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Erschienen in: Der Nervenarzt 9/2013

01.09.2013 | Leitthema

Gottfried Ewald und die „Aktion T4“ in Göttingen

verfasst von: Dr. C. Beyer

Erschienen in: Der Nervenarzt | Ausgabe 9/2013

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Zusammenfassung

Gottfried Ewald (1888–1963) war ab 1934 Direktor der Heil- und Pflegeanstalt und der Universitätsnervenklinik Göttingen. Im August 1940 verweigerte er auf einer Besprechung der „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ in Berlin seine Mitwirkung als Gutachter an der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Aktion. Ewald verfasste kurz darauf eine ausführliche Stellungnahme gegen die Aktion, die er u. a. an den Leiter der zentralen „Euthanasie“-Dienststelle Werner Heyde und den „Reichsärzteführer“ Leonardo Conti sendete.
Ewalds Protest blieb ohne Erfolg, hatte aber auch keine disziplinarischen Konsequenzen für ihn. Er entschied sich für den Verbleib in seiner Position, um nach eigenen Angaben zumindest einen Teil der für den Transport in Tötungsanstalten vorgesehenen Patienten seiner Heil- und Pflegeanstalt retten zu können. Dies gelang ihm in Kooperation mit den Anstaltsmitarbeitern und dem Provinzialverband Hannover durch Rückstellungen, Beurlaubungen, erneute Begutachtungen und Entlassungen. Diese Strategien wurden bei den Deportationen von jüdischen und „sicherungsverwahrten“ Patienten allerdings nicht angewendet. So mündete Ewalds Protest im teilweisen, pragmatischen Unterlaufen der „Euthanasie“-Aktion.
Fußnoten
1
Bundesarchiv Berlin, Berlin Document Center, Akte Gottfried Ewald, Brief des Kreisleiters der NSDAP Göttingen, 28.10.1937, zit. nach [8], S. 41.
 
2
Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover – (= HStAH), Hann. 155 Göttingen Acc. 58/83 Nr. 20, Geschäftsberichte der Heil- und Pflegeanstalt Göttingen für die Rechnungsjahre 1934–1940.
 
3
Aussage von Ewald vom 24.03.1960, zit. nach [11], S. 220.
 
4
Ebd., zit. nach [11], S. 225.
 
5
Die Stellungnahme Ewalds ist ausführlich nachzulesen in [8], S. 31–35 und [11], S. 229–238. Hieraus auch die folgenden Zitate.
 
6
Schreiben des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Göttingen an die Staatsanwaltschaft Hannover, 31.05.1949, zit. nach [11], S. 241–242.
 
7
HStAH, Hann. 155 Göttingen Acc. 2004/008 Nr. 899, Brief v. Elisabeth von P., 22.04.1941.
 
8
Ebd., Telegramm v. Elisabeth von P., 24.04.1941.
 
9
HStAH, Abgleich der Listen zum Transport vom 11.03.1941 und 29.04.1941 sowie des Schreibens v. Landeshauptmann Ludwig Gessner an Ewald, 21.04.1941, zum Transport vom 29.04.1941 in Hann. 155 Göttingen Acc. 58/83 Nr. 17, BC 75–82, 170–183, 192–193, mit dem überlieferten Patientenaktenbestand in Hann. 155 Göttingen und Nds. 330 Göttingen.
 
10
HStAH, Hann. 155 Göttingen Acc. 2001/117 Nr. 16655, Krankengeschichte Emil L., Einträge v. 16.01.1943 und 11.02.1943.
 
11
HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 61/81 Nr. 28/1, Aussage Ewald v. 06.08.1948.
 
Literatur
1.
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Metadaten
Titel
Gottfried Ewald und die „Aktion T4“ in Göttingen
verfasst von
Dr. C. Beyer
Publikationsdatum
01.09.2013
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Der Nervenarzt / Ausgabe 9/2013
Print ISSN: 0028-2804
Elektronische ISSN: 1433-0407
DOI
https://doi.org/10.1007/s00115-012-3652-0

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