Bei Amblyopie frühzeitig abkleben?

Die randomisierte EuPatch-Studie mit Kindern aus fünf europäischen Ländern, darunter Deutschland, legt nahe: Bei Amblyopie ist die frühzeitige Okklusionstherapie (Zukleben des kontralateralen Auges) in den meisten Fällen offenbar effektiver als eine Strategie, bei der die Kinder vorher über mehrere Monate eine Brille tragen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die frühzeitige Therapie einer Amblyopie ist wichtig, um eine optimale Sehschärfe zu erzielen. Studiendaten zum standardmäßig empfohlenen „Patching“, dem Abkleben des kontralateralen Auges bei unilateraler Amblyopie, sind allerdings rar. Ein Problem bei dieser Therapieform ist die oft schlechte Adhärenz, die nicht nur mit der eingeschränkten Sicht, sondern auch mit negativen Reaktionen durch das soziale Umfeld zusammenhängt. Die Frage, wann man mit der Okklusion beginnt, ist daher äußerst relevant. Gegenwärtig wird empfohlen, das Kind zunächst mindestens vier bis sechs Monate eine Brille tragen zu lassen, um die Sehschärfe zu verbessern, bevor man mit dem Patching startet. Dieses Standardvorgehen hat ein britisches Team nun mit einer Strategie des frühzeitigen Abklebens (Early Patching) verglichen, wobei das Augenpflaster in der Behandlungsphase in beiden Gruppen möglichst an sechs Tagen wöchentlich jeweils zehn Stunden getragen werden sollte. Nach zwölf Wochen signifikant im Vorteil In der randomisierten kontrollierten EuPatch-Studie wurden 170 Kinder der Standardgruppe – Brilletragen über 18 Wochen, dann 24 Wochen zusätzliches Patching – zugelost. Weitere 164 Kinder wurden für das Early Patching vorgesehen, bei ihnen wurde mit dem Abkleben bereits nach dreiwöchiger Brillentherapie begonnen. Das mediane Alter bei Therapiebeginn betrug in beiden Gruppen etwas über fünf Jahre (zwischen vier und sechs Jahre). In den meisten Fällen (68% bzw. 71%) lag eine Anisometropie vor, gefolgt von einer Mischform aus Anisometropie und Strabismus (24% bzw. 21%). Als Behandlungserfolg definierte das Studienteam um Frank A. Proudlock von der Universität Leicester einen Unterschied in der bestkorrigierten Sehschärfe (BCVA) von ≤ 0,20 logMAR (MAR steht für Minimum Angle of Resolution) zwischen gesundem und schwachsichtigem Auge, gemessen jeweils nach zwölf Wochen Okklusionstherapie. Diesen primären Endpunkt erreichten 67% aus der Early-Patching-Gruppe, aber nur 54% aus der Gruppe mit dem Standardregime – ein signifikantes Ergebnis. Wie Proudlock und sein Team berichten, hatten allerdings 14 Kinder aus der Standardgruppe und drei aus der Early-Patching-Gruppe die Brillentherapie abgebrochen. Verbesserung vor allem in den ersten sechs Wochen Die größte Verbesserung in der Standardgruppe hatte sich bereits in den ersten sechs Wochen mit Brille eingestellt. Die in diesem Zeitraum erzielte Veränderung im interokulären Unterschied war fast doppelt so groß wie die, welche zwischen sechs und 18 Wochen erreicht wurde (median 0,127 logMAR gegenüber 0,061 logMAR). Beim jeweiligen Beginn des Patchings hatte die Standardgruppe bzgl. des interokularen Unterschieds noch besser abgeschnitten als die frühzeitig abgeklebte Gruppe. Die Early-Patching-Gruppe verbesserte sich im Folgenden jedoch deutlich schneller, sodass sie zum Messzeitpunkt nach zwölf Wochen klar vorne lag, mit einem Sehschärfeunterschied zwischen den Augen von median 0,162 logMAR gegenüber 0,209 logMAR. Dieser Abstand konnte bis zum Studienende nach insgesamt 24 Wochen gehalten werden. Gravierende Nebenwirkungen durch das Patching wurden nicht beobachtet. Allerdings beurteilten die Kinder die Therapie deutlich weniger positiv als ihre Eltern: Nach zwölf Wochen hatten nur 38% der Kinder, aber 83% der Erwachsenen angegeben, zufrieden mit der Behandlung zu sein (die Kinder auf einer Smiley-Skala, die Erwachsenen im Amblyopia Treatment Index Questionnaire). Wer profitiert von der verlängerten Brillentherapie? Nach Proudlock und seinem Team waren Alter des Kindes, Sehschärfe des schwachsichtigen Auges bei Therapiebeginn und interokulärer Unterschied im sphärischen Äquivalent die „Schlüsselfaktoren“ für die Abschätzung des Erfolgs einer reinen Brillenbehandlung. Auf der Grundlage der Studiendaten entwickelte die Forschungsgruppe einen „Entscheidungsbaum“: Demzufolge haben Kinder mit einer eingangs wenig ausgeprägten Amblyopie (BCVA 0,60 logMAR) und substanzieller Anisometropie (Unterschied von 3 oder mehr Dioptrien sphärisches Äquivalent zwischen den Augen). Fazit der Autoren: „Ein frühzeitiges intensives Patching ist wirksamer in der Behandlung der Amblyopie als die Standardtherapie mit ausgedehnter Brillenphase, wobei Letztere bei jüngeren Kindern mit wenig ausgeprägter Amblyopie am ehesten Erfolg verspricht.“ Das Wichtigste in Kürze Frage: Vergleich einer intensiven Patching-Therapie (Abkleben des kontralateralen Auges) mit verkürzter bzw. längerer initialer Brillenphase in der Behandlung der kindlichen Amblyopie. Antwort: In der Early-Patching-Gruppe mit Beginn der Okklusionstherapie bereits nach drei Wochen Brilletragen hatten nach zwölf Wochen 67% der Kinder den primären Endpunkt – einen interokulären Sehschärfeunterschied von maximal 0,20 logMAR – erreicht. In der Gruppe mit dem Standardregime (Abkleben erst nach 18 Wochen) waren es nur 54%. Bedeutung: Das frühzeitige Abkleben ist in den meisten Fällen offenbar wirksamer als die Standardtherapie. Einschränkung: Unterschiedliche Abbruchraten; Verschreibungen lagen in der Verantwortung der Behandelnden.

Springer Medizin

Bei Amblyopie frühzeitig abkleben?

Weiterführende Themen

Passend zum Thema

Pädiatrische Myopie: Wie lässt sich die Progression verlangsamen?

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen

Pädiatrische Myopie: Wie lässt sich die Progression verlangsamen?