Neue Erkenntnisse zur frühen Phase der MS Pathologie

Die progrediente Pathologie der Multiplen Sklerose (MS) beginnt früh, wenn sie auch erst später zutage tritt. Graue und weiße Substanz sind wahrscheinlich gleichermaßen involviert. Irgendwann ist der Prozess nicht mehr auf Immunzellen aus der Peripherie angewiesen. In der frühen Phase der MS wird die progrediente Pathologie wahrscheinlich primär durch die schubförmige Pathologie angetrieben. Die Schubaktivität geht vor allem von den aktiven Herden der weißen Substanz aus und wird durch Immunzellen, die aus der Peripherie einwandern, hervorgerufen. Einige dieser aktiven MS-Läsionen wandeln sich in chronisch aktive Herde um, erläuterte Prof. Dr. Martin Kerschensteiner, Direktor des Instituts für Neuroimmunologie des Klinikums der Universität München. Sie nehmen kein Gadolinium auf und werden aufgrund des paramagnetischen Randes als Rim-Läsionen bezeichnet. Die Entzündung findet in diesen Herden vor allem randbetont statt und es scheint so, als benötige die Entzündung kein weiteres Einwandern von peripheren Entzündungszellen mehr. Die Anzahl dieser chronisch aktiven Läsionen korreliert klinisch mit Aspekten der Progression. Auch Herde im Kortex prognostisch relevant Aber auch Herde in der grauen Substanz spielen eine Rolle für die Progression. So lässt sich anhand der Anzahl der kortikalen Läsionen bei Diagnose einer schubförmig remittierenden MS (RRMS) die Wahrscheinlichkeit einer sekundär progredienten MS (SPMS) im Verlauf der nächsten Jahre abschätzen. Herde der grauen Substanz geben auch Aufschluss über das Krankheitsstadium. 30 Jahre nach einem ersten klinisch isolierten Syndrom (CIS) trennt die Zahl der kortikalen Läsionen klar die Patienten mit SPMS von denen mit RRMS oder fortbestehendem CIS. „Wahrscheinlich haben wir also zwei Lokalisation der progredienten Pathologie“, resümierte Kerschensteiner. Wahrscheinlich gibt es dabei keine Hierarchie – es gibt Subgruppen von Patienten bei denen Läsionen in der weißen Substanz primär dominieren, aber auch solche, bei denen Herde in der grauen Substanz zuerst und am häufigsten entstehen. Möglicherweise spiegelt das unterschiedliche genetische Prädisposition wieder. Fresszellen aktiv in der weißen wie grauen Substanz Pathophysiologisch zeigen die Läsionen in der weißen und der grauen Substanz Ähnlichkeiten. Bei beiden lässt sich eine Demyelinisierung beobachten. In der weißen Substanz kommt es in den chronisch aktiven Läsionen zur Zerstörung von Axonen, in der grauen Substanz zur Destruktion der Synapsen. Verantwortlich gemacht für die axonale Schädigung in der weißen Substanz werden Phagozyten (aus der Peripherie eingewanderte Makrophagen oder Mikroglia-Zellen aus dem ZNS). Experimentell sind solche Phagozyten auch in der Lage, Synapsen zu zerstören, sodass Kerschensteiner davon ausgeht, dass sie auch in der grauen Substanz eine wichtige Rolle für die Pathologie spielen. Die Signale für die Aktivierung der Fresszellen kommen vor allem von Zellen des adaptiven Immunsystem (T- und B-Zellen). Auch das gilt wahrscheinlich sowohl für Läsionen in der weißen wie der grauen Substanz. Diese Zellen müssen im Verlauf der Progression nicht mehr aus der Peripherie einwandern. Sie haben sich dauerhaft im ZNS eingenistet, meinte Kerschensteiner. Empfehlung der Redaktion DGN 2021 – das Kongressdossier Eine vielversprechende kausale Therapieoption bei Parkinson, häufige Kritikpunkte zur neuen S2K-Leitlinie zur Multiplen Sklerose oder Empfehlungen zur Beratung von Patient*innen mit Bewegungsstörungen – zu diesen und weiteren Themen lesen Sie in unserem Dossier zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. basierend auf: Symposium: „Multiples Sklerose“; Virtueller DGN-Kongress 2021 vom 3. bis 6. November 2021, Symposium, www.dgnvirtualmeeting.org

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