Transpersonen empfinden eine Diskrepanz zwischen ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht und ihrer Geschlechtsidentität. Transmänner wurden als biologische Frauen geboren und identifizieren sich als männlich, wohingegen Transfrauen als biologische Männer geboren wurden und sich als weiblich identifizieren [
1]. Eine geschlechtsangleichende Hormontherapie kann bei Vorliegen einer Geschlechtsinkongruenz die mentale Gesundheit fördern und die Lebensqualität steigern [
2].
Vom Transsexualismus zur Genderinkongruenz
Der geschätzte Anteil von Transpersonen an der erwachsenen Allgemeinbevölkerung beträgt repräsentativen Umfragen zufolge 0,3–0,5 % und laut klinischen Daten 0,02–0,1 % [
3]. Durch die zunehmende mediale Präsenz und die Entstigmatisierung des Themas steigt nicht nur die Anzahl an Neuvorstellungen in spezialisierten Transgenderkliniken, sondern auch der Betreuungsbedarf im niedergelassenen gynäkologischen Bereich.
Zunehmende mediale Präsenz und Entstigmatisierung erhöhen den Betreuungsbedard auch im niedergelassenen Bereich
Die heute vor allem im deutschsprachigen Raum noch häufig verwendete Diagnose F64.0 beschreibt gemäß ICD(International Classification of Diseases)-10 „Transsexualismus“ als den „Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden“, der an den „Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen“ gebunden ist. Gemäß ICD-10 wird der Transsexualismus zu den „Störungen der Geschlechtsidentität“ gezählt. Seit dem 01. Januar 2022 ist die neue ICD-11 in Kraft, und mit ihr wurde der Begriff „Transsexualismus“ von der „Geschlechtsinkongruenz“ abgelöst. Sie beschreibt eine ausgeprägte und anhaltende Inkongruenz zwischen dem erlebten Geschlecht einer Person und dem zugewiesenen Geschlecht, die oft zu dem Wunsch nach einer „Transition“ führt, um als „eine Person des erlebten Geschlechts zu leben und akzeptiert zu werden“. Dies kann, muss aber nicht zwingend zu einer Hormonbehandlung, einem chirurgischen Eingriff oder der Inanspruchnahme anderer Gesundheitsdienstleistungen führen. Neu in der ICD-11 ist ebenso, dass die Geschlechtsinkongruenz nicht mehr als „Störung“ sondern als „Zustand mit Bezug zu sexueller Gesundheit“ gelistet wird. Problematisch ist bei der Implementierung der ICD-11, dass bisher noch keine verbindliche Version auf Deutsch vorliegt [
4].
Empfehlung für Behandlungsprozess
Die von vielen Transmenschen gewünschte geschlechtsangleichende Hormontherapie fördert die mentale Gesundheit und Lebensqualität dieser Personengruppe [
2]. Der geschlechtsangleichenden Hormontherapie sollte im Idealfall eine ausführliche, interdisziplinäre Evaluierung vorausgehen. Die World Professional Association for Transgender Health (WPATH; [
3]) empfiehlt, dass Transpersonen, welche eine geschlechtsangleichende Hormontherapie anstreben, vor Therapiebeginn folgende Kriterien erfüllen:
-
Vorliegen einer anhaltenden Geschlechtsinkongruenz,
-
Fähigkeit, eine voll informierte Entscheidung zu treffen, um der Therapie zuzustimmen.
Neben der Diagnostik psychischer Komorbiditäten, sollten auch somatische Erkrankungen, welche unter geschlechtsangleichender Hormontherapie exazerbieren könnten, vor Therapiestart diagnostiziert bzw. kontrolliert und gut eingestellt werden (Tab.
1).
Die geschlechtsangleichende Hormontherapie fördert mentale Gesundheit und Lebensqualität
Zur Evaluierung des individuellen Risikoprofils sollte vor Therapiestart eine gynäkologische bzw. urologische und ggf. auch internistische Abklärung erfolgen. Es empfiehlt sich eine initiale Bestimmung von FSH (follikelstimulierendes Hormon), LH (luteinisierendes Hormon), Östradiol, Testosteron, Prolaktin, 25-OH-Vitamin D, Leberfunktionsparametern und Lipiden sowie die Auswertung des sog. Blutbilds [
5]. Liegen signifikante somatische oder psychische Probleme vor, müssen diese in ausreichendem Maß kontrolliert sein [
3].
Tab. 1
Erkrankungen, die unter geschlechtsangleichender Hormontherapie exazerbieren können. (Mod. nach Hambree et al. [
5])
Koronare Herzkrankheit |
Venöse Thromboembolien |
Schwere Leberinsuffizienz |
Zerebrovaskuläre Erkrankungen |
Hormonsensitive Tumoren |
Polyglobulie |
Osteoporose |
Schwere Migräne |
Geschlechtsangleichende Hormontherapie
Ziel der geschlechtsangleichenden Hormontherapie ist es, durch die Suppression der endogenen Hormonproduktion die Sexualsteroide des empfundenen Geschlechts zu subsituieren, um die sekundären Geschlechtsmerkmale des biologischen Geschlechtes zu unterdrücken und jene des empfundenen Geschlechts zu induzieren und aufrechtzuhalten.
Die geschlechtsangleichende Hormontherapie stellt eine Off-label-Anwendung dar, die eine gründliche Aufklärung erfordert. Die Patientinnen und Patienten müssen über Wirkungen, unerwünschte Nebenwirkungen, Risiken und realistisch erreichbare Ziele der geschlechtsangleichenden Hormontherapie informiert werden. Insbesondere bei nichtbinären Personen, die sich nicht eindeutig als weiblich oder männliche deklarieren, ist eine umfassende Aufklärung essenzielle Grundlage für eine gemeinsame Therapieplanung, welche die individuellen Wünsche und Ziele der Patientinnen und Patienten berücksichtigt [
6].
Feminisierende Hormontherapie
Die geschlechtsangleichende Hormontherapie bei Transfrauen besteht aus der Applikation von Östrogen und einer Androgendeprivation. Primär sollte Östradiol oral oder, insbesondere bei erhöhtem thromboembolischen Risiko (z. B. Alter > 45 Jahre, Zustand nach Thrombose), transdermal appliziert werden [
3]. Als antiandrogene Komponente können Cyproteronacetat, Spironolacton, Bicalutamid oder Drospirenon zum Einsatz kommen, wobei für die beiden letzteren keine Empfehlung der WPATH besteht. Cyproteronacetat war in Europa über lange Zeit das am häufigsten eingesetzte Medikament zur Androgendeprivation bei Transfrauen. Aufgrund des vermutlich erhöhten Meningeomrisikos bei Langzeitanwendung und Dosen über 10 mg täglich [
7,
8] kommt Cyproteronacetat in den letzten Jahren seltener zum Einsatz. Da Cyproteronacetat von der FDA (Food and Drug Administration) in den USA nicht zugelassen ist, ist hier Spironolacton das am häufigsten angewandte Antiandrogen. Aufgrund seiner Eigenschaft als kaliumsparendes Diuretikum sollten vor und während der Anwendung von Spironolacton regelmäßige Kontrollen von Blutdruck, Kalium, Natrium und Kreatinin erfolgen.
Der Einsatz nichtsteroidaler Antiandrogene wie Bicalutamid oder Flutamid sowie des 5‑α-Reduktasehemmers Finasterid wird im Rahmen der transfemininen Hormontherapie von der WPATH nicht empfohlen. Ebenso noch unklar ist der Stellenwert von Progesteron in der Behandlung von Transfrauen, es sollte daher vorerst nicht routinemäßig angewandt werden [
3].
Alternativ können auch bei erwachsenen Transpersonen GnRH(„gonadotropin releasing hormone“)-Analoga zur Suppression der endogenen Hormonproduktion eingesetzt werden [
9,
10]. Sie stellen eine sehr effektive, parenterale Alternative zu den oralen Antiandrogenen dar, sind aber auch kostenintensiver. Spezifische Nebenwirkungen und Risiken von GnRH-Analoga sind das zu Beginn der Therapie auftretende Flare-up-Phänomen, ein potenziell negativer Effekt auf die Knochendichte sowie Hitzewallungen.
Irreversible Effekte der transfemininen Therapie sind die Gynäkomastie und eine potenziell irreversible Azoospermie.
Virilisierende Hormontherapie
Zur geschlechtsabgleichenden Hormontherapie bei Transmännern (Frau-zu-Mann-Transpersonen) kann Testosteron transdermal als Gel oder intramuskulär als Testosteronenantat und Testosteronundecanoat angewandt werden. Der Vorteil der Injektion von Testosteronundecanoat liegt in den langen Applikationsintervallen (6–15 Wochen). Bei der transdermalen Anwendung muss drauf hingewiesen werden, dass es zu einer längeren Persistenz der Menstruationsblutungen kommen kann und dass durch engen Körperkontakt bis zu 6 h nach Gelanwendung eine Testosteronübertragung auf andere möglich ist, was insbesondere bei Körperkontakt mit Schwangeren und Kindern relevant ist.
Auch im Rahmen der transmaskulinen Hormontherapie können GnRH-Agonisten zur Suppression der endogenen Hormonproduktion eingesetzt werden [
9]. Sie sind insbesondere bei Persistieren der Menstruationsblutung effektiv.
Irreversible Effekte der transmaskulinen Hormontherapie sind die Vertiefung der Stimme, eine Klitorishypertrophie und Bartwuchs bzw. Androgeneffluvium.
Verlaufskontrollen
Im ersten Jahr der geschlechtsangleichenden Hormontherapie sollte alle 3 Monate eine Kontrolluntersuchung erfolgen [
5]. Neben der klinischen Untersuchung zur Überprüfung des Therapieerfolges und der Kontrolle von Blutdruck und Gewicht sollte auch immer eine Kontrolle des Hormonstatus, der Leberfunktionsparameter sowie des Blutbildes und, im Idealfall, auch des Nüchternlipidstatus erfolgen.
Je nach individuellen Risikofaktoren ist das Spektrum der Verlaufskontrollen zu erweitern
Je nach individuellen Risikofaktoren muss das Spektrum der Verlaufskontrollen dementsprechend erweitert werden. Bei Anwendung von Spironolacton sollten in den ersten Monaten ebenso regelmäßig Kreatinin, Kalium und Natrium überprüft werden. Nach dem ersten Jahr können die Intervalle der Kontrollen auf 6 Monate ausgedehnt werden [
5].
Die erzielten Spiegel der Sexualsteroide sollten bei binären Transpersonen im physiologischen Bereich des Wunschgeschlechts liegen. Im Rahmen der transfemininen Hormontherapie sollte die Kontrolle der Östrogenspiegel 4–6 h nach oraler Einnahme oder Gelapplikation (hierbei sollte darauf geachtet werden, dass das Gel nicht an den Armen aufgetragen wurde, da dies bei der Blutabnahme am betroffenen Arm die Werte verfälschen kann) bzw. 48–72 h nach Anbringen eines neuen Pflasters erfolgen.
Bei der transmaskulinen Hormontherapie sollten der Testosteronspiegel analog zur transfemininen Therapie 4–6 h nach Gelapplikation (keine Gelapplikation auf die Arme, s. oben) gemessen werden. Bei Testosteronenantat sollte die Höchstkonzentration 7 Tage nach der Injektion und der Talspiegel direkt vor der nächsten geplanten Injektion bzw. zwischen 2 Injektionen überprüft werden. Bei der Applikation von Testosteronundecanoat ist die Kontrolle des Talspiegels ausreichend.
Sowohl für Transfrauen als auch Transmänner empfehlen sich regelmäßige Blutdruck- und Gewichtskontrollen. Des Weiteren sollten auch bei Transpersonen die entsprechenden, insbesondere gynäkologischen bzw. urologischen Vorsorgeuntersuchungen gemäß den nationalen Empfehlungen nicht vergessen werden.
Speziell bei Personen mit erhöhtem Risiko kann eine Knochendichtemessung vor Beginn und im Verlauf einer geschlechtsangleichenden Therapie in Erwägung gezogen werden [
3,
5,
11].
Langzeitfolgen
Generell ist die geschlechtsangleichende Hormontherapie als lebenslange Therapie anzusehen, und insbesondere nach Gonadektomie sind Transmenschen auf eine dauerhafte Hormonsubstitution angewiesen. Die Datenlage zu den Langzeitfolgen der geschlechtsangleichenden Hormontherapie ist allerdings nach wie vor dünn.
Insbesondere nach Gonadektomie sind Transmenschen lebenslang auf Hormonsubstitution angewiesen
De Blok et al. haben 2021 die retrospektiven Daten zur Mortalität von Transpersonen in der sogenannten Amsterdam-Kohorte für Genderdysphorie veröffentlich [
12]. Es wurden Daten von 2927 Transfrauen und 1641 Transmännern retrospektiv analysiert, die zwischen den Jahren 1972 und 2018 im Amsterdamer „Center of Expertise on Gender Dysphoria“ betreut wurden.
Im Vergleich zur niederländischen Gesamtbevölkerung zeigte sich bei Transfrauen ein erhöhtes Risiko, aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses, eines Bronchialkarzinoms, einer Infektionskrankheit oder eines nichtnatürlichen Todes zu versterben. Unter den kardiovaskulären Todesursachen war das Risiko, an einem Myokardinfarkt zu versterben, für Transfrauen im Vergleich zu in der Gesamtbevölkerung als „weiblich“ gemeldeten Personen erhöht, zeigte aber keinen Unterschied im Vergleich zu „männlichen“ Personen. Unter den Infektionskrankheiten und nichtnatürlichen Todesursachen waren HIV(„human immunodeficiency virus“)-Infektionen und Suizide die häufigsten.
Für Transmänner war das Gesamtmortalitätsrisiko vergleichbar mit jenem der „männlichen“ Gesamtbevölkerung. Im Vergleich zu „weiblichen“ Personen zeigte sich auch bei den Transmännern ein erhöhtes Risiko, eines nichtnatürlichen Todes zu sterben [
12].
Fertilität
Die geschlechtsangleichende Hormontherapie führt bei Transmännern zu einer reversiblen und bei Transfrauen zu einer potenziell irreversiblen Infertilität. Es sollte somit im Idealfall bereits vor Start der geschlechtsangleichenden Hormontherapie eine ausführliche Aufklärung über die Effekte der Therapie auf die Fertilität und die Optionen des Fertilitätserhalts (Samen- bzw. Oozytenkryokonservierung) erfolgen, allerspätestens aber vor einer geplanten Gonadektomie [
3,
13].
Transmänner müssen auf die potenzielle Teratogenität von Testosteron hingewiesen werden
Ebenso muss Transmännern bei Bedarf eine sichere Kontrazeption angeboten und auf die potenzielle Teratogenität von Testosteron hingewiesen werden. Prinzipiell können alle Kontrazeptiva von Transmännern angewandt werden, wobei kombinierte hormonelle Kontrazeptiva naturgemäß in Kombination mit einer transmaskulinen Therapie wenig zielführend sind und Gestagen-Monopräparate oder Hormon- bzw. Kupferspiralen bevorzugt zur Anwendung kommen sollten.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.