Lernziele
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können Sie die verschiedenen Manifestationsformen von angeborenen Stoffwechselstörungen benennen und unterscheiden.
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kennen Sie die wichtigsten Prinzipien der Ernährungstherapie bei angeborenen Stoffwechselstörungen.
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wissen Sie Grundlegendes über Therapieprinzipien aus dem Bereich der Enzym(ersatz)- und der Gentherapien.
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können Sie mit ihrem Team eine passende Ernährungstherapie für Personen mit angeborenen Stoffwechselstörungen zusammenstellen.
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haben Sie anhand von praktischen Fallbeispielen aus der Klinik einen Bezug zu den Therapieoptionen bei angeborenen Stoffwechselstörungen hergestellt.
Einleitung
Ernährungstherapien
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der Reduktion der Zufuhr und Bildung des Substrats durch eine Ernährungstherapie bzw. durch Schaffung von Anabolie sowie
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der Substitution des Produkts.
Metabolit | Hauptprinzip | Nebenprinzipien | Kritische Elemente | Folgen einer Katabolie | Prototypen (Beispiele) | Wichtige Verlaufsparameter (Beispiele) |
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Aminosäuren | Reduzierte Zufuhr einer einzelnen Aminosäure (Substrat) | Substitution des Produkts (in Form einer prekursorfreien Aminosäurenmischung) | Vitamine und Spurenelemente | Phenylalaninkonzentration steigt | Phenylketonurie | Phenylalanin, Tyrosin |
Definierte Zufuhr von natürlichem Protein | Substitution des Produkts (in Form einer prekursorfreien Aminosäurenmischung) | Vitamine und Spurenelemente, L‑Carnitin | Acidose, Hyperammonämie | Organoacidurien wie Propionacidämie | Plasmaaminosäuren, Acylcarnitinprofil, Routineparameter | |
Reduzierte Zufuhr von natürlichem Protein | Substitution von unentbehrlichen (essenziellen) Aminosäuren | Substitution von Harnstoffzyklusmetaboliten (Ausnahme Arginasemangel) | Hyperammonämie | Harnstoffzyklusstörungen | Plasmaaminosäuren | |
Kohlenhydrate | Regelmäßige Zufuhr von Kohlenhydraten, um den basalen Kohlenhydratbedarf zu decken | Hohe Proteinzufuhr (Glukoneogenese) | Vitamine und Spurenelemente | Hypoglykämie, Hyperketose | Glykogenose Typ III | Blutzucker, Ketonkörper, Lactat |
Elimination eines Kohlenhydrats | – | Kalzium, Vitamin D | Keine spezifischen Folgen | Galaktosämie | Galaktose-1-Phosphat | |
Fette/Fettsäuren | Definierte (reduzierte) Fettzufuhr | Substitution von essenziellen langkettigen Fettsäuren | MCT-Fette, C7-Öl | Hypoketotische Hypoglykämie, Rhabdomyolyse | LCHAD-Mangel | Blutzucker, Ketonkörper (β-Hydroxybutyrat) |
Vermeidung von langen Nüchternphasen | – | L‑Carnitin (bei nachgewiesenem niedrigem freiem Carnitin) | Hypoketotische Hypoglykämie | MCAD-Mangel | Blutzucker, Acylcarnitinprofil | |
Ketogene Ernährungstherapie (verschiedene Formen) | Substitution von essenziellen langkettigen Fettsäuren | MCT-Fette | Hyperketose | Glut1-Defizienz-Syndrom | Ketonkörper (β-Hydroxybutyrat), Blutzucker |
Aminosäurenstoffwechsel
Geeignete Lebensmittel | Begrenzt geeignete Lebensmittel | Ungeeignete Lebensmittel |
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Reine Fette Alle Sorten, z. B. Raps‑, Soja‑, Walnuss‑, Weizenkeim‑, Olivenöl oder Distel‑, Maiskeim‑, Sonnenblumenöl etc. in Kombination mit Olivenöl, milchfreie Pflanzenmargarine, Butter‑, Schweine-, oder Gänseschmalz Zucker Alle Arten, z. B. Haushalts‑, Trauben‑, Milch‑, Fruchtzucker, Maltodextrin Eiweißarme Getreideprodukte Getreidestärke, Bohnenstärke, Sago Eiweißarme Diätprodukte Mehl, Brot, Teigwaren, Gebäck. Der Phe-Gehalt der eiweißarmen Getreideprodukte muss für die Bilanzierung des Phe-Gehalts berücksichtigt werden Getränke Wasser, Tee, Limonade Süßigkeiten Alle reinen Zuckersüßigkeiten ohne Gelatine‑, Getreide‑, Milch‑, Schokolade- oder Nusszusätze Gewürze Alle Sorten in reiner Form Kräuter Alle Sorten | Milch und Milchprodukte – Säuglinge und Kleinkinder: Muttermilch, Säuglingsanfangsnahrung – Jenseits des Säuglingsalters: Sahne, Creme fraiche, Streichrahm, Doppelrahmfrischkäse, evtl. auch Vollmilch Gemüse (außer Hülsenfrüchten) Alle eiweißarmen Sorten (< 3,5 g Eiweiß/100 g); davon sind eiweißärmere Sorten vorzuziehen, weil diese in größeren Mengen eingesetzt werden können; bevorzugt frisches oder tiefgefrorenes Gemüse verwenden Kartoffeln Kartoffeln sind relativ phenylalaninreich, deshalb in der PKU-Diät eher als Besonderheit oder als Kartoffelgerichte in eiweißarmer Zubereitung geeignet Reis In sehr kleinen Mengen, eiweißarmer Spezialreis ist vorzuziehen Obst Alle Sorten, unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Phe-Gehalts; bevorzugt Frischobst verwenden Getränke Fruchtsaftgetränke, Fruchtsäfte, eiweißarme Milchgetränke auf Sahne-Molke-Basis Fette Butter, Kräuterbutter Brotaufstriche Auf Gemüsebasis, Mayonnaise, Remoulade, Ketchup, Senf, Tomaten- oder Paprikapaste Speck, fettreiche Wurstsorten Je nach individueller Situation und Alter sind sehr kleine Mengen fettreicher Wurst oder Speck möglich Süßigkeiten Artikel mit bekanntem Phe-Gehalt sind je nach individueller Situation möglich | Alle eiweißreichen Lebensmittel – Fleisch, Geflügel, Wild, Innereien – Fisch und daraus hergestellte Produkte – Ei, Milch und eiweißreiche Milchprodukte – Getreide und Getreideerzeugnisse (Speisestärke ausgenommen) – Handelsübliche Brot- und Backwaren – Hülsenfrüchte – Nüsse und Samen – Süßwaren auf Getreide‑, Schokolade‑, Milch- oder/und Nussbasis |
Kohlenhydratstoffwechsel
Fettsäurenstoffwechsel
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Die Fettsäureoxidation, auch bekannt als β‑Oxidation, ist ein komplexer biochemischer Prozess, der in den Mitochondrien von Zellen stattfindet und die Hauptmethode des Körpers darstellt, um (langkettige) Fettsäuren in nutzbare Energie umzuwandeln.
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Dieser metabolische Vorgang spielt eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel und ist entscheidend für die Bereitstellung von Adenosintriphosphat (ATP), der wichtigsten Energiequelle für zelluläre Prozesse.
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Kohlenhydrate in der ErnährungUm eine kontinuierliche Energieversorgung zu gewährleisten, werden die Kohlenhydrate regelmäßig zugeführt. Der Gesamtanteil der Kohlenhydratmenge in der Ernährung entspricht wie üblich in etwa 50 %. Komplexe Kohlenhydrate aus Vollkornprodukten, Obst und Gemüse sollten bevorzugt werden, um eine stabile Glucoseversorgung zu unterstützen.
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Proteine in der ErnährungProteine müssen weder in der Menge (15–20 %) noch in der Qualität verändert werden. Eine angemessene Proteinzufuhr ist wichtig, um den Körper mit essenziellen Aminosäuren zu versorgen und einen Muskelabbau zu verhindern.
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Fette in der ErnährungDie Fette bleiben in der Menge in etwa gleich (30–35 %), werden aber in der Qualität modifiziert.
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Beschränkung langkettiger FettsäurenDie Zufuhr von Lebensmitteln mit langkettigen Fettsäuren, z. B. Fette und Öle, Fisch, Schweinefleisch, Vollfettmilchprodukte, wird begrenzt, um den Stoffwechsel von betroffenen Fettsäuren zu minimieren. Auf die ausreichende Zufuhr von essenziellen langkettigen Fettsäuren muss geachtet werden.
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Verwendung von mittelkettigen Triglyzeriden (MCT)Die MCT werden bevorzugt, da sie von der Leber direkt verstoffwechselt werden und den gestörten oxidativen Stoffwechselweg umgehen können. Mittelkettige Triglyzeride sind eine leicht verfügbare Energiequelle.
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Verwendung von Triheptanoin (C7-Öl)Triheptanoin, auch bekannt als C7-Öl, ist ein spezielles triglyzeridreiches Öl, das aus 7 Kohlenstoffatomen bestehende Fettsäuren enthält. Triheptanoin hat besondere Eigenschaften, die es zu einer wertvollen Energiequelle für Personen mit Störungen im Bereich der Fettsäureoxidation macht. Es kann durch die Bildung von Propionyl-CoA (C3-Fettsäure) alternative Energiepfade im Körper nutzen und die Funktion der mitochondrialen Energieproduktion verbessern (Anaplerose), was zu einer erhöhten Energiebereitstellung führt. Bei Säuglingen sollte die Zufuhr von C7-Öl ca. 2 g/kgKG betragen, bei Kleinkindern und Jugendlichen, je nach Verträglichkeit und myokardialer Beteiligung, zwischen 0,5 und 1 g/kgKG [12, 13, 14].
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Regelmäßige MahlzeitenLängere Fastenperioden sollten vermieden werden, um eine Hypoglykämie und potenzielle Energielücken zu verhindern.
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Überwachung und AnpassungDie Ernährung sollte individuell an die Bedürfnisse jedes Patienten angepasst und regelmäßig von einem spezialisierten Ernährungsteam begleitet werden, um ein gutes Gleichgewicht zwischen Energieversorgung und Fettstoffwechsel zu gewährleisten.
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fettreduzierte altersgemäße Ernährung mindestens alle 4 h (kürzere Abstände sind möglich),
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3‑mal 4 ml MCT-Öl (geradzahliges mittelkettiges Öl) für die Energiezufuhr,
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2‑mal 3 ml Walnussöl (für die Zufuhr essenzieller langkettiger Fettsäuren),
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2‑mal 4 ml Triheptanoin (ungeradzahliges mittelkettiges Öl) als anaplerotische Therapie.
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fettreduzierte Spätmahlzeit vor dem Schlafengehen.
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Nüchternintervall von maximal 3 h untertags und in der Nacht,
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umgehende Vorstellung/Kontaktaufnahme mit betreuendem Stoffwechselzentrum/Kinderarzt im Krankenhaus.
Medikamentöse Therapien
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Meist wird das fehlende Produkt ersetzt (z. B. Biotin bei Biotinidasemangel).
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Ist ein Enzym zwar vorhanden, aber durch die Mutation instabiler oder deutlich funktionseingeschränkt, kann in manchen Fällen eine Stabilisierung durch die pharmakologische Gabe (höhere Dosis) des Kofaktors des Enzyms erreicht werden. Diese Substanzen sind meist klein („small molecules“) und werden in diesem Zusammenhang „chaperons“ (Begleiter) genannt (z. B. Sapropterin [Tetrahydrobiopterin, BH4]).
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Substratinhibitionstherapie: Bei manchen Stoffwechselstörungen kann durch das medikamentöse Blockieren des Stoffwechselweges oberhalb („upstream“) des Enzymdefektes verhindert werden, dass toxische Stoffwechselprodukte entstehen (z. B. Nitisinon bei Tyrosinämie Typ I).
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In einzelnen Fällen kommen bei bestimmten angeborenen Stoffwechselstörungen Wirkmechanismen von Medikamenten, die bereits für andere häufigere Erkrankungen zugelassen sind, abseits ihrer Indikation zur Anwendung („drug repurposing“; z. B. Empagliflozin bei Glykogenose Typ Ib).
Erkrankung | Medikament | Wirkprinzip | Gabe |
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Biotinidasemangel | Biotin (Vitamin H) | Ersatz des fehlenden Vitamins | Per os, 5–10 mg täglich |
Phosphoglucomutase-1-Defizienz (PGM-CDG; PGM1-Erkrankung) | Galaktose | Ersatz des fehlenden Kohlenhydratbausteins Galaktose für die Glykosylierung | Per os, 1 g/kgKG und Tag |
GDP-L-Fucose-Synthase-Defizienz (GFUS-CDG) | Fucose | Ersatz des fehlenden Kohlenhydratbausteins Fucose für die Glykosylierung | Per os, 700 mg/kgKG und Tag |
Methylmalonacidämie (mut-) | Vitamin B12 | Chaperon/stabilisierender Kofaktor des defekten Enzyms | Per os, täglich |
Homocystinurie | Vitamin B6 | Chaperon/stabilisierender Kofaktor des defekten Enzyms Cystathionin-β-Synthase Methylmalonyl-CoA-Mutase | Per os täglich oder i.m. wöchentlich |
Phenylketonurie | Sapropterin | Chaperon/stabilisierender Kofaktor (synthetisches Tetrahydrobiopterin) des defekten Enzyms Phenylalaninhydroxylase | Per os, 10–20 mg/kgKG und Tag |
Tyrosinämie Typ I | Nitisinon | Substratinhibitionstherapie: Nitisinon verhindert die Entstehung der toxischen Metabolite Succinylaceton, Fumaryl- und Maleylacetoacetat, die lebertoxisch sind | Per os, 1–2 mg/kgKG und Tag |
Morbus Gaucher | Eliglustat | Substratinhibitionstherapie: Eliglustat ist ein spezifischer Inhibitor des Enzyms Glucosylceramidsynthase. Dadurch wird die Bildung und Anreicherung von Glucocerebrosid (Glucosylceramid) reduziert | Per os, 2‑mal 84 mg/Tag |
Glykogenose Typ Ib | Empagliflozin | Empagliflozin stabilisiert bei Glykogenose Typ Ib die Funktion der neutrophilen Granulozyten. Es ist ursprünglich ein Antidiabetikum | Per os, täglich |
Harnstoffzyklusdefekte | Natriumbenzoat | Ammoniak-Scavenger („-fänger“) | Per os, täglich |
Enzym(ersatz)therapien
Erkrankung | Inzidenz | Präparat | Gabe | Seit |
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Morbus Gaucher | 1:40.000 | Imiglucerase Velaglucerase alfa Taliglucerase alfa | Per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen | 1993 |
Morbus Fabry | 1–3:40.000 | Agalsidase beta Agalsidase alfa | Per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen | 2001 |
Morbus Pompe | 1:40.000 | Alglucosidase alfa Avalglucosidase alfa | Per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen | 2006 |
MPS I | 1–9:1.000.000 | Laronidase | Per Infusion (i.v.) einmal/Woche | 2003 |
MPS II | 1:100.000 | Idursulfase | Per Infusion (i.v.) einmal/Woche | 2007 |
MPS IVA | Ca. 1:300.000 | Elosulfase alfa | Per Infusion (i.v.) einmal/Woche | 2014 |
MPS VI | 1:600.000 | Galsulfase | Per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen | 2007 |
LAL-D/Morbus Wolman | 1:15.000–1:100.000 | Sebelipase alfa | Per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen | 2015 |
NCL II | 2–4:100.000 | Cerliponase alfa | Intrathekal alle 2 Wochen | 2017 |
Niemann-Pick-Krankheit Typ B | 1:100.000 | Olipudase alfa | Per Infusion (i.v.) alle 2 Wochen | 2022 |
α‑Mannosidose | 1:1.000.000 | Velmanase alfa | Per Infusion (i.v.) einmal/Woche | 2018 |
Hypophosphatasie | 1:100.000–1:300.000 | Asfotase alfa | Subkutane Gaben 3–6/Woche | 2015 |
Phenylketonurie | 1:10.000 | Pegvaliase | Subkutane Gabe einmal/täglich | 2019 |
Arginasemangel | 1:900.000 | Pegzilarginase | Subkutane Gabe eine/Woche | 2023 |
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Die frühe Diagnose der Erkrankungen ist essenziell, weil Enzymersatztherapien gespeichertes Material aus den Zellen abbauen, nicht aber zerstörte Zellen wiederherstellen können. Folglich muss die Therapie begonnen werden, bevor irreversible Schäden entstanden sind.
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Unzureichend gelöst ist die Zugänglichkeit für Erkrankungen, die das Zentralnervensystem (ZNS) mitbetreffen. Da die Präparate nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren können, ist derzeit die Enzymersatztherapie bei Mitbeteiligung des ZNS unzureichend wirksam. Fallweise sind intrathekale Applikationen versucht worden.
Gentherapien
Fazit für die Praxis
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Angeborene Stoffwechselstörungen sind diagnostisch und therapeutisch herausfordernde Erkrankungen mit oft diffusen klinischen Symptomen und laborchemischen Auffälligkeiten, deren Manifestation altersabhängig ist.
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Die Diagnosestellung basiert auf biochemischen, enzymatischen und genetischen Methoden.
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Die Therapie umfasst die Anpassung der Zufuhr spezifischer Substrate (Ernährungstherapie [„Diät“] oder Medikamente), modulierende Enzym(ersatz-)therapien sowie modifizierende Gentherapien.
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Die rasche Diagnosestellung und der frühe Beginn einer spezifischen Behandlung sind entscheidend, um die Manifestation einer angeborenen Stoffwechselstörung als Stoffwechselkrankheit zu vermeiden bzw. zu mildern.
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Betroffene einer angeborenen Stoffwechselstörung bedürfen einer individualisierten Betreuung mit regelmäßiger, dem Alter angepasster Therapie und entsprechenden Verlaufskontrollen.