Geburtseinleitung nach Evidenz oder Label?

Zur Geburtseinleitung wird vielfach orales Misoprostol eingesetzt. Das Medikament ist aber für diese Indikation nicht zugelassen. Andere Optionen sind Dinopreston oder Ballonkatheter und das seit kurzem zugelassene Misoprostol-Vaginalinsert, über das beim DGGG 2016 in Stuttgart ausgesprochen kontrovers diskutiert wurde. „Jede vierte bis fünfte Geburt in Deutschland wird eingeleitet“, erklärte Priv.-Doz. Dr. Sven Kehl von der Frauenklinik der Universität Erlangen [1]. Evidenzbasierte Verfahren sind die orale Gabe von Misoprostol (MO, Cyrtotec®) oder der Ballonkatheter. Nach einer multizentrischen Kohortenstudie war die sequenzielle Kombination beider Methoden mit signifikant weniger Kaiserschnitten als eine Einleitung mit oralem Misprostol alleine assoziiert (17,3 vs. 26,1 Prozent; p = 0,0214). Das galt unabhängig von der Parität (24,2 vs. 37,2 Prozent bei Erstgebärenden; 7 vs. 9,1 Prozent bei Mehrgebärenden). Auch das Einleitungs-Geburt-Intervall war unabhängig von der Parität bei sequenzieller Kombination – zuerst Katheter, dann Misoprostol – um im Mittel 342 Minuten kürzer, die Rate vaginaler Geburten innerhalb von 24 Stunden (64,7 vs. 51,9 Prozent, p = 0,0032) und von 48 Stunden (95,8 vs. 87,4 Prozent, p = 0,0020) signifikant höher. Kehl wies darauf hin, dass er gute Erfahrungen damit gemacht habe, den Ballonkatheter abends einzulegen und über Nacht liegen zu lassen. Wenn nach dem Ziehen am Morgen die Geburt nicht in Gang komme, könne die orale Misoprostol-Gabe erfolgen. Der Ballonkatheter wird in Deutschland zur Geburtseinleitung allerdings bislang relativ selten eingesetzt. Nach einer deutschlandweiten Befragung im Mai und Juli 2013, an der sich 69 Prozent der 738 angeschriebenen geburtshilflichen Kliniken beteiligten, setzen mehr als zwei Drittel bei reifer Zervix nie einen Ballonkatheter ein. In Norwegen geben dagegen 80 Prozent aller Kliniken an, den Ballonkatheter zu verwenden [2]. Am häufigsten verwendeten die deutschen Geburtshelfer 2013 orales Misoprostol – trotz der nicht vorhandenen Zulassung. Inzwischen wurde ein Vaginal-Insert mit Misoprostol (Misodel®, MVI) zugelassen. Ergebnisse einer deutschen Kohortenstudie zeigen eine vergleichbare Einleitungsdauer wie bei oralem Misoprostol (823 vs. 847 Minuten für MO) und eine Überlegenheit gegenüber einem Vaginal-Insert mit dem Prostaglandin E2 Dinoproston (DVI, Propess®, 1.226 Minuten, p = 0,006). Eine vaginale Entbindung innerhalb von 24 Stunden kam bei MVI bei 85,5 Prozent der Frauen zustande, bei MO bei 87,5 Prozent und bei DVI bei 64%. Oxytocin zur Wehenaugmentation musste in der MVI-Gruppe nur bei 8,2 Prozent der Frauen eingesetzt werden, bei MO war das bei 24,3 Prozent und bei DVI bei 36 Prozent der Frauen erforderlich. Allerdings waren uterine Polysystolien bei dem MVI mit 20 Prozent signifikant häufiger als bei MO (1,4 Prozent, p < 0,001) und DVI (4,7 Prozent, p < 0,001). Das korrespondierte mit einer erhöhten Rate von CTG-Komplikationen (51,8 bzw. 27 bzw. 28,1 Prozent in den drei Gruppen), aber nicht mit einer statistisch signifikant häufigeren Notwendigkeit sekundärer Kaiserschnitte (24,5 Prozent bei MVI-, 18,9 Prozent bei MO- und 26,6 Prozent bei DVI-Einsatz) oder einer erhöhten perinatalen Mortalität, wie Dr. Sven Seeger von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Halle betonte [3]. Vorangegangene Studien hatten durchaus auf eine höhere Sektiorate bei dem MVI hingewiesen, was Prof. Dr. Wolfgang Henrich in der Diskussion auf eine zu hohe Misoprostoldosis im Präparat zurückführte. Er sagte: „Ich habe den Eindruck, es ist wirklich nur der medikolegale Druck, der verhindert, dass das orale Misoprostol das Einleitungspräparat Nummer 1 ist.“ Dabei gebe es in andere Fällen durchaus die Rechtsprechung, dass ein nicht zugelassenes Präparat, das wissenschaftlich belegbar besser oder nebenwirkungsärmer ist als ein zugelassenes, auch eingesetzt werden müsse. Sein Standpunkt: „Wenn wir das nicht einsetzen, ist das ein Behandlungsfehler!“ Von der DGGG wurde in der Diskussion ein positives Statement zur Geburtseinleitung mit Misoprostol mit klaren Indikationen und Kontraindikationen gefordert, wie es die schweizerische Fachgesellschaft getan habe [4]. Prof. Dr. Maritta Kühnert aus Marburg, Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin im Vorstand der DGGG, warb um Verständnis dafür, dass die DGGG bei fehlender Zulassung nicht mehr tun könne, als auf die individuelle Therapiefreiheit des Arztes und die Notwendigkeit der Information der Patientin über das Off-label-Problem und die entsprechende Aufklärung über eventuelle Konsequenzen hinzuweisen. Quellen [1] Kehl S et al. DGGG 2016, FV050 [2] Voigt F et al. DGGG 2016, P554 [3] Seeger S et al. DGGG 2016, FV051 [4] SGGG. Expertenbrief Nr. 38 Misoprostol zur Geburtseinleitung vom 1. Juni 2011

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