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14.03.2022 | Gelenkschmerzen und Muskelschmerzen | Nachrichten

Zentrale Sensibilisierung

Dauerschmerz nach Spondylodese: Liegt das Problem im Rückenmark?

verfasst von: Dr. Elke Oberhofer

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Wenn Patienten nach einer Spondylodese oder Erhalt einer Knie-TEP scheinbar grundlos über anhaltende Schmerzen klagen, kann eine zentrale Sensibilisierung dahinterstecken. Wie man dies herausfindet und wie sich das Problem behandeln lässt, schilderte der Schmerzspezialist Dr. Kai-Uwe Kern.

Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, vermeintlich „reinen“ Muskelschmerzen oder postoperativen Schmerzen, für die keine äußere Ursache erkennbar ist, kann es sich lohnen, eine zentrale Sensibilisierung abzuklären. PD Dr. Kai-Uwe Kern, Schmerztherapeut aus Wiesbaden, berichtete von einer Patientin, die noch sechs Jahre nach Erhalt einer Knie-Endoprothese über anhaltende Schmerzen im Bereich des operierten Gelenks klagte. Mit der Prothese schien jedoch alles in Ordnung zu sein, es fanden sich keinerlei Hinweise auf eine Lockerung oder eine periprothetische Infektion.

Quantitative sensorische Testung

Kern führte bei der Patientin eine quantitative sensorische Testung (QST) durch: Dabei werden mithilfe von Testgeräten minimale Reize (z. B. in Form von Druck oder Kälte) auf die Haut ausgeübt, die normalerweise kein Schmerzempfinden hervorrufen. Anders bei der Kniepatientin: Je mehr man sich mit dem­ – in diesem Fall mit feinen Härchen bestückten – Instrument von oben oder unten kommend dem Knie näherte, desto stärker wurden die Schmerzen. Zur Überraschung der Patientin traf das auch für das kontralaterale Knie zu. Auch dieses reagierte auf die kleinen Pikser deutlich überempfindlich.

„Hier müssen wir komplett umdenken!“

In so einem Fall müsse man als Therapeut komplett umdenken, riet der Schmerzexperte. „Wir müssen den Aspekt der zentralen Sensibilisierung therapieren und nicht das Gelenk.“ Bei dem Phänomen, das z. B. auch nach einer Spondylodese mit anhaltender Muskelverspannung auftreten kann, sind Neuronen des Rückenmarks durch den dauerhaften Schmerz-Input derart sensibilisiert, dass selbst leichteste Berührungen als schmerzhaft empfunden werden. Für entsprechende Tests könne in der Praxis z. B. auch ein Zahnstocher verwendet werden, riet Kern.

Am besten behandeln lässt sich eine zentrale Sensibilisierung dem Experten zufolge mit topischen Therapien, z. B. in Form eines Schmerzpflasters oder bei Muskelschmerzen einer i.m.-Injektion. Die Idee dahinter: Der Schmerz-Input aus der ischämisch verkrampften Muskulatur wird reduziert, das Rückenmark „regt sich ab“ und fährt die ständigen Schmerzmeldungen ans Gehirn zurück. Dieses Therapiekonzept stütze sich zwar auf keine solide Datenbasis, so Kern. In der eigenen Praxis funktioniere es jedoch „mit einer so großen Trefferquote, dass ich Ihnen das weitergeben will“.

Intramuskuläre Injektionen mit Lokalanästhetikum

Ein Team aus Japan hat die Methode der intramuskulären Injektionen vor einigen Jahren bei 378 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen untersucht. Die Interventionsgruppe erhielt dabei dreimal in wöchentlichem Abstand Lidocain 1% ins schmerzhafte Segment mit einer Einstichtiefe von etwa 3 cm. Die Wirkung wurde mit der einer Scheinpunktion plus Standardtherapie sowie einer alleinigen Standardtherapie verglichen. Ergebnis: Sowohl kurzfristig als auch nach drei Monaten war die Schmerzreduktion gegenüber der Ausgangssituation in der Interventionsgruppe mit Abstand am größten.

Vor Therapiebeginn aufklären!

Der Schmerzexperte selbst verabreicht seinen Patienten allerdings Ropivacain statt Lidocain, wegen der längeren Wirkdauer. Dabei injiziert er bei einer Sitzung gleich mehrere Stellen beidseits paravertebral, und zwar jeweils 2 mg i.m. im Abstand von 5 cm. Das Ganze wird danach noch dreimal im Abstand von jeweils drei Tagen wiederholt. Kerns Tipp, um zu prüfen, ob wirklich der Muskel getroffen wurde: „Ich nehme eine sehr dünne Nadel und biege die ein bisschen, bis Spannung drauf ist. Wenn ich sie dann zurückziehe, springt sie in dem Moment gerade, in dem sie die Faszie verlässt. Wenn ich das in der Nadel nicht fühle, war ich nicht tief genug.“

Die Patienten sollte man vor Therapiebeginn darüber aufklären, dass eine Injektion nicht reicht, sich die Hyperalgesie nach dem ersten Mal sogar verschlimmern kann. Erst nach dem dritten oder vierten Mal sei mit einer deutlichen Desensibilisierung zu rechnen.

Basierend auf: Vortrag von K.-U. Kern, Ortho Trauma Update, 4./5. März 2022, Berlin/online

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