Screening 2018 – mehr als nur PSA
Im Jahr 2018 sollte nicht weiter über den Sinn eines PSA-Screenings im bevölkerungsweiten Umfang diskutiert werden, da erneute Studien dazu mit Sicherheit nicht mehr durchgeführt werden. Vielmehr stellt sich für den informierten Patienten im täglichen Alltag die Frage, ob ihm eine individuelle Vorsorge inklusive PSA-Test einen persönlichen Vorteil bietet. Je nach Höhe des Basis-PSA-Werts, gemessen im Alter von 40 bis 45 Jahren, werden mittlerweile PSA-Testintervalle zwischen 1 und 10 Jahren empfohlen [
3,
4]. Die in Deutschland von den Krankenkassen erstattete Vorsorge mittels digital-rektaler Untersuchung aus dem Jahr 1974 ist bei geringen PSA-Werten bis 2 µg/l eher von geringer Bedeutung [
5,
6]. Von 12 Patienten mit Prostatatumoren werden derzeit 11 Fälle durch PSA und nur 1 Fall durch die rektale Untersuchung entdeckt. Die Kritik der Autoren, von denen leider keiner urologisch oder onkologisch tätig ist, bezieht sich auf falsch-positive Testergebnisse der Gesamt-PSA-Bestimmung. Die Autoren lassen dabei vollkommen unerwähnt, dass es bereits seit mehreren Jahren mit der Messung von PSA-Subformen (freies PSA [fPSA] und proPSA) und dem sog. Prostate-Health-Index PHI (−2proPSA/fPSA × √PSA; [
7]) sowie der Möglichkeit einer multiparametrischen Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata und der MRT/Ultraschall-Fusionsbiopsie [
8] deutliche diagnostische Verbesserungen gibt. Gängige Praxis ist es inzwischen, diese neuen Erkenntnisse stufenweise im Patientenmanagement einzusetzen und zeitliche Entwicklungen zu beurteilen, bevor Biopsien vorgenommen werden. Bisher bieten jedoch Biopsien die einzige Möglichkeit, zwischen aggressiven, behandlungsnotwendigen Tumoren und nichtaggressiven, indolenten Tumoren zu entscheiden.
Prostatakarzinom und Sterblichkeit
Das Risiko, am Prostatakarzinom (PCa) zu versterben, ist stark vom Basis-PSA im Alter von 45–55 Jahren abhängig, da 44 % aller PCa-Todesfälle in der Perzentilengruppe mit den höchsten PSA-Werten auftreten [
9]. Unterhalb des jeweiligen Medians beträgt das 15-Jahres-Risiko am PCa zu versterben nur maximal 0,28 % [
9].
Auch wenn mit und ohne PSA-Screening die Gesamtsterblichkeit nicht signifikant verändert wird, da ohnehin nur etwa 3 % aller Todesfälle auf das PCa entfallen, sollte der informierte Patient wissen, dass das PCa die häufigste maligne Erkrankung in der westlichen Welt und in Deutschland ist. Wie von Keller et al. gefordert, bieten die absoluten Angaben von über 70.000 PCa-Neuerkrankungen und von ca. 11.000–12.000 Todesfällen pro Jahr (Robert Koch-Institut) für den Patienten eine aufschlussreichere Information als die alleinige Angabe, dass es wahrscheinlicher ist, mit einem PCa statt an solchem zu versterben. Die Aussage, dass die Mehrzahl der Prostatatumore langsam oder nicht wächst und damit klinisch irrelevant ist, sollte mit der Angabe verknüpft werden, dass etwa jeder 6. Krebspatient auch an seinem PCa verstirbt. Deshalb ist die Kenntnis der Gesamtmortalität zwar sinnvoll, deren Senkung sollte aber kein Kriterium für die Güte eines Testverfahrens sein.
Wenn mit dem PSA-Screening 3 von 1000 und ohne Screening 4 von 1000 Männern am PCa sterben, so bezieht sich diese Rechnung mit den ERSPC-Daten („European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer“) erneut auf die kaum veränderte Gesamtmortalität. Interessant ist eine Reanalyse dieser Daten unter Berücksichtigung längerer Nachbeobachtungen [
10]. Während nach 9 Jahren noch 1410 Männer gescreent und 48 behandelt werden müssen, um einen Todesfall am PCa zu vermeiden, so verringert sich die Anzahl der notwendig PSA-gescreenten Männer nach 10 und 12 Jahren bereits auf 837 und 503 Fälle, während die Anzahl der behandelten Patienten sogar auf 28 und 18 zurückgeht, um einen Todesfall zu vermeiden [
10].
Cochrane-Übersichtsarbeit mit Schwächen
Ausführlich stellen die Autoren die Daten einer Cochrane-Metaanalyse von 2013 dar [
11]. Auch wenn Cochrane-Übersichtsarbeiten die beste medizinische Evidenz darstellen, sind Detailkenntnisse zu dieser Zusammenfassung sehr hilfreich. Es handelt sich um eine Metaanalyse von 5 teils sehr verschiedenen Screeningstudien mit insgesamt 341.351 Probanden. Die Analyse wurde 2010 erstellt und 2013 aktualisiert [
11]. Während eine Studie nur etwa 0,4 % aller Teilnehmer repräsentierte und bei deren Beginn noch kein PSA gemessen wurde, unterzogen sich in einer anderen Studie weniger als jeder Vierte der eingeladenen Teilnehmer tatsächlich dem PSA-Test [
11]. Es ist bekannt, dass diese Metaanalyse einen sehr hohen Grad der Inkonsistenz ausweist [
12]. Die mehrfache Wiederholung von Fehlern korrigiert diese Fehler natürlich nicht [
13].
Für eine realistische Beurteilung der krebsspezifischen Sterblichkeit sollte man daher besser die Datenlage der ERSPC-Studie mit einer 21 %igen Reduktion heranziehen [
14]. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Teilnahme in der Screeninggruppe und der sog. PSA-Kontamination von maximal 15 % (PSA-Tests in der Kontrollgruppe) wurde eine Reduktion von 31 % berechnet [
15]. Unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wird sogar von einer möglichen Mortalitätsreduktion um 50 % bis sogar 80 % ausgegangen [
16]. Andere aktuelle Reanalysen, selbst die wenig aussagefähige PLCO-Studie („Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian“) mit einer 85 %igen PSA-Kontamination, belegen mittlerweile eine Mortalitätsreduktion [
17]. Daraufhin haben auch einige Organisationen, die sich bisher gegen das PSA-Screening ausgesprochen haben, den Einsatz des PSA-Tests empfohlen (ausführlich zitiert in [
2]). In der Altersgruppe der 55- bis 69-jährigen Männer überwiegt der Vorteil eines PSA-Tests.
Moderne Therapien mit weniger Nebenwirkungen
Die Kritik an der Überbehandlung ist berechtigt, aber die zunehmende Option der aktiven Überwachung von nichtbehandlungsbedürftigen Tumoren wurde leider nicht erwähnt. Die angeblich hohe Anzahl an Überbehandlungen steht andererseits im Widerspruch zu der Tatsache, dass im Verlauf nach Prostataoperation ein nicht unerheblicher Teil der Patienten ein Rezidiv aufweist. Damit kann von einer verspäteten Therapie ausgegangen werden. Mit modernen Therapiemöglichkeiten wie der roboterassistierten Operation (mittels dem daVinci-System), modernen Bestrahlungsverfahren und anderen Verfahren haben viele PCa-Patienten eine gute Chance, die immer wieder aufgeführten Nebenwirkungen wie Impotenz oder Inkontinenz weitgehend zu vermeiden.
Keller et al. verlieren in ihrem Artikel ihre Argumentationslinie durch die Behauptung, dass das PSA-Screening für Nebenwirkungen der Chirurgie, aber auch der Chemotherapie und Strahlentherapie verantwortlich zu machen ist. Dem urologischen Laien mag diese Argumentation schlüssig vorkommen. Fakt ist jedoch, dass eine Chemotherapie und die Mehrzahl der Strahlentherapien beim PCa bei fortgeschrittenen Tumoren angewendet werden, also bei den Männern, denen wahrscheinlich durch eine stringente PSA-basierte Vorsorge ein solches Schicksal erspart geblieben wäre.
Weiterhin fokussiert sich die Argumentation der „PSA-Gegner“ ausschließlich auf den Endpunkt des PCa-spezifischen Überlebens. Unberücksichtigt bleibt jedoch, dass jeder Patient, der an einem Prostatakrebs verstirbt, meist mehrere Jahre vorher Metastasen entwickelt und mehrere palliative Therapien wie Hormon- und Chemotherapie durchgemacht hat. Verstirbt ein PCa-Patient nach jahrelanger Krankheit schließlich an einem Herzinfarkt oder ist zum Zeitpunkt einer Zwischenanalyse noch am Leben, so lautet die statistisch richtige Interpretation: nicht am Prostatakarzinom verstorben. Der Patient hätte somit nicht von einer Früherkennung profitiert. Mit der Frage, wie zynisch und realitätsfern solche populationsbasierten, rein statistischen Betrachtungen auf die betroffenen Patienten, ihre Angehörigen und deren behandelnden Ärzte (die tatsächlich jeden Tag um das Leben und die Lebensqualität ihrer Patienten kämpfen) wirken muss, möchten wir unseren Beitrag abschließen.
Zusammenfassend sollte festgehalten werden, dass bei einem Risiko von etwa 3 % am PCa zu versterben und einer ca. 5- bis 6‑fach höheren Wahrscheinlichkeit am PCa zu erkranken, jeder Patient selbst nach Aufklärung durch seinen Arzt entscheiden soll, ob er eine entsprechende Früherkennung mit dem PSA-Test und ggf. weitere Maßnahmen (PHI, MRT, Fusionsbiopsie) möchte. Aktuell wurde hierzu im Mai 2018 die Empfehlung der US Preventive Services Task Force von Grad D (Ablehnung von PSA-Screening) auf Grad C (selektive Empfehlung für Altersgruppe 55–69 Jahre) geändert [
18]. Laut europäischer Leitlinie ist aber bereits im Alter von 40–45 Jahren ein Ausgangs-PSA-Wert sinnvoll. Man kann, unter Berücksichtigung vieler Faktoren, etwa von einer 50 %igen Mortalitätsreduktion ausgehen. Liegt eine Lebenserwartung <10 Jahre vor, sollte kein PSA mehr bestimmt werden. Neben einer deutlich verbesserten Detektion des PCa kann der Patient auch von modernen Therapieverfahren mit weniger Nebenwirkungen profitieren, falls er überhaupt eine Therapie benötigt.