DGPPN-Präsident: Wer unbedingt sterben möchte, braucht unbedingt Hilfe!

Die Begutachtung der Freiverantwortlichkeit eines Suizidwunsches muss klar getrennt werden von der Motivation. Müsste diese seitens der Psychiaterinnen und Psychiater begutachtet werden, führte dies zu einem schweren ethischen Konflikt, sagt DGPPN-Präsident Professor Thomas Pollmächer. Professor Pollmächer, ist die Ärzteschaft die zuständige Berufsgruppe für kranke, sterbewillige Menschen? Prof. Thomas Pollmächer: Die Ärzteschaft ist für alle kranken Menschen die zuständige Berufsgruppe. Natürlich auch für sterbewillige, deren Wünsche ernst genommen und thematisiert werden müssen. Ist die Beihilfe zur Selbsttötung eines sterbewilligen kranken Menschen eine ärztliche Aufgabe? Dazu hat der Deutsche Ärztetag klar Position bezogen. Sterbehilfe im Sinne eines assistierten Suizids ist keine ärztliche Aufgabe. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) schließt sich dieser Sicht an. Nach derzeitiger berufsrechtlicher Lage kann einem Arzt zwar nicht verboten werden, eine Selbsttötung zu unterstützen. Daraus lässt sich aber keine ärztliche Aufgabe ableiten. Dies würde ja bedeuten, dass diese Tätigkeit im Kanon ärztlicher Aufgaben einen regelhaften Platz hätte und damit auch Teil der Ausbildung werden müsste. Damit würde die Verpflichtung des Arztes auf das Leben konterkariert. Wäre es denn vorstellbar, eine andere zuständige Berufsgruppe zu definieren oder zu schaffen? Sicher könnte man erwägen, dass dies speziell in der Begleitung und Betreuung Sterbewilliger ausgebildete Menschen tun, die in der Lage sind, ein entsprechendes Medikament anzureichen, dessen Dosierung vorbestimmt sein müsste. Und man könnte festlegen, dass nicht zwingend Ärzte in solchen Situationen dabei sein müssten. Nun ist ja immer wieder auch formuliert worden, es sei umgekehrt eher ärztliche Aufgabe, alles zu tun, um Suizidwillige, die als potenziell krank angesehen werden, vom Sterbewillen abzubringen. Wie stehen Sie zu dieser Frage? Auch das ist ein kompliziertes Themenfeld. Denn mit Sicherheit sind nicht alle Suizidwilligen krank. Und auch wenn sie krank sein sollten, ist die Beziehung der Erkrankung zu diesem Suizidwunsch individuell durchaus verschieden. Grundsätzlich ist es so, dass Ärzte sich primär dem Leben und der Lebenserhaltung verpflichtet fühlen. Wir müssen also in erster Linie die Suizidprävention im Blick haben. Das kann aber nicht zwingend bedeuten, alles zu tun, um Suizidwillige vom Sterbewillen abzubringen. Denn es mag ja Suizidwillige geben, deren Suizidwunsch mit medizinischen Aspekten überhaupt nichts zu tun hat. Es würde zu weit gehen, wenn Ärzte mit aller Macht oder gar mit Gewalt versuchen müssten, Suizide zu verhindern. Als DGPPN machen wir darauf aufmerksam, dass die allermeisten Suizide im Rahmen psychischer Erkrankungen geschehen, dass die meisten Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, nicht primär nicht mehr leben wollen, sondern dass sie ihre aktuelle Situation so nicht mehr ertragen wollen. Dann kommt es darauf an, ihre medizinische und/oder soziale Situation zu verbessern. Darin sieht die DGPPN die Hauptaufgabe von Ärzten und nicht darin, primär Angebote zu machen, die Suizidhandlungen unterstützen. Diese Frage berührt auch religiöse und weltanschauliche Aspekte. Halten Sie es generell für akzeptabel oder richtig, dass Menschen andere Menschen beim Sterben mit Hilfe eines zum Tode führenden Medikaments unterstützen? Diese Frage kann ich nur aus meiner persönlichen Sicht beantworten. Ich bin der Meinung, dass in einer säkular-pluralistischen Gesellschaft, in der religiöse Überzeugungen nicht zum staatlichen Leitgedanken werden können, dafür Platz sein muss. Ich maße mir nicht an, andere Menschen negativ zu bewerten, wenn sie eine solche Unterstützung für richtig halten. Professor Dr. Thomas Pollmächer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Mitglied der Ethikkommission der European Psychiatric Association (EPA) Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I am Klinikum Ingolstadt Wenn Sie fragen, ob ich selbst das tun würde: Als Arzt keinesfalls und als privater Mensch, der ebenfalls Angehörige hat, sicher nur in ganz wenigen Situationen. Aber vergessen wir nicht: Wir zählen leider jedes Jahr in Deutschland knapp 10.000 vollendete Suizide und bis zu 150.000 Suizidversuche. Das sind zum größten Teil Menschen mit psychischen Erkrankungen, die überwiegend einen Suizidwunsch haben, der nicht freiverantwortlich ist. Nun sind laut den vorliegenden Gesetzesentwürfen zum ärztlich assistierten Suizid die Psychiater und Psychotherapeuten als Gutachter gefragt. Inwiefern muss sich der Gutachter die Motivation des sterbewilligen Menschen zu eigen machen, die Gründe nachvollziehen können, um sozusagen den Weg zum assistierten Suizid frei zu machen? Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 ernstnimmt, dann gewinnt es seine besondere Brisanz dadurch, dass uns die Motivation eines Suizidwilligen nicht zu interessieren hat. Uns hat nur zu interessieren, ob diese Entscheidung freiverantwortlich fällt, ob es Hindernisse in der aktuellen psychischen Verfassung dieses Menschen oder in seinen sozialen Bezügen gibt, die diese Freiverantwortlichkeit einschränken. Das kann zum Beispiel eine schwere depressive Kognition bis hin zum depressiven Wahn sein, das kann auch über sozialen Druck von Angehörigen oder der Gesellschaft geschehen. Von der Motivation zum Suizid ist das klar zu trennen. Sollten Ärzte die Motivation beurteilen müssen, würde dies in einen erheblichen Konflikt mit ihrer zentralen Aufgabe führen, nämlich unter allen Umständen das Leben positiv zu beurteilen. Wenn ich mir anmaße, bei dem einen Menschen zu sagen: „Dessen Motivation erscheint mir nachvollziehbar!“, dann schwingt die Beurteilung mit, dieses Leben sei nicht mehr lebenswert. Bei einem anderen Menschen kann ich die Motivation dann womöglich nicht nachvollziehen, also halte ich dessen Leben noch für lebenswert. Das sind Konflikte, in die ich als Arzt nicht kommen möchte und – da kann ich für die DGPPN sprechen – in diese Situation wollen die Psychiater in Deutschland nicht kommen. Professor Pollmächer, ich finde in diesem Zusammenhang ein Ergebnis der Mitgliederbefragung der DGPPN erstaunlich, wonach 72 Prozent der Teilnehmenden die Suizidassistenz bei freiverantwortlich gefasstem Suizidwunsch unter bestimmten Umständen als legitim ansieht. Drei Viertel der Befragten befürworten die Begutachtung der Freiverantwortlichkeit durch mindestens zwei Personen. Wie gesagt: Die Freiverantwortlichkeit zu beurteilen, bedeutet nicht zwingend, die Motivation zu bewerten! Insofern lässt sich dieser Konflikt vermeiden. Wenn die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit als Aufgabe der Psychiater befürworten, heißt das natürlich nicht, dass jede und jeder so eine gutachterliche Aufgabe übernehmen würde. Diese Frage haben wir nicht gestellt. Ich gehe davon aus, dass diese Zahl deutlich unter 72 Prozent liegt. Das allerdings könnte zu Problemen bei der Umsetzung eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes führen, oder? Ja. Kann die heutige Medizin Ihrer Meinung nach schwerstkranken sowie terminal kranken Menschen so helfen, dass ihr Leiden in einer Weise gelindert wird, die ihnen ein Leben oder ein Sterben in Würde ermöglicht? In dieser Unbedingtheit kann dem wohl niemand zustimmen. Wir wissen um die heute guten palliativmedizinischen Behandlungsoptionen bei Menschen, deren Leben zu Ende geht. Ob aus den Grenzen dieser Möglichkeiten folgt, dass wir den assistierten Suizid benötigen, das ist eine andere Frage. Ist für Sie dann die Aussage akzeptabel: „Wer unbedingt sterben möchte, findet einen Weg“? Das ist eine defätistische und nihilistische Aussage und sie birgt die Gefahr, dass das, was wir Psychiater für besonders wichtig halten, nämlich die Suizidprävention, vernachlässigt wird. Die Frage ist nicht, ob der Suizidwillige einen Weg findet sich das Leben zu nehmen, sondern ob wir Ärzte einen Weg finden ihm als Ärzte und Menschen aus seiner Verzweiflung zu helfen. Ich würde lieber folgenden Leitsatz formulieren: Wer unbedingt sterben möchte, braucht unbedingt Hilfe! Wie wünschen Sie sich, dass der Gesetzgeber das Recht auf selbstbestimmtes Sterben regelt? 88 Prozent der DGPPN-Mitglieder wünschen sich eine gesetzliche Regelung des assistierten Suizids. Die DGPPN hat sich im Rahmen eines Symposiums die drei Gesetzentwürfe vorstellen lassen und wir haben uns damit intensiv auseinandergesetzt. Wir müssen in erster Linie die Suizidprävention im Blick haben. Professor Dr. Thomas Pollmächer, Präsident der DGPPN Der Gesetzentwurf der Bundestagsabgeordneten um Dr. Lars Castellucci ist aus unserer Sicht am ehesten in der Lage, ein tragfähiges Schutzkonzept zu schaffen, das verhindert, dass Menschen in großer Zahl sich bei einem Suizid helfen lassen, denen auf ganz andere Weise viel besser geholfen werden könnte. Da Suizidwünsche häufig in erheblichem Maße situativ bedingt sind, sei es durch bestimmte soziale, medizinische oder krankheitsbedingte Situationen, ist die Feststellung der Dauerhaftigkeit eines Suizidwunsches sehr wichtig. Wir müssen verhindern, dass Suizidwünsche überstürzt in die Realität umgesetzt werden. Dazu braucht es eine gesetzlich geregelte Beratung, die natürlich immer die Beratung zu medizinischen und psychiatrischen Unterstützungsmöglichkeiten einschließt. Vor wenigen Wochen gab es eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrats… Diese Stellungnahme ist aus unserer Sicht sehr begrüßenswert, weil dort stark die Suizidprävention betont wird, allerdings bevorzugt aus psychosozialer Sicht. Es ist genauso wichtig, die jährlich bis zu 150.000 Menschen zu unterstützen und dabei zu unterstützen, gar nicht mehr an Suizid denken, weil sie mit unserer Hilfe ihre psychische Erkrankung in den Griff bekommen haben. Sie sind auch Mitglied der Ethikkommission in der European Psychiatric Association. Wundert es Sie eigentlich, dass die Einstellungen zur Sterbehilfe so verschieden sind in Europa, gerade vor dem gemeinsamen kulturell-historischen Hintergrund? Mich wundert das nicht so sehr, weil ich diesen gemeinsamen kulturell-historischen Hintergrund für weniger verbindend halte als allgemein angenommen. Zwar gibt es ähnliche Einflüsse religiöser und staatsphilosophischer Natur. Trotzdem sind die Kulturen so verschieden, dass moralisch und rechtlich zum Teil diametral entgegenstehende Lösungen herauskommen. Nehmen sie die sehr utilitaristische Herangehensweise der Briten, geprägt von Philosophen des 18. Jahrhunderts im Vergleich zu unserem eher prinzipienethischen Vorgehen, das stark von der Aufklärung bestimmt ist. Hinzu kommt die Erfahrung der Deutschen mit dem Dritten Reich. Deutsche Ärzte haben an Tötungen mitgewirkt, die die Nazis versucht haben „humanistisch“ zu begründen. Das hat zur Katastrophe geführt. Deshalb tun wir Deutschen uns besonders schwer, anderen und besonders auch kranken Menschen beim Suizid zu helfen. Welche Folgen erwarten Sie? Ich erwarte, dass als nächstes der §216 StGB angegriffen wird, der die Tötung auf Verlangen verbietet. Inzwischen gibt es ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu einem sehr komplexen Fall, aus dem sich die Frage ergibt, ob man unter dem Aspekt des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben nicht in gewissen Situationen die Tötung auf Verlangen zulassen muss. Und das Argument wird sein: Es gibt Menschen, die können das selbst nicht tun. Und warum sollten diese schlechter gestellt sein als diejenigen, die in der Lage sind, das Pentobarbital selbst einzunehmen? Damit wären wir rasch in einer Situation wie in den Niederlanden. Zu 90 Prozent handelt es sich dort mittlerweile nicht um assistierte Suizide, sondern um Tötungen auf Verlangen. Herr Professor Pollmächer, vielen Dank für das Gespräch! Quelle: Ärzte Zeitung

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