Arztpraxis kann auch mal Erholung bedeuten

Jana Husemann ist Mutter zweier Kinder, niedergelasse Ärztin in St. Pauli und Chefin des Hamburger Hausärzteverbandes. Die Arbeit in der Praxis empfindet sie nicht als Belastung – sondern sogar manchmal als Erholung. Ärztinnen in der Niederlassung sind selbstverständlich, dies gilt für Angestellte und selbstständig tätige. Ärztinnen, die eine Praxis führen und in dieser Zeit Kinder bekommen, sind nicht ganz so selbstverständlich. Wirklich selten aber sind die Ärztinnen, die sich außerdem noch in der Standespolitik engagieren. Dr. Jana Husemann ist all das: zweifache Mutter, Praxischefin auf St. Pauli, Vorsitzende des Hausärzteverbandes in Hamburg und Abgeordnete in der Vertreterversammlung der KV. Wie geht das alles für sie zusammen? „Auf jeden Fall leichter als in der Klinik“, steht für Jana Husemann fest. Als einen entscheidenden Vorteil der Selbstständigkeit in der Niederlassung gegenüber einer angestellten Tätigkeit in der Klinik nennt sie die Flexibilität. Sie kann selbst entscheiden, wie sie ihre Arbeit ein- und aufteilt. In ihrem Fall bedeutet das: Vier Tage Praxis, einer für die Berufspolitik. Und Arbeitsbeginn und –ende so festlegen, dass er familienkompatibel ist. Klingt einfach, ist abwechslungsreich, bleibt aber anstrengend. Mitunter so sehr, dass Jana Husemann die Belastungsgrenze überschritten sieht. Abwechslung vom Alltag Das war zum Beispiel der Fall, als die zweite Tochter in den Monaten nach der Geburt abends sehr unruhige Stunden hatte und an Schlaf oder den gemütlichen Feierabend im Hause kaum zu denken war. In diesen Phasen ist die Praxis allerdings alles andere als eine Belastung, sondern willkommene Abwechslung. „An solchen Tagen kann sich Praxis manchmal wie eine Erholung anfühlen. Es ist dann wohltuend, sich mit ganz anderen Fragen beschäftigen zu können“, sagt Husemann. Die „Schreiphase“ ist überwunden, Familie Husemann ist im Alltag angekommen. Der sieht Aufstehen um 6 Uhr 30 vor, die beiden Mädchen (viereinhalb Jahre und neun Monate) werden für den Tag vorbereitet. Eine Stunde nach dem Aufstehen geht Jana Husemann in die Praxis. Zehn Minuten braucht sie – Zeit, die sie als wertvoll zum Abschalten betrachtet. Ihr Mann ist Lehrer und bringt die ältere Tochter in die Kita. Momentan ist er in Elternzeit. Zeit gut einteilbar Jana Husemann ist Praxispartnerin in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit zwei weiteren Partnern, einem angestellten Arzt und zwei Ärztinnen in Weiterbildung. Das ermöglicht eine gute zeitliche Einteilung, sodass die Ärztin die Praxis um 15 Uhr verlassen kann. Sie geht dann von der Praxis zur Kita, holt die größere Tochter ab. Das Nachmittagsprogramm beinhaltet entweder Musik oder Turnen für die Tochter oder gemeinsame Familienzeit zu Hause. Gegen 19 Uhr ist gemeinsames Abendessen, bevor die Kinder zu Bett gebracht werden. Ab 21 Uhr findet Jana Husemann dann Zeit, noch einmal an den heimischen Computer zu gehen und von dort Arbeit für die Praxis oder für die Standespolitik zu erledigen. Als Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes und als KV-Abgeordnete kümmert sie sich an ihrem praxisfreien Tag um Berufspolitik. Auch das ist mit ihrem Partner, der neben seiner Tätigkeit als Lehrer Musik macht, abgesprochen. Die Wochenenden sind primär für Familie und Freizeit da. Die Hausärztin hat den Eindruck, dass es deutliche Vorteile hat, Praxischefin und Mutter zugleich zu sein. Niedergelassen ist sie seit 2015. Mit ihren Partnern in der Praxis war der Kinderwunsch vor dem Eintritt in die Praxis abgesprochen. „Es war aber auch klar, dass ich nicht die volle Elternzeit nehmen werde, sondern dass wir beide jeweils sieben Monate gehen würden“, sagt sie. Die anderen Praxispartner haben ebenfalls Anspruch, nicht ununterbrochen für die Praxis da zu sein. Sie wollen dies zum Beispiel mal für einen Auslandseinsatz oder für ein Sabbatjahr nutzen. Um Familie und Praxis unter einen Hut zu bringen, haben Husemann mehrere Rahmenbedingungen und Absprachen geholfen: Absprache mit dem Partner: Beide wollten die Elternzeit aufteilen. Aufgrund der beiden Berufe ergaben sich dadurch keine nennenswerten Unterschiede beim Einkommen. Husemann ist bewusst, dass dies bei vielen Paaren nicht der Fall ist und sagt deshalb: „Das wäre besser, wenn Frauen genauso viel verdienen würden wie Männer“. Aber selbst wenn nicht, ist es oft viel zu kurz gedacht, wenn automatisch der schlechter verdienende Elternteil zu Hause bleibt. Eine Mutter sollte frei mit ihrem Partner entscheiden können, welches Modell in der Familie für sie passt. Dann sollte es auch für das berufliche und gesellschaftliche Umfeld in Ordnung sein. Dr. Jana Husemann, Hausärztin auf St. Pauli und Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes Es sollten immer beide Karrieren und die jeweilige finanzielle Absicherung, vor allem auch im Alter, eine Rolle spielen. Absprache mit den Praxispartnern: Alle tragen es mit, dass Arbeitszeiten passend zur jeweiligen Lebenssituation eingeteilt werden. Das setzt voraus, dass die Praxispartner eine gleiche Einstellung haben. Infrastruktur: Die Familie hat in Hamburg die Möglichkeit, beide Kinder professionell betreuen zu lassen, wenn beide Elternteile wieder arbeiten. Ohne einen Platz in einer Kita in erreichbarer Nähe würde das Modell der Husemanns anders aussehen. Ist ihr Familienmodell im Jahr 2022 deutsche Normalität? Leider nein, ist ihr Eindruck. „Wir sind nicht die Norm. Für unsere Gesellschaft ist es noch nicht selbstverständlich, dass sich beide Partner die Elternzeit gleichberechtigt aufteilen“, sagt sie. Gab es Vorbehalte aus ihrem Umfeld, als sie schneller als die meisten Mütter wieder arbeiten wollte? Nicht direkt – das böse Wort der „Rabenmutter“ wurde ihr gegenüber nie in den Mund genommen. Allein die Tatsache, dass es den „Rabenvater“ im Sprachgebrauch nicht gibt, sollte aus ihrer Sicht aber nachdenklich stimmen. Klinik und Familie ist schwieriger Nach ihrer Beobachtung sind insbesondere Ärztinnen in Kliniken in einer schwierigen Situation als junge Mutter: Nutzen sie die volle Elternzeit, schaden sie ihrer beruflichen Karriere. Kehren sie schnell zurück, werden sie mitunter angefeindet und müssen sich unterstellen lassen, zu wenig Zeit mit ihren Kindern zu verbringen – eine unzumutbare Haltung gegenüber den jungen Müttern, findet Husemann: „Eine Mutter sollte frei mit ihrem Partner entscheiden können, welches Modell in der Familie für sie passt. Dann sollte es auch für das berufliche und gesellschaftliche Umfeld in Ordnung sein.“ Quelle: Ärzte Zeitung

Springer Medizin

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