Einleitung
S | Systematik | Wesentlich für eine evidenzbasierte Entscheidung sind die systematische Sichtung, Bewertung und Zusammenfassung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse. Eine Entscheidung basierend auf einer einzelnen Studie (wenn mehr als eine relevante Studie vorliegt) oder der selektiven Auswahl von Studienergebnissen widerspricht dem Prinzip der Systematik |
Systematische Übersichtsarbeiten oder eine komprimierte Form dieser Methode wie Rapid-Reviews, Evidence Maps oder Overviews of Systematic Reviews setzen dieses Prinzip in der Praxis um | ||
T | Transparenz im Umgang mit Unsicherheit | Jede Entscheidung birgt Unsicherheiten in sich – die transparente Darstellung des zugrunde liegenden Vorgehens legt diese Unsicherheiten offen. Dies ermöglicht eine kritische Prüfung des Entscheidungsfindungsprozesses an sich sowie der Glaubwürdigkeit der verwendeten Evidenz |
Das Prinzip von Transparenz im Umgang mit Unsicherheit kann auf mehreren Ebenen umgesetzt werden: – Durch einen explizit gestalteten Prozess für die Entscheidungsfindung, wie zum Beispiel bei Leitlinien – Durch eine vorab festgelegte und klar beschriebene Methodik für die Zusammenführung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Bewertung der Qualität verwendeter Studien, insbesondere im Rahmen von systematischen Übersichtsarbeiten und – Durch die systematische und transparente Bewertung von Unsicherheit in der verwendeten Evidenz, wie zum Beispiel durch Evidenzgrade dargestellt | ||
I | Integration und Partizipation | Evidenzbasierte Entscheidungen sind nicht allein von Wissenschaftlichkeit geprägt, sondern sollen die Kompetenz und Erfahrung von Verantwortlichen sowie die Werte und Präferenzen von Betroffenen einbeziehen. In der evidenzbasierten Medizin findet diese Integration in Form einer partizipativen Entscheidungsfindung („shared decision-making“) von BehandlerIn und PatientIn statt. Evidenzbasierte Public Health ist durch eine Vielfalt von Interessengruppen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren gekennzeichnet – darunter diejenigen, die eine Maßnahme finanzieren oder umsetzen, und diejenigen, die direkt oder indirekt von dieser Maßnahme betroffen sind |
Die Umsetzung des Prinzips der Integration und Partizipation erfolgt darüber, wer in den Entscheidungsprozess involviert ist und in welcher Form die Beteiligung erfolgt – ob durch eine repräsentative Umfrage, Konsultationen oder eine konkrete Mitwirkung an der Entscheidung | ||
I | Umgang mit Interessenkonflikten | Bei Entscheidungen zu Public-Health-Maßnahmen müssen diverse, für sich genommen legitime Interessen in Einklang gebracht werden. Deshalb sollte die Rolle verschiedener Interessen in Entscheidungsprozessen transparent gemacht werden |
Interessen – darunter finanzielle, institutionelle, verwandtschaftliche und viele andere – müssen nach den wissenschaftlichen Regeln des Umgangs mit Interessenkonflikten offengelegt werden. Interessenkonflikte, die das Risiko für eine systematisch verzerrte Beurteilung der Evidenz (Bias) nennenswert erhöhen, sollten minimiert werden. Bei schwerwiegenden Interessenkonflikten sollte eine Person vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden | ||
P | Strukturierter, reflektierter Prozess | Evidenzbasierung ist durch einen strukturierten Prozess gekennzeichnet. Dieser Prozess besteht aus 5 Schritten: (1) Formulierung einer klaren Fragestellung; (2) Suche nach der besten verfügbaren Evidenz; (3) kritische Prüfung der wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich Glaubwürdigkeit und Relevanz; (4) Anwendung der Evidenz – ob am Krankenbett, bei der Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Maßnahme oder im Rahmen einer gesundheitspolitischen Entscheidung; (5) Bewertung der Umsetzung – ob durch kritische Reflexion oder begleitende Evaluation |
Verständnis von Evidenzbasierung in Public Health
Methoden
Literatursuche
Datenextraktion und Inhaltsanalyse
Ergebnisse
Bezeichnung und Bevölkerungsorientierung
Evidence-based public health could be defined as integrating the best available evidence with the knowledge and considered judgements from stakeholders and experts to improve health and protect the population from infectious and environmental hazards [29].
Evidenzbasierung als Prozess
As in evidence-based medicine, its steps should be: formulation of a clear question from a public health problem; searching for evidence; appraisal of evidence; selection of the best evidence for a public health decision; linking evidence with public health experience, knowledge, and practice; implementation of useful evidences in public health practice (policies and programs); evaluation of such implementations and of the overall performance of the evidence-based public health practitioner, and teaching others how to practice evidence-based public health [14].
The process of distilling and disseminating the best available evidence from research, context and experience … [30].
Beteiligte Disziplinen
The authors define EBPH as the development, implementation, and evaluation of effective programs and policies in public health through application of principles of scientific reasoning including systematic uses of data and information systems and appropriate use of program planning models. In EBPH, the most viable approach to a public health problem is chosen from among a set of rational alternatives. This process relies on several related disciplines including epidemiology, biostatistics, behavioral sciences, health economics, and health care management.
Our … model … has a transdisciplinary perspective. It incorporates each discipline’s most important advances and attempts to address remaining deficiencies. The model is grounded in an ecological framework and emphasizes shared decision making. … Both the impact on the population and health maintenance can be enhanced by intervening also at the interpersonal, organizational, community, and public policy levels.
Verständnis von Evidenz und relevante Kriterien
Evidence-based Public Health soll die Gesundheit auf Bevölkerungsebene durch wissenschaftlich abgesicherte Entscheidungen verbessern. Dafür wird das verfügbare Wissen der medizinischen, ökonomischen, ethischen, soziokulturellen und rechtlichen Aspekte von Krankheit und Maßnahmen systematisch, transparent und zielgerecht bewertet und in die Entscheidungsprozesse eingebracht. Alle Schritte – von der Problemstellung bis zur Umsetzung der Maßnahmen und Programme – sollen explizit, transparent und begründet sein [28].
Kompetenzen für Evidenzbasierung
Einbindung von Interessengruppen
Ableitung public-health-spezifischer Umsetzungsfaktoren von Evidenzbasierung
T | Theorie | Das Kriterium Theorie ist den Wirkmechanismen von Maßnahmen gewidmet. Sie beschreiben, wie Public-Health-Maßnahmen Gesundheit beeinflussen und nichtintendierte und gegebenenfalls schädliche Wirkungen erzeugen können. Diese Wirkungen materialisieren sich oft über viele Zwischenschritte – zum Beispiel durch verringerte Exposition gegenüber einem Umweltrisikofaktor oder durch verstärkt gesundheitsförderndes Verhalten – und in Wechselwirkung mit dem Kontext. Eine fehlende Auseinandersetzung mit den komplexen Wirkmechanismen von Public-Health-Maßnahmen kann ein Grund für mangelnde Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen sein. Deshalb sollen sowohl die Entwicklung als auch die Evaluation von Public-Health-Maßnahmen relevante Theorien und Modelle berücksichtigen und den vermuteten Wirkmechanismus beschreiben. Letzteres ist auch dann möglich, wenn keine passenden, spezifischen Theorien vorliegen |
Je nach Maßnahme können zum Beispiel Ursachentheorien aus der Soziologie oder Verhaltensmodelle und Veränderungstheorien aus der Psychologie genutzt werden | ||
I | Interdisziplinarität | Das Gelingen von Public-Health-Maßnahmen ist oft auf das Zusammenwirken diverser Disziplinen angewiesen, darunter zusätzlich zu den Gesundheitswissenschaften natur-, sozial- und technikwissenschaftliche Fächer, z. B. Psychologie, Soziologie und Ökonomie. Im Sinne der Methodenpluralität können diverse methodische Vorgehensweisen zum Einsatz kommen und disziplinenübergreifend wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengeführt werden |
In Abhängigkeit von Gesundheitsproblem bzw. Art der Maßnahme sollte geprüft werden, welche Disziplinen und gegebenenfalls Sektoren eingebunden werden müssen. Die konkrete Fragestellung bestimmt die jeweils bestmögliche Methodik, wie in den relevanten Disziplinen verankert. Zum Beispiel sind dies bei Fragen zur Akzeptanz einer Maßnahme meist qualitative Methoden, bei Fragen zu den ethischen Implikationen einer Maßnahme ethische Analysen | ||
K | Kontextabhängigkeit und Komplexität | Public-Health-Maßnahmen sind oft durch das Zusammenspiel vieler Einzelelemente auf unterschiedlichen Ebenen (zum Beispiel Individuum, Familie, Schule und Stadtviertel) gekennzeichnet und müssen dann als „Interventionen in komplexen Systemen“ begriffen werden. Ihre Wirksamkeit – und auch die Möglichkeiten ihrer Umsetzung – kann je nach den Rahmenbedingungen in Setting und Kontext variieren |
Ein Durchdenken von Komplexität hinsichtlich der Maßnahme und ihrer postulierten Wirkmechanismen und hinsichtlich ihrer möglichen Wechselwirkungen mit dem Kontext ist vor allem in der Planungsphase entscheidend. So kann eine grafische Darstellung in Form eines logischen Modells sicherstellen, dass keine wesentlichen Aspekte vergessen werden. Wo sinnvoll, sollten einzelne Aspekte von Komplexität auch hinsichtlich der Erstellung von Evidenz und ihrer Nutzung in Entscheidungsprozessen weiterverfolgt werden. Ein besonderes Augenmerk auf die unterschiedlichen Dimensionen von Kontext, zum Beispiel anhand existierender Modelle und methodischer Herangehensweisen, hilft dabei, förderliche oder hinderliche Faktoren hinsichtlich der Wirksamkeit und Umsetzung einer Maßnahme zu identifizieren | ||
A | Allgemeine gesellschaftliche Aspekte | Public-Health-Entscheidungen betreffen die Bevölkerung im Allgemeinen oder größere Bevölkerungsgruppen. Sie ziehen neben den angestrebten gesundheitlichen Wirkungen oft vielfältige allgemeine gesellschaftliche Folgen nach sich. Neben der Abwägung von gesundheitlichem Nutzen und Schaden spielen deshalb Aspekte wie die Akzeptanz der Maßnahme in der Bevölkerung, die Machbarkeit und Kosten einer Umsetzung, Auswirkungen auf gesundheitliche Chancengleichheit und Umwelt eine große Rolle |
Die Umsetzung dieses Kriteriums erfolgt durch die Integration dieser Aspekte in den Entscheidungsprozess, d. h. konkret durch Aufführung und Betrachtung aller für den Entscheidungsprozess relevanten Aspekte. Idealerweise erfolgt dies durch die Nutzung von festgelegten Entscheidungskriterien im Rahmen eines „evidence to decision framework“ |
Fazit
Evidenzbasierte Public Health (EbPH) bezeichnet das Fällen von public-health-relevanten Entscheidungen unter Nutzung der jeweils besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse, der Expertise relevanter Fachleute und Stakeholder und der Werte und Präferenzen der betroffenen Bevölkerung [46].