Engpässe bei Medizinprodukten bereiten manchen Praxen erhebliche Sorgen

Ob in der Urologie oder Chirurgie – manche Fachdisziplinen sind bereits massiv von den Auswirkungen der novellierten EU-Medizinprodukteverordnung betroffen. Sie befürchten nicht nur wegen bereits auftretender Lieferengpässe dauerhaft steigende Kosten und Qualitätseinbußen. Ob sterile Einmalhüllen für Zytoskope, das UCG-Besteck für die retrograde Urethrographie oder das Besteck für die intravesikale Therapie beim Harnblasenkarzinom mit Bacillus Calmette-Guerin (BCG) – der Berufsverband der Deutschen Urologen (BvDU) hat eine umfassende Liste mit Antworten seiner Mitglieder geschickt. Und zwar auf eine Umfrage der Ärzte Zeitung unter den verschiedensten Fachdisziplinen zu den bereits spürbaren Auswirkungen der novellierten, zum 26. Mai 2021 in Kraft getretenen EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) im Behandlungsalltag. Ein BvDU-Mitglied adressiert zum Beispiel die Versorgung mit chirurgischen Instrumenten: „Durch den Fachkräftemangel wird der Zugriff auf zertifizierte Sterilisationsanbieter immer schwieriger, so dass sich die zum Teil praxisfernen Hygienevorgaben des RKI nur mit Einmalmaterial erfüllen lässt. Hier stockt der Nachschub dann möglicherweise. Einige Spezialinstrumente gibt es nicht in ausreichender Qualität als Einmalinstrumente.“ Die Warnungen der Medizintechnikbranche, dass sich im Zuge des obligatorischen und für die Unternehmen auch teuren Rezertifizierungszwang für sämtliche Medizinprodukte inklusive bewährter Bestandsprodukte das Sortiment um bis zu 30 Prozent ausdünnen könnte, scheinen also nicht ganz unberechtigt gewesen zu sein. Doch wie sieht es jetzt konkret im Versorgungsalltag aus? Flexibilität von Ärzten gefordert „Aktuell müssen noch keine Leistungen gestrichen werden, allerdings sind die Klingen von Weckmessern und Humbey-Messern in der Verbrennungsbehandlung von großer Bedeutung und nur schwer zu ersetzen“, antwortet Kerstin van Ark, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) auf die Umfrage der Ärzte Zeitung. Dennoch seien Folgen der Sortimentsverknappung schon jetzt spürbar. „Es gibt im Einkauf einen erheblichen Beschaffungsaufwand, unter anderem mit der Ersatzartikelsuche. Für den Anwender bedeutet dies, sich immer wieder auf neue Produkte einzustellen“, bringt es van Ark auf den Punkt. Es gibt im Einkauf einen erheblichen Beschaffungsaufwand, unter anderem mit der Ersatzartikelsuche. Für den Anwender bedeutet dies, sich immer wieder auf neue Produkte einzustellen. Kerstin van Ark, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen Von Seiten der Mitglieder des Berufsverbandes Deutscher Dermatologen (BVDD) seien ihm zwar noch keine konkreten Engpässe angezeigt worden, berichtet Vorstandsmitglied Dr. Uwe Schwichtenberg. Aber: „Ja, die Preise steigen, aber ob dies der MDR zuzuschlagen ist oder den anderen aktuellen Inflationstreibern, ist nicht auszumachen.“ Auch der Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen (bng) ist im Vergleich zu anderen Disziplinen vorsichtiger mit der Beurteilung der Marktlage. „Engpässe ergeben sich derzeit durch die allgemeine Wirtschaftslage. Viele Materialien der Endoskopie (Schlingen, Zangen etc.) werden in China produziert. Eine Konstanz in der Bestellung gleicher Produkte ist nicht mehr gegeben. Ein Versorgungsengpass als solcher ist allerdings noch nicht zu verspüren“, resümiert bng-Chef Dr. Ulrich Tappe. Es verknappe sich der Markt sowohl im Bereich der Mittel als auch der Anbieter. „Leistungen werden im Bereich der ambulant tätigen Gastroenterologen aber noch nicht gestrichen. Preiserhöhungen sind allein aufgrund der Inflation zu erwarten. Die Medizinprodukteverordnung hat dabei eher einen untergeordneten Einfluss“, ergänzt Tappe die Sicht der Gastroenterologen. Keinerlei Beeinträchtigungen im Versorgungsalltag spiegelt derweil Thomas Hahn, Leiter der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte, der Ärzte Zeitung zurück. „Bei den ambulant tätigen HNO-Ärztinnen und -Ärzten sind die Auswirkungen der MDR aktuell noch nicht spürbar. So ein kurzes Stimmungsbild aus unseren Gremien“, sagt Hahn. Allerdings hätten verschiedene Hersteller den HNO-Verband bereits über potenzielle Engpässe informiert. Kinder im Fokus Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler (DGPK) hat die Öffentlichkeit bereits im Februar im Umfeld ihrer Jahrestagung darauf aufmerksam gemacht, dass die Anzahl herzkranker Neugeborener, Säuglinge und Kinder – im Vergleich zu Erwachsenen mit erworbenen Herzerkrankungen – deutlich kleiner sei. Auf der anderen Seite gelte es jedoch zu berücksichtigen, dass die angeborenen Herzfehler eine sehr große Heterogenität aufwiesen, die differenzierter interventioneller Therapieverfahren bedürften. Die Auswirkungen der MDR sind dramatisch und gefährden die Versorgung kritisch kranker Kinder mit angeborenem Herzfehler. Professor Matthias Gorenflo, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler Hierbei kämen besondere Implantate, zumeist „Nischen-Medizinprodukte“, aus kleinen Produktionslinien zum Einsatz, die in geringer Stückzahl und unterschiedlicher Größenordnung hergestellt würden. Wie der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler am Universitätsklinikum Heidelberg und amtierende DGPK-Präsident Professor Matthias Gorenflo auf Nachfrage der Ärzte Zeitung in puncto MDR-bedingte Produktengpässe nachdrücklich warnt, „sind die Auswirkungen dramatisch und gefährden die Versorgung kritisch kranker Kinder mit angeborenem Herzfehler“. Perspektivlosigkeit für die Patienten In die gleiche Kerbe schlug vor Kurzem die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG), die sich unter anderem in die anderweitige, auf Arzneimittelengpässe fokussierte Diskussion über Rückverlagerungen bestimmter Produktionskapazitäten nach Europa mit dem Verweis auf die Knappheit bei manchen ihrer im Versorgungsalltag dringend benötigten Medizinprodukte einmischte. „Verschiedene Speziallinsen zur Implantation in das Auge nach Entfernung der körpereigenen getrübten Linse beim grauen Star sind momentan wegen einer Änderung im Medizinproduktegesetz nicht mehr verfügbar“, so DOG-Präsident Professor Gerd Geerling. Grund dafür sei die MDR, deren Ziel es gewesen sei, „die staatliche Regulation zu minimieren, was jedoch zu einem erhöhten Zertifizierungsaufwand für Nischenprodukte führte“, erläutert der Direktor der Universitätsaugenklinik Düsseldorf. In der Folge seien viele Produkte vom Markt genommen worden. Besonders schwerwiegend treffe es Menschen, die etwa durch eine schwere Hornhauterkrankung beidseits erblindet sind und denen mit einer natürlichen Hornhauttransplantation nicht, aber mit einer besonderen Form der künstlichen Hornhaut – einer Keratoprothese – geholfen werden könne. „Da diese Implantate nicht mehr verfügbar sind, müssen die Patienten in Blindheit ohne Aussicht auf Besserung leben“, konstatiert Geerling. Rasche Problemlösung eingefordert Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hat die Öffentlichkeit vor Kurzem gewarnt, dass ihnen nach Lieferengpässen für Medizinprodukte durch die Corona-Pandemie nun – MDR-bedingt – der Ausfall wichtiger Implantate für orthopädische und unfallchirurgische Operationen drohe. Grund sei der Rezertifizierungszwang für Anbieter auch bereits langjährig am Markt verfügbarer Implantate. Dieser Missstand müsse politisch adressiert werden, fordert die Gesellschaft ein „Für Implantate, die sich seit vielen Jahren bewährt haben und für selten verwendete spezielle Implantate muss in Brüssel oder in Berlin eine Lösung gefunden werden, damit sie weiterhin für unsere Patienten zur Verfügung stehen“, moniert Professor Andreas Halder, stellvertretender DGOU-Präsident. Es sei zu befürchten, „dass wir einigen Patientinnen und Patienten bald sagen müssen: Es tut uns leid, wir müssen Ihren Operationstermin absagen, wir bekommen keine passende Prothese für Sie“, ergänzt Halder, der zugleich als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) fungiert. Der Druck auf die gesundheitspolitischen Entscheider in Berlin und die EU-Kommission in Brüssel nimmt indes nicht nur seitens ärztlicher Berufsverbände und einzelner fachärztlicher Gesellschaften zu. So hat sich nun auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in die MDR-Debatte eingeschaltet „Wir wollen im Austausch mit allen beteiligten Einrichtungen und Verbänden dafür Sorge tragen, dass die MDR praktikabel umgesetzt wird“, verdeutlicht Präsident Professor Rolf-Detlef Treede das Ansinnen der AWMF mit Blick auf den Versorgungsalltag. Für die Fälle, bei denen einzelne Medizinprodukte drohten, ohne Alternative vom Markt zu verschwinden, empfiehlt die AWMF nach eigener Aussage, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Produkte begutachten und eine in der MDR vorgesehene Sonderregelung prüfen, damit die Patientenversorgung nicht gefährdet werde – besagter Artikel 59 der MDR wird allerdings von der Branche teils als realitätsfremd angesehen. Quelle: Ärzte Zeitung

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