entgleisungen und Hypokaliämie-spezifischen Symptomen führen.
Bei unklarer Hypokaliämie in der Schwangerschaft sollte die Geophagie in Betracht gezogen und die Schwangere danach gefragt werden.
Bei Minderheiten liegt die Prävalenz von Pica in der Schwangerschaft und Stillzeit bei über 50 %.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
E. Sieghartsleitner, F. Moser, A. Kirsch, A. Rief, D. Schwarzl, H. Fluhr und K. Mayer-Pickel geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Praxisrelevante und fundierte Fortbildung
Das Fortbildungsorgan der DGGG
Vom Wissen angrenzender Fachgebiete profitieren
Mit spannenden Falldarstellungen lernen
Mit e.Med Gynäkologie erhalten Sie Zugang zu CME-Fortbildungen der beiden Fachgebiete, den Premium-Inhalten der Fachzeitschriften, inklusive einer gedruckten gynäkologischen oder urologischen Zeitschrift Ihrer Wahl.
Vitamin-B12-Mangel kann schwerwiegende Folgen haben, wenn er nicht rechtzeitig wirksam behandelt wird. Ein internationales Experten-Gremium hat daher ein Konsensus-Statement mit aktuellen Empfehlungen für das Management des Mangels in der Praxis erarbeitet.
Ein Vitamin-B12-Mangel wird aufgrund der vielfältigen Symptome oftmals erst nach Jahren diagnostiziert. Durch eine späte Therapie steigt das Risiko für schwerwiegende, teils irreversible Schäden.
Erfahren Sie hier, wie Sie den Mangel erkennen und wirksam behandeln können.
Ein gestörtes Darmmikrobiom kann die Verdauung und Psyche beeinträchtigen. Erfahren Sie, wie Ernährung, Stress und Medikamente das Mikrobiom beeinflussen und welche Therapiekonzepte der S3-Leitlinie bei Reizdarmsyndrom unterstützen können.
Das Reizdarmsyndrom betrifft etwa 11 % der Deutschen und zeigt eine komplexe Pathophysiologie. Störungen der Darm-Hirn-Achse und Dysbiosen spielen eine Rolle. Erfahren Sie, wie ein ganzheitliches Therapiekonzept und Phytopharmaka wie STW 5 und STW 5-II helfen können.
Erfahren Sie mehr über die gezielte Behandlung von Reizdarm und Reizmagen. Mit Expertenwissen von Prof. Dr. Madisch, Prof. Dr. Gerner und Prof. Dr. Labenz zu biopsychosozialen Konzepten und spezifischen Therapieansätzen auch für Kinder, Jugendliche und geriatrische Patienten.
Das ESC-Leitlinien-Update 2023 bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Behandlung der Herzinsuffizienz (HF), denn nun werden SGLT-2i sowohl für HFrEF, als auch für HFmrEF und HFpEF empfohlen. Somit können jetzt alle Patient:innen mit HF von SGLT-2i als zentralem Bestandteil der Therapie profitieren.
Dapagliflozin ist nun zur Behandlung aller Patient:innen mit chronischer symptomatischer Herzinsuffizienz zugelassen und bietet somit auch neue Hoffnung für die Therapie von jenen mit HFpEF. In der DELIVER-Studie zeigte der SGLT-2-Inhibitor eine signifikante Reduktion von Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen und CV-Todesfällen.
Ein Konsortium führender Fachgesellschaften erarbeitete jüngst auf Basis umfangreicher Metaanalysen einen Konsens für die Therapie koronarer Herzkrankheiten. Was dabei auffiel: Die duale Plättchenhemmung (DAPT) mit Ticagrelor ist die bevorzugte Therapieoption für das akute Koronarsyndrom (ACS).