Interview: „Unser Ziel ist es, Diabetes zu heilen“

Novo Nordisk ist Weltmarktführer in der Diabetes- Therapie. Es ist ein gutes Geschäft, denn heilbar ist die Krankheit derzeit nicht, aber die Zahl der lebenslang auf Arzneimittel angewiesenen Patienten steigt. Über die spezielle Unternehmensphilosophie des dänischen Unternehmens, das einer Stiftung gehört, und über die Hemmnisse für Ärzte in Deutschland, Innovationen einzusetzen, sprach Springer Medizin mit Dr. Gundula Schneidewind und Jörn Oldigs von Novo Nordisk. Das AMNOG ist nun gut vier Monate alt. Bewegen Sie sich inzwischen auf sicherem Terrain? Schneidewind: Rechtssicherheit kann noch keiner der Beteiligten empfinden. Das gilt auch für den Gemeinsamen Bundesausschuss. Klar ist: Die frühe Nutzenbewertung ist eine sehr einschneidende strukturelle Veränderung, deren Folgen wir für Arzneimittelinnovationen noch nicht abschätzen können. Vor allem, wenn sie chronische Erkrankungen wie Diabetes betreffen. Denn die Kriterien, die derzeit angewendet werden, sind sehr schwer zu erfüllen. Was konkret ist für Sie ein Problem? Schneidewind: Wesentliche Surrogatparameter wie der HbA1c-Wert werden vom IQWiG nicht anerkannt. Das unterscheidet uns von allen anderen internationalen Bewertungssystemen. Das ist auch nicht in Einklang zu bringen mit den Zulassungsstudien. Was fordert das IQWiG von Ihnen? Schneidewind: Nachweise verbesserter Morbidität und Mortalität... ... das kann lange dauern... Schneidewind: ... in der Tat. Anerkannt wird auch eine Verbesserung bei Komorbiditäten, die aber als Folge von mikro- oder makrovaskulären Schäden erst sehr spät auftreten. Beispiel: Niereninsuffizienz oder Erblindung. Ist das überhaupt feststellbar im Rahmen von Phase-III-Studien vor der Zulassung? Schneidewind: Nein. Zumal sehr genaue Vorgaben für diese Studien existieren. Und diese lauten: eine Blutzuckersenkung mit möglichst wenig Nebenwirkungen zu erreichen. Denn desto besser kann der Patient geführt werden, und desto besser kann er seinen Blutzuckerhaushalt in der Norm halten und Folgeerkrankungen vermeiden. Dr. Gundula Schneidewind Jörn Oldigs Aktuelle Position: Director Public & Government Affairs bei Novo Nordisk. Ausbildung: Medizin- Promotion in Zürich 1997, Studium Public Health an der Uni Bremen. Karriere: 1995 bis 2000 ärztliche Tätigkeit, 2000 bis 2001 Gruppenleiterin Case-Management der BKK EWE, 2001 bis 2003 Leiterin DMP bei der AOK Hessen, 2004/2005 Leiterin Gesundheitswesen bei Lilly, 2005/2006 Abteilungsleiterin bei der KV Bremen, 2006 bis 2009 gesundheitspolitische Direktorin bei Sanofi Pasteur MSD. Aktuelle Position: seit November 2009 Geschäftsführer Novo Nordisk Deutschland mit Sitz in Mainz. Werdegang/Ausbildung: Industriekaufmann, internationales Trainee-Programm bei Boehringer Ingelheim 1984 bis 1988. Karriere: Auslandseinsätze in Uruguay, Venezuela, El Salvador, Portugal und Spanien in verschiedenen Marketing- und Vertriebspositionen bei Boehringer Ingelheim und Bayer (seit 1992); zuletzt Leiter Diabetes Care Bayer Vital. Wie realistisch ist es, in einem Zeitraum von wenigen Monaten nach der Zulassung, Versorgungsstudien vorzulegen? Schneidewind: Überhaupt nicht. Die klinischen Studien, die für die Zulassung gemacht werden, sind ja keine Versorgungsstudien. Oldigs: Das betrifft letztlich alle Therapien für chronische Krankheiten, nicht nur Diabetes. Wird es in Deutschland im internationalen Vergleich besonders schwer, Innovationen auf den Markt zu bringen? Oldigs: Das würde ich sofort unterschreiben. Es dauert in Deutschland schon bisher immer deutlich länger, bis sich Innovationen beim Arzt durchsetzen. Und jetzt tritt mit der frühen Nutzenbewertung ein neuer Mechanismus hinzu, der Innovationsprozesse weiter verlangsamt. Im Rahmen von globalen Forschungsprogrammen, in denen Studien über Jahre geplant werden, ist das eine echte Herausforderung. Kann das zur Folge haben, dass Sie in Deutschland erst zu einem sehr späten Zeitpunkt in den Markt starten werden? Oldigs: Gute Frage. Unser Wunsch ist es, Innovationen möglichst früh bereitzustellen. Bislang war es so, dass wir in Deutschland immer sehr früh gestartet sind. Schneidewind: Was bislang leider versäumt worden ist: Das ist ein konstruktiver und kooperativer Ansatz, den Wert von Innovationen in der Alltagsversorgung einzuschätzen. Andere Länder machen das durchaus. Beispielsweise Frankreich: Die vereinbaren eine konditionale Erstattung, beispielsweise zeitlich begrenzt mit der Auflage etwa von zusätzlichen Sicherheitsstudien. Ähnlich könnte man auch mit dem Zusatznutzen verfahren. Der Bundesausschuss müsste sich dann auch darauf einlassen, bestimmte Studiendesigns zu vereinbaren. Die Hersteller haben ja ein Recht auf frühzeitige Beratung durch GBA und IQWiG, um abzuschätzen, was diese Gremien denn fordern... Schneidewind:... wobei der GBA immer wieder betont, dass er sich an diese Zusagen nicht gebunden fühlen wird, sondern im Prozess die Anforderungen wieder ändern kann. So kann man keine Langzeit-Studien planen. Die Weiterentwicklung Ihres Portfolios ist aber bereits langfristig geplant. Wie ist der Status bei Degludec? Oldigs: Die Phase III-Studien sind abgeschlossen und wir planen, die Zulassung für dieses ultralangwirksame Basalinsulin dieses Jahr einzureichen. Welche Eigenschaften hat dieses Insulin? Oldigs: Es geht darum, eine bestimmte HbA1c-Senkung zu erreichen und vor allem nächtliche Hypoglykämien zu vermeiden. Das vergleichen wir mit dem Marktführer, dem Insulinglargin. Und hier zeigen die Studien, dass die Häufigkeit von Hypoglykämien insgesamt um 16 Prozent, die der nächtlichen sogar um 32 Prozent gesenkt wird. Schneidewind: Außerdem kann dieses Insulin unabhängig von der Tageszeit genommen werden, weil das Blutzuckerprofil sehr gleichmäßig bleibt. Das wäre ja vorteilhaft für die Compliance. Würde dies das IQWiG als Kriterium berücksichtigen? Schneidewind: Überhaupt nicht. Auch wenn ein Arzneimittel statt täglich nur einmal wöchentlich gegeben werden müsste – das IQWiG sähe darin keinen Zusatznutzen. Novo Nordisk - Zahlen und Fakten Branche: pharmazeutische Industrie Sitz: Bagsværd bei Kopenhagen, Niederlassung in 76 Ländern, Vermarktung in 179 Ländern, Produktionsstätten in sieben Ländern. Aktuelle Geschäftszahlen: 8,15 Milliarden Euro Umsatz 2010 weltweit, davon Europa 31 Prozent, Nordamerika 39 Prozent, China sieben Prozent; Investitionen in Forschung und Entwicklung: 1,29 Milliarden Euo, davon 904 Millionen Euro in Diabetes. Gewinn: 2,5 Milliarden Euro. Novo Deutschland: Standort in Mainz, gegründet 1958 mit Marketing und Vertrieb, klinische Forschung, Medizin, Zulassung, Gesundheitspolitik, Verwaltung. Mitarbeiter: insgesamt weltweit 30.900; davon 580 in Deutschland. Indikationsgebiete: Diabetes (85 Prozent), Blutgerinnung, Wachstumshormontherapie, Hormonersatztherapie. Besonderheit: Die Mehrheit der stimmberechtigten Aktien hält die Novo Nordisk-Stiftung. B-Aktien sind an den Börsen Kopenhagen und New York gelistet. Eigentlich müsste es ja einen Aufstand der Ärzte geben. Schneidewind: Ich glaube, vielen Ärzten ist das gar nicht bewusst, was da geschieht. Was bei den Ärzten ankommt, ist, dass wir die modernen Insuline zu den Kosten der alten Humaninsuline anbieten müssen, weil die Nutzenbewertungen ergeben haben, dass die Analoga nicht besser sind. Tatsache ist: Wir haben in Deutschland ein Erstattungsniveau für moderne Analoga, das dem Niveau von Humaninsulinen in Ampullen und Spritzen entspricht. Es wird unterstellt, dass innovative Insulinanaloga keinen Zusatznutzen haben. Oldigs: Deutschland ist das einzige Land weltweit, wo moderne Insulintherapie zu den gleichen Kosten angeboten werden wie 30 Jahre alte Humaninsuline. Und trotzdem ist Deutschland in Europa das Land, wo die Insulinanaloga die geringsten Marktanteile haben. Dabei haben wir für NovoRapid® und NovoMix® 30 bereits seit 2006 Rabatte. Für Levemir® haben wir mit fast allen Krankenkassen letztes Jahr Versorgungswahlverträge abgeschlossen, die die vom GBA geforderte Kostengleichheit garantieren. Trotzdem werden immer noch überwiegend Humaninsuline eingesetzt. Das kann man nicht verstehen. Sind Ärzte beratungsresistent? Oldigs: Nein, das liegt gar nicht an den Ärzten. Den Ärzten sind schon die Vorteile bewusst. Aber sie sind verunsichert und geknebelt durch das System in ihrer Therapiefreiheit, die immer weiter eingeschränkt wird. Von wem? Oldigs: Krankenkassen beispielsweise. Dann müssten Kassen für Sie ein ernst zu nehmender Partner werden? Oldigs: Das sind sie schon seit einiger Zeit. Wir sind natürlich an einer Zusammenarbeit interessiert. Aber nicht erfolgreich. Oldigs: Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Es gibt konstruktive Zusammenarbeit, andererseits aber auch Kassen, die nur einen Discountvertrag abschließen wollen. Jetzt sagen Sie mal ein positives Beispiel. Schneidewind: Eine neue Option ist es, dass wir Partner der Integrierten Versorgung werden können. Dem stehen Ärzte kritisch gegenüber, weil sie die Sorge haben, sie könnten dann nur noch bestimmte Produkte verordnen. Das ist nicht ganz unberechtigt. Deshalb ist wichtig, dass die Ärzte von vornherein mit im Boot sind. Social Responsibility Unter "Changing Diabetes" subsumiert Novo Nordisk Aktivitäten jenseits der Arzneiproduktion. Beispiele: Word Diabetes Foundation soll die Diabetes-Versorgung in Entwicklungsländern verbessern. Damit werden Arzneien und Infrastruktur für Gesundheitsfürsorge und Beratung bereitgestellt. UNite for Diabetes: Damit wurde eine UN-Resolution unterstützt, wonach Diabetes neben AIDS als zweite Erkrankung die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich ziehen soll. Novo Nordisk Akademie: Studien zeigen, dass richtige Kommunikation zwischen Diabetesteam und Patient eine Schlüsselrolle für den Therapieerfolg hat. Die Novo Nordisk Akademie bietet in ihren Seminaren eine Symbiose aus Medizin, Psychologie und Kommunikation. Über Diabetes hinaus arbeiten Sie auch in anderen Indikationsbereichen: Blutgerinnung und Hormontherapie. Oldigs: Diabetes macht 85 Prozent unserer Forschungsaktivitäten aus. In der Hämophilie wollen wir künftig Faktor VIII- und Faktor XIII-Präparate anbieten. Wir legen bei der Entwicklung besonderen Wert auf Anwendungssicherheit, etwa Stabilität der Präparate auf Raumtemperatur. Schneidewind: Auch werden die Präparate bei seltenen Blutgerinnungsstörungen untersucht. Dazu sind weltweite Studien nötig. Durch die hohen Sicherheitsanforderungen muss man sehen, dass man die geforderte Zahl an Patienten zusammenbekommt. Was verbirgt sich hinter „Changing Diabetes“? Oldigs: Es ist ein Langfrist-Programm, das sich aus der Geschichte des Unternehmens und einer besonderen Betroffenheit erklärt. Die Frau des Gründers Marie Krogh hatte Diabetes; das war der Grund, nach einer Therapie zu suchen. Novo Nordisk ist eine Stiftung, die das Ziel hat, Diabetes zu heilen. Damit wäre das Geschäft zu weiten Teilen kaputt. Oldigs: Möglich. Aber „Changing Diabetes“ bedeutet: Wir bieten nicht nur Produkte an, sondern beschäftigen uns umfassend mit dem Krankheitsbild. Wir entwickeln in jedem Land der Welt Gesundheitsprogramme, wobei jedes Land und jede Gesellschaft anders ist. Dabei geht es um frühe Erkennung von Diabetes. Wir zeigen, wie man mit Diabetes leben kann, zum Beispiel, dass es möglich ist, als Diabetiker an einem Halbmarathon teilzunehmen. Das gibt Ansporn zu körperlicher Aktivität. Ist das nicht auch ein Kampf gegen Windmühlen? Oldigs: Gerade die steigende Zahl von Diabetikern, die wir in Zukunft erwarten müssen, spornt uns an. Fatalismus wäre falsch, und davon versuchen wir auch Politik und Gesellschaft zu überzeugen. Wenn man nicht präventiv agiert, dann ist die Welle, die auf uns zurollt, so groß, dass ein Viertel der Gesundheitsausgaben allein durch Diabetes verursacht werden. Finden Sie da Gehör? Schneidewind: Wir sind in Kontakt mit Parlamentariern. Auch dem Bundesgesundheitsminister ist das Problem bewusst. Wir haben aber in einem föderalen System eine geteilte Verantwortung, vor allem in der Prävention, die mehr eine Aufgabe der Länder ist. Hier gibt es Unterschiede. Wir haben einzelne Länder, die sich stark engagieren wie etwa Rheinland-Pfalz. Der Bund ist da in jüngster Zeit etwas zurückgefallen. Es gab von der Vorgänger-Regierung einen Nationalen Diabetesplan, der dann nicht weiterverfolgt worden ist. Auch die Patientenorganisationen müssten besser aufgestellt sein. Denn Diabetes Typ 2 ist mit Stigmatisierung verbunden. Selbst die Frau unseres Firmengründers hat öffentlich nicht zugegeben, dass sie Diabetes hatte. Das war ihr peinlich. Das macht die Sekundärprävention schwierig. Das Interview führten Wolfgang van den Bergh, Wolfgang Geissel und Helmut Laschet. Diabetes: Eine häufige Krankheit mit gefährlichen und teuren Komplikationen Diabetes gehört zu den häufigsten und teuersten Volkskrankheiten in Industrieländern und insbesondere auch in Deutschland. Stärker noch als die unmittelbaren Behandlungskosten der chronischen Krankheit fallen die - teilweise vermeidbaren - Spätkomplikationen ins Gewicht. Die Daten im Einzelnen: Ärzte Zeitung × Prävalenz und Inzidenz: Mehr als sieben Millionen Deutsche sind wegen Diabetes in Behandlung, davon sind 90 Prozent Typ 2-Diabetiker. Es wird geschätzt, dass etwa eine Million Diabetiker als solche nicht erkannt sind. Die Diabetes-Inzidenz liegt bei 300 000 pro Jahr. Etwa 55 000 Menschen pro Jahr sterben an den Folgen der Krankheit. Im europäischen Vergleich ist die Diabetes-Prävalenz in Deutschland mit 8,9 Prozent überdurchschnittlich hoch. Weitaus günstiger sind die Zahlen in Dänemark (5,6 Prozent) und in den Niederlanden (5,3 Prozent). Begleiterkrankungen und Komplikationen: Gefürchtet sind vor allem die Folgen von Diabetes wegen ihrer Schwere und hohen Kosten. Nach elf und mehr Jahren treten zu 24,1 Prozent Retinopathien auf, zu 23 Prozent diabetische Nervenkrankheit, zu 4,9 Prozent diabetischer Fuß, zu 7,4 Prozent Schlaganfall, zu 11,1 Prozent Herzinfarkt, zu 12,1 Prozent arterielle Verschlusskrankheiten der Beinarterien. Ärzte Zeitung × Kosten von Diabetes: Die direkten Behandlungskosten von Diabetes liegen bei rund 1000 Euro im Jahr. Für Arzneimittel müssen etwa 300 bis 400 Euro aufgewendet werden, etwa 600 bis 700 Euro erfordert die ärztliche Behandlung. Diese Kosten bleiben im Zeitablauf, also auch bei Fortschreiten der Erkrankung näherungsweise konstant. Insulin und orale Antidiabetika schlagen bei der Versorgung der Grundkrankheit mit 251 Euro zu Buche. Anders dagegen die direkten Kosten der Komplikationen und Begleiterkrankungen. Hier fallen zusätzlich Kosten für Krankenhausbehandlung (800 Euro) und Pflege (314 Euro) an. Im Schnitt summieren sich die Behandlungskosten der Komplikationen und Begleiterkrankungen auf fast 2000 Euro pro Jahr - mit steigender Tendenz. Im achten Jahr nach der Diagnose Diabetes werden über 3000 Euro erreicht. Daneben entstehen indirekte Kosten durch erhöhte Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung von 1300 Euro. Innovative Therapie: Sie setzt sich in Deutschland im Vergleich zu den wichtigsten europäischen Ländern nur sehr langsam durch. Kurzwirksame Insulinanaloga sind in Frankreich, Schweden, Großbritannien und in der Schweiz mit einem Anteil von über 90 Prozent Standard. In Deutschland erreicht der Marktanteil 46 Prozent. Im europäischen Durchschnitt liegen die modernen Analoga bei 66 Prozent. Ähnlich sind die Relationen für langwirksame Analoga. Das ist frappierend. Denn aufgrund von Rabattverträgen sind die Kosten für die Kassen nicht höher als die für ältere Humaninsuline und damit günstiger als im Ausland.

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