Hintergrund
Das Arbeitspensum mit durchschnittlich 50–60 Stunden pro Woche, die unregelmäßigen und langen Arbeitsspannen von bis über 24 Stunden am Stück und die Konfrontation mit Extremsituationen wie Leid und Tod von Patienten*innen beeinflussen die persönliche Gesundheit von Mediziner*innen [
15,
27,
28]. Gleichzeitig gibt es eine Hürde, als Arzt oder Ärztin selbst professionelle Hilfe aufzusuchen [
20]. In der Folge sind Depression, Substanzmissbrauch und Unfällen bis zum Suizid bei Mediziner*innen nicht selten [
15,
27,
28]. Es ist bekannt, dass eine gestärkte Resilienz dem Ärztemangel durch Abwesenheit in Form von Krankheit, Berentung oder Jobwechsel entgegenwirkt. In dem beschriebenen Szenario bietet die Freizeitgestaltung eine Chance für eine frühzeitige und proaktive Selbstfürsorge [
23,
27,
30,
31,
40] und ist in entsprechenden Leitlinien hinterlegt [
9,
12].
Die Bevölkerung in Deutschland ist eine im weltweiten Vergleich gute Infrastruktur gewohnt, was sich seit Jahren auch in Form von vorderen Rankingplätzen im Global Competitiveness Index 4.0 des Weltwirtschaftsforums zeigt [
33]. Anhand von 12 Bausteinen wird dabei beurteilt, inwieweit ein Land in der Lage ist, Wohlstand zu erwirtschaften.
In der Bundesrepublik dominiert die subjektive Einschätzung, ob etwas als ländlich wahrgenommen wird, gegenüber von objektiven Merkmalen wie z. B. die Siedlungsdichte [
18,
32,
36]. Ein eingeschränktes Kulturangebot wird dabei mit dem ländlichen Leben negativ assoziiert [
41].
Inwieweit „Kultur“ im Alltag eines Menschen Raum findet, zeigt sich u. a. in der Zeitverwendungsstudie [
22]. Danach verbringen die Befragten ca. 1,30 Stunden pro Woche mit Kultur. Hierbei sind u. a. Museum und Zoobesuch oder aktives Musizieren eingeschlossen.
Der Zusammenhang zwischen Freizeitaktivtäten und deren Auswirkung auf die psychische Gesundheit ist Gegenstand einer Vielzahl von Studien für unterschiedliche Personen- und Berufsgruppen [
13]. Bei Medizinstudierenden ist die Studienlage allerdings unter Berücksichtigung des zukünftigen Tätigkeitsorts sehr gering. Wie Studierende der Humanmedizin ihre freie Zeit verbringen und welche Aktivitäten davon für die Standortwahl (ländlich oder städtisch geprägte Gebiete) von Bedeutung sein könnten, ist bisher wenig erforscht. Damit kann eine Diskussionsgrundlage geschaffen werden, um den Bedürfnissen zukünftiger Mediziner*innen, z. B. in ländlichen Gebieten, besser begegnen zu können.
Ziel dieser Studie war es daher, das Freizeitverhalten von Studierenden der Humanmedizin zu explorieren und zu identifizieren, welche Freizeitaktivitäten mit der Wahrscheinlichkeit ländlich arbeiten zu wollen assoziiert sind.
Methode
Die Zielgruppe der vorliegenden Befragung waren Medizinstudierende aus ganz Deutschland.
Studienteilnehmer und Rekrutierung
Von November 2020 bis März 2021 wurden über die Fachschaften der Humanmedizin in der Bundesrepublik Deutschland online Fragebögen an Studierende der Humanmedizin versendet. Die Fragen wurden nach Vorstudien und Erfahrungen der Autor*innen zum Thema Freizeitgestaltung von Mediziner*innen formuliert [
34,
35,
41]. Der Fragebogen durchlief einen Pilotierungsprozess nach der Concurrent-think-aloud-Methode. Daran beteiligt waren 4 Medizinstudierende, davon eine aus der Forschungsgruppe [
7]. Der so erarbeitete Fragebogen wurde nicht validiert. Der Fragebogen wurde in das Format von Survey Monkey’s für eine Onlinebefragung übertragen. Per E‑Mail wurden 38 Fachschaften zur Teilnahme angefragt und 2‑malig an die Studie mit der Bitte um Teilnahme bzw. Weiterleiten des Fragebogens erinnert. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität zu Lübeck am 12.11.20 bewilligt (Aktenzeichen 20-354) und wurde im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen Beteiligten lag ein Einverständnis vor, indem sie aktiv durch weiteres Anklicken bei der Befragung teilnahmen.
Messinstrument
Die Fragen nach 7 Freizeitbeschäftigungen waren tabellarisch unterteilt und ermöglichten mit der Beantwortung gleichzeitig eine Unterdifferenzierung. Es wurde nach der Anzahl der Treffen von Freunden, sportlicher Betätigung im Fitnessstudio oder Sportverein, Speisen im Restaurant, Besuchen von Kino, Theater, Konzert und Oper gefragt. Hierbei bezogen sich die Fragen explizit auf die typischen 3 Monaten noch vor Einschränkung durch die COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“). In der Tabelle konnte aus fünf verschiedenen Häufigkeiten ausgewählt werden. Zur Auswahl standen auf einer Likert-Skala von 1–5 gar nicht, sowie die Angaben einmal, 2‑ bis 5‑mal, 6‑ bis 10-mal, 11- bis 20-mal zur Verfügung. Hierbei wurde 11- bis 20-mal als „häufig“ gewertet und „gar nicht“ als selten.
Im nächsten Schritt wurde der Frage nachgegangen, wie viel Zeit die Befragten bereit wären, in die oben genannten Hobbies zu investieren. Dabei war auch die Bereitschaft, andere zu ihrer Freizeitaktivität zu bringen, von Interesse. Sechs Angaben auf der Likert-Skala von 1–6 waren möglich von gar keine, bis 15 min, 16–30 min, 31–45 min, 46–60 min, mehr als 60 min.
In einer zusätzlichen Frage wurde nach der Anzahl von Wochen von Reisezeit in vorlesungsfreier Zeit gefragt, mit den Antwortoptionen von 1 „gar keine“ bis 8 „mehr als 8 Wochen“. Darüber hinaus wurden soziodemografische Angaben erhoben.
Statistische Analyse
Die Datenerfassung erfolgte anonym und wurde mit dem Statistikprogramm SPSS 27.0 (SPSS Inc., IBM) bearbeitet. Eingeschlossen wurden nur eingegangene Datensätze von Studierenden ab dem 18. Lebensjahr. Es wurde anhand der sieben Items zum Freizeitverhalten und der soziodemographischen Angaben eine deskriptive Analyse durchgeführt und verschiedene Subgruppenanalysen sowie die Effektstärken dazu berechnet. Die Subgruppenanalysen wurden mittels Mann-Whitney-U-Test bzw. Kruskal-Wallis-H-Test durchgeführt. Die Effektstärken wurden mittels Determinationskoeffizient (η
2) bestimmt. Dabei bedeutet η
2 = 0,02 ein schwacher Effekt, η
2 = 0,13 ein moderater Effekt und η
2 = 0,26 ein starker Effekt [
10]. Die Berechnung von linearen Zusammenhängen zwischen der abhängigen Variable „bevorzugter Arbeitsort“ (0 = städtisch, 1 = ländlich), den soziodemografischen Variablen sowie den Variablen zum Freizeitverhalten erfolgte durch den Korrelationskoeffizient von Spearman rho. Die Prüfung auf Zusammenhänge mittels einer Korrelation ist ein gängiges Vorgehen, um die Anzahl an Variablen für anschließende Modellberechnungen zu reduzieren. Zudem wurde eine binär logistische Regression auf die abhängige Variable „bevorzugter Arbeitsort“ (0 = städtisch, 1 = ländlich) durchgeführt, um herauszufinden, welche Freizeitaktivitäten die Wahrscheinlichkeit sich ländlich niederzulassen erhöhten. Um die Güte des Modells zu überprüfen, wurde der Hosmer-Lemeshow-Test berücksichtigt [
5]. Der Begriff „signifikant“ bezeichnet bei allen durchgeführten Tests einen Unterschied auf einem zweiseitigen Niveau von
p < 0,05.
Ergebnisse
Die Einladung zur Studie weiterzuleiten waren 23 Fachschaften bereit, und so konnten die Datensätze von 1553 Studierenden der Humanmedizin erhoben werden. 61 % der Angaben wurden von zukünftigen Ärztinnen gemacht. Die Altersangaben reichten vom 18. bis 49. Lebensjahr. Die Fachsemesteranzahl erstreckte sich vom 1. bis 12. Semester.
Von den 1553 Studierenden konnten sich 327 (21 %) vorstellen einen ländlichen Arbeitsort zu wählen, 399 (26 %) machten hierzu keine Angaben und 827 (53 %) favorisierten ein städtisches Umfeld (Tab.
1).
Tab. 1
Soziodemografie der Stichprobe (n = 1553)
Geschlecht | Männlich | 346 (22,3) |
Weiblich | 943 (60,7) |
Alter (Jahren, MW [SD]; min/max) | | 24,1 (4,1); 18/49 |
Fachsemester (MW [SD]; min/max) | 6,4 (3,2); 1/12 |
Feste Partnerschaft, ja | 574 (37,0) |
Kinder, ja | 67 (4,3) |
Bevorzugter Arbeitsort | Städtisch | 827 (53,3) |
Ländlich | 327 (21,0) |
Angestrebte berufliche Position | Stationäres Setting | 634 (40,8) |
Ambulantes Setting | 560 (36,1) |
Nicht-unmittelbare ärztliche Tätigkeit, z. B. Labortätigkeit, Forschung | 81 (5,2) |
Insgesamt beteiligten sich Studierende aus 23 universitären Standorten an der Befragung. Einen Überblick der beteiligten Standorte ist in Tab.
2 dargestellt, wobei die Daten nur von den Standorten betrachtet wurden, wo 30 und mehr Studierende geantwortet hatten.
Tab. 2
Studienstandorte der befragten Studierenden: deskriptive Analyse (n = 1553)
Berlin | 369 (23,8) |
Lübeck | 235 (15,1) |
Köln | 110 (7,1) |
Bochum | 90 (5,8) |
Tübingen | 74 (4,8) |
Göttingen | 61 (3,9) |
Mainz | 46 (3,0) |
Greifswald | 40 (2,6) |
Hamburg | 40 (2,6) |
Regensburg | 40 (2,6) |
Heidelberg | 36 |
München | 33 |
Bonn | 32 |
Ulm | 30 |
Sonstige | 28 (2,0) |
Keine Angaben | 289 (18,6) |
Aktive Freizeitbetätigungen wurden häufiger durchgeführt als kulturelle wie Kino, Konzert, Theater und Opernbesuche. 42 % der Teilnehmenden sahen einmal in 3 Monaten einen Film im Kino (Tab.
3).
Tab. 3
Deskriptive Darstellung des Freizeitverhaltens der Medizinstudierenden
Wie oft waren Sie in der Oper? | 1,15 (0,43) | 1,13–1,18 |
Wie oft waren Sie im Theater? | 1,44 (0,65) | 1,40–1,48 |
Wie oft waren Sie auf einem Konzert? | 1,57 (0,67) | 1,53–1,60 |
Wie oft waren Sie im Kino? | 1,84 (0,72) | 1,80–1,87 |
Wie oft waren Sie im Restaurant? | 3,17 (0,88) | 3,12–3,22 |
Wie oft waren Sie in einem Sportverein/Fitnessstudio aktiv? | 3,54 (1,63) | 3,45–3,63 |
Wie oft waren Sie Freunde besuchen? | 4,30 (0,85) | 4,25–4,35 |
Wie viele Wochen der vorlesungsfreien Zeit haben Sie typischerweise mit Reisen verbracht?** | 3,48 (1,49) | 3,40–3,56 |
Die Zeit, die die Medizinstudierenden für das Erreichen der entsprechenden Freizeitaktivitäten investieren würden, betrug meistens 16–30 min. Die Bereitschaft für einen Opernbesuch eine längere Anfahrt (46–60 min) in Kauf zu nehmen war mit 17 % im Vergleich zu anderen Aktivitäten erhöht und für ein Treffen mit Freunden (mehr als 60 min) mit 34 % am höchsten (Tab.
4).
Tab. 4
Deskriptive Darstellung der Wegezeit in Bezug zum Freizeitverhalten der Medizinstudierenden
Jemand anderen zu seiner Freizeitaktivität zu bringen | 3,04 (1,10) | 2,98–3,10 |
Kino | 3,05 (0,98) | 2,99–3,10 |
Restaurant | 3,25 (0,95) | 3,20–3,30 |
Oper | 3,40 (1,64) | 3,31–3,49 |
Theater | 3,57 (1,36) | 3,50–3,64 |
Freunde besuchen | 4,67 (1,31) | 4,60–4,74 |
Die Bereitschaft, jemand anderen zu seiner Freizeitaktivität zu bringen war insgesamt hoch: 38 % (n = 594) der Befragten gaben an, dafür zwischen 16–30 min zu investieren. Der Anteil der Männer war im Vergleich zu den Frauen signifikant erhöht (η2 = 0,013; p < 0,001).
Es zeigten sich weitere geschlechtsspezifische Unterschiede. Männer gaben signifikant häufiger an, ins Kino (η2 = 0,004; p = 0,017), Restaurant (η2 = 0,01; p = 0,002) und Fitnessstudio (η2 = 0,003; p = 0,040) zu gehen als Frauen. Männer waren signifikant eher bereit mehr Zeit zu investieren, um ein Restaurant zu erreichen (η2 = 0,003; p = 0,028).
Bei den Altersgruppen stellten sich Unterschiede bei der Häufigkeit der Freizeitgestaltung dar. Es wurden zwei Altersgruppen aufgrund des Medians gebildet: 18–23 Jahre und 24–49 Jahre. Es zeigte sich, dass die Gruppe der 24- bis 49-Jährigen signifikant eher ins Restaurant (η2 = 0,01; p = 0,007) und auf ein Konzert (η2 = 0,01; p = 0,009) gingen.
Die Teilnehmenden, die eher einen städtischen Arbeitsortes bevorzugen, waren signifikant häufiger im Kino (η2 = 0,02; p < 0,001), im Theater (η2 = 0,01; p = 0,003), in der Oper (η2 = 0,004; p = 0,026), im Restaurant (η2 = 0,02; p < 0,001) und besuchten Freunde (η2 = 0,01; p = 0,011).
Unter Berücksichtigung des Studienstandorts zeigten sich signifikante Unterschiede im Hinblick auf die Häufigkeit ins Theater (p < 0,001) und ins Restaurant (p < 0,001) zu gehen.
In der binär logistischen Regression wurden 5 Faktoren mit einem Nagelkerkes‑R
2 von 0,21 (Hosmer-Lemeshow-Test
p = 0,96) eingeschlossen. Insgesamt bestand eine Assoziation von einem geringer ausgeprägten Freizeitverhalten bezüglich Kino- oder Restaurantbesuche (OR 0,691 und OR 0,783) sowie geringere Reiseaktivitäten (OR 0,812) im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit ländlich arbeiten zu wollen. Die Wahrscheinlichkeit ländlich arbeiten zu wollen, war um das 5‑Fache erhöht, wenn als Tätigkeitsbereich das ambulante Setting (OR 5,04) gewählt wurde. Weitere Details sind aus der Tab.
5 zu entnehmen.
Tab. 5
Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ländlich arbeiten zu möchten – Ergebnisse aus der schrittweisen binär logistischen Regression
Wie oft waren Sie im Kino? | −0,370 | 0,691 (0,553; 0,863) | 0,001 |
Wie oft waren Sie im Restaurant? | −0,244 | 0,783 (0,656; 0,935) | 0,007 |
Wie viele Wochen der vorlesungsfreien Zeit haben Sie typischerweise mit Reisen verbracht? | −0,208 | 0,812 (0,731; 0,902) | < 0,001 |
Wie viel Zeit sind Sie grundsätzlich bereit zu investieren, um ins Restaurant zu kommen? | −0,169 | 0,844 (0,721; 0,989) | 0,035 |
Tätigkeitsbereich: ambulante Setting | 1617 | 5036 (3735; 6792) | < 0,001 |
Diskussion
In der vorliegenden Arbeit wurde das Freizeitverhalten von angehenden Mediziner*innen untersucht, da dieses bei der Wahl des Ortes des späteren Praktizierens mitentscheidend ist [
37] und zur Arbeitskrafterhaltung dient. Von den im Mittel 24 Jahre alten 1553 Teilnehmenden waren 61 % weiblich. Diese Daten passen gut zu denen des Berufsmonitorings aus dem Jahr 2018. Sie waren mit 25 Jahren ähnlich alt und zu 66 % Frauen [
17].
In einer Befragung mit Ärzten*innen in Weiterbildung für Allgemeinmedizin aus dem Jahr 2010 waren diese bereit, Transportwege von ca. 10 min zum Kindergarten, Schule, Einkauf auf sich zu nehmen und für Kulturveranstaltungen mehrheitlich eine Anreise von 60 min zu akzeptieren [
34].
Eine Studie aus Norwegen aus dem Jahr 2016 legte im Vergleich zu der hier vorliegenden Studie andere Ergebnisse vor. Im Vergleich fand eine deutlich häufigere Teilhabe im Freizeitsektor Kultur statt [
26]. Die Befragten waren in dieser Studie älter. Das Freizeitverhalten verändert sich im Lebensverlauf und je nach Lebensereignis und -umstände [
6,
16]. Es stellt damit eine Momentaufnahme dar, wie auch die Daten unserer Befragung der Studierenden der Humanmedizin. Es zeigt sich in den Ergebnissen unserer Erhebung, dass Freunde besuchen und die Nutzung von Sportangeboten eine hohe Präferenz haben. Zu ähnlichen Aussagen kommen auch andere Studien mit Studierenden [
1,
3]. Im Vergleich mit älteren Personengruppen verlagern sich dann wiederum die Präferenzen [
16].
Im Hinblick auf den Studienort, könnte vermutet werden, dass wenn man in einer Großstadt studiert hat, der Schritt hin zu einem geringen Kulturangebot schwerfallen könnte. Herausgearbeitet wurde bisher, dass der Wunsch hierfür besteht, selbst wenn es nicht angenommen würde [
41]. Dieses Argument wird auch von einer aktuellen Studie aus dem Institut für Kulturelle Teilhabeforschung in Berlin aus dem Jahr 2023 [
2] unterstützt. Es wurde selbst in der Metropole Berlin ein Rückgang an Besuchen von klassischen Kulturangeboten in allen Altersklassen über die letzten 5 Jahre festgestellt. Allerdings sollten auch zukünftige Studien die örtliche Herkunft der Studierenden und deren präferierte Freizeitaktivitäten mit in den Fokus nehmen. Der Studienort scheint weniger geeignet dafür zu sein, da z. B. Studierende der Humanmedizin in der Regel auf die jeweiligen universitären Standorte verteilt werden.
Des Weiteren zeigen unsere Ergebnisse, dass v. a. diejenigen, die ländlich tätig sein möchten, eher eine Tätigkeit im ambulanten Setting bevorzugen, was häufig mit dem Fachgebiet „Allgemeinmedizin“ einhergeht. Dabei scheint weniger von Interesse zu sein, ins Kino oder Restaurant gehen zu können. Zukünftige Studien könnten daher überprüfen, ob die Aussage, dass man nicht ländlich praktizieren möchte, da das kulturelle Angebot fehlen würde, nicht eher dadurch bedingt sei, dass die Aus- und Weiterbildung nicht breit genug ausgelegt war, um sich eine Tätigkeit im ländlichen Raum zuzutrauen [
41]. Um als Arzt und insbesondere als Hausarzt in ländlichen Gebieten zu bestehen bzw. zu praktizieren, ist eine breite Qualifikation notwendig. Die Aufgaben sind so divers, dass sie erforscht wurden [
14]. In einer Studie, die die Häufigkeit von Hausbesuchen und Prozeduren in Bezug auf die Facharztqualifikation von hausärztlichen Internist*innen und Allgemeinmediziner*innen erfragte, stellten sich hier wesentliche Unterschiede heraus. Dabei zeigte sich, dass Hausbesuche [
38], Früherkennungsmaßnahmen und kleinere chirurgische Eingriffe [
39] häufiger von Allgemeinmediziner*innen durchgeführt werden. Als Grund wurden unterschiedlich gestaltete Weiterbildungen, die bei Internist*innen größtenteils in der Klinik und organzentriert oder für Allgemeinärzt*innen in diversen Abteilungen sowohl in der Klinik als auch in der Praxis, patientenzentriert erworben wurden, angeführt [
39].
Als zweithäufigste Freizeitbeschäftigung sticht in unserer Befragung der Medizinstudierenden der gemeinsame Restaurantbesuch hervor. Er findet häufig statt und es wird relativ viel Zeit investiert, um an den verabredeten Ort zu gelangen. Ländliche Regionen könnten aus unseren Ergebnissen ableiten, dass ihre Attraktivität nicht unbedingt in Kulturstätten, sondern u. a. in der Gastronomie bestehen könnte.
In der vorliegenden Befragung gaben 37 % der Teilnehmenden an, in einer festen Beziehung zu leben. Familienanbindung und Kontakt zur Heimat ist ein Bestandteil bei der Karriereplanung und mitentscheidend bei der Festlegung des Ortes, an dem nach dem Studium bzw. nach der Weiterbildung praktiziert werden möchte [
11,
35,
41]. Die Bedürfnisse der Ärzt*innen orientiert sich nach deren Familie und dementsprechend nach der Infrastruktur in Form von z. B. Kindergarten und Schulen [
19,
25,
42]. Die Orte des täglichen Lebens sollten für alle Familienmitglieder möglichst eigenständig zu erreichen sein. Dies erfordert eine entsprechende Infrastruktur in Bezug auf die Mobilität. Im Kontext sind die Bedürfnisse der Partner*innen in Bezug auf deren Wirkungskreis bzw. Arbeitsplatz zu berücksichtigen [
4,
41]. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit privaten Interessen ist der nachrückenden Generation besonders wichtig [
21,
24]. In zukünftigen Arbeiten sollte adressiert werden, ob und inwieweit die Partner*innen Unterstützung zur weiteren Berufsausübung benötigen. Dazu wäre interessant, in welchen Bereichen diese tätig sind.
Die Bereitschaft jemanden anderen zu seiner Freizeitaktivität zu bringen, besteht nach den vorliegenden Daten bei 94 % der Befragten. Nach Studienlage ist v. a. in ländlichen Gebieten das favorisierte Transportmittel noch das eigene Auto, gefolgt von Transporten mit guten Bekannten oder Familienmitgliedern. So zeigte sich in einer anderen Studie, welche Arztbesuche im ländlichen Raum beleuchtete, dass sich weniger gut vorgestellt werden kann, mit Fremden in einem sog. Kotransport die Wegstrecke zum Arzt zurückzulegen. Öffentliche Verkehrsmittel werden im ländlichen Raum kaum benutzt [
29].
Eine gute Infrastruktur ist für die Alltagsbewältigung der Mediziner*innen und deren Familien essentiell [
8]. Es ist zukünftig zu erheben, wie sich eine Generation, die im Bewusstsein der Klimakrise aufwächst, zur eigenen Mobilität besonders im ländlichen Raum positionieren wird.
Stärken und Limitation der Arbeit
Es ist die erste große überregionale Studie, die einen Einblick in das Freizeitverhalten mit dem Schwerpunkt auf Kulturangebote der zukünftigen Ärztegeneration in Deutschland gibt. Um einen Überblick zu erhalten, wurden sowohl allgemeine und häufige Hobbies gewählt, als auch besondere, hauptsächlich in größeren Städten vorkommende. Die Ergänzung um die Erfassung der psychischen Gesundheit sollte bei zukünftigen Studien berücksichtigt werden.
Alle erfragten Auswahlmöglichkeiten (bis auf möglicherweise „Freunde treffen“) sind mit Kosten verbunden. Im Rahmen der Studie wurde nicht erfragt, wieviel das Budget eines Studierenden tatsächlich für Freizeitaktivitäten zur Verfügung steht und ob das ein Hinderungsgrund von Teilhabe an z. B. Theater, Oper oder Konzert war.
Die Studie wurde zu einem Zeitpunkt mit deutlichen Einschränkungen der Freizeitgestaltung durch die COVID-19-Pandemie versendet. Obwohl im Fragebogen explizit nach typischen 3 Monaten vor eben diesen Bedingungen gefragt wurde, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Verzerrungen durch Recall-Bias entstanden sein könnten. Unter den Teilnehmenden an der Befragung waren durch Folgen der Pandemie 297 Erst- bzw. Drittsemester, die möglicherweise noch kein allgemein studentisches Leben erlebt hatten.
Themen wie Gaming und Beschäftigung mit digitalen sozialen Netzwerken wurden nicht erfragt. Diese Felder sollten zukünftige Studien für ein umfassenderes Bild mit abdecken.
Auch der Zweig der musischen Aktivitäten könnte intensiver beleuchtet werden, zumal ihr ortsunabhängig nachgegangen werden kann. Die Frage nach sportlichen Aktivitäten könnte erweitert werden (z. B. Joggen, Reiten, Bergsportarten, Wassersportarten). Schließlich sollten zukünftige Studien berücksichtigen, ob und welche Freizeitangebote die Standortwahl beeinflussen.
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