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Open Access 06.12.2024 | Originalarbeit

Gesundheitsförderung für Beschäftigte 50plus – Ergebnisse der lidA-Studie 2022/23

verfasst von: Dr. phil. Daniela Borchart, PD Dr. med. Jean-Baptist du Prel, MPH

Erschienen in: Prävention und Gesundheitsförderung

Zusammenfassung

Hintergrund

Ältere Beschäftigte sind eine besondere Zielgruppe der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF). Die Studienlage zur Verbreitung von BGF-Maßnahmen in Deutschland gilt als heterogen und schwierig abzuschätzen. Inwieweit älteren Beschäftigten ein BGF-Angebot offeriert wird, ist Gegenstand dieser Untersuchung.

Methoden

Im Rahmen der vierten Welle der repräsentativen lidA-Kohortenstudie wurden Befragungsdaten von 7514 Erwerbstätigen (geboren 1959, 1965 oder 1971) analysiert. Geprüft wurden die BGF-Angebotsquoten inklusive der 95 %-Konfidenzintervalle nach personen-, tätigkeits- und betriebsbezogenen Faktoren. Mittels multipler logistischer Regressionsanalysen wurde der Einfluss dieser Faktoren auf die Angebotschance untersucht.

Ergebnisse

Frauen, Personen über 60 Jahre, jene mit direkter Migrationserfahrung und mit schlechter Gesundheit erhalten seltener als Andere ein BGF-Angebot. Ebenfalls seltener erhalten beruflich schlechter Gestellte, körperlich Tätige, Teilzeitbeschäftigte ein BGF-Angebot und jene, die in Handelsberufen, Gastronomie, Verkehr, Sicherheit und in Reinigungsberufen arbeiten. Eine höhere Angebotschance haben hingegen Beschäftigte in größeren Betrieben und wenn im Betrieb weitere präventive und förderliche Gesundheitsstrukturen bestehen.

Schlussfolgerung

Gerade Beschäftigte, die aufgrund sozialer und gesundheitlicher Nachteile von Maßnahmen profitieren können, haben eine geringere Angebotschance. Dies deutet auf einen Nachbesserungsbedarf, um eine Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheiten zu vermeiden. Auch ist zu überlegen, wie Beschäftigten ein bedarfsorientiertes BGF-Angebot offeriert werden kann, die aufgrund tätigkeitsbezogener Merkmale erschwerte Zugangsvoraussetzungen haben.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Mit dem Alter steigt das Risiko für Gesundheitsbeschwerden. Häufigster Grund für einen Frühausstieg aus dem Erwerbsleben ist eine gesundheitsbedingte Erwerbsminderung. So gewinnen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in Zeiten alternder Belegschaften an Bedeutung. Inwieweit älteren Beschäftigten BGF-Maßnahmen angeboten werden, ist Gegenstand dieser Untersuchung.

Hintergrund und Fragestellung

Die Arbeitswelt bietet die Chance, unabhängig von sozialen und gesundheitlichen Voraussetzungen einen Großteil der Erwachsenenbevölkerung mit gesundheitsfördernden Maßnahmen zu erreichen [16]. Mit Blick auf den Fachkräftemangel und technologischen Fortschritt haben die meisten Unternehmen ein existenzielles Interesse daran, Beschäftigte langfristig an sich zu binden und neue Arbeitskräfte zu gewinnen. Bedarfsorientierte Gesundheitsförderungsangebote können, neben dem Erhalt von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten, auch diesem Zweck dienen [9].
Aufgrund der demografischen Entwicklung und damit verbundener politischer Entscheidungen, z. B. Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, altern die Belegschaften in Deutschland [13]. Das Risiko für das Auftreten von körperlichen Gesundheitsbeschwerden steigt ab Mitte der fünften Lebensdekade deutlich an [14]. Angesichts des anhaltenden Älterwerdens der Belegschaften ist davon auszugehen, dass künftig noch mehr Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen arbeiten werden. Frühere Analysen auf Basis der repräsentativen GEDA(Gesundheit in Deutschland aktuell)-Studiendaten zeigten, dass über einen Zeitraum von 5 Jahren (Befragung 2008–2010 zu 2014/2015) der Anteil von älteren Beschäftigten mit schlechter Gesundheit deutlich um schätzungsweise 44 % anstieg [10].
Für die BGF sind Beschäftigte höheren Alters eine besondere Zielgruppe [22]. BGF-Maßnahmen, die sich spezifisch an diese Klientel richten, gibt es in der Praxis jedoch selten [18]. Allerdings lässt sich insgesamt die Angebotsverbreitung von BGF-Maßnahmen in Deutschland aufgrund der heterogenen Studienlage schwer einschätzen [9].
Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Untersucht wird das wahrgenommene Angebot von BGF-Maßnahmen für ältere sozialversicherte Beschäftigte anhand eines repräsentativen Kollektivs nach personen-, tätigkeits- und betriebsbezogenen Merkmalen. Folgende Forschungsfragen sollen beantwortet werden: (1) Welche Betriebe offerieren BGF-Angebote? (2) Welche Beschäftigtengruppen erhalten BGF-Angebote?

Methodik

Design und Stichprobe

Im Rahmen einer explorativen Querschnittuntersuchung wurden die Daten einer Stichprobe aus drei Alterskohorten (1959, 1965 oder 1965 geboren) von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten analysiert, die an der vierten Erhebungswelle der lidA(leben in der Arbeit)-Kohortenstudie im Jahr 2022 und 2023 teilnahmen. Die Stichprobe gilt als repräsentativ für die sozialversicherungspflichtige Erwerbsbevölkerung dieser Alterskohorten [17]. Die Studienteilnehmenden wurden mit computergestützten persönlichen Interviews (CAPI) zu Hause oder pandemiebedingt alternativ per Telefon (CAPI by Phone) befragt. Insgesamt beteiligten sich 8884 Personen [17]. Für die Analysen ausgewählt wurden Teilnehmende, die zum Zeitpunkt der Befragung in Vollzeit, in Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig waren (N = 7415).

Variablen

BGF-Angebot.
Die Befragten sollten angeben (ja/nein), ob ihnen in den vergangenen 12 Monaten Maßnahmen zu folgenden Themen angeboten wurden: Gewichtsreduktion, gesunde Ernährung, Bewegung, Sport, Fitness, Rückengymnastik, Entspannung, Stressbewältigung sowie Suchtbewältigung. Die Frage wurde eingeleitet mit dem Hinweis, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung gibt, die durch Arbeitgeber mit Krankenkassen und anderen externen Dienstleistern im betrieblichen Kontext durchgeführt werden. Die Antworten wurden zusammengefasst (mindestens 1 BGF-Angebot vs. kein Angebot).
Betriebliche Faktoren.
Das BGF-Angebot wurde auf Unterschiede hinsichtlich der Betriebsgröße, Branche, betriebsärztliche Versorgungslage und Beschäftigtenpartizipation zu Gesundheitsthemen untersucht. Die Betriebsgröße wurde anhand der von den Befragten angegebenen Anzahl der für das Unternehmen in Deutschland tätigen Personen erhoben. Die Branchenzugehörigkeit wurde aus der Angabe zur aktuell ausgeübten Tätigkeit auf Basis der Klassifikation der Berufe 2010 „kldb2010“ (1-Steller; [5]) bestimmt. Zur betriebsärztlichen Versorgungslage wurden die Teilnehmenden gefragt, ob der Betrieb, in dem sie arbeiten, einen Betriebsarzt hat. Zur Beschäftigtenpartizipation wurde untersucht, ob die Beschäftigten bei Fragen zur Förderung der Gesundheit im Betrieb mit einbezogen werden.
Tätigkeitsmerkmale.
Untersucht wurde auf Unterschiede zu folgenden Aspekten: Anforderungsniveau der Tätigkeit, Arbeitszeit, Homeoffice, körperliche Arbeitsexposition. Das Anforderungsniveau der gegenwärtigen beruflichen Tätigkeit der Befragten basiert auf den Selbstangaben der Befragten und ihrer folgenden Einstufung in die Berufsklassifikation kldb2010 [5]. Zur Arbeitszeit wurde untersucht, ob die Tätigkeit Schicht- bzw. Nachdienste umfasst. Arbeit in Homeoffice wurde anhand des häuslichen Tätigkeitsumfangs der vertraglichen Arbeitszeit untersucht. Die körperliche Arbeitsexposition wurde nach den tätigkeitsspezifischen Arbeitsinhalten [19] unterteilt in vorwiegend körperliche vs. nicht-körperliche Tätigkeit.
Soziodemografische Aspekte und Gesundheit.
Geprüft wurde auf Unterschiede nach Geschlecht, Alter und Migrationserfahrung. Die Prüfung auf gesundheitsbezogene Unterschiede erfolgte anhand der Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands [1].

Analysen

Zuerst wurden die BGF-Angebotsquoten inklusive der 95 %-Konfidenzintervalle auf Unterschiede hinsichtlich der individuellen und betrieblichen Merkmale geprüft. Die Signifikanz der Gruppenunterschiede wurde mittels χ2-Tests überprüft. Zudem wurden multiple logistische Regressionsmodelle berechnet, um das Zusammenwirken der unabhängigen Faktoren auf das BGF-Angebot zu prüfen. Um eine Überadjustierung zu vermeiden, wurden drei separierte multiple Modelle berechnet, je für die betrieblichen, tätigkeitsbezogenen und soziodemografischen Faktoren. Zuvor wurden mittels bivariater Regressionsmodelle die Effekte der unabhängigen Variablen auf Signifikanz geprüft. Ein gemeinsames Modell wurde als Sensitivitätsanalyse berechnet. Die Signifikanzprüfung erfolgte mittels Wald χ2-Test, die Testung des Modellfits anhand Nagelkerkes Pseudo‑R2. Die Analysen wurden mit IBM SPSS Statistics (Version 28.0; IBM Corp., 2021) berechnet.

Ergebnisse

Die Stichprobencharakteristika veranschaulicht Tab. 1. In Abb. 1 sind die Angebotsquoten nach den untersuchten Merkmalen dargestellt. Die χ2-Tests bestätigen für alle untersuchten Merkmale signifikante Gruppenunterschiede.
Tab. 1
Stichprobencharakteristika. Erwerbstätige Befragte der 4. lidA(leben in der Arbeit)-Erhebung (2022/23)
 
n
% (± 95 %-KI)
Personenbezogene Faktoren
Geschlecht
7514
 
männlich
3564
47,4 (46,3; 48,6)
weiblich
3950
52,6 (51,4; 53,7)
Alter
7510
 
51 Jahre
2501
33,3 (32,2; 34,4)
57 Jahre
2917
38,8 (37,7; 39,9)
63 Jahre
2092
27,9 (26,9; 28,9)
Migrationserfahrung
7464
 
ohne
6226
83,4 (82,6; 84,2)
immigriert (1. Generation)
672
9,0 (8,4; 9,7)
direkter Nachfahre (2. Generation)
566
7,6 (7,0; 8,2)
Gesundheit
7514
 
(sehr) gut
3870
52,7 (51,5; 53,8)
zufriedenstellend bis schlecht
3479
47,3 (46,2; 48,3)
Tätigkeitsmerkmale
Anforderungsniveau
7305
 
Hilfskraft
448
6,1 (5,6; 6,7)
Fachkraft
3755
51,4 (50,3; 52,5)
spezialisierte Fachkraft
1575
21,6 (20,6; 22,5)
Expert:in
1527
20,9 (20,0; 21,8)
Arbeitszeit
7341
 
ohne Schicht‑, Nachtdienst
5852
79,7 (78,8; 80,6)
Schichtdienst
695
9,5 (8,8; 10,2)
Nachtdienst
342
4,7 (4,2; 5,2)
Schicht- & Nachtdienst
452
6,2 (5,6; 6,7)
Tätigkeitsumfang
7514
 
Vollzeit (ab 35 Wochenstunden)
5138
68,4 (67,3; 69,4)
Teilzeit (< 35 Wochenstunden)
2376
31,6 (30,6; 32,7)
Homeoffice (anteilige Arbeitszeit)
7172
 
keine
5013
69,9 (68,8; 71,0)
unter 50 %
1184
16,5 (15,7; 17,4)
ab 50 %
975
13,6 (12,8; 14,4)
Arbeitsexposition
7293
 
vorwiegend körperlich tätig
1883
25,8 (24,8; 26,8)
vorwiegend nicht-körperlich tätig
5410
74,2 (73,2; 75,2)
Betriebsmerkmale
Betriebsgröße
7173
 
1–49 Beschäftigte
1906
26,6 (25,6; 27,6)
50–249 Beschäftigte
1278
17,8 (16,9; 18,7)
250–999 Beschäftigte
1248
17,4 (16,5; 18,3)
ab 1000 Beschäftigte
2741
38,2 (37,1; 39,3)
Branche
7305
 
Produktion, Herstellung, Verarbeitung
575
7,9 (7,3; 8,5)
Fertigungstechnik
818
11,2 (10,5; 11,9)
(Aus‑)Bau
410
5,6 (5,1; 6,2)
Gesundheit, Soziales, Lehre, Erziehung
1799
24,6 (23,6; 25,6)
Handel, Gastronomie, Hotel, Tourismus
737
10,1 (9,4; 10,8)
Unternehmensbezogene Dienstleistungen
1836
25,1 (24,1; 26,1)
IT, naturwissenschaftliche Dienstleistung
386
5,3 (4,8; 5,8)
Verkehr, Sicherheit, Reinigung
744
10,2 (9,5; 10,9)
Beschäftigtenpartizipation bei Gesundheitsthemen
7066
 
ja, in ausreichendem Ausmaß
2446
34,6 (33,5; 35,7)
zu wenig
1643
23,3 (22,3; 24,2)
eher nicht
2977
42,1 (41,0; 43,3)
Betriebsärztliche Versorgung
7039
 
ja
4532
64,4 (63,3; 65,5)
nein
2507
35,6 (34,5; 36,7)
N= 7514
KI Konfidenzintervall
Die bivariaten Pre-Tests bestätigen signifikante Effekte im Erhalt von BGF-Angeboten für alle untersuchten personen-, tätigkeitsbezogenen und betrieblichen Merkmale.
Personenbezogene Faktoren.
Die BGF-Angebote erhalten den bivariaten Analysen nach folgende Gruppen häufiger: Männer, Jüngere, Personen ohne direkte Migrationserfahrung und jene mit guter Gesundheit. Im multiplen Modell (Abb. 2a) sind die Effekte dieser Merkmale, außer Gesundheit, ebenfalls signifikant mit einem Angebotserhalt assoziiert. Gemeinsam erklären sie 2 % der Angebotsvarianz.
Tätigkeitsmerkmale.
Wie in den bivariaten Pretests zeigen sich im multiplem Analysemodell (Abb. 2b) signifikante Effekte für alle untersuchten Tätigkeitsmerkmale. Ein BGF-Angebot erhalten häufiger Beschäftigte, die fachlich qualifizierte Tätigkeiten ausüben, ihre Arbeit von zu Hause aus verrichten, Vollzeit tätig sind und vorwiegend nicht-körperlich arbeiten. Beschäftigte mit Schicht- und Nachtdiensten erhalten häufiger ein BGF-Angebot als jene ohne Schicht- bzw. Nachtdienste. Gemeinsam erklären sie 12 % der Angebotsvarianz.
Betriebliche Faktoren.
Der bivariate Pretest und das multiple Analysemodell (Abb. 2c) bestätigen signifikante Effekte für alle untersuchten betrieblichen Faktoren auf das BGF-Angebot. Gemeinsam erklären diese Merkmale 40 % der Varianz des BGF-Angebots. BGF-Angebote werden häufiger von Betrieben offeriert, in denen eine betriebsärztliche Versorgung und Beschäftigtenpartizipation bei Gesundheitsthemen bestehen. Die Angebotschance steigt mit der Betriebsgröße. Mit Quoten (Abb. 1) von > 50 % erhalten Beschäftigte der IT und naturwissenschaftlicher Dienstleistungen, unternehmensbezogener Dienstleistungen und Fertigungstechnik relativ häufig ein BGF-Angebot. Mit Quoten von <  30 % erhalten relativ selten Beschäftigte der Branchen Produktion, Verarbeitung und Herstellung sowie Handel, Gastronomie und Tourismus ein BGF-Angebot.

Diskussion

Viele der beobachteten Unterschiede bestätigen die Ergebnisse früherer Untersuchungen zur BGF-Angebotsverbreitung sowie zu Ungleichheiten auf individueller und betrieblicher Ebene: Von den Befragten stimmten 47,1 % einem BGF-Angebotserhalt zu. Die Angebotsverbreitung ist vergleichbar mit früheren lidA-Studienergebnissen (Befragung 2018: 49,1 %; [4]) und stimmt weitestgehend überein mit Untersuchungsergebnissen der repräsentativen BIBB(Bundesinstitut für Berufsbildung)/BAuA(Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)-Erwerbstätigenbefragung von 2018, wo 46 % der Erwerbstätigen im Alter von 51–60 Jahren ein BGF-Angebot bestätigten [11]. Konform mit diesen Studienergebnissen [11] zeigten sich auch signifikante BGF-Angebotsunterschiede zugunsten von Männern, Jüngeren, beruflich besser Gestellten, jenen ohne Migrationserfahrung und mit besserer Gesundheit.
Eine mögliche Erklärung für die höhere Angebotschance für Männer kann der höhere Anteil von Teilzeitbeschäftigung bei Frauen sein. Hierzulande arbeitet gut die Hälfte aller weiblichen Erwerbstätigen in Teilzeit, bei den männlichen ist es ein Zehntel [21]. Die Angebotsunterschiede sind möglicherweise auch durch die Branchenzugehörigkeit (mit-)erklärbar. So bestätigen Beschäftigte männerdominierter Branchen wie IT, naturwissenschaftliche Dienstleistungen und Fertigungstechnik deutlich häufiger ein BGF-Angebot als Beschäftigte sozialer, kultureller Dienstleistungen und im Gesundheitssektor. Entsprechend zeigte die Sensitivitätsprüfung (nicht dargestellt) unter Kontrolle der betrieblichen und tätigkeitsbezogenen Merkmale keinen signifikanten Geschlechtsunterschied im Erhalt von BGF-Angeboten. Dies sollten weitere Studien prüfen. Die höhere Angebotschance für Männer ist nicht gleichzusetzen mit ihrer Erreichbarkeit für Maßnahmen. Bestehende BGF-Angebote werden von Frauen deutlich häufiger genutzt [3, 4]. Möglich ist, dass BGF-Angebote sich nicht in gleichem Ausmaß am Bedarf von Männern orientieren wie bei Frauen [4, 7]. Dies spricht dafür, Teilnahmehürden zu erforschen – besonders von schwer erreichbaren Personengruppen mit Gesundheitsrisiken.
Ein guter Gesundheitszustand war übereinstimmend mit anderen Studienergebnissen [11] mit einer höheren Angebotschance assoziiert. Das kann als Erfolg der BGF angesehen werden oder aber auf einen Angebotsbedarf für Betriebe deuten, in denen die Beschäftigtengesundheit schlecht ist.
Hinsichtlich der Migrationsunterschiede bleibt unbeantwortet, ob Betriebe, Beschäftigten mit eigener Migrationserfahrung tatsächlich seltener BGF-Angebot offerieren oder ob vorhandene Angebote in dieser Beschäftigtengruppe seltener bekannt sind. So sind Personen mit Migrationserfahrung z. B. in der Leiharbeit überrepräsentiert tätig [6]. Der BGF-Angebotszugang kann sich für Beschäftigte dieser Unternehmen schwieriger gestalten [20]. Der Zusammenhang von Migration und BGF-Angeboten sollte daher in weiteren Studien geprüft werden. Für eingeschränkte Zugangschancen bestimmter Beschäftigtengruppen sprechen unsere festgestellten Unterschiede bezüglich Arbeitszeit und Homeoffice. Gerade während der Coronapandemie wurden viele BGF-Maßnahmen online angeboten und die Bereitschaft älterer Beschäftigter, entsprechende Angebote zu nutzen, ist signifikant angestiegen [15, 18]. Beschäftigte in Homeoffice sind hier im Vorteil. Tätigkeitsart und -ort können für einen Angebotszugang demnach entscheidend sein. Zugleich macht das Beispiel deutlich, welches Potenzial in einem zusätzlichen BGF Online-Angebot für Beschäftigte, die von zu Hause aus arbeiten, steckt.
Übereinstimmend mit anderen Studienbefunden [9, 11, 12] zeigt sich, dass BGF-Angebote überwiegend von großen Betrieben offeriert werden. Mit den Ergebnissen des IAB(Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)-Panels 2012 und der BIBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018 übereinstimmend zeigen sich besonders niedrige Angebotsquoten für die Branchen Handel und Gastronomie [11, 12]. Aufgrund der unterschiedlichen Branchenkategorisierung sind Vergleiche zu diesen Befunden aber eingeschränkt.
Unseren Ergebnissen nach werden BGF-Angebote eher von Betrieben offeriert, in denen weitere gesundheitsdienliche Strukturen bestehen. Da es sich bei der Beschäftigtenpartizipation um einen BGF-Grundbestandteil handelt [8], sind die Ergebnisse hierzu erwartungstreu. Möglicherweise spielt in Betrieben, die eine Beschäftigtenpartizipation anstreben und betriebsärztlich versorgt werden, das Thema Gesundheit insgesamt eine größere Rolle. Die Betriebsgröße kommt als eine alternative Erklärung für den Zusammenhang in Frage. Meist gibt es in größeren Betrieben eine bessere monetäre und personelle Ausstattung, um BGF-Angebote zu ermöglichen [2]. Dagegen sprechen unsere Ergebnisse der Sensitivitätsprüfung, die einen signifikanten Effekt der betriebsärztlichen Versorgung, kontrolliert für die Betriebsgröße und alle anderen unabhängigen Variablen bestätigt. Offen bleibt, ob es sich um eine Koinzidenz handelt. Weitere Studien sollten diese strukturellen Zusammenhänge näher untersuchen.
Zu den Stärken der lidA-Studie zählt die hohe Fallzahl von drei Jahrgängen älterer Beschäftigter, die in hohem Maße repräsentativ sind für alle sozialversicherten Beschäftigten dieser Jahrgänge in Deutschland. Als Limitation ist das Querschnittdesign dieser Untersuchung zu nennen, welches keine Aussagen zu kausalen Beziehungen oder einer bestimmten Richtung beobachteter Zusammenhänge erlaubt. Durch das Studiendesign, mit Integration einer Auffrischungs- und Aufstockungsstichprobe zu den Panelfällen in der vierten Erhebung (2022/23), sind Selektionseffekte nicht auszuschließen. In Selektivitätsanalysen zur Detektion systematischer Verzerrungen zeigten sich allerdings nur sehr moderate Effekte. Das lässt auf relativ geringe Selektionsbias schließen [17]. Eine Einschränkung dieser Untersuchung ist zudem, dass nicht weiter nach der Art der BGF-Angebote differenziert wurde. Das würde allerdings den Rahmen dieser Studie übersteigen und bleibt Folgeuntersuchungen überlassen.

Schlussfolgerungen

Unsere Ergebnisse an einem repräsentativen Sample älterer Erwerbstätiger lassen darauf schließen, dass Beschäftigte, die aufgrund ihrer sozialen und gesundheitlichen Voraussetzungen im Fokus der BGF stehen sollten (jene mit einfachen und manuellen Tätigkeiten, mit Migrationserfahrung, über 60-Jährige), geringere BGF-Angebotschancen haben als andere. Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Angebotsverbreitung hinsichtlich der Betriebsgröße zum Nachteil kleinerer Betriebe und Branchenzugehörigkeit zum Nachteil insbesondere der Branchen Handel, Gastronomie, Produktion, Verkehr, Reinigung und Sicherheit. Das BGF-Angebot muss für solche Risikogruppen verbessert werden bzw. die älteren Beschäftigten müssen über bestehende Angebote besser informiert werden. Auch ist darüber nachzudenken, auf welchen Wegen man BGF-Angebote Beschäftigten offeriert, die aufgrund der Tätigkeitsart und -ort einen erschwerten Zugang zu Angeboten haben und gesundheitsbezogen als Risikogruppen gelten.

Fazit für die Praxis

  • Unsere Befunde bestätigen erwartungstreu, dass Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) häufiger von großen Betrieben offeriert werden und in einigen Branchen, u. a. Handel, Verkehr und Gastronomie, deutlich unterrepräsentiert sind.
  • Besonders kritisch ist, dass ein Angebotsdefizit besonders für Beschäftigte besteht, die aufgrund ihrer sozialen und gesundheitlichen Voraussetzung ohnehin schon benachteiligt sind, u. a. beruflich schlechter Gestellte, manuelle Berufsgruppen und jene mit schlechter Gesundheit. Auch kritisch sehen wir, dass die Gruppe der über 60-Jährigen deutlich seltener über BGF-Angebote berichten als Jüngere.
  • Um eine Verschärfung gesundheitlicher Ungleichheiten zu vermeiden, besteht ein Nachbesserungsbedarf an bedarfsorientierten und zugänglichen Gesundheitsangeboten für diese Beschäftigtengruppen innerhalb der Betriebe.

Förderung

Die vorliegende Arbeit wurde gefördert durch die BARMER im Rahmen der Förderung des lidA 4 – BGF – Teilprojekts.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D. Borchart und J.-B. du Prel geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Für diese Studie liegt das Votum der Ethikkommission der Universität Wuppertal vor (5. Dezember 2008 und 20. November 2017). Alle Studienteilnehmenden sind über die Studie vor der Teilnahme schriftlich informiert worden und haben der Teilnahme zugestimmt. Von allen Studienteilnehmenden liegt eine Einverständniserklärung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

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5.
Zurück zum Zitat Bundesagentur für Arbeit (2021) Klassifikation der Berufe 2010. Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen Bd. 1. Nürnberg Bundesagentur für Arbeit (2021) Klassifikation der Berufe 2010. Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen Bd. 1. Nürnberg
7.
Zurück zum Zitat du Prel J‑B, Borchart D (2020) Betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention bei älteren Beschäftigten im Geschlechtervergleich. In: Jürges H, Siegrist J, Stiehler M (Hrsg) Männer und der Übergang in die Rente. Vierter Deutscher Männergesundheitsbericht der Stiftung Männergesundheit. Psychosozial-Verlag, Gießen, S 107–122CrossRef du Prel J‑B, Borchart D (2020) Betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention bei älteren Beschäftigten im Geschlechtervergleich. In: Jürges H, Siegrist J, Stiehler M (Hrsg) Männer und der Übergang in die Rente. Vierter Deutscher Männergesundheitsbericht der Stiftung Männergesundheit. Psychosozial-Verlag, Gießen, S 107–122CrossRef
10.
Zurück zum Zitat Hasselhorn HM, Müller BH (2021) Arbeit und Gesundheit – Eine Bilanzierung aus 25 Jahren arbeitsepidemiologischer Forschung. In: Richter G (Hrsg) Arbeit und Altern. Nomos, Baden-Baden, S 171–199CrossRef Hasselhorn HM, Müller BH (2021) Arbeit und Gesundheit – Eine Bilanzierung aus 25 Jahren arbeitsepidemiologischer Forschung. In: Richter G (Hrsg) Arbeit und Altern. Nomos, Baden-Baden, S 171–199CrossRef
20.
Zurück zum Zitat Seiler K, Splittberger B (2017) Ein strukturelles Problem? Herausforderungen der Gesundheitsförderung für prekär Beschäftigte. In: Faller G, Abel B, Badura B, al (Hrsg) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, 3. Aufl. Hogrefe, Bern, S 413–424 Seiler K, Splittberger B (2017) Ein strukturelles Problem? Herausforderungen der Gesundheitsförderung für prekär Beschäftigte. In: Faller G, Abel B, Badura B, al (Hrsg) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, 3. Aufl. Hogrefe, Bern, S 413–424
22.
Zurück zum Zitat Tempel J, Geißler H, Ilmarinen J (2017) Stärken fördern, Schwächen anerkennen: Der Beitrag der betrieblichen Gesundheitsförderung für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit von älteren und älter werdenden Mitarbeiterninnen und Mitarbeitern. In: Faller G, Abel B, Badura B, al (Hrsg) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, 3. Aufl. Hogrefe, Bern, S 273–284 Tempel J, Geißler H, Ilmarinen J (2017) Stärken fördern, Schwächen anerkennen: Der Beitrag der betrieblichen Gesundheitsförderung für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit von älteren und älter werdenden Mitarbeiterninnen und Mitarbeitern. In: Faller G, Abel B, Badura B, al (Hrsg) Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, 3. Aufl. Hogrefe, Bern, S 273–284
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Titel
Gesundheitsförderung für Beschäftigte 50plus – Ergebnisse der lidA-Studie 2022/23
verfasst von
Dr. phil. Daniela Borchart
PD Dr. med. Jean-Baptist du Prel, MPH
Publikationsdatum
06.12.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Prävention und Gesundheitsförderung
Print ISSN: 1861-6755
Elektronische ISSN: 1861-6763
DOI
https://doi.org/10.1007/s11553-024-01175-3

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