Einleitung
Die molekulare Altersschätzung bildet einen Teil der sog. forensischen DNA-Phänotypisierung, die darüber hinaus auch die Vorhersage äußerlich sichtbarer Merkmale wie Haut‑, Haar und Augenfarbe sowie die biogeografische Herkunft einer Person umfasst [
1]. Die Analyse dieser Eigenschaften kann dabei helfen, die Gruppe potenzieller Verursacher einer DNA-Tatort-Spur einzugrenzen. Besonders in Fällen, in denen eine DNA-Spur von sehr guter Qualität und ausreichender Quantität vorliegt, jedoch die Analyse klassischer DNA-Merkmalssysteme („short tandem repeats“, STR) zu keinem Treffer in einer nationalen Datenbank führt, kann die weitere Charakterisierung eines unbekannten Spurenverursachers wichtige Ermittlungshinweise liefern.
Mit den derzeit zur Verfügung stehenden Techniken ist es möglich, die Haar‑, Augen- und Hautfarbe sowie die biogeografische Herkunft eines unbekannten Spurenverursachers mit molekularen Methoden mit hinreichender Genauigkeit zu schätzen. Die Vorhersage der Pigmentierung und Herkunft erfolgt auf der Grundlage von Sequenzveränderungen („single nucleotide polymorphisms“, SNP) in der DNA selbst [
2]. Die Analyse der DNA-Methylierung stellt derzeit die vielversprechendste molekulare Methode zur Schätzung des Alters eines unbekannten Spurenverursachers dar. Im Dezember 2019 wurde die DNA-Phänotypisierung mit einer Änderung der Strafprozessordnung in Deutschland teilweise legalisiert [
2]. Dadurch ist nun bundesweit die Untersuchung genetischer Marker möglich, die eine Vorhersage von Haar‑, Augen- und Hautfarbe sowie des Alters, nicht aber der biogeografischen Herkunft eines unbekannten Spurenverursachers erlaubt. In der Schweiz ist eine Gesetzesrevision bezüglich der Untersuchung der Haar‑, Augen- und Hautfarbe, der biogeografischen Herkunft sowie des Alters eines unbekannten Spurenverursachers im Gang, die politische Diskussion dauert allerdings noch an [
3].
Als weitere Möglichkeit zur praktischen Anwendung wird aktuell auch die Altersschätzung lebender Personen diskutiert, bei denen als Beschuldigte ohne valide Identitätsdokumente in einem Strafverfahren geprüft werden muss, ob diese Verfahren nach dem Jugend- oder dem Erwachsenenstrafrecht durchzuführen sind [
4]. Weitere Anwendungsfelder beziehen sich auf die Altersschätzung fraglich minderjähriger geflüchteter Personen, um einen möglichen Anspruch auf besonderen Schutz zu klären, sowie auf die Altersschätzung in Identitätsfragen, z. B. bei unbekannten Verstorbenen [
5].
Die DNA-Methylierung ist eine chemische Modifikation der DNA, die die DNA-Sequenz selbst nicht verändert. Es wird eine Methylgruppe an die Base Cytosin gebunden, wodurch die „fünfte Base“ Methylcytosin entsteht. Im humanen Genom tritt diese Modifikation nahezu ausschließlich an Cytosinen in Cytosin-Phosphat-Guanin(CpG)-Nukleotidabfolgen auf [
6]. Die DNA-Methylierung spielt eine essenzielle Rolle bei der Regulation der Genexpression, beispielsweise während verschiedener Entwicklungsprozesse bei Säugetieren. Im Laufe des Lebens können sich Methylierungsmuster altersabhängig verändern, wobei auch Lebensgewohnheiten einen Einfluss haben können (z. B. physische Aktivität, Rauchen, Ernährung, [
7‐
9]). Darüber hinaus können sich Methylierungsmuster zwischen Zelltypen unterscheiden; sie sind demnach weitgehend gewebespezifisch [
10]. In den vergangenen Jahren zeigten diverse Studien, dass sich die DNA-Methylierung an bestimmten CpG-Stellen altersabhängig verändert [
11‐
13]. Diese Veränderungen können sowohl in Form einer Zunahme als auch in einer Abnahme der DNA-Methylierung an diesen Stellen bestehen und treten in allen Individuen gleichermaßen auf. Diese Stellen werden als „Altersmarker“ bezeichnet und in der Literatur häufig als „epigenetische Uhr“ zusammengefasst [
11,
13]. Für eine forensische Altersschätzung müssen die altersabhängigen Methylierungsänderungen der ausgewählten Stellen zunächst anhand eines Referenzkollektivs biostatistisch modelliert werden, bevor die Methylierungswerte einer Tatortspur anhand dieses Modells in den Schätzwert für das Alter eines unbekannten Spurenverursachers übersetzt werden können.
Im Laufe der letzten 10 Jahre wurden verschiedene Modelle zur Altersschätzung vorgestellt, die zwischen 2 und 353 CpG-Positionen umfassen [
13‐
16]. In einer aktuellen Studie des Instituts für Rechtsmedizin in Münster wurden 2 Modelle zur Altersschätzung vorgestellt, die auf 2 verschiedenen Methoden beruhen, der Pyrosequenzierung und der Minisequenzierung [
17]. Die Pyrosequenzierung gilt derzeit als eine der exaktesten Methoden zur Quantifizierung der DNA-Methylierung an einzelnen Positionen [
18]. Die Minisequenzierung hat die Vorteile, dass alle Positionen, deren Methylierungsstatus analysiert werden sollen, in einer einzigen Multiplex-Reaktion gemeinsam analysiert werden können, und dass die benötigten Geräte zur Standardausrüstung forensischer Labore gehören.
Die Arbeitsgemeinschaft „Molekulare Altersschätzung“ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) hat sich im ersten Ringversuch zum Ziel gesetzt, diese beiden Methoden hinsichtlich ihrer Reproduzierbarkeit und Robustheit in verschiedenen Laboren zu untersuchen. Die Markerauswahl dieses Ringversuchs basiert zwar auf der oben genannten Studie des Instituts für Rechtsmedizin in Münster, jedoch soll dadurch ausdrücklich keine Festlegung auf das hier verwendete Marker-Set erfolgen. Es ist eine Vielzahl potenzieller Methylierungsmarker in der Literatur beschrieben worden, die in verschiedenen Modellen Anwendung finden, sodass die hier verwendeten Marker lediglich als Beispiele zu verstehen sind. Dieser Ringversuch sollte zunächst zeigen, welche Herausforderungen sich für Labore ohne vorherige Erfahrung mit dieser Methodik ergeben und wie vergleichbar die Ergebnisse zwischen Laboren sind, auch wenn unterschiedliche Reagenzien und Geräteplattformen verwendet werden. In diesem ersten Ringversuch wurden den teilnehmenden Laboren jeweils 3 Blut- und 3 Speichelproben und die zu verwendenden Primer übersandt.
Fazit des ersten forensischen Ringversuchs zur molekularen Altersschätzung
Der vorliegende Ringversuch sollte zeigen, wie vergleichbar DNA-Methylierungsanalysen zur molekularen Altersschätzung zwischen verschiedenen Laboren sind, wenn unterschiedliche Reagenzien und Analyseplattformen verwendet werden sowie unterschiedliche Erfahrungsstände hinsichtlich der Analysetechniken bestehen.
Für die Minisequenzierung wurden trotz einer hohen relativen Übereinstimmung (ICC-C) der Messergebnisse zwischen den Laboren deutliche Abweichungen hinsichtlich der absoluten Übereinstimmung der Messwerte (ICC-AA) festgestellt. Dies deutet auf systematische Unterschiede zwischen den Laboren hin, die insbesondere durch die Verwendung unterschiedlicher Reagenzien und Analyseplattformen zu erklären sind. Daraus ergibt sich, dass eine Übertragung von Methoden zur Methylierungsanalyse von einem auf ein anderes Labor durchaus möglich ist, jedoch die systematische Abweichung der Messungen berücksichtigt werden muss und die Referenzdaten der Modelle zur Altersschätzung dementsprechend angepasst werden müssen [
23].
Bei der Pyrosequenzierung ergaben die ICC-Werte dagegen keine deutlichen Hinweise auf systematische Abweichungen der Messergebnisse zwischen den Laboren. Auch die Werte der Altersschätzung wiesen keine systematischen Abweichungen auf, die bei der Übertragung eines Schätzmodells auf andere Laborbedingungen zu berücksichtigen wären. Die Übereinstimmung der Messergebnisse der prozentualen Methylierung erwies sich als stark markerabhängig und war weniger von unterschiedlichen Reagenzien und Analyseplattformen beeinflusst. Wenn ein einheitliches Marker-Set für den deutschsprachigen Raum angestrebt wird, sollte dieser Aspekt bei der Auswahl von Markern für die forensische Altersschätzung Berücksichtigung finden. So zeigten im vorliegenden Ringversuch die Analyse-Assays für EDARADD und SST deutlich höhere Reliabilitäten und geringere Streuungen als die Assays für KLF14 und PDE4C. Hier ist jedoch zu beachten, dass KLF14 im Vergleich zu den übrigen Markern auch eine geringe altersabhängige Variabilität aufweist, sodass sich Unterschiede in den Messungen einzelner Labore stärker im ICC niederschlagen.
Es ist nicht überraschend, dass Labore mit weniger Erfahrung in der DNA-Methylierungsanalyse bzw. der spezifischen Sequenziermethoden eher technische Probleme berichteten als Labore mit mehr Erfahrung. Unklar bleibt noch, welche Auswirkungen der unterschiedliche Erfahrungsstand der einzelnen Labore auf die beobachteten systematischen Abweichungen hat. Dies sollte Gegenstand eines weiteren Ringversuchs der Arbeitsgemeinschaft „Molekulare Altersschätzung“ werden. Dadurch kann sich zeigen, ob neben dem bis dahin fortgeschrittenen Erfahrungsstand aller teilnehmenden Labore beispielsweise eine höhere Standardisierung des Probenmaterials durch Versendung bereits extrahierter Proben sowie Verwendung einer Konvertierungskontrolle für die Bisulfitbehandlung zu einer verbesserten absoluten Übereinstimmung von Messwerten zwischen Laboren führt.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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