Mit Ultraschall heilen Tibiafrakturen nicht besser

Der ergänzende Einsatz von niedrigintensivem gepulstem Ultraschall in der Behandlung von Tibiafrakturen hat offenbar keinerlei Einfluss auf die Heilung. In der ersten größeren randomisierten Studie zum Thema wurde weder das Zusammenwachsen des Bruchs noch die Rückkehr zur ursprünglichen Funktion beschleunigt. Das LIPUS-System (Low Intensity Pulsed Ultrasound) wird vor allem in den USA häufig nach Versorgung einer Tibiafraktur mit einem Marknagel eingesetzt; auch in Deutschland sind zertifizierte Geräte verfügbar und werden entsprechend beworben. Ziel des Verfahrens ist es, durch Applikation von niedrigintensivem Ultraschall die Osteogenese und damit die Heilung zu beschleunigen; dadurch soll vor allem die Bildung von Pseudarthrosen verhindert werden. Bis zu 60 Sitzungen à 20 Minuten Die Ultraschallgeräte werden dem Patienten in der Regel mit nach Hause gegeben und sollen täglich 20 Minuten angewendet werden. Bei frischen Frakturen empfehlen die Hersteller 45 bis 60 solcher Sitzungen. Während einer Sitzung treffen nach Firmenangaben „360 Millionen mechanische Impulse mit einer Kraft von jeweils 0,03 Gramm auf die Frakturstelle“. Dadurch würden die Zellwände von Mesenchymzellen zum Schwingen gebracht, was die Zellen zur Proliferation und Differenzierung zu Osteoblasten bzw. Osteoklasten anrege. Die in Deutschland erhältlichen Geräte arbeiten ebenso wie die in den USA eingesetzten mit einer Frequenz von 1,5 MHz bei einer durchschnittlichen Leistung von 30 mW/cm2. "Nicht geeignet, die Heilung zu verbessern" Zum Nutzen der Geräte gibt es bislang nur wenig aussagekräftige Studien mit geringer Teilnehmerzahl und widersprüchlichen Ergebnissen. Die erste größere Studie mit randomisiertem multizentrischem Design wurde nun von einem Team aus Kanada im BMJ publiziert. Das Ergebnis ist ernüchternd: Laut Jason W. Busse und seinem Team ist der LIPUS als ergänzendes Verfahren nach Marknagelung einer Tibiafraktur „nicht geeignet, die funktionelle Heilung zu verbessern oder die röntgenologische Heilung zu beschleunigen“. Vergleich mit Scheinbehandlung Busse und Kollegen hatten 501 Patienten mit offener oder geschlossener Tibiafraktur für ihre Studie ausgewählt, die für eine Marknagelung infrage kamen. Nach der Op. wurden die Patienten einer von zwei Gruppen zugelost: Die eine bekam ein funktionstüchtiges Ultraschallgerät mit nach Hause, die andere erhielt ein nach außen hin identisches, aber vom Hersteller inaktiviertes System, beide Gruppen mit der Empfehlung, das Gerät jeden Tag 20 Minuten lang über der Frakturstelle anzuwenden. Über ein Jahr hinweg sollte nun der Heilungsfortschritt in festgelegten Abständen kontrolliert werden. Studie vorzeitig abgebrochen Der Gerätehersteller, der auch als Sponsor fungierte, hatte sich jedoch noch vor Studienende eine Interimsanalyse ausbedungen. Zu diesem Zeitpunkt – vier Jahre nach Beginn der Randomisierung im Oktober 2008 – war an den bis dato ausgewerteten Daten von 237 Patienten bereits absehbar, dass mit dem Ultraschall keine Verbesserung der Heilung zu erzielen war. Daraufhin ließ der Hersteller die Studie abbrechen. Busse und sein Team setzten ungeachtet dessen ihre Datensammlung bis zum geplanten Zeitpunkt, März 2013, fort. Sie kamen zu folgendem Ergebnis: Der Ultraschall hatte keinerlei Einfluss auf die Zeit bis zur röntgenologisch bestätigten Heilung. Durch das Verfahren wurde weder die Lebensqualität (gemessen im SF-36 physical component summary) noch die Funktionalität verbessert. Beim SF-36 PCS lag der Unterschied im Mittel bei 0,55 Punkten, wobei ein Unterschied von mindestens 3 bis 5 Punkten auf der 100-Punkte-Skala für einen nennenswerten Erfolg erforderlich gewesen wäre. Die Funktionalität wurde nach vier Kriterien beurteilt: die Zeit, die ein Patient benötigte, bis er wieder ohne Einschränkungen am Arbeitsplatz einsetzbar war bzw. Tätigkeiten im Haushalt verrichten konnte; die Zeit bis zur vollständigen Belastbarkeit; die Dauer, bis mindestens 80% der Funktionalität vor dem Unfall wiedererlangt war; und die Dauer bis zur uneingeschränkten Teilnahme an Freizeitaktivitäten. In allen diesen Punkten lagen die beiden Gruppen nahezu gleichauf: Die Hazard Ratios betrugen 1,11 bzw. 0,94, 0,87, 1,00 und 1,06. Gleiches galt für Subgruppenanalysen, in denen zwischen offenen und geschlossenen Brüchen differenziert wurde. Mangelhafte Compliance Durch die erzwungene frühzeitige Beendigung der Studie konnten 73 Patienten nicht über die vorgesehenen zwölf Monate nachbeobachtet werden. Ein weiteres Manko ist die geringe Compliance auf Patientenseite: Nur 45% hatten das Gerät bei mehr als 75% der erforderlichen Sitzungen eingesetzt. Auch hier war jedoch kein Unterschied zwischen den Gruppen – der tatsächlich und der nur scheinbar behandelten – erkennbar. Diese Zahlen entsprechen den Autoren zufolge jedoch der Realität: Bei Verfahren, die der Patient zu Hause anwende, müsse man immer mit einer relativ geringen Adhärenz rechnen. Die gängige Praxis, medizinische Geräte ohne hinreichende Evidenz zum allgemeinen Gebrauch zu genehmigen, stößt bei den Forschern auf Kritik. Die FDA habe das Gerät 1994 auf der Basis von Studien mit geringer Teilnehmerzahl und hohem Verzerrungsrisiko zugelassen. Wie die jetzt vorliegende Auswertung deutlich mache, könne bei der zusätzlichen Behandlung von genagelten Tibiafrakturen mit dem LIPUS von Wirksamkeit keine Rede sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Zusatz auf der Seite einer deutschen Firma, die den LIPUS vertreibt: Diese bietet „nach deutschem Gesetz keinerlei Garantie auf den Heilungserfolg an!“: Wohlweislich, denn nach § 4 des Medizinproduktegesetzes ist es „verboten, Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, wenn sie mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind“, das heißt im Klartext, wenn sie nicht das leisten, was der Hersteller verspricht.

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