Gehtest als Entscheidungshilfe bei älteren Krebspatienten

Ein simpler Gehtest kann in der Onkologie offenbar hilfreich sein, um die geplante Therapieintensität auf die vorhandenen körperlichen Fähigkeiten abzustimmen. Darauf deuten die Ergebnisse einer Studie mit betagten Blutkrebspatienten hin. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. In der Hämatoonkologie setzt man heute zunehmend auf eine individualisierte Therapie. Bei geriatrischen Patienten steht der Arzt dabei vor dem Dilemma, dass gerade neuartige Regime für diese Patientengruppe noch wenig validiert sind. Geriatrische Assessments könnten helfen, spezifische Vulnerabilitäten zu erfassen und so einer Unter- oder Übertherapie vorzubeugen. Allerdings sind solche Assessments oft zeit- und personalintensiv, was die Anwendbarkeit in der Praxis begrenzt. Einfacher klinischer Test sagt Mortalität voraus Ein Team aus Boston hat untersucht, inwieweit ein einfach zu erhebender klinischer Parameter, nämlich der 4-Meter-Gehtest, in der Lage ist, Therapieeffekte und Überlebenswahrscheinlichkeit bei geriatrischen Patienten mit Blutkrebs vorherzusagen. Laut Dr. Andrew Hantel und Kollegen vom Dana-Farber Cancer Institute bestätigen die Ergebnisse zunächst das Resultat einer früheren Studie, in der die Mortalität mit sinkender Gehgeschwindigkeit signifikant stieg. Der Gehtest war in der Vorhersage sogar ähnlich zuverlässig wie ein umfassendes geriatrisches Assessment. Für die aktuelle Studie wurden die Daten von 408 geriatrischen Patienten (mittleres Alter 79 Jahre) ausgewertet. Im Fokus stand dabei, inwieweit das Ergebnis des Gehtests, von dem der Onkologe nichts wusste, mit der Einschätzung der körperlichen Funktionalität im Vorfeld der Therapie übereinstimmte. Die Entscheidung, mit welcher Intensität – standardgemäß, reduziert oder nur mit unterstützenden Maßnahmen (Supportive Care) – der einzelne Patient behandelt werden sollte, wurde gemäß der NCCN*-Leitlinie anhand von Basischarakteristika wie Alter, Krebsart und Performance-Status entschieden, in einigen Fällen wurde außerdem das sogenannte Gestalt-Assessment hinzugenommen. Schnellere Patienten leben länger Wie Hantel und Kollegen zeigen konnten, sagte die Gehgeschwindigkeit nach Berücksichtigung der Tumorentität das Überleben signifikant voraus: Wer weniger als 0,4 m/s schaffte, überlebte median 10,8 Monate, bei Werten zwischen 0,4 und 0,6 m/s wurden 18,6 Monate, bei 0,6 bis 0,8 m/s sogar 34 Monate erreicht. In separaten Auswertungen waren höheres Alter, ein höherer ECOG-Status sowie eine Therapie, die nicht den Erstlinienempfehlungen der Leitlinie entsprach, mit einem schlechteren Überleben assoziiert, nicht aber Ergebnisse kognitiver Tests wie CIB (Cock in the Box) oder MOCA (Montreal Cognitive Assessment). Knapp 37% der Patienten hatten die Therapie mit der Standardintensität empfohlen bekommen. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle hatte der Onkologe ein reduziertes Maß für richtig gehalten, in gut 8% hatte er sich für Supportive Care entschieden. Aus Sicht von Hantel et al. war allerdings fast ein Drittel aller Patienten im Hinblick auf die Therapiestärke nicht optimal eingeschätzt worden: So hatten 20 Teilnehmer die Empfehlung zur Standardtherapie erhalten, obwohl sie höchstens 0,6 m/s geschafft hatten. Auf der anderen Seite hatte man bei 99 Patienten aus der schnellsten Gruppe (> 0,8 m/s) eine reduzierte Therapieintensität oder sogar unterstützende Maßnahmen für richtig erachtet. Unangemessene Therapien vermeiden Für die Forscher legen die Ergebnisse nahe, dass man die Therapieauswahl mithilfe des Gehtests deutlich verbessern könnte: „Die zusätzlichen Informationen, die dieser einfache klinische Test liefert, können Patienten und Ärzten dabei helfen, unangemessene Strategien zu vermeiden“, so Hantel und sein Team. Damit könnten Therapieentscheidungen besser an die Bedürfnisse der Patienten angepasst werden. Was letztlich dabei herauskommt, wenn man dem Onkologen die Resultate des Gehtests vor der Therapieentscheidung zur Verfügung stellt, war allerdings nicht Gegenstand der Studie. *National Comprehensive Cancer Network Das Wichtigste in Kürze Frage: Ist es bei älteren Patienten mit hämatologischen Tumoren sinnvoll, für die Therapieentscheidung einen Gehtest heranzuziehen? Antwort: Die erreichte Geschwindigkeit im 4-Meter-Gehtest sagte bei älteren Blutkrebspatienten das Überleben korrekt voraus. Diese Information wurde jedoch für die Therapieentscheidung nicht ausreichend genutzt. Bedeutung: Der Gehtest kann helfen, die Intensität der geplanten Therapie an die körperliche Funktion des älteren Patienten anzupassen. Einschränkung: Monozentrische Studie; Leukämien und Hodgkin-Lymphome unterrepräsentiert. Welchen Einfluss die Berücksichtigung des Gehtests auf das Überleben hat, wurde nicht untersucht.

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