Erschienen in:
01.04.2008 | Schmerzforum
Ethik-Charta der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS)
verfasst von:
S. Reiter-Theil, T. Graf-Baumann, K. Kutzer, H.C. Müller-Busch, R. Stutzki, H.C. Traue, A. Willweber-Strumpf , M. Zimmermann, Prof. Dr. M. Zenz
Erschienen in:
Der Schmerz
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Ausgabe 2/2008
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Zusammenfassung
Die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) hat eine interdisziplinäre Kommission gebildet, um dringende ethische Fragen zu Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie zu beantworten und eine ethische Orientierung für die Betreuung von Schmerz- und Palliativpatienten zu geben. Die Behandlung von Schmerz ist eine fundamentale Aufgabe in der Medizin. Kompetente und adäquate Linderung von Schmerzen in allen Lebenssituationen ist ein wesentliches Merkmal einer humanen, an Lebensqualität und Lebenssinn der Menschen orientierten Medizin. Dennoch bestehen erhebliche Defizite in allen Bereichen, insbesondere im Wissen von Ärzten und Patienten, in Aus- und Weiterbildung, Diagnostik und Therapie.
Freiheit von Schmerz ist ein wesentliches Element von Lebensqualität. Eine zentrale Aufgabe aller Ärzte ist die adäquate Diagnose und Behandlung akuter Schmerzen und damit die Prophylaxe chronischer Schmerzen. Hält der Schmerz länger an, verliert er seine Warnfunktion und verselbständigt sich. Veränderungen, Behinderungen und Einschränkungen auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene sind die Folge. Für diese Patienten ist ein interdisziplinäres Vorgehen erforderlich, bei dem mehrere ärztliche Fachdisziplinen, Psychologen, Physiotherapeuten und alle an der Diagnostik und Therapie von Schmerzen beteiligten Disziplinen zusammenwirken.
Alle Patienten haben das Recht auf ausreichende und individuell angemessene Schmerztherapie. Vulnerable Patientengruppen – Neugeborene, Kinder und Jugendliche sowie alte und mental eingeschränkte Patienten – müssen besondere Beachtung finden.
Beim Tumorschmerz steht die Symptomlinderung ganz im Vordergrund. Ein Hinweis auf „unerträgliche Schmerzen“ darf kein Anlass zur Resignation sein oder gar als ein Argument für die Legalisierung der „Tötung auf Verlangen“ angesehen werden.
Die Betreuung Sterbenskranker erfordert in besonderem Maße nicht nur klinische, sondern auch ethische Kompetenz, Kommunikation und multiprofessionelle Zusammenarbeit. Die modernen Möglichkeiten der Palliativbetreuung stellen eine echte Alternative zu den Forderungen nach einer Legalisierung der „Tötung auf Verlangen“ dar. Die ärztliche Unterstützung der Selbsttötung gehört nicht in den Aufgabenbereich der Palliativmedizin.
Das Grundgesetz verpflichtet zu einer angemessenen Schmerzbehandlung. Unterlassene Schmerztherapie erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung. Daraus folgt ein Rechtsanspruch auf umfassende Schmerzdiagnostik und eine dem jeweiligen Standard entsprechende Schmerzbehandlung. Der Staat ist verpflichtet, die rechtlichen, sozialen und finanziellen Voraussetzungen für eine adäquate Schmerztherapie zur Verfügung zu stellen.
Kontinuierliche Anstrengungen in der Forschung sind notwendig, um bestehende Erkenntnislücken zu füllen. Der Transfer zwischen Grundlagenforschung und klinischer Schmerztherapie muss dringend verbessert werden.
Zentrale Forderungen der DGSS sind daher:
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Verbesserung von Aus- und Weiterbildung in Schmerztherapie.
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Chronischer Schmerz muss als eigenständige Erkrankung verstanden und kodiert werden.
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Gestufte Strukturen zur Versorgung von Schmerzpatienten müssen geschaffen werden.
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Patienten mit chronischen Schmerzen müssen Zugang zu interdisziplinären Strukturen der Versorgung erhalten.
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Palliativmedizinische Versorgung ist ein Grundrecht aller terminal Kranken.
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Politik und Kostenträger müssen Voraussetzungen zur adäquaten Schmerzdiagnostik, Schmerztherapie und Palliativmedizin schaffen.