Von primärer Prävention bis Krebsfrüherkennung

Worin unterscheidet sich die Prävention von der Früherkennung? Was versteht man unter der Spezifität eines Screeningtests, was unter positivem Vorhersagewert? Antworten liefert der folgende Beitrag. Definitionen Die rechtzeitige Erkennung von Risiken und die dadurch mögliche Prävention von ganz unterschiedlichen Krankheitsbildern spielen in der gynäkologischen Praxis eine tragende Rolle, im Aus- und Weiterbildungsplan des Fachs Frauenheilkunde fehlt aber eine systematische Schulung in der Präventivmedizin. Das zentrale Ziel der Präventivmedizin ist der Schutz der ganzen Bevölkerung oder von Bevölkerungsgruppen vor bestimmten Krankheiten. Grundlage für die Entwicklung kosteneffektiver Strategien zur Verhinderung oder Früherkennung von Krankheiten sind somit systematische Massenuntersuchungen, die definierte Qualitätsmerkmale erfüllen müssen. Früherkennung und Vorsorge, primäre und sekundäre Prävention von malignen Erkrankungen werden häufig als Synonyme missverstanden. Es handelt sich aber um grundsätzlich völlig unterschiedliche Konzepte. Primäre Prävention Von der primären Prävention eines Karzinoms wird dann gesprochen, wenn bereits die Grundvoraussetzungen für die Genese eines Karzinoms verhindert werden. Ein Beispiel für eine primäre Prävention ist die internationale Kampagne gegen das Rauchen. Durch den Wegfall der externen Noxe bei einem größeren Bevölkerungsanteil konnte unter anderem die Zahl der Neuerkrankungen am Bronchialkarzinom gesenkt werden. Sekundäre Prävention Bei der sekundären Prävention wird die Frühphase der Karzinogenese zugelassen, aber durch rechtzeitige Erkennung und Behandlung von Krebsvorstufen unterbrochen, bevor ein invasives Karzinom entsteht. Das bekannteste Beispiel ist die auf der Exfoliativzytologie basierende Prävention des Zervixkarzinoms. Krebsfrüherkennung Im Gegensatz zur Prävention wird bei der Krebsfrüherkennung die Entstehung von Krebs nicht verhindert. Ziel ist die Erkennung von Karzinomen in einem frühen Stadium mit besseren Heilungschancen. Ein bekanntes Beispiel ist die Früherkennung von Brustkrebs mittels Mammographie. Am besten belegt ist die Effizienz der primären Prävention. Hier besteht auch die größte Vielfalt an effektiven Maßnahmen. Neben der bereits erwähnten Kampagne gegen das Rauchen zählen hierzu gesetzliche Bestimmungen zum Umgang mit kanzerogenen Substanzen und zum Strahlenschutz, Impfungen zum Schutz vor onkogenen Viren, aber auch Maßnahmen zu einer ausgewogenen Ernährung oder Förderung von Sport. Die primäre Prävention kann bei einzelnen Tumorentitäten zwar zu einer sehr starken Senkung der Neuerkrankungen (Inzidenz) führen, bei den meisten Karzinomen ist aber allenfalls ein moderater Rückgang der Inzidenz zu erreichen. Da eine effektive sekundäre Prävention nur dann in der breiten Bevölkerung möglich ist, wenn ein Karzinom erst nach einer längeren Latenzzeit aus Vorstufen entsteht und diese Präkanzerosen mit einem vertretbaren Aufwand zu erkennen sein müssen, ist es wenig verwunderlich, dass dieses Konzept nur bei wenigen Tumoren zu Verfügung steht. Mit guter Evidenz belegt ist die Effizienz für die sekundäre Prävention bei Zervix- und Kolonkarzinom sowie manchen Formen von Hautkrebs. Auch eine effektive Früherkennung gelingt nur bei wenigen Tumorentitäten. Die Anforderungen ähneln denen der sekundären Prävention. Frühe Tumorstadien müssen eine längere Latenzzeit aufweisen und sollten wenig belastend in Reihenuntersuchungen zu diagnostizieren sein. Als Nebeneffekt gelingt die Krebsfrüherkennung bei Zervix- und Kolonkarzinomen im Rahmen der sekundären Prävention. Neben der evidenzbasierten Früherkennung des Mammakarzinoms existieren noch mehr oder weniger gut validierte Konzepte beim Prostata- und Blasenkarzinom. Grundlagen des Screenings Qualitätsmerkmale Screeninguntersuchungen müssen bestimmte medizinische und volkswirtschaftliche Qualitätsmerkmale erfüllen. Das Krankheitsbild, das frühzeitig erkannt oder vermieden werden soll, muss für das betroffene Individuum oder die Bevölkerung schwerwiegende gesundheitliche und/oder wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen, die durch eine frühzeitigere Erkennung vermieden werden können. Es muss ein Suchtest zur Verfügung stehen, der mit hoher Sensitivität und Spezifität die gesuchte Krankheit erkennt und dessen Kosten bei Massenuntersuchungen unter denen der durch die Früherkennung vermiedenen volkswirtschaftlichen Kosten liegen. Suchtestergebnisse sollten weiterhin einfach in der Durchführung sein, wenige unklare Befunde liefern und eine gute Reproduzierbarkeit besitzen. Schließlich muss für die durch die Screeninguntersuchung erkannten Früh- oder Vorstufen ein suffizientes therapeutisches Konzept vorliegen. Die Sensitivität, also die Empfindlichkeit, mit der ein Screeningtest die gesuchte Erkrankung erkennt, sollte im optimalen Fall 100 % sein, dies wird aber bisher von keiner Methode erreicht. Im Alltag muss somit immer mit Kranken gerechnet werden, die durch das Screening nicht erkannt werden. Je höher die Sensitivität der Methode ist, desto geringer wird dieser Funktionsfehler ausfallen. Umgekehrt werden auch nicht alle Untersuchten, die nicht an der gesuchten Krankheit leiden, ein negatives Untersuchungsergebnis erhalten. Je höher die Rate solcher Fehlalarme ausfällt, desto schlechter wird die Spezifität der Methode. Neben Sensitivität und Spezifität gibt es zwei weitere Parameter, mit denen sich die Qualität eines Screeningtests bewerten lässt. Der negative Vorhersagewert (negative predictive value = “NPV“) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein negativer Test die gesuchte Krankheit ausschließt, der positive Vorhersagewert (positive predictive value = „PPV“) die Wahrscheinlichkeit, mit der bei einem positiven Test tatsächlich die Krankheit vorliegt. NPV und Spezifität ebenso wie PPV und Sensitivität sind nicht identisch. (s. auch Infobox 1) Infobox 1 Qualitätsparameter eines Screeningtests Sensitivität: Die Zahl der erkannten Kranken geteilt durch die Gesamtzahl aller Kranken in der untersuchten Bevölkerung. Positiver Vorhersagewert: Der Anteil der Untersuchten mit positivem Testergebnis, die tatsächlich erkrankt sind. Spezifität: Die Zahl der erkannten Gesunden geteilt durch die Gesamtzahl aller Gesunden in der untersuchten Bevölkerung. Negativer Vorhersagewert: Der Anteil der Untersuchten mit negativem Testergebnis, die tatsächlich nicht erkrankt sind. Jede Verminderung an Sensitivität des Screeningtests resultiert in einer Zunahme von nicht erkannten Krankheitsbildern, jeder Verlust an Spezifität führt dazu, dass gesunde Untersuchte ein positives Suchtestergebnis erhalten, obwohl das gesuchte Krankheitsbild nicht vorliegt (Abb. 1). Ärzte stufen aus medizinischen und forensischen Gründen meist eine hohe Sensitivität wichtiger ein als eine hohe Spezifität. Auch wenn eine Nachweismethode alle Qualitätsmerkmale eines guten Screeningtests aufweist, erfolgt die definitive Diagnosestellung meist nicht durch den Suchtest sondern durch den jeweiligen diagnostischen Goldstandard. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass der Goldstandard prinzipiell der beste Screeningtest wäre, da er andere Qualitätsmerkmale für einen guten Suchtest wie einfache Handhabung und geringe Kosten nicht erfüllt. Abb. 1: Das Ziel von Screeninguntersuchungen ist die Entdeckung der wenigen Kranken (helle Kreise) zwischen der Vielzahl der nicht Kranken (rote Kreise). Diese gelingt mit keiner Methode ganz perfekt, da entweder Kranke übersehen werden (schlechte Sensitivität) oder Gesunde mit Fehlalarmen (schlechte Spezifität) geängstigt werden. × Die Qualität des Screenings ist nicht in jeder Bevölkerung gleich Sensitivität, Spezifität, NPV und PPV hängen nicht nur von der Qualität des eingesetzten Tests, sondern auch von der untersuchten Bevölkerung ab. Während in der Normalbevölkerung die gesuchte Krankheit meist selten auftritt, findet sie sich in Bevölkerungsgruppen mit höherem Risiko deutlich häufiger, dies führt unmittelbar zu einer Änderung des PPV und NPV. Nahezu jeder Screeningtest weist einen immanenten Fehler auf, dessen Häufigkeit in der untersuchten Bevölkerung Sensitivität und Spezifität beeinflusst. Beispiel. Das HIV-Screening von Blutspendern mittels Nachweis von HIV-Antikörpern (AK) weist eine sehr hohe Sensitivität von fast 100 % in der deutschen Normalbevölkerung auf. Ein HIV-AK kann aber bei einer akuten HIV-Infektion in den ersten Wochen falsch negativ ausfallen, da in diesem sogenannten serologischen Fenster noch keine Antikörper gebildet werden. Die Häufigkeit der akuten HIV-Infektion in einer untersuchten Bevölkerung bestimmt somit die Höhe der Sensitivität des eingesetzten HIV-AK-Tests. In gleicher Weise bestimmt die Häufigkeit eines immanenten Fehlers, der zu falsch positiven Ergebnissen führt, die Höhe der Spezifität. Evidenzgrad („Level of evidence“) Die Ergebnisse klinischer Studien sollen vor Manipulationen und Zufällen geschützt erhoben werden. Am besten gelingt dies dadurch, dass Studienteilnehmer zufällig (randomisiert) einer Untersuchungsgruppe (Standardvorgehen oder neues Konzept) zugeteilt werden. Bei Medikamentenstudien besteht zusätzlich die Möglichkeit der Verblindung, d. h. weder Patient noch Arzt können erkennen, ob ein Plazebo oder das Medikament gegeben wird. Bei Screeningstudien ist eine Verblindung nicht möglich, da die vorgenommenen Prozeduren sich für Arzt und Patient klar unterscheiden lassen: Der Evidenzgrad für Studien zur Prävention und Epidemiologie ist in Infobox 2 definiert [1]. Infobox 2 Evidenzgrad für Studien zur Prävention und Epidemiologie 1a Systematische Übersicht über randomisiert kontrollierte Studien (RCT) 1b Eine RCT (mit engen Konfidenzintervallen) 1c Alle-oder-keiner-Prinzip 2a Systematische Übersicht über gut geplante Kohortenstudien 2b Eine gut geplante Kohortenstudie oder eine RCT minderer Qualität 2c Outcomestudien, ökonomische Studien 3a Systematische Übersicht über Fall-Kontrollstudien 3b Fall-Kontrollstudie 4 Fallserien oder Fall-Kontrollstudien minderer Qualität 5 Expertenmeinung Literatur 1. Albert US et al (2008) Guideline for the Early Detection of Breast Cancer in Germany 2008. Chirurg 79:589-594 Hinweis: Der Beitrag stammt aus dem Handbuch Gynäkologie und Geburtshilfe 2012/2013 und entspricht den Seminarunterlagen des 4. Gynäkologie-Geburtshilfe-Update-Seminars 2012 der med update GmbH. Veranstaltungshinweis: Gyn Update 2013 Köln, 08.–09.11.2013, Gyn Update 2013, 5. Gynäkologie-Geburtshilfe-Update-Seminar: www.gyn-update.com

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