Ergebnisse.
Die Reviewautoren schlossen 81 RCT mit insgesamt 4674 Teilnehmern ein, wobei die mittlere Teilnehmerzahl bei 38 Teilnehmern (Range 10–369) je RCT lag. Die meisten Studien verglichen die Intervention mit einer Kontrollgruppe, nur wenige verglichen zwei aktive Behandlungen. Es gab 65 unterschiedliche Behandlungen, und die Ergebnisse einiger Vergleiche entstammten der direkten Evidenz aus nur einer Studie. Zur Vereinfachung wurden die Behandlungen nach ihrer Wirkweise in 31 Kategorien eingeteilt. Ein Großteil der Studien wies in den meisten Biasdomänen ein unklares oder hohes Risiko für Bias auf, insbesondere für Selektions- oder Detektionsbias. Zusammengefasst erbrachte die NMA Hinweise darauf, dass sechs (bezogen auf den Anteil an Heilung/Verbesserung der Beschwerden), eine (Schmerz), eine (Häufigkeit des Harndrangs) sowie keine (nächtlicher Harndrang) Behandlungskategorien im Vergleich zu den Kontrollgruppen wirksam waren, es bestand jedoch eine große Unsicherheit bezogen auf die Effektschätzungen.
Aufgrund der hohen Anzahl an Interventionsvergleichen in diesem Review konzentrierten sich die Autoren auf drei Interventionen: Antidepressiva (AD), Pentosanpolysulfat (PPS) sowie die neuromuskuläre Blockade. Diese Auswahl ergab sich aus der starken Empfehlung für diese Verfahren in den EAU-Leitlinien zur Behandlung des Blasenschmerzsyndroms [
1].
Die Reviewautoren fanden Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit dafür, dass Antidepressiva im Vergleich zu einer Kontrollgruppe möglicherweise mit einer größeren Wahrscheinlichkeit für eine Heilung oder Besserung der Beschwerden assoziiert sind (OR 5,91; 95 %-CrI 1,12 bis 37,56; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), jedoch war unklar, ob AD zu einer Verringerung von Schmerzen (MD −1,27; 95 %-CrI −3,25 bis 0,71; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), der Harndrangfrequenz (MD −2,41; 95 %-CrI −6,85 bis 2,05; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) oder des nächtlichen Harndrangs (MD 0,01; 95 %-CrI −2,53 bis 2,50; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) führten.
Es gab keine Evidenz dafür, dass PPS zur Heilung oder Linderung der Beschwerden (OR 0,14; 95 %-CrI 0,40 bis 3,35; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), weniger Schmerzen (MD 0,42; 95 %-CrI −1,04 bis 1,91; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), weniger häufigem Harndrang (MD −0,37; 95 %-CrI −5,00 bis 3,44; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) oder weniger nächtlichem Harndrang (MD −1,20; 95 %-CrI −3,62 bis 1,28; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) führte.
Es gab Evidenz dafür, dass eine neuromuskuläre Blockade häufiger zu Heilung oder Linderung der Beschwerden (OR 5,80; 95 %-CrI 2,08 bis 18,30) führte, nicht jedoch zu einer Verringerung von Schmerzen (MD −0,33; 95 %-CrI −1,71 bis 1,03), der Harndrang-Frequenz (MD −0,91; 95 %-CrI −3,24, 1,29) oder des nächtlichen Harndrangs (MD −0,04; 95 %-CrI −1,35 bis 1,27). Die Vertrauenswürdigkeit dieser Evidenz wurde durchgängig als sehr niedrig bewertet.
Kommentar
Das BPS ist ein chronisches Zustandsbild, welches am häufigsten Frauen betrifft. Es ist charakterisiert durch Schmerzen im Bereich der Harnblase oder des kleinen Beckens sowie weitere Beschwerden des Harntrakts, wie häufigen und/oder nächtlichen Harndrang [
2]. Die Ursachen des BPS bleiben weitgehend ungeklärt. Bisher konnte kein einzelner Auslöser oder validierter diagnostischer Parameter des Zustandbildes identifiziert werden. Daher basiert die Diagnose meist auf anamnestischen Erhebungen oder ergibt sich durch Ausschluss anderer identifizierbarer Ursachen [
2]. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass das BPS histopathologisch subtypisiert werden kann in zwei Gruppen, bei welchen auch Experimente im Tiermodell unterschiedliche zugrunde liegende Pathomechanismen vermuten lassen. Einerseits solche, in denen Hunner-Läsionen festgestellt werden können, wo sich charakteristische histopathologische Änderungen im Urothel mit epithelialer Denudation, verstärkter lokaler Immunantwort und Infiltration von B‑Zellen finden und dadurch auf eine lokale Dysfunktion des Urothels schließen lassen. Andererseits eine solche Gruppe ohne zystoskopische Auffälligkeiten, bei welcher die lokal-inflammatorische Komponente nicht im Vordergrund steht, sondern möglicherweise neurophysiologische Ursachen oder somatoforme Transformationen führend sind [
3]. Möglicherweise handelt es sich dabei tatsächlich um verschiedene Krankheiten.
In der Vergangenheit wurden die diagnostischen Kriterien für BPS und IC mehrfach überarbeitet. 1987 wurde die IC als Ergebnis objektiver Parameter in der Zystoskopie und Urodynamik definiert [
4]. Dieser diagnostische Weg stellte sich in der Praxis als zu umständlich und risikoreich heraus [
5], sodass die internationale Kontinenzgesellschaft (ICS) 2002 eine breitere Definition des „schmerzhaften Blasensyndroms“ vorschlug [
6,
7]. Diese Definition resultierte im heute gängigen Terminus des BPS, welcher von der ESSIC geprägt wurde. Er definiert sich als „chronischer Beckenschmerz, Druckgefühl oder Unbehagen über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten, wahrgenommen in der Harnblase und begleitet von mindestens einem anderen Miktionssymptom wie anhaltendem Harndrang oder häufigem Harnlassen“ [
8].
Durch diese bis zuletzt verschiedenen Definitionen sind genaue epidemiologische Aussagen schwierig. Einer Schätzung nach beläuft sich die Prävalenz bei Frauen auf 100–200 pro 100.000 und bei Männern auf etwa ein Zehntel dieses Werts [
2].
Eine große Anzahl verschiedener therapeutischer Ansätze wird in der Behandlung des BPS verfolgt [
2]. Initial werden meist neben Patientenedukation und Lifestyle-Modifikation diätetische Maßnahmen, Physiotherapie und Analgetika eingesetzt. In therapierefraktären Stadien wird dies ergänzt durch pharmakologische Therapien wie Analgetika höherer Potenz, Antidepressiva, Antibiotika und Immunmodulatoren. Chirurgische Techniken wie Botulinumtoxin-Injektion oder Entfernung der Harnblase stellen die letzten Therapielinien dar [
2]. Aktuelle Leitlinien empfehlen prinzipiell einen patientenbasierten, individualisierten Zugang [
9].
Diese Breite an verschiedenen Behandlungen macht eine NMA zu einem geeigneten Instrument, gleichzeitig die Evidenzlage dieser Strategien darzustellen und zu vergleichen. Die vorliegende Übersichtsarbeit stellt dies dar.
Fazit für die Praxis.
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Es besteht eine große Heterogenität in den Behandlungsformen des BPS („bladder pain syndrome“).
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Möglicherweise führen Behandlungen mit Antidepressiva und Pentosanpolysulfat mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einer Linderung oder zur Heilung von Beschwerden bei Patienten mit BPS.
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Es besteht Unsicherheit bezüglich des Auftretens von unerwünschten Ereignissen während den untersuchten Interventionen.
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Die Sicherheit der Aussagen zu den einzelnen Endpunkten in dieser Übersichtsarbeit wurde aufgrund eingeschränkter Evidenzqualität mehrheitlich als gering bis sehr gering eingeschätzt.
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Grundlegende Fragen zur Ätiologie und Pathophysiologie des BPS sind noch zu klären, bevor mit reproduzierbaren Therapieerfolgen zu rechnen ist.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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