Von der Entzündung über die Neoplasie bis zum Karzinom

Hauterkrankungen im Genitalbereich können viele Ursachen und zum Teil schwerwiegende Folgen haben. Bei der digitalen FOBI 2020 berichtete Helmut Schöfer, Frankfurt, von entzündlichen Erkrankungen, Präkanzerosen und Tumorerkrankungen. „Die Krankheiten des äußeren Genitales gehören definitiv zum Fachgebiet der Dermatologie“, betonte Prof. Helmut Schöfer vom Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt bei der diesjährigen FOBI digital in München. Andererseits bedürfe es der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Gynäkologen und Urologen. Entzündliche Dermatosen Zu den entzündlichen genitalen Dermatosen gehören u. a. Lichen planus, Lichen sclerosus, verschiedene Dermatitiden, Psoriasis inversa, Haut- und Schleimhautinfektionen, Arzneimittelreaktionen, bullöse Autoimmundermatosen und Acne inversa. 90% aller Patienten klagen über Juckreiz und Brennen. Zudem besteht eine starke Irritierbarkeit des äußeren Genitales durch Externa und Pflegemittel oder eng anliegende Kleidung. Wegen des häufig sehr unspezifischen Lokalbefundes, so Schöfer, sei die komplette Inspektion des Patienten sinnvoll. Lichen planus: Von einer spanischen Arbeitsgruppe wurde das Verteilungsmuster der Lichen-planus-Läsionen bei 274 Patienten untersucht: Bei 48% bestand ein kutaner, bei 54% ein oraler und bei 15% ein genitaler Lichen planus. Die Hautveränderungen können isoliert, aber auch in Kombination auftreten. Am Beispiel einer 47-jährigen Frau stellte Schöfer die topische Behandlung bei einem singulären Lichen planus genitalis vor. Hier kam es mit topischem Clobetasol 0,05%, einmal täglich, nach sechs Wochen zur kompletten Abheilung. In einer türkischen Studie wurde Clobetasol mit Tacrolimus-Creme 0,1% über zwölf Wochen verglichen. Zwar verbesserten sich in beiden Gruppen Juckreiz und Verfärbungen, eine komplette Remission war aber wesentlich häufiger unter Clobetasol aufgetreten. Am Beispiel einer 61-jährigen Patientin erklärte Schöfer die klinisch häufigste Form des Lichen planus im Genitalbereich: Schon seit Monaten bestanden schmerzhafte, stark juckende und brennende symmetrische Erytheme, die zu Erosionen führten und gelegentlich bluteten. Zudem waren eine Depigmentierung mit leicht hyperpigmentiertem Rand und eine Rhagade in der Dammregion erkennbar. Die Diagnose eines Lichen planus erosivus wurde histologisch bestätigt. Ein weiterer Befund bei einer 19-jährigen Patientin zeigte ein hochrotes Erythem mit leicht hyperkeratotischen Rändern und starker Schmerzhaftigkeit. In solchen Fällen, so Schöfer, müsse zum Teil auch systemisch mit Steroiden, evtl. in Kombination mit Azathioprin behandelt werden. Da bei 2–5% der Betroffenen mit länger bestehenden Prozessen ein spinozelluläres Karzinom entstehen könne, seien eine proaktive Nachbehandlung mit topischen Steroiden und sorgfältige Nachkontrolle wichtig. Anuläre Formen des Lichen planus im Genitalbereich kommen bei beiden Geschlechtern relativ häufig vor. Beim Mann kann der Lichen planus genitalis an der Glans penis und an der Vorhaut auftreten. Zu der Frage, ob die Zirkumzision vorteilhaft sei, ergab eine Studie ein rund zweifach erhöhtes Risiko für beschnittene Männer, einen Lichen planus zu entwickeln. Als mögliche Erklärung wird eine stärkere mechanische Irritation im Sinne eines Köbner-Phänomens vermutet. Lichen sclerosus: Beim Lichen sclerosus et atrophicus (Kraurosis vulvae) gibt es zwei typische Erkrankungsalter: Zum einen erkranken kleine Mädchen zwischen drei und fünf Jahren, bei denen häufig eine Spontanheilung eintritt, zum anderen ältere Frauen, meist postmenopausal. Eine mögliche Folge des Lichen sclerosus der Vulva könne der nahezu komplette Verschluss sein, sodass selbst das Urinieren nur noch eingeschränkt möglich sei, erklärte Schöfer. Außerdem bildet sich bei 4–5% der Patientinnen nach dem Lichen sclerosis ein kutanes Plattenepithelkarzinom. Als Ursache des Lichen sclerosus vermutet man eine Autoimmunerkrankung, zumal eine Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen wie der Hashimoto-Thyreoiditis und der Vitiligo besteht. Zudem wurden bei zwei Drittel der Patientinnen zirkulierende Antikörper gegen das extrazelluläre Matrixprotein-1 (ECM1) nachgewiesen. Schöfer stellte den Fall eines fünfjährigen Mädchens vor, bei dem sich der Lichen sclerosis seit etwa drei Monaten durch zunehmende perigenitale und perianale Weißfärbung mit Konsistenzvermehrung abzeichnete. Auch hier bestand starker Juckreiz und gelegentlich traten schmerzhafte Rhagaden auf, aktuell in der Dammregion, die zu erheblichen Schmerzen beim Stuhlgang führten. Auch im Kindesalter, so Schöfer, würden bis zu drei Monate hochpotente Steroide wie Clobetasol- oder Mometason-Creme einmal täglich eingesetzt. Alternativ kommen Calcineurininhibitoren zum Einsatz und zuweilen ist zusätzlich eine Candida-Prophylaxe oder -Therapie erforderlich. Beim Mann tritt Lichen sclerosus seltener auf. Hier bilden sich weiße Verfärbungen der Glans mit Erythemen und rezidivierenden zum Teil hämorrhagischen, später krustenbildenden Blasen. Plasmazelluläre Entzündungen Balanitis plasmacellularis Zoon: Bei der benignen Dermatose des Penis zeigen sich einzeln stehende, leicht glänzende rötlich-braune bis lachsartig schimmernde Plaques an der Glans penis oder am inneren Präputialblatt. Die Ursache ist unbekannt. Die symptomlosen Veränderungen treten überwiegend bei unbeschnittenen Männern im mittleren bis höheren Alter auf und persistieren meist chronisch. Vor allem wenn die entzündlichen Läsionen über Monate bestünden, so Schöfer, müsse differenzialdiagnostisch eine Erythroplasie Queyrat (PIN) abgeklärt werden. Zur Therapie der plasmazellulären Balanitis wird an erster Stelle die Zirkumzision empfohlen. Laut Schöfer kann man aber auch zunächst einen mehrwöchigen Versuch mit Clindamycin-Creme unternehmen. Auch mit 2%-iger Mupirocin-Creme könne behandelt werden. Zudem gebe es Berichte zur erfolgreichen Anwendung von Calcineurininhibitoren und Kortikoidcremes sowie zu photodynamischer Therapie und Erbium:YAG-Laser. Vulvitis chronica circumscripta plasmacellularis: Das Pendant bei der Frau zur Balanitis plasmacellularis Zoon ist die Vulvitis plasmacellularis, die Schöfer am Beispiel einer 67-jährigen Patientin mit chronisch entzündlichem Befund der Labia minora mit Rötungen und Brennen sowie Auflagerungen vorstellte. Meist trete die Erkrankung nach der Menopause auf und werde evtl. durch ständige Feuchtigkeit bei bestehender Inkontinenz ähnlich wie beim Mann unterhalten. Ein wichtiges Therapieprinzip sei neben einer topischen Behandlung mit Clindamycin oder Imiquimod das Trockenhalten. Genitale Präkanzerosen Bestehen entzündliche Läsionen über längere Zeit bzw. sind diese therapieresistent, sollte eine Biopsie zum Ausschluss einer intraepithelialen Neoplasie erfolgen. Penile intraepitheliale Neoplasie (PIN, Erytrhoplasie Queyat, M. Bowen): Diese Präkanzerose birgt ein erhöhtes Risiko für ein Plattenepithelkarzinom des Penis. Die Progressionsrate zum Karzinom beträgt bei PIN III 7–8%. In einer holländischen Studie zeigte sich in unseren Breiten kürzlich eine Inzidenz von 61/100.000 Einwohner/Jahr mit einem mittleren Alter von 58 Jahren. Im letzten Jahr hat eine populationsbasierte schwedische Studie nachgewiesen, dass das höchste Risiko für eine PIN bei den entzündlichen Läsionen der Genitalschleimhaut besteht: bei Lichen planus 12%, bei chronischer Balanitis 9%, bei genitalen Warzen durch onkogene HPV-Typen 10%. Vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN): Auf dem Boden eines Lichen sclerosus oder Lichen planus etwa kann eine differenzierte VIN entstehen, während eine High-grade-squamous-VIN auf einer HPV-Infektion beruht und vor allem auf HPV 16 zurückgeführt werden kann. Beide Formen schreiten bei etwa 12% der Patienten zu Karzinomen fort, wobei die differenzierte VIN laut Schöfer etwas leichter entartet als die High-grade-squamous-VIN auf HPV-Basis. Plattenepithelkarzinome 50–60% der Plattenepithelkarzinome des Penis und der Vulva entstehen auf der Basis genitaler HPV-Infektionen durch onkogene HPV-Typen, die restlichen 40–50% über Neoplasien infolge eines Lichen planus oder Lichen sclerosus. Wie gut genitale HPV-assoziierte Karzinome durch eine Impfung verhindert werden können, hat eine aktuelle dänische Studie belegt. Vor einigen Jahren hatte man begonnen, 14-jährige Schülerinnen mit einer quadrivalenten HPV-Vakzine zu impfen. Die Impfquote lag bei 92%. Bei der Nachuntersuchung im Alter von 23 bis 25 Jahren hatten die geimpften onkogenen HPV-Typen bei diesen Frauen um 95% abgenommen. Allerdings waren bei jeder dritten Frau nach der Impfung andere onkogene HPV-Typen im Gewebe nachweisbar. Die Erweiterung des Impfspektrums um fünf zusätzliche auf jetzt neun onkogene HPV-Typen, so Schöfer, sei deshalb sehr sinnvoll gewesen. Empfehlung der Redaktion Kongressdossier FOBI 2020: Alle Highlights vom Kongress Dieses Jahr waren wir "virtuell vor Ort", denn die 27. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI) fand infolge der Corona-Pandemie komplett online statt. Unsere Highlights von der FOBI 2020 Digital finden Sie hier im Kongressdossier.

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